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KRIEG/1500: Neue deutsche Eroberungslust ... nicht nur bei sozialen Krieg mit an Bord (SB)



Die große Zustimmung, mit der der Krieg der NATO gegen Libyen in der Bundesrepublik begleitet wird, läßt die Skepsis, die die Bevölkerung dem Afghanistankrieg entgegenbringt, als bloße Abnutzungserscheinung erkennen. Die angebliche Aufgabe, am Hindukusch den Terrorismus zu bekämpfen, war niemals von einer Plausibilität, die militaristischer Begeisterung förderlich war. Die nicht vorhandenen Fortschritte bei der Befriedung des Landes vermitteln den Eindruck einer unproduktiven, auf keinen ersichtlichen Mehrwert abonnierten Kriegführung.

Ganz anders in Libyen. Dort will nicht nur ein Diktator "unser" Öl für die ökonomische und soziale Entwicklung des eigenen Landes einsetzen, er nimmt sich darüber hinaus Eigenmächtigkeiten in außenpolitischer Hinsicht heraus, die das Geschäft EU-europäischer Regierungen einschränken. Die Rolle, die Muammar al Gaddafi für die Einigung Afrikas gespielt hat, besaß das Potential, aus diesem besonders von räuberischen Interessen heimgesuchten Kontinent einen weiteren aufstrebenden Akteur nach Maßgabe der BRIC-Staaten zu machen. Auch wenn eine solche Entwicklung sich gerade erst am Horizont abzeichnet, so haben die intensiven Bemühungen des libyschen Staatsführers, innovative, die Eigenständigkeit der afrikanischen Staaten fördernde Entwicklungsanreize zu setzen, die globaladministrative Dominanz der Europäer in Frage gestellt.

Die Europäische Union, in der klassischer Kolonialismus und kapitalistische Globalisierung eine aggressive Mischung legalistisch-expansiver Suprematie eingegangen sind, unterstreicht mit diesem Krieg den im Rahmen ihrer Mittelmeerpolitik seit langem artikulierten Vormachtanspruch für die Region Nordafrikas wie die Definitionshoheit über handels- und ordnungspolitische Maßgaben in den interkontinentalen Wirtschaftsbeziehungen. Die traditionellen Kolonialmächte Frankreich und Britannien haben den Aufstand eines Teils der libyschen Bevölkerung zum Anlaß genommen, die Initiative an sich zu reißen und jeglichen emanzipatorischen Gehalt aus dieser Revolte herauszubomben. Was sich in Libyen äquivalent zu den demokratischen Bewegungen Tunesiens und Ägyptens entwickelte, ist längst in einen Kampf um Anteile am libyschen Ressourcenreichtum umgeschlagen, der von mit den Machthabern in Tripolis konkurrierenden Gruppen unter den Rebellen in Bengasi geführt wird.

Die Allianz zwischen Rebellen und NATO läßt die Handschrift einer Strategie erkennen, die die Zerschlagung Restjugoslawiens durch das Bündnis mit separatistischen, im Gros alles andere als auf die Befreiung der Bevölkerung von nationalistischen Ressentiments ausgerichteten Kosovo-Albanern ermöglichte. Auch dieser Krieg wurde in der Bundesrepublik mit einer Begeisterung begangen, die selbst die notorische Abwehr von Kriegsflüchtlingen für einige Zeit außer Kraft setzte. Der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic wurde zu einem serbischen Nationalchauvinisten überzeichnet, was dieser postsozialistische Nachlaßverwalter, wie auch seine Ablehnung durch die serbischen Nationalisten in Bosnien belegt, zu keiner Zeit war. Der humanitäre Interventionismus, von der Springer-Presse bis zu grünen Menschenrechtskriegern als Bannflucht gegen die Gespenster deutscher, an Juden und Serben verübter Vernichtungspolitik beschworen, schuf die positive Identität eines von dieser Schuld befreiten Deutschlands, das im angeblich "positiven Patriotismus" des WM-Sommers vollends zur Hochform eines selbstherrlich agierenden Kriegsakteurs auflief.

Um so größer die Empörung darüber, daß die Bundesregierung aus ganz anderen als pazifistischen Gründen nicht am Krieg gegen Libyen teilnimmt. Was sie aus innereuropäischer Konkurrenz gegen den Führungsanspruch Frankreichs tat und was ihr seitdem als großer außenpolitischer Fehler nachgetragen wird, ist bereits auf die nächste Entscheidung dieser Art gemünzt. Noch einmal kann es sich keine Bundesregierung leisten, die Zustimmung zur Sicherung westlichen Hegemonialpolitik im UN-Sicherheitsrat zu verweigern. Mit der Anerkennung der libyschen Rebellen als legitime Vertreter des Landes hat sie jedoch das ihrige dazu getan, ein recht unabhängig agierendes Land Afrikas zu einem weiteren Vasallenstaat von EU-Gnaden zu degradieren. Dessen Protektoratscharakter wird neben dem subordinanten Status der Rebellen, die schon jetzt eher als Bittsteller denn als selbstbewußte Repräsentanten der Souveränität Libyens in Erscheinung treten, darin manifest werden, daß die mit der Ölrente finanzierten sozialen Vergünstigungen der Bevölkerung der Kapitalisierung des Landes durch Privatinvestoren anheimfallen werden. Beim Wiederaufbau Libyens wird man kein zweites Mal zulassen, daß eine kleine Bevölkerung den in ihrem Land vorhandenen Schatz an Erdöl und Wasser zu ihren Gunsten verbraucht oder gar für eine Entwicklung notleidender Staaten, die westliche Regierungen stets versprochen, aber niemals wirklich gewollt haben, einsetzt.

