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KULTUR/1027: In eigener Sache - H. M. Broder kann's nicht lassen ... (SB)



Ich glaube nicht einmal daran, dass es einen Klimawandel gibt, weil es noch keinen Tag in der Geschichte gegeben hat, an dem sich das Klima nicht gewandelt hätte. Klimawandel ist so neu wie die ewige Abfolge von Winter, Frühjahr, Sommer und Herbst. Neu ist nur, dass das Klima zum Fetisch der Aufgeklärten geworden ist, die weder an Jesus noch an Moses oder Mohammed glauben. Dazu hat bereits der britische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton, der Erfinder von Pater Brown, das Richtige gesagt: "Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht an nichts, sie glauben allen möglichen Unsinn."
Henryk M. Broder in seiner Rede vor der AfD-Bundestagsfraktion [1]

Der Vorgang als solcher ist banal: Ein prominenter Publizist und Buchautor, als dessen politische Heimat man am ehesten die Neue Rechte ausweisen könnte, hält auf Einladung der Neuen Rechten einen Vortrag über deren zentrales ideologisches Feindbild, nämlich "Politische Korrektheit". Daß Henryk M. Broders Rede vor der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag dennoch zum Aufreger geriet, dürfte im Kern darauf zurückzuführen sein, daß sich die Mainstream-Medien entweder nicht kritisch mit seinen Positionen auseinandergesetzt haben oder - was naheliegender ist - sie in mehr oder minder großen Portionen teilen, ihm aber dennoch oder gerade deswegen "Mut, Unabhängigkeit, Standfestigkeit und Klugheit" attestieren, wie dies der Historiker Michael Wolffsohn ebenso begeistert wie erwartungsgemäß tat. [2]

Auch das Foto, auf dem ihn Alice Weidel umarmt und fast Wange in Wange mit ihm in die Kamera strahlt, ist kein Skandal. Wenngleich man das geflügelte Wort in aller Regel nicht unterschreiben kann, daß ein Bild mehr als tausend Worte sage, reizt dieses spezielle Beispiel schon dazu, entsprechende Schlüsse zu ziehen. Daß sich der "Welt"-Kolumnist in solcher Innigkeit mit der AfD-Fraktionsvorsitzenden ablichten ließ, zog Vorwürfe nach sich, Broder habe sich instrumentalisieren lassen. Dies würde allerdings klare Grenzen und konturierte Widersprüche zwischen den beiderseitigen Positionen voraussetzen, wovon eher nicht die Rede sein kann. Der Gescholtene selbst verstand die Aufregung nicht: "Wenn ich von Frau Weidel umarmt werde, die, soviel ich weiß, weder wegen Drogenhandels noch für die Förderung von kriminellen Clans in Berlin abgeurteilt wurde, dann regt sich das halbe Land auf. Ich finde das albern." [3]

Angesichts aufbrandender Kritik im Netz sah sich "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt jedoch zur Rüge genötigt, "Politiker und Journalisten sollten sich nie umarmen (lassen). Und auch sonst keine missbrauchbare Nähe suchen", schrieb er auf Twitter. Wie um zu belegen, daß Broders Rede ohne Fehl und Tadel sei, weshalb sie das Licht der Öffentlichkeit nicht scheuen müsse, wurde der volle Wortlaut umgehend zugänglich gemacht. Wie Broder selbst vorausschickt, wäre es "richtig gewesen, sich der Umarmung zu entziehen. Als Journalist sollte man auf Distanz zu Politikern und Politikerinnen achten. Es gibt freilich keinen Grund, aus dieser Umarmung weiter gehende Schlüsse zu ziehen. Ich bitte um Entschuldigung und gelobe, bei der nächsten Gelegenheit vorsichtiger zu sein."

