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KULTUR/1059: Käthe Kollwitz - zuviel gewußt, zuviel gesagt ... (SB)



Ganz gewiss ist meine Arbeit schon damals durch die Einstellung meines Vaters, meines Bruders, durch die ganze Literatur jener Zeit auf den Sozialismus hingewiesen. Das eigentliche Motiv aber, warum ich von jetzt an fast nur das Arbeiterleben wählte, war, weil die aus dieser Sphäre gewählten Motive mir einfach und bedingungslos das gaben, was ich als schön empfand. Schön war für mich der Königsberger Lastträger, schön waren die polnischen Jimkies auf ihren Witinnen, schön war die Großzügigkeit der Bewegung im Volke. Erst viel später, als ich, besonders durch meinen Mann, die Schwere und Tragik der proletarischen Lebenstiefe kennenlernte, als ich Frauen kennenlernte, die beistandsuchend zu meinem Mann und nebenbei auch zu mir kamen, erfasste mich mit ganzer Stärke das Schicksal des Proletariats und aller seiner Nebenerscheinungen. Käthe Kollwitz [1]

Heute vor 75 Jahren ist Käthe Kollwitz gestorben. Im Kalender medientauglicher Gedenkereignisse ein eher randständiges Datum, steht die Künstlerin doch als parteilose Sozialistin und überzeugte Pazifistin für eher unbequeme Positionen. Die Konsequenz, mit der sie sich auf die Seite der Schwachen und Verletzlichen stellte, verweist auf eine politische Kunst, die für die politischen Systeme, in denen sie lebte, nie unproblematisch war. In der BRD wird sie zwar gewürdigt, doch ein Armut, Hunger, Krieg und Unterdrückung darstellendes Werk, dazu von einer Ernsthaftigkeit und Trauer, die anrührt, eignet sich nur bedingt zum Vorzeigen bei Staatsanlässen und Gedenkfeiern eines Staates, der aufrüstet und Kriege führt.

Käthe Kollwitz erlebte den Ersten Weltkrieg als Abfolge von Verlusten und Ernüchterungen, die die durchaus patriotisch gesonnene Künstlerin in eine entschiedene Pazifistin verwandelte. Die am 8. Juli 1867 als Käthe Schmidt in der damals ostpreußischen Stadt Königsberg, heute westrussischen Ostseemetropole Kaliningrad, geborene Grafikerin, Malerin und Bildhauerin verbrachte ihr Leben in der Epoche des aufstrebenden deutschen Nationalismus - Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Diktatur - und hatte mehr als genug Gelegenheit, in die Abgründe des preußischen Militarismus zu blicken. Das insbesondere durch den Verlust ihres Sohnes Peter, der schon am 2. Tag, nachdem er 1914 als Kriegsfreiwilliger in Flandern an die Front gekommen war, mit 18 Jahren sterben mußte.

Die persönliche Tragik, dessen Wunsch stattgegeben zu haben, in den Krieg zu ziehen, obwohl sein Vater, ihr Ehemann Karl Kollwitz, alles dafür getan hätte, dies zu verhindern, dürfte maßgeblich mitverantwortlich für den empathischen Charakter ihrer Grafiken zur ausschließlich Leid und Schmerz erzeugenden Wirkung militärisch ausgetragener Staatsräson sein. Das für den Mitteldeutschen Jugendtag der Sozialistischen Arbeiterbewegung 1924 entworfene Plakat Nie wieder Krieg gehört heute neben Pablo Picassos Bild Guernica zur Bombardierung der baskischen Stadt durch die deutsche Legion Condor 1937 zu den weltweit bekanntesten Kunstwerken gegen den Krieg.

Die Neigung, sich künstlerisch den problematischen und schmerzhaften Seiten des Lebens zuzuwenden, entwickelte Käthe Kollwitz schon, als sie 1893 mit dem Zyklus Ein Weberaufstand, inspiriert durch Gerhart Hauptmanns Schauspiel Die Weber, dasjenige Werk vorlegte, das ihr 1898 in Berlin den Durchbruch als Künstlerin bescheren sollte. Der Maler Max Liebermann, der sie zeitlebens unterstützte, schlug sie für eine besondere Auszeichnung vor, doch für den Kaiser waren ihre Bilder "Rinnsteinkunst", zudem gehörten Orden nur an die Brust von Männern.

