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KRIEG/1533: Verordnete Volkstrauer verhindert keine Kriege (SB)



Da den wenigsten Bundesbürgern geläufig sein dürfte, daß am Sonntag, 13. November, der Volkstrauertag begangen wird, könnte man dessen Abfeiern getrost den offiziellen Repräsentanten überlassen. Dank Hartz IV, Kinderarmut und Alterselend hat das Volk ohnehin in allen Lebenslagen so viele Gründe zu trauern, daß es dazu keines besonderen und noch dazu staatlich verordneten Gedenktags bedarf. Daß auf diese Weise der vorgehaltene Zweck, nämlich Krieg zu verhindern, befördert wird, darf nicht nur bezweifelt werden. Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, daß allen wohlmeinenden Absichten zum Trotz etwas ganz anderes ins Auge gefaßt wird.

Wie der Präsident des Volksbunds deutsche Kriegsgräberfürsorge (VdK), Reinhard Führer, in einem Interview der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel sagte, sei der Volkstrauertag aktueller denn je: "Unsere Bundeswehrsoldaten sind im Einsatz für den Frieden und riskieren ihr Leben. Deshalb ist der Volkstrauertag nicht nur ein Gedenken an bisherige Opfer. Er mahnt zum Frieden." [1] Für den Landesverband Hamburg schrieb Renate Schneider im Hamburger Abendblatt: "So sollte der Volkstrauertag uns einmal innehalten und dankbar werden lassen für den Frieden in unserem Land - seit 66 Jahren!" [2] Kann man der Toten beider Weltkriege gedenken und gleichzeitig die deutsche Kriegsbeteiligung am Hindukusch als Friedenseinsatz hochhalten? Offensichtlich schon, sofern man die 66 Jahre Frieden in Deutschland als erfolgreiche Auslagerung bellizistischer Durchsetzung eigener Interessen in ferne Weltregionen für einen begrüßenswerten Fortschritt hält.

Der Streit um richtige und falsche Kriege ist so alt wie der ursprüngliche Anlaß des Volkstrauertags. Da verlorene Kriege allemal die falschen sind und sich Historie naturgemäß erst in der Rückschau sortiert, bot das Desaster des Ersten Weltkriegs gerade aus deutscher Sicht reichlich Anlaß, die Losung "Nie wieder!" auszugeben. Allerdings schieden sich die Geister von Anfang an daran, was genau nie wieder geschehen dürfe. Zum Gedenken an die Kriegstoten führte der VdK im Jahr 1919 den Volkstrauertag ein. Er verband damit die Vorstellung, eine bei allen Deutschen einheitliche Erinnerung an das Leid des Krieges zu bewirken und sie so "über die Schranken der Partei, der Religion und der sozialen Stellung zusammen[zu]führen" (...). Viele Redner knüpften seither an die Tradition des "Burgfriedens" und die Euphorie, die die Kriegsfreiwilligen im August 1914 erfaßt hatte, an: "Was wußten sie von Klassenhaß, der heute unser Volk zerfleischt? Nicht rechts, nicht links gerichtet waren sie, sondern alle nur deutsche Brüder." Der Hamburger Pastor Jähnisch sagte auf der zentralen Gedenkfeier auf dem Ohlsdorfer Friedhof 1926: "Unsere Toten mahnen. Und darauf kommt es an. Horche jeder auf den Geist der Toten und bekenne sich zu ihnen: Selber riefst du einst in Kugelgüssen: Deutschland muß leben und wenn wir sterben müssen!"

Dem hielt die kommunistische Zeitung Der Abend aus Hamburg einen Kommentar mit der Überschrift "Volkstrauertag - Kriegshetzertag" entgegen. Wenngleich man darin übereinstimmte, daß sich ein solcher Krieg nicht wiederholen dürfe, endeten die Gemeinsamkeiten zwangsläufig an der Klassenfrage und mithin der Unmöglichkeit, eine übereinstimmende Sicht aller Deutschen zu generieren. So beschränkte sich die aktive Beteiligung an den Feierlichkeiten zum Volkstrauertag zunehmend auf das konservative, nationalliberale und republikfeindliche Milieu.

Die Nationalsozialisten benannten den Volkstrauertag 1934 in Heldengedenktag um und strichen damit das Totengedenken endgültig zugunsten der Heldenverehrung. Träger waren die Wehrmacht und die NSDAP, Propagandaminister Joseph Goebbels erließ die Richtlinien über Inhalt und Durchführung. Im Jahr 1939 wurde der Heldengedenktag auf den 16. März verlegt, den Tag der Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935.

