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KRIEG/1699: Osmanische Ohrfeige - ausgependelt ... (SB)



Wenn ihr uns angreift, werden wir hart reagieren. Wir werden uns verteidigen.
US-General Paul Funk bei einem Besuch in Manbidsch

Natürlich werden wir nicht absichtlich auf sie zielen. Aber wir verkünden jetzt schon, dass wir jeden Terroristen, den wir sehen, vernichten und ausmerzen werden - angefangen mit denen, die direkt neben ihnen stehen. Eben dann werden sie einsehen, dass es für sie besser wäre, wenn sie sich nicht neben den Terroristen aufhielten, denen sie auf die Schulter klopfen. Es ist ganz klar, dass diejenigen, die sagen 'Wir reagieren hart, wenn sie uns angreifen', in ihrem Leben noch keine osmanische Ohrfeige verpasst bekommen haben.
Recep Tayyip Erdogan vor der AKP-Fraktion in Ankara [1]

Die drohende Konfrontation der NATO-Mächte USA und Türkei, bei der die zahlenmäßig größte auf die zweitgrößte Armee der Nordatlantischen Kriegsallianz treffen würde, kann über eines nicht hinwegtäuschen: Für die Kurdinnen und Kurden, die Recep Tayyip Erdogan in Nordsyrien niedermachen und aus der Region vertreiben will, ist das taktische Bündnis mit den US-Streitkräften lediglich befristeter Natur. Die Vereinigten Staaten instrumentalisieren den Kampf gegen den IS, um sich mit einer Reihe von Stützpunkten dauerhaft in Syrien einzunisten. Dafür brauchen sie vorerst die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Frauenverteidigungseinheiten (YPJ). Um diese herum gruppiert sind arabische Milizen, gemeinsam bilden sie die von Washington finanzierten und ausgerüsteten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die sich als die einzig verläßlichen und erfolgreichen Bodentruppen im Kampf gegen die Dschihadisten erwiesen haben.

Während Washington die kurdischen YPG/YPJ mit Waffen, Spezialkräften und Militärberatern unterstützt, diskreditiert die türkische Regierung sie wegen ihrer Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als "Terrororganisation" und fordert seit langem die Einstellung der US-Militärhilfe. Im Zuge des Angriffskriegs der türkischen Streitkräfte (Operation Olivenzweig) gegen den nordsyrischen Kanton Afrin, dem eine Invasion von Manbidsch folgen soll, eskalierten die Drohungen an die Adresse der USA. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu warnte vor einer kompletten Beschädigung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern und forderte einen Abzug der US-Truppen aus Manbidsch. Washington habe ernsthafte Fehler gemacht und müsse die klaren Erwartungen der Türkei erfüllen, um das zerbrochene Vertrauen wiederherzustellen: "Wir wollen keine Versprechen, sondern konkrete Schritte", verlangte Cavusoglu. [2] Nachdem Erdogan den US-Truppen gar die "osmanische Ohrfeige" angedroht hatte, legte Ministerpräsident Binali Yildirim mit den Worten nach: "Wir haben ein Problem mit der YPG. Doch wenn die Amerikaner an der Seite der YPG in einen Krieg gegen uns ziehen, dann kämpfen wir auch gegen sie." [3]

Die Türkei ist jedoch als NATO-Mitglied viel zu wichtig und der sogenannte Antiterrorkampf als verbindendes Element der beiderseitigen Staatsräson und imperialistischen Ambitionen so unverzichtbar, daß sich nicht nur in Zwischentönen ein Arrangement der Interessen abzeichnet. So hob US-Außenminister Rex Tillerson bei seinem Besuch in der Türkei demonstrativ die Gemeinsamkeiten beider Staaten hervor und kündigte auf einer Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu Schritte zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Washington und Ankara an. Wenngleich vage blieb, wie der Konflikt gelöst werden soll, planen Tillerson und Cavusoglu ein weiteres Treffen Mitte März. Der US-Außenminister appellierte zwar an die Türkei, jede weitere Eskalation zu verhindern, akzeptierte jedoch das legitime Recht der Türkei auf sichere Grenzen. [4]

