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KRIEG/1431: Haben Bundeswehrsoldaten zu wenig Zuversicht in US-Aufstandsbekämpfung? (SB)



Beim präsidialen Rapport im nordafghanischen Feldlager ließen es die Bundeswehrsoldaten an Siegeszuversicht mangeln. Nachdem sie auf eine entsprechende Frage des obersten Repräsentanten der Bundesrepublik hin schwiegen, fragte dieser einen neben ihm stehenden US-Presseoffizier. Dieser bestätigte ihm, daß man diesen Krieg gewinnen könne, woraufhin Köhler sich den deutschen Soldaten zuwandte und sie fragte: "Warum höre ich das nicht von Ihnen?" [1] Im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte er später allerdings, man habe "durch die neuen Ideen des amerikanischen Generals McChrystal eine Strategie gefunden, die - und das habe ich in Masar-i-Scharif von den Soldaten bestätigt bekommen - auch von denen als Erfolg versprechend eingeschätzt wird" [2].

Das vermeintliche Erfolgsrezept US-amerikanischer Aufstandsbekämpfung wird zwar von vielen militärischen Planern überschwenglich gelobt, tatsächlich jedoch verliefen die Kriege, in denen es erprobt wurde, für seine Urheber nicht eben erfolgreich. Die französischen Streitkräfte mußten Algerien verlassen, obwohl sie dort mit aller Finesse und Brutalität versucht hatten, die Bevölkerung für sich zu gewinnen und die gegen sie kämpfende Unabhängigkeitsbewegung FLN mit äußerster Grausamkeit zu zerschlagen. Die US-Streitkräfte mußten Vietnam aufgeben, obwohl sie versucht hatten, mit einer am französischen Beispiel weiterentwickelten Counterinsurgency-Doktrin die Hearts and Minds der Bevölkerung zu gewinnen, während sie die nationale Befreiungsbewegung NFL etwa im Rahmen des berüchtigten Phoenix-Programms nach allen Regeln der Kunst geheimdienstlicher Provokationsakte, verhörtechnischer Aussageerpressung und gezielter Ermordungen zu zerschlagen versuchte.

In beiden Fällen obsiegten die einheimischen Kräfte, die den antikolonialen Volkskrieg aus einer Bevölkerung heraus führten, die sich nicht in einem Ausmaß zur Kollaboration mit den ausländischen Besatzern und ihren einheimischen Fußtruppen nötigen ließ, die eine dauerhafte Befriedung des Landes im Sinne der Eroberer zur Folge gehabt hätte. Die Anwendung nämlicher Doktrin auf die Verhältnisse im Irak hat zwar zu einer relativen Befriedung des Landes geführt, die allerdings höchst instabil ist und jederzeit wieder zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg entbrennen kann. Am Beispiel des Iraks, dessen Belagerung und Eroberung bereits viele Hundertausend Menschenleben gekostet hat, erweist sich die Strategie des Teilens und Herrschens als äußerst destruktive Hinterlassenschaft eines Aggressors, der für seine eigenen Interessen über zahllose Leichen geht und am Ende nicht einmal sicher sein kann, daß er sie überhaupt verwirklicht. Die politische Einflußnahme mit dem Iran liierter schiitischer Kräfte wird auch bei militärischer Unterstützung der gegen sie gerichteten sunnitischen Iraker den gesellschaftlichen Frieden gefährden, solange die ausländischen Besatzer ihre Fehde mit Teheran auch in Bagdad austragen.

In Afghanistan schließlich, dem jüngsten Experimentierfeld für Aufstandsbekämpfung nach US-Militärdoktrin, sind die Aussichten auf eine Befriedung nicht viel besser. Die Taliban und andere gegen die NATO-Truppen kämpfende Milizen repräsentieren große Gruppen der afghanischen Gesellschaft, die sich nicht ohne weiteres einkaufen lassen, wenn sie sich dafür einer von den Besatzern praktisch eingesetzten Regierung unterwerfen sollen. Auch in Afghanistan lassen sich innere Konflikte im Sinne äußerer Interessen instrumentalisieren, allerdings kann das so verheerende Folgen haben, daß die Urheber dieser Obstruktion keinen Gewinn daraus ziehen können.

Auch wenn die Doktrin der Counterinsurgency unter noch so großer Beteiligung aller möglichen Experten aus Militär und Wissenschaft zustandekommt, kann sie in Gesellschaften, deren Atomisierung noch nicht den Stand postmoderner Individuation erreicht hat, nur so weit Wirkung entfalten, als es ihr gelingt, die Bruchlinien zwischen den Stämmen, Konfessionen und Klassen auszunutzen. Die angestrebte Sozialkontrolle führt in den Ländern, in denen sie konzipiert wurde, zu weit überzeugenderen Ergebnissen als in Regionen, deren kulturelle Eigenständigkeit noch nicht vollständig durch die kapitalistische Warengesellschaft auf weltweit verallgemeinerbares Niveau angeglichen wurde.

Afghanistan mag als eines der nach hiesiger Lesart unterentwickeltsten Länder der Welt ein gutes Experimentierfeld für neue Methoden neokolonialer Akkulturation und Protektoratsbildung sein. Im Kontext der neokonservativen Ideologie kreativer Zerstörung trägt jeder destruktive Akt den Keim neuen Wachstums in sich, das gilt gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen. Die zweifellos gegebene Ratio des Afghanistankriegs mit dem militärischen Erfolg zu verwechseln, den die Bundesregierung verheißt und dessen Bestätigung Bundespräsident Horst Köhler verlangt, ist dennoch Schaumschlägerei höchst gefährlicher Art. Die NATO-Truppen befinden sich auf bestem Weg in einen Krieg, der so blutig und verlustreich werden könnte wie der Versuch, den im Vergleich zu Afghanistan hochentwickelten Irak nach seiner Eroberung durch Schüren innerer Konflikte und einen neoliberalen Strukturwandel zu befrieden.

Der Widerspruch zwischen der Zurichtung einer Bevölkerung zugunsten von Kräften, denen sie lediglich ein Bauer auf dem geostragischen Schachbrett ist, und der gleichzeitigen Bekämpfung einer Guerilla, die dieser Bevölkerung entstammt und desto mehr Zulauf erhält, je grausamer die Methoden ihrer Bekämpfung werden, wurde bislang nicht im Sinne der Erfinder gelöst und wird es auch in Zukunft nicht werden. Die Bundeswehrsoldaten hatten allen Grund, der vom Bundespräsidenten eingeforderten Zustimmung nicht zu entsprechen, sondern dies einem eigens für derartige Affirmationsrituale abgestellten US-Offizier zu überlassen.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/ausland/truppenbesuch-koehler-veraergert-soldaten_aid_511444.html

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1188781/

24. Mai 2010