War's das? Ein bloßer Fauxpas, über den man sich bloß nicht so aufregen solle? Als wendiger Rhetoriker, der er ist, nutzt Broder sofort die Gelegenheit, die vorgeblich reumütige Einsicht ironisierend in ihr Gegenteil zu verkehren. Dann folgt der Vorspann seines Vortrags, der an den intellektuellen Kapazitäten des Redners zweifeln ließe, wüßte man nicht, daß er bereits 2007 die Kontroverse um die globale Erwärmung als "eine Art Feldgottesdienst der Ungläubigen, die sich im Glauben an das Ende der Welt zusammengefunden haben", lächerlich gemacht hatte. Wie er nun erklärte, wäre er am liebsten auf Einladung der Grünen gekommen, aber die seien noch nicht soweit, einen wie ihn einzuladen. "Dazu müsste ich erst einmal anfangen, meinen Müll zu trennen, sparsam zu heizen und weniger Wasser zu verbrauchen. Das tue ich nicht. Ich glaube nicht einmal daran, dass es einen Klimawandel gibt, weil es noch keinen Tag in der Geschichte gegeben hat, an dem sich das Klima nicht gewandelt hätte. Klimawandel ist so neu wie die ewige Abfolge von Winter, Frühjahr, Sommer und Herbst. Neu ist nur, dass das Klima zum Fetisch der Aufgeklärten geworden ist, die weder an Jesus noch an Moses oder Mohammed glauben. (...) Der weltweite Hype um eine 16-jährige Schwedin, die sich für eine Wiedergängerin von Jeanne d'Arc hält, hat das in diesen Tagen wieder bewiesen."

Fast könnte man sich den Rest seine Rede sparen, da er bereits vorab seine Karten auf den Tisch gelegt und sein neurechtes Profil hinlänglich umrissen hat. Ich verbrauche, so viel ich will, und lasse mich dabei von niemandem bevormunden. Sie lügen uns mit ihrem Klimawandel die Hucke voll, um uns ideologisch zu fesseln und am Wachstum zu hindern. Sie glauben nicht an Gott und folglich an allen möglichen Unsinn, mit dem sie unser Denken vernebeln wollen. Für die 16jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg hat er nichts als Häme übrig und spricht sich später in seinem Vortrag sogar für eine Verschärfung des Tatbestands "Kindesmissbrauch" aus, "um auch solche Fälle verfolgen zu können wie den der bereits erwähnten Greta aus Schweden, die von den Klimarettern zur Ikone ihrer Bewegung erkoren wurde". In seiner bräsigen, altväterlich-paternalistischen Überheblichkeit spricht er einer jungen Frau schlichtweg jede Fähigkeit ab, eigenständige sozialökologische Positionen zu vertreten und jenen den Kampf anzusagen, die ihrer Generation die Zukunft rauben.

Nach diesem "Aufwärmen" kehrt Broder zum Anfang zurück. Seine Gastgeber fragten sich sicher, warum er die Einladung angenommen habe: "Die Sache ist ganz einfach. Sie wollten sehen, ob jemand, der so gut wie ich schreiben kann, ebenso gut reden kann - in der Höhle oder auch Hölle der braun getupften Löwen, in der Schlangengrube der Reaktion, im Darkroom der Geschichte. Und außerdem wollen Sie wissen, ob ich wirklich so sympathisch bin, wie ich im Fernsehen immer rüberkomme." Daß er nicht von sich eingenommen sei, kann man Broder kaum attestieren, kaschiert er seine Selbstgefälligkeit doch allenfalls notdürftig als Ironie. "Einige von Ihnen mögen vielleicht noch nie einen leibhaftigen Juden in natura gesehen haben und warten nun darauf, dass sich der Raum mit dem Geruch von Knoblauch und Schwefel füllt."

Enttarnt Broder "in brillanter Weise die AfD durch Fakten und Witz - ohne Schaum vor dem Mund", wofür er "Dank und Bewunderung" verdient, wie Wolffson begeistert schreibt? Geht er die Rechten in ihrem Wesenskern an, wenn er erklärt: "Wann bekommt ein Jude schon die Gelegenheit, in einem Raum voller Nazis, Neo-Nazis, Krypto-Nazis und Para-Nazis aufzutreten?" Der Eindruck täuscht, zielt Broders verbale Attacke doch nur auf jenen Teil der AfD ab, der offen für rechtsextreme Strömungen, aber nicht mit der Neuen Rechten wie den Identitären gleichzusetzen ist. Im Grunde bedient er die taktische Marschroute der Parteiführung, die ihren Mitgliedern in einer Weisung auferlegt hat, sich für den Verfassungsschutz relevanter, wie insbesondere antisemitischer Äußerungen zu enthalten.