Was in Griechenland mit finanzkapitalistischer Gewalt durchgesetzt wird, erfolgt jenseits des Mittelmeers mit Bomben und Raketen. Die Transformation beider Bevölkerungen auf eine neue Stufe kapitalistischer Bewirtschaftung unterscheidet sich weniger voneinander, als die nur auf den ersten Blick nicht vergleichbaren Krisenszenarien erscheinen lassen. Beide Entwicklungen werden von den führenden transatlantischen Regierungen respektive von ihnen kontrollierter supranationaler Exekutivagenturen verfügt. In beiden Fällen protestieren große Teile der Bevölkerung gegen den von außen über sie verhängten Ausnahmezustand. In beiden Fällen verschlechtert sich der sozialökonomische Stand der versorgungsbedürftigen und lohnabhängigen Menschen erheblich. Und in beiden Fällen definiert ein globales Direktorat der Großmächte, welche Regierung auf welche Weise mit der eigenen Bevölkerung verfahren darf und soll.

Dementsprechend erweist sich der scheinbare Unterschied, daß in Libyen eine angebliche Demokratiebewegung unterstützt wird, während das demokratische Aufbegehren der griechischen Bevölkerung unter Gasschwaden erstickt wird, als janusköpfiges Antlitz ein und desselben imperialistischen Diktats. Griechenland wird als ökonomisch wie politisch peripheres EU-Mitglied unter Zwangsverwaltung der Brüsseler Zentrale gestellt, die damit vorführt, daß das reale Gewaltverhältnis in diesem Staatenbund längst nicht mehr vor der Souveränität seiner Mitglieder Halt macht. Was den Griechen letztes Bollwerk gegen langfristige Schuldknechtschaft war, ist den kerneuropäischen Metropolengesellschaften Achse ihrer Handlungsfähigkeit. Nationale Souveränität ist in diesem Verhältnis niemals gleich zu bewerten, sondern entscheidet möglicherweise auf ganz gegensätzliche Weise über langfristige Lebensperspektiven ganzer Bevölkerungen.

Die libysche Demokratiebewegung wurde zum Steigbügelhalter einer NATO-Aggression, die nicht nur den Eigenmächtigkeiten eines Gaddafi den Garaus machen soll. Sie richtet sich generell gegen die revoltierenden Bevölkerungen, denen das Korsett EU-europäischer Marktdemokratie aufoktroyiert werden soll, bevor sie auf sozialistische Gedanken kommen. Dabei ist völlig unerheblich, wes Geistes Kind die libyschen Rebellen sind, ob sie demokratischen, islamistischen oder tribalistischen Bindungen anhängen. Über sie wird seitens der NATO-Staaten so verfügt, wie es mit jeder Fußtruppe neokolonialistischer Aggression geschieht. War Libyen bei allen, nicht zuletzt westlichen Modernisierungsstrategien geschuldeten Widersprüchen seiner Gesellschaft ein Entwicklungsmodell für postkolonialistische Strategien, so soll es künftig als Vorposten europäischer Einflußnahme dafür sorgen, daß Flüchtlinge ihrem desolaten Schicksal nicht entkommen und Sozialrevolutionäre, wenn sie Glück haben, mit einem Job in einer Agentur europäischer Einflußnahme von ihrem verderblichen Treiben abgehalten werden.

Die, wenn nicht breite Zustimmung, dann zumindest große Gleichgültigkeit, mit der die Bundesbürger den Libyenkrieg begleiten, ist ein Ergebnis der in der Eurokrise immer deutlicher zutagetretenden Nationenkonkurrenz. Die ökonomisch privilegierte Position der Führungsmacht Deutschland muß militärisch unterfüttert werden, um den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich und Britannien Paroli bieten zu können. Dabei sein ist alles, wenn es ums Brennen und Zerstören geht, dann darf man bei der Neuordnung der Welt ein gewichtiges Wort einlegen. Die Berührungsängste vieler Linker mit dem Thema Libyen belegen, wie sehr das Gift des Gesinnungsverdachts bereits seine Wirkung getan hat. Wer wollte schon die Gelegenheit, sich in die Phalanx der Menschenrechtskrieger einzureihen, also zu den Guten zu gehören und auf der Seite der Gewinner zu stehen, in diesen unsicheren Zeiten ungenutzt verstreichen lassen? Der dafür zu entrichtende Preis besteht in der Beteiligung an Kriegen, die, etwa in Hinsicht auf Iran und Syrien, weit größere Gefahren bergen als das Bombardieren eines mißliebigen Libyens.

3. Juli 2011