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KRIEG/1365: Ban Ki Moon will von Wahlbetrug in Afghanistan nichts hören (SB)



Teile und herrsche - übersetzt man diese fundamentale Maxime der Herrschaftssicherung in neoanglizistisches Vokabular, kommt dabei so etwas wie Nation Building heraus. Daß es dabei nicht darum gehen kann, Nationen aufzubauen, liegt auf der Hand, hat man doch zuvor alles darangesetzt, sie zu zerschlagen. Ob Finanzierung des Bürgerkriegs, Wirtschaftssanktionen oder Überfall und Besatzungsregime - vielleicht auch eines nach dem anderen - es kommt dabei ein zerstückeltes Gebilde mit erbitterten Rivalitäten verfeindeter Fraktionen heraus, wie es sich eine Hegemonialmacht nicht besser wünschen kann. Wenn daher davon die Rede ist, man wolle Afghanistan stabilisieren, aufbauen und demokratisieren, hausiert man mit schierer Propaganda, die erstaunlicherweise mancherorts fruchtet, was man nur als ein Zeichen fortgeschrittener Denkkontrolle werten kann.

Lückenlos ist das Netz der Verschleierung freilich nicht, wie das peinliche Desaster der afghanischen Präsidentschaftswahl belegt. Dabei hatte alles so gut angefangen: Die Wahlfarce, bei der ausschließlich mehr oder minder ergebene Lakaien der Besatzungsmächte kandidierten, schien das Trugbild einer Normalisierung der Verhältnisse und Befriedung des Landes im gewünschten Sinn zu verdichten, wobei man gern ein paar kleinere Unregelmäßigkeiten in Kauf nehmen wollte, die ja nur bekräftigen würden, wie erziehungsbedürftig die Afghanen eben noch sind. Die Probleme fingen an, als Amtsinhaber Hamid Karzai fürchten mußte, entweder seine Landsleute oder die Amerikaner würden ihn entsorgen, worauf er beschloß, nichts dem Zufall zu überlassen und sich den Wahlsieg im großen Stil zu kaufen. Das allein wäre sicher gutgegangen - sprich unter den Tisch gekehrt worden - hätten die Ausländer nicht in ihrem Drang, den Urnengang als besonders sauber herauszustellen, ihr Beobachtungsgremium im Land postiert. Der Versuch, die Wahl als demokratischen Meilenstein durchzuziehen, trug den Widerspruch in sich, der aufplatzte wie eine faule Frucht.

Seither herrscht große Ratlosigkeit, was man mit diesem Misthaufen anfangen soll. Karzai kurzerhand als Sieger bestätigen, obwohl alle Welt weiß, daß er der größte Betrüger bei diesem Urnengang ist? Ihn zur Stichwahl zwingen, wodurch sich der ganze Schlamassel über den langen afghanischen Winter hinzieht? Das Ausmaß der Fälschung schlichtweg leugnen, wie man schon so vieles zurechtgelogen hat?

Wie weite Kreise das anrüchige Malheur inzwischen zieht, zeigt die Entlassung des bisherigen stellvertretenden UNO-Sondergesandten für Afghanistan, Peter Galbraith, durch Generalsekretär Ban Ki Moon. Galbraiths Einsatz für die Vereinten Nationen sei damit beendet, stellte Ban in einer Erklärung lapidar fest, ohne die überraschende Maßnahme näher zu begründen. Das löste zwangsläufig wilde Spekulationen aus, die sich in diplomatischen Kreisen rasch zur Gewißheit verdichteten, Galbraiths Kündigung habe mit seinen scharfen Forderungen zur Überprüfung der Wahlergebnisse in Afghanistan zu tun.

Galbraith selbst ließ sich durch seine Entlassung nicht mundtot machen. In einem Gespräch mit der britischen BBC am Mittwochabend erklärte der US-Amerikaner, man sende ein "schreckliches Signal" aus, wenn die Vereinten Nationen einen ihrer Vertreter entließen, weil dieser besorgt über Betrug bei einer UNO-unterstützten Wahl sei. Er habe zahlreiche Beweise des Betrugs beim Urnengang am 20. August gesehen und diese der von der UNO unterstützten Beschwerdekommission (ECC) vorlegen wollen. Sein norwegischer Chef Kai Eide habe diese Auffassung jedoch nicht geteilt und sich dagegen ausgesprochen, diese Informationen zu verbreiten.

Nach dem vorläufigen Endergebnis der afghanischen Wahlkommission (IEC) ist Hamid Karzai mit einer absoluten Mehrheit von 54,6 Prozent der Stimmen bereits im ersten Wahlgang bestätigt worden. Eine unabhängige Wahlbeschwerdekommission hat jedoch nach massiven Betrugsvorwürfen eine Neuauszählung eines Teils der Stimmen veranlaßt. Wahlbeobachter der EU waren zu dem Schluß gekommen, daß rund ein Viertel der abgegebenen Stimmen gefälscht oder mindestens verdächtig seien. Es handelt sich um insgesamt 1,5 Millionen Stimmen, von denen etwa 1,1 Millionen für Karzai abgegeben worden sind. Vor einem endgültigen Ergebnis und der Verkündung eines Wahlsiegers müssen nun die Betrugsvorwürfe untersucht werden.

Rutscht Karzai unter 50 Prozent ab, was zwangsläufig der Fall ist, sofern man den dokumentierten Betrugsfällen Rechnung trägt, droht die gesamte Wahlfarce in sich zusammenzustürzen. Wie viele Stimmen würde der Präsident noch bekommen, wenn man bei einer Stichwahl Manipulationen verhindern könnte? Wäre der bislang zweitplazierte Abdullah Abdullah die günstigere Option, wo er doch als glühender Freund der Amerikaner in seinem Land zunehmend schlechte Karten hat? Kann man die Wahl im nächsten Frühjahr überhaupt noch durchführen, da zu befürchten steht, daß der Widerstand bis dahin den größten Teil Afghanistans unter seine Kontrolle gebracht hat und die Besatzungstruppen in ihren Stützpunkten verschanzt festsitzen?

Angesichts solcher Unwägbarkeiten kann man schon verstehen, wenn administrative Entscheidungsträger bis hin zu Ban Ki Moon nach dem Motto verfahren, von den USA lernen, heißt siegen lernen. Später hat doch kein Hahn danach gekräht, wie George W. Bush damals Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist. Warum sich also im Falle des Marionettenregimes in Kabul mit Lappalien aufhalten! Nörgler wie Peter Galbraith, die ausgerechnet am Hindukusch verlangen, daß alles mit rechten Dingen zugeht, kann man beim Nation Building nun wirklich nicht gebrauchen.

1. Oktober 2009