Die Neue Rechte ist nicht zwangsläufig antisemitisch, im Gegenteil. Man muß nicht nach Brasilien blicken, wo der rechtsextremistische Präsident Jair Bolsonaro wie sein großes Vorbild Donald Trump ein erklärter Bewunderer Israels ist, dessen Regierungschef Benjamin Netanjahu denn auch als einer der Ehrengäste seiner Amtseinführung beiwohnte. Als Vordenker der "Antideutschen" hat Broder schon vor Jahren den Kurs angelegt, jede Kritik an der israelischen Regierungspolitik als antisemitisch zu brandmarken. In seiner Rede hob er vielmehr auf jene Positionen ab, die man als Markenkern der Neuen Rechten bezeichnen kann. Er sei ein "Brückenbauer" und "tolerant bis an die Grenze der Selbstverleugnung", nur gegenüber einer Gruppe von Menschen wolle er nicht tolerant sein: "Gegenüber den Intoleranten, die sich selbst zum Maß aller Dinge erheben und mir entweder ewiges Leben im Paradies versprechen, wenn ich ihnen folge, oder einen Logenplatz in der Hölle, wenn ich mich ihnen verweigere."

Es sind die "Politisch Korrekten" die er aufs Korn nimmt, wie Kardinal Marx, der den Begriff "christliches Abendland" als "ausgrenzend" bedenklich findet und sich nach Broders Auffassung damit präventiv unterwirft. Oder realitätsentwöhnte Gender-Extreme, wenn erklärt werde, Mann und Frau seien keine biologischen Tatsachen, sondern "soziale Konstrukte". Oder gar der grüne Europa-Abgeordnete Michael Cramer, der sich der Aussage erdreistet habe, es gebe Leute, die leugnen den Holocaust, und es gebe Leute, die leugnen, daß Feinstaub und Feinstaubpartikel und CO2 und Stickoxide gesundheitsschädlich sind.

Andererseits hat Broder kein Problem damit, folgende Beispiele dessen aufzuzählen, "was man nicht tut": "Man legt die Füße nicht auf den Tisch, man rülpst nicht beim Essen, und man nennt die zwölf schlimmsten Jahre der deutschen Geschichte nicht einen 'Vogelschiss'." Das sei nicht nur aus Sicht der Nazi-Opfer eine schwere Sünde. Daß man ihm vorhalten könnte, er stelle Ungezogenheiten bei Tisch in eine Reihe mit dem NS-Regime, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn - vermutlich weil er auch das als unzumutbare Bevormundung zurückweisen würde. Wenn er erklärt, das Recht auf freie Meinungsäußerung kenne keine "richtigen" und keine "falschen" Meinungen, heißt das nach seiner Lesart, daß er allein die Anwendung dieses Postulats diktiert und dies mit harten Bandagen exekutiert.

Gilt es, Kritiker der Politik der USA und Israels, insbesondere auch aus der Friedensbewegung, niederzumachen, scheut Broder selbst heftige Diffamierungen nicht. So bezeichnete in der Vergangenheit er Noam Chomsky als "absoluten Psycho", Alfred Grosser als "Ekel-Alfred" und "postsenile Plaudertasche" und unterstellte Horst-Eberhard Richter eine "Psychoanalyse auf Al-Kaida-Niveau". Jörg Zink nannte er einen "alten Nazi im Theologen-Kostüm". Bei der Verleihung des Ehrenpreises der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Aachen 2011 polemisierte er gegen das "alternative friedensbewegte rote Pack" und beschimpfte den israelischen Friedensaktivisten Reuven Moskovitz als "nützlichen Idioten der Linken". Jakob Augstein bezeichnete er 2012 wegen dessen Äußerungen über die Politik der Regierung Israels als "lupenreinen Antisemiten", als Mitbetreiber und Autor des Blogs "Die Achse des Guten" ergeht er sich in antiislamischen Ausfällen. Er unterstützte von Anfang an den Irakkrieg und kritisierte die Verhandlungsbereitschaft deutscher Außenpolitiker gegenüber den afghanischen Taliban und der iranischen Regierung. Zusammen mit Thilo Sarrazin und Alexander Gaulands Mitarbeiter Michael Klonovsky gehörte er zu den Erstunterzeichnern des Positionspapiers "Gemeinsame Erklärung 2018", das sich gegen "illegale Masseneinwanderung" ausspricht und Solidarität mit Demonstranten bekundet, die für eine Wiederherstellung der "rechtsstaatlichen Ordnung an den Grenzen unseres Landes" auf die Straße gehen. Illustriert wurde die Erklärung mit dem Foto eines vom Umfeld der AfD unterstützen Frauenmarsches.

