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KULTUR/1043: Peter Handke - streitbar alleine ... (SB)



"Selma Lagerlöfs wild geese forever! Strawberry Fields forever! Wild Strawberries forever!"
Peter Handkes Toast bei der Verleihung des Nobelpreises für Literatur

Peter Handke ist aus der Zeit gefallen. Mit Wildgänsen sprechen, auf ihrem Rücken durch die Himmel fliegen - ein Kindertraum, von Nils Holgersson weitergereicht an die vielen jungen Menschen, die andere Lebewesen nicht mehr zum Objekt eigenen Überlebens machen wollen. "Nichts ist real, und es gibt keinen Grund zu warten" - ein Hippietraum der Beatles, der den Lärm unaufhörlich um sich rotierender Maschinen jäh verstummen und die monochrome Normgesellschaft in Myriaden von Farben aufgehen läßt. Ingmar Bergmans "Wilde Erdbeeren" - der Traum von einer Welt unzerstörter Natur und unbeantwortbarer Fragen, in dessen Idyll die Wunden und Schmerzen doch noch heilen und vergehen.

Es ist die lyrische Subjektivität des 77jährigen Schriftstellers, die in Stockholm ausgezeichnet wurde. Sein Werk transportiert den Geist verlorener Jahrzehnte in eine Gegenwart, in der mit Sachzwanglogik, Effizienzprimat und Sozialkontrolle der letzte Rest des Traumes von Autonomie und Gewaltfreiheit eliminiert werden soll. Die Unerbittlichkeit, mit der dies geschieht, bezeugt die Wirkmächtigkeit des vor einem halben Jahrhundert kurz an die Oberfläche des Gesellschaftsgetriebes getretenen Traumes. Handke hält aus vielen Gründen an ihm fest, das macht ihn zum Ärgernis aller auf Flexibilität und Opportunität abonnierten Marktsubjekte.

Tief in seiner persönlichen, im Grenzgebiet zwischen Österreich und Jugoslawien verwurzelten Biographie besteht der Schriftsteller auf Gewißheiten, die ihn in Opposition zum Gros der westlichen Kultur- und Politikeliten manövrierten. Wer wie er viel für die slowenischen PartisanInnen übrig hat, die in Kärnten gegen Nazideutschland kämpften, aber Österreich auch wegen der dort ins Kraut schießenden alldeutschen WiedergängerInnen den Rücken kehrte, stand der Neuordnung Europas im Interesse von EU und NATO im Wege. Das wird ihm bis heute nicht verziehen. Handke hat sich mit den Richtigen, den um jeden Preis Rechthabenden angelegt, wofür er noch 20 Jahre nach dem Überfall auf Jugoslawien angegriffen wird. Zahllos sind die Namen prominenter KriegsbefürworterInnen von Jürgen Habermas und Joseph Fischer über Susan Sontag und André Glucksmann bis Günter Grass und Wolf Biermann, die sich schon Jahre vor dem 20. März 1999 unter dem Banner der von US-Präsident George Bush ausgerufenen Neuen Weltordnung einfanden, um das postsozialistische Jugoslawien als potentielles Alternativmodell zur neoliberalen EU auszuschalten.

Peter Handke gehört zu jenen seltenen Vertretern der 68er-Generation, die nicht auf diese oder jene Weise abgeschworen haben, sondern auf dem schmalen Weg unbestechlicher Streitbarkeit weitergegangen sind. Dies tat er im nicht unangenehmen Umfeld literarischer Prominenz. Es hätte ihn nicht viel gekostet, sein Fähnchen in den Wind eines blutigen Hegemonialstrebens zu hängen, für dessen Legitimation sogar das Vermächtnis der Shoah eingesetzt wurde, als wären die ermordeten JüdInnen auf diese Weise nicht ein weiteres Mal ums Leben gebracht worden. Wer immer Handkes Urteilsvermögen mit Schmähungen und Häme überzog, hat ganz bestimmt nicht vergessen, welch brutales Regime der NS-Faschismus in Jugoslawien errichtete, wie er es verstand, die völkische Gesinnung des kroatischen Klerikalfaschismus für sich einzusetzen, wie seine blutige Spur die deutsche Nachkriegsgeschichte durchzieht, für deren VordenkerInnen das multiethnische Jugoslawien stets ein "Völkergefängnis" und damit zum Abschuß freigegeben war. Doch sich selbst zu prüfen, wenn der andere Mensch mit einem Tritt ins Abseits befördert wird, ist keine Stärke jener StimmungsmacherInnen, die den Begriff des "Intellektuellen" mit finaler Wirksamkeit in die Tonne der Verächtlichkeit getreten haben.

Indem der Nobelpreisträger den journalistischen FrontbegleiterInnen auf den Zahn fühlte, machte er sich Feinde unter denjenigen, die seinesgleichen, wenn es nur einen geringen Anlaß zum Eklat gibt, fast nach Belieben niederschreiben können. Peter Handke hat bei seinen öffentlichen Auftritten und seinen Stellungnahmen in Zeitungsartikeln und Interviews jenes Recht auf die Subjektivität persönlicher Positionierung geltend gemacht, das angeblich unverhandelbarer Anlaß für die Respektierung von Meinungs- und Pressefreiheit ist. Was ihn als Literaten über sich hinauswachsen ließ, sollte ihm bei der Einmischung ins Tagesgeschäft politischer Willkür zum Strick gedreht werden. Sein in Stockholm ausgebrachter Toast auf drei Leuchtfeuer außergewöhnlichen Kulturschaffens weist der Herde seiner KritikerInnen den Weg zu dem ihnen zustehenden Platz in der Mittelmäßigkeit zwischen allem, wofür einzutreten es eines Mutes bedarf, der ohne Liebe zum Leben nicht zu fassen ist.

11. Dezember 2019


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