Man werde in Syrien künftig nicht gegeneinander, sondern gemeinsam agieren, teilten Tillerson und Cavusoglu mit. Mit dem Willen zur Kooperation habe man gute Maßnahmen im Blick, diese zu erreichen, so der US-Außenminister. Es gebe bis dahin noch viel zu tun, doch teile man die Ziele, den IS zu besiegen, stabile Zonen zu schaffen sowie ein unabhängiges und einiges Syrien zu sichern. [5] Wenngleich solche diplomatischen Floskeln keinesfalls von einer weitreichenden Klärung aller Streitpunkte zeugen und weitere Kontroversen absehbar sind, hat das Treffen in Ankara doch mehr als nur einen Aufschub des Konflikts erwirkt. Die beiden Staatsführungen haben sich ihrer Übereinkunft versichert, zentrale Stränge des Zusammenhalts nicht zu kappen und sie am allerwenigsten einem tragfähigen und dauerhaften Bündnis mit den Kurdinnen und Kurden seitens der USA zu opfern.

So ist keineswegs auszuschließen, daß die 2015 vereinbarte Aufteilung der Einflußsphären dahingehend umgesetzt wird, daß sich die US-Amerikaner wieder auf die östliche Seite des Euphrat zurückziehen und auch Manbidsch den türkischen Streitkräften ausliefern. Washington und Ankara streben eine permanente Präsenz in Nordsyrien an und könnten sich möglicherweise auf einen solchen Kompromiß einigen. Aus Perspektive Erdogans und der AKP-Regierung kann das zwar keine wünschenswerte Dauerlösung sein, doch wäre es zumindest ein Etappensieg, der die kurdische Position schwächen würde.

Daß sich das Grundverhältnis gegenüber dem Erdogan-Regime auch aus deutscher Sicht durchaus ähnlich wie das der US-Regierung verhält, belegt ein Interview mit Fritz Felgentreu, Obmann der SPD im Verteidigungsausschuß des Bundestages mit dem Deutschlandfunk. Wie er erklärt, werde Erdogan nicht für immer da sein, die Türkei aber sehr wohl, die aufgrund ihrer Geschichte, Lage und kulturellen Identität ein sehr wichtiger Partner für die NATO sei. Deren strategisches Interesse gebiete es, die Türkei nicht in die falschen Arme zu treiben. [6]

Das sieht die Kanzlerin nicht anders, die den türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim in Berlin freundlich empfing. In einer gemeinsamen Pressekonferenz verwies Angela Merkel auf viele übereinstimmende Interessen, vor allem auch im wirtschaftlichen Bereich, die man intensivieren wolle. Nach den Worten des Staatssekretärs Walter J. Lindner im Auswärtigen Amt habe die Türkei klargemacht, daß sich der Angriff auf Afrin auf das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht stütze. Die Sicherheitsinteressen der Türkei müßten Beachtung finden. Eine Verhängung von Sanktionen sei nicht vorgesehen. [7]

Nicht erwähnt wurden die Sicherheitsinteressen der Menschen in Afrin, die auch mit deutschen Waffen angegriffen werden, die türkische Invasion im Nachbarland als solche, die Repression gegen Kritiker der "Operation Olivenzweig" in der Türkei, Zehntausende Oppositionelle in türkischen Gefängnissen und vieles mehr. Die Regierungen in Washington und Berlin haben ihre Prioritäten klar gesetzt und pendeln die "osmanische Ohrfeige" locker aus, weil es sich im Kern um einen Scheinangriff handelt, der unvereinbare Interessen der NATO-Partner vortäuscht, um schließlich doch zur allgemeinen Erleichterung Versöhnung feiern zu können - was nach Übereinkunft beider Administrationen aber keinesfalls linke türkische und kurdische Regimegegner in der Türkei wie in der Bundesrepublik einschließt.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_83222468/-osmanische-ohrfeige-erdogan-droht-dem-us-militaer.html

[2] www.n-tv.de/politik/Tuerkei-droht-USA-mit-Bruch-der-Beziehungen-article20281167.html

[3] www.faz.net/aktuell/politik/ausland/yildirim-droht-den-amerikanern-mit-kampf-in-syrien-15448398.html

[4] www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-rex-tillerson-bei-mevluet-cavusoglu-um-deeskalation-bemueht-a-1193863.html

[5] www.dw.com/de/usa-und-türkei-um-deeskalation-in-syrien-bemüht/a-42613345

[6] www.deutschlandfunk.de/tuerkischer-militaereinsatz-in-syrien-erdogan-wird-nicht.694.de.html?

[7] www.jungewelt.de/artikel/327344.zu-gast-bei-freunden.html

16. Februar 2018


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