Ein Freund habe ihn gewarnt: "Du wirst doch nur instrumentalisiert, weißt du es nicht?" Natürlich sei ihm das klar. "Und wissen Sie was? Es ist mir wurscht. Heutzutage instrumentalisiert jeder jeden. (...) Ich werde jeden Tag instrumentalisiert, (...) da kommt es auf eine Instrumentalisierung mehr oder weniger nicht an. Sie instrumentalisieren mich, und ich instrumentalisiere Sie. Ich probiere aus, wie weit ich gehen kann. Wenn es keinen Shitstorm gibt, ist es gut, wenn es einen gibt, ist es noch besser." Daß Broder nicht besorgt ist, von der AfD vereinnahmt zu werden, liegt indessen auf der Hand, ist er ihr doch im Zuge seiner politischen Drift nach rechts längst dicht an die Seite gerückt.

Er sei nicht gekommen, um eine Predigt zu halten oder den Anwesenden zu sagen, was sie tun oder lassen sollten, erklärte er denn auch. "Ich will Ihnen weder den Weg versperren noch Ihnen den Weg weisen. Oder allenfalls ein wenig." Er sei hier, weil der Umgang mit der AfD alles andere als fair sei und er ein Zeichen für einen fairen Umgang mit dem politischen Gegner setzen wolle. Außerdem lasse er sich als mündiger Bürger dieser Republik nicht vorschreiben, wo er auftreten dürfe und wo nicht. Broder, dessen Einsatz für die Freiheit des Andersdenkenden, den er so gern für sich reklamiert, in Bezichtigungstiraden umschlägt, sobald er auf antiimperialistische und antirassistische Linke, Kriegsgegner, Feministinnen oder ökologische Aktivistinnen trifft, um nur einige seiner diversen Feindbilder zu nennen, fühlt sich bemüßigt, die AfD gegen unfaire Behandlung zu verteidigen.

Da mutet es geradezu folgerichtig an, daß er in seiner Rede sogar damit kokettiert, ihr seine Stimme zu geben: "Und falls Sie jetzt wissen möchten, ob ich vorhabe, Sie zu wählen, kann ich nur sagen: Das hängt ganz von Ihnen ab. Ich bin ein Wechselwähler. (...) Wenn Sie meine Stimme haben wollen, dann müssen Sie mich überzeugen. Ich finde es prima, dass Sie das Existenzrecht Israels bejahen, (...) aber das reicht mir nicht, ich erwarte mehr. Sie müssten Ihre Begeisterung für Russland und Putin dämpfen, Ihre USA-Allergie kurieren, Zweideutigkeiten in Bezug auf die deutsche Geschichte unterlassen und sowohl Ihren Mitgliedern wie Wählern klaren Wein darüber einschenken, dass Sie kein Depot für kontaminierte deutsche Devotionalien sind. Mag sein, dass Sie das einige Wähler kosten wird, aber das sollte es Ihnen wert sein. Klarheit vor Einheit!"

Alice Weidel hat's jedenfalls gefreut, teilte sie doch sogleich via Twitter mit: "Henryk M. Broder war gestern Abend bei uns zu Gast zu dem Thema: 'Das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen und was die political correctness dazu beiträgt.' Ich bedanke mich für einen gelungenen Abend."


Fußnoten:

[1] www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article187962993/Henryk-M-Broders-Rede-vor-der-AfD-Bundestagsfraktion.html

[2] www.welt.de/debatte/kommentare/article188065403/Michael-Wolffsohn-Henryk-M-Broder-der-AfD-Entzauberer.html

[3] www.waz.de/politik/afd-welt-journalist-henryk-broder-wehrt-sich-nach-weidel-foto-gegen-vorwuerfe-id216342665.html

2. Februar 2019


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