Einen weiteren verlorenen Krieg später nahm man 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen die Tradition des Volkstrauertages wieder in der alten Form auf. In der DDR wurde später ein "Internationaler Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und imperialistischen Krieg" eingeführt. 1950 fand die erste zentrale Veranstaltung des VdK im Bonner Bundestag statt und 1952 verlegte man den Volkstrauertag an das Ende des Kirchenjahres, wo er heute noch steht. Die zentrale Gedenkstunde findet im Deutschen Bundestag statt. Eine Rede und ein Wort des Bundespräsidenten in Anwesenheit des Bundeskanzlers, des Kabinetts und des Diplomatischen Korps ist üblich, ebenso die musikalische Gestaltung, das Spielen der Nationalhymne und des Liedes "Der gute Kamerad". Daran angelehnt werden in allen Bundesländern und den meisten Städten und Gemeinden ebenfalls Gedenkstunden mit Kranzniederlegungen durchgeführt, bei denen Vertreter der Bundeswehr und deren Kapellen gerngesehene Gäste sind.

Während mehr oder minder prominente Repräsentanten aus Politik, Kirche, Militär und Verbänden ihre dem Anlaß entsprechend trüben Sonntagsreden halten, hält sich die ausdrücklich eingeladene Jugend fern, der diese unfröhliche Antifeier nicht fremder sein könnte, nähme sie sie überhaupt wahr. Dennoch dürfte sich die Genugtuung, es handle sich mithin um eine von selbst aussterbende Zeremonie bei Einbruch der düsteren Jahreszeit als verfrüht erweisen. Vergleichbare Gedenktage werden in zahlreichen anderen Ländern abgehalten, wobei die notorische Fixierung auf anglizistisches Inventar im allgemeinen und die nordamerikanischen Sitten und Gebräuche im besonderen zum mißtrauischen Blick in die USA Anlaß gibt. Dort wird der letzte Montag im Mai als Memorial Day und der 11. November als Veterans Day begangen, wobei längst der Veteranen aus allen Kriegen gedacht wird, an denen es diesem Land bekanntlich nicht mangelt. Veteranenverbände veranstalten Paraden oder andere spezielle Feierlichkeiten, und der Präsident oder andere hohe Regierungsvertreter legen am Grab des unbekannten Soldaten auf dem Arlington National Cemetery einen Kranz nieder. In den Leitmedien des Landes kommen Veteranen mit ihren Problemen wie auch ihren Botschaften zu Wort, die wie nicht anders zu erwarten vorzugsweise der Größe und Zukunft der USA geschuldet sind.

Daß man das nicht auf deutsche Verhältnisse übertragen könne, ist ein voreiliges Gerücht, das spätestens seit Halloween revidiert sein sollte. Noch gruseliger ist freilich die Vorstellung, daß deutsches Soldatentum endlich wieder jenen Platz einnehmen könnte, wohin es Politik und Militärs seit Jahren zu bugsieren versuchen. Da die Bundeswehr seit zehn Jahren am Hindukusch Wache gegen den "Taliban" hält und dort mit bis zu 5.350 Soldaten nach den USA und Britannien das drittgrößte Kontingent der Besatzungstruppe ISAF stellt [3], drängt es die Protagonisten deutscher Kriegsbeteiligung und einer offensiven Präsentation derselben zwangsläufig zu einer Renaissance dessen, was man aus historischen Gründen bislang auf Sparflamme kochte. Wenn die Bundeswehr heute in vielen Schulen werben darf, reift eine junge Generation heran, der man vielleicht sogar einen modernisierten Volkstrauertag schmackhaft machen könnte, wenn man die ausgemusterten "Helden" durch die zeitgemäßen "Superhelden" ersetzt.

Fußnoten:

[1] http://www.bild.de/regional/frankfurt/frankfurt-regional/volksbund-volkstrauertag-mahnt-zum-frieden-20956426.bild.html

[2] http://www.abendblatt.de/hamburg/von-mensch-zu-mensch/article2091312/Liebe-Leserinnen-liebe-Leser.html

[3] http://www.stern.de/politik/ausland/rund-1000-soldaten-weniger-abzug-der-bundeswehr-aus-afghanistan-beginnt-1749716.html

12. November 2011