Weil sie im Juli 1932 und im Februar 1933 einen gleichlautenden Aufruf des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes unterzeichnet hatte, der zur Schaffung einer einheitlichen Arbeiterfront im Kampf gegen den NS-Faschismus aufrief, wurde sie aus der Akademie der Künste ausgeschlossen. Käthe Kollwitz, die damals schon weltbekannt war, wurde zwar nicht offiziell als "entartete" Künstlerin vorgeführt, ihre Werke wurden jedoch im Rahmen dieser NS-Kunstaktion beschlagnahmt und sie trat als Künstlerin für den Rest ihres Lebens nicht mehr in Erscheinung. Für den vom NS-Chefideologen Alfred Rosenberg 1928 gegründeten Kampfbund für deutsche Kultur erfüllte Kollwitz alle Voraussetzungen, um auf seiner Liste ausgemachter Feinde der deutschen Kultur aufzutauchen. So tönte Kampfbundführer Dr. Karl Zimmermann:

Wir sehen Bolschewismus in der Art des Kultus mit dem Untermenschentume der Kollwitz, Zille, Barlach, der technischen Stümper Nolde, Schmitt-Rottluff, Chagall, des ethischen Nihilismus, wie er uns in den Machwerken der Dix, Hofer und Grosz entgegengrinst. [2]

Mit Heinrich Zille war Käthe Kollwitz eng befreundet, zumal beide in Berlin lebten und in ihrem zeichnerischen Werk eine tiefe Verbundenheit zum proletarischen Leben erkennen ließen. Der "entartete" Bildhauer Ernst Barlach soll der Plastik Schwebender Engel die Gesichtszüge der berühmten Künstlerkollegin gegeben haben. Auch sein Werk ist von einer Ernsthaftigkeit bestimmt, die so viele Werke von Käthe Kollwitz auszeichnet und die so wenig in eine Zeit zu passen scheint, in der die Auseinandersetzung mit unlösbar erscheinenden Problemen von vornherein als störend empfunden und daher gemieden wird.

Schon vor dem Anschluß der DDR an die BRD wurde der dortigen Staatsführung vorgeworfen, Käthe Kollwitz für die eigene Propaganda als Klassenkämpferin zu mißbrauchen. Der zutiefst politische Gehalt ihres Werkes, mit dem sie die Entbehrungen und Schmerzen der Lohnabhängigenklasse ins Bild setzte, läßt eine solche Deutung jedoch allemal zu, ganz unabhängig von den damit verfolgten staats- und parteipolitischen Zwecken. Bei aller Widersprüchlichkeit ihres eigenen Aufwachsens in einer gutbürgerlichen, allerdings radikalprotestantischen Familie und ihrer Zugehörigkeit zur Bourgeoisie, die sie zeitlebens als langweilig und uninteressant verwarf, hat Käthe Kollwitz Kunst von einer Ausdrucksstärke geschaffen, die angesichts dessen, was viele Menschen heute zu erleiden haben, nichts von ihrer zeitlosen Aktualität verloren hat.

Für die Künstlerin bestand in der Unterstützung politischer Zwecke durch ihre Arbeit kein Widerspruch, empfand sie sich doch einem preußischen Ethos verpflichtet, für den das Eigeninteresse des Individuums dann bedeutungslos wird, wenn es um die Bewältigung existenzbedrohender Gefahren geht. Diese Geisteshaltung hat im NS-Faschismus verheerende Auswirkungen gehabt, an sie läßt sich aber auch zugunsten einer solidarischen und kollektiven Bemühung anknüpfen. Diese Überzeugung scheint das Leben von Käthe Kollwitz maßgeblich bestimmt zu haben, ansonsten wäre schwer vorstellbar, wie Bilder von einer menschlichen Tiefe entstehen konnten, auf deren Tragik es keine Antwort gibt außer der streitbaren Position, nicht zu akzeptieren, was nicht zu akzeptieren ist.


Fußnoten:

[1] https://www.deutschlandfunkkultur.de/08-07-2017-lange-nacht-wenn-sie-lachte-bebte-der-ganze.media.ce67abb416f6eb78f7a569ec8031389b.pdf

[2] Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek bei Hamburg 1963, S. 17

22. April 2020


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