Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KRIEG/1733: Rüstung - Waffenhandel kleingeredet ... (SB)



Dieses Verfahren ist kein Tribunal über deutsche Rüstungspolitik.
Frank Maurer (Vorsitzender Richter im Prozeß zu Heckler & Koch) [1]

Warum gerade Heckler & Koch? Warum nicht Airbus Group (ehemals EADS), eine europäische Aktiengesellschaft, an der Deutschland über die KfW knapp 84 Prozent der Anteile hält? Mit Kampfjets, Truppentransportern, Tankflugzeugen und Kampfhubschraubern erzielte der Konzern in seiner Rüstungssparte nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) im Jahr 2016 einen Umsatz von 12.520 Millionen US-Dollar, womit er die deutsche Rangliste der Waffenproduzenten anführt. Warum nicht MBDA, ein europäisches Rüstungsunternehmen mit Standorten in Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland und Spanien, das auf Lenkflugkörper spezialisiert ist? Laut SIPRI erwirtschaftete der Konzern 2016 mit Rüstungsgütern einen Umsatz von 3260 Millionen US-Dollar. Warum nicht das nach Umsatz gleichauf liegende Düsseldorfer Unternehmen Rheinmetall, in dessen Rüstungssparte beispielsweise gepanzerte Fahrzeuge, Waffen und Munition hergestellt werden? Warum nicht der an Nummer 4 folgende Konzern ThyssenKrupp mit seinen U-Booten und Marineschiffen? Warum nicht Kraus-Maffei Wegmann (KMW) aus München, wo Rad- und Kettenfahrzeuge hergestellt werden? Oder Diehl Defense, ein Produzent von Lenkflugkörpern und Munition, MTU Aero Engines mit Triebwerken für Kampfflugzeuge, die Sparte Defense & Civil Systems von Jenoptik, welche mechatronische und sensorische Produkte herstellt, wo doch der Handfeuerwaffenhersteller Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar erst an neunter Stelle der einheimischen Rüstungsschmieden rangiert? [2]

Liegt es daran, daß Heckler & Koch ein Problem am Hals hat, das in der medialen Wahrnehmung als "Skandal" kolportiert wird, während zahllose andere und von der potentiellen oder mutmaßlichen Opferzahl her noch weitaus gravierendere Produzenten des Todes durch Waffengewalt als gesetzeskonform durchgehen? Ganz davon abgesehen, daß ein rechnerischer Abgleich der Opfer auch einen relativ kleineren Protagonisten nicht von seiner Verantwortung entlasten kann, bleibt festzuhalten, daß andere deutsche Rüstungsschmieden zeitweise ebenfalls ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik geraten, jedoch ohne juristische Folgen daraus hervorgegangen sind. Man denke nur an ThyssenKrupp Marine Systeme (TKMS) mit ihren Werften Blohm und Voss in Hamburg, Nordseewerke Emden und Howaldtswerke (HDW) in Kiel sowie dem schwedische Marineschiffbauer Kockums, deren "Exportschlager" die U-Boote der Dolphin-Klasse sind. Die Kritik an der Lieferung von sechs Booten an Israel entzündete sich an deren Fähigkeit, atomar bewaffnete Marschflugkörper abzufeuern, was diese U-Boote zu einer atomaren Zweitschlagswaffe macht. Auch plante das Unternehmen, drei Boote der Klasse 214 an Pakistan zu verkaufen, ohne sich um dessen Rüstungswettlauf mit Indien und damit die Gefahr eines Atomkriegs zu scheren.

Aktuell im Gespräch ist Rheinmetall, das im Jahr 2008 den südafrikanischen Munitionshersteller Denel Munition übernommen hat. Von dort und einem weiteren Tochterunternehmen in Sardinien umgeht der Konzern derzeit den befristeten Exportstopp für Saudi-Arabien, zumal diese Lücke im Rüstungsexportkontrollgesetz nach Aussage der Bundesregierung gegenwärtig keinen Handlungsbedarf nach sich zieht. Daß Recep Tayyip Erdogan auch mit Leopard-Panzern aus deutscher Produktion seinen Vernichtungsfeldzug gegen die kurdische Bevölkerung fortsetzt, wird zwar allenthalben moniert, doch ernsthafte Konsequenzen seitens der deutschen Regierungspolitik sind nicht in Sicht. Selbst Saudi-Arabien, eines der reaktionärsten und repressivsten Regime weltweit, war lange ein beliebter Geschäftspartner hiesiger Rüstungskonzerne und wird es auch bald wieder sein, wie Angela Merkel und Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz indirekt angekündigt haben, als sie den deutschen Sonderweg restriktiverer Ausfuhrgenehmigungen zum Abschuß freigaben.

All dies sind selektive Schlaglichter eines militärischen Komplexes, die sich um zahlreiche weitere Beispiele ergänzen ließen. Wenngleich sich die Sparte hinsichtlich ihrer Geschäftspraktiken und Profite tunlichst bedeckt hält, haben Kriegsgegnerinnen und -gegner doch eine beeindruckende Fülle von belastbaren Fakten ermittelt und zugänglich gemacht. Nicht fehlende Informationen sind das Problem, sondern mangelndes Interesse, die Freund-Feind-Kennung anders als am nationalen Raster und dem vermeintlichen eigenen Vorteil auszurichten. Bei der Kontroverse um das Mexiko-Geschäft von Heckler & Koch geht es nicht darum, daß mit sogenannten Kleinwaffen weltweit mehr Menschen als mit schwerem Kriegsgerät getötet werden. Es geht nicht um die Ausrüstung der Bundeswehr, nicht um die Lieferung an NATO-Partner, genaugenommen nicht einmal um die Lieferung in ein Krisengebiet, als das man ganz Mexiko einstufen könnte. Es geht ausschließlich darum, daß die Waffen in Bundesstaaten wie Chiapas, Chihuahua oder Guerrero gelangt sind, die als "Unruheprovinzen" eingestuft und von bundesdeutschen Exportgenehmigungen ausgeschlossen sind.

Sind die 4.219 Sturmgewehre, zwei Maschinenpistolen und 1.759 Magazine, deren Ausfuhr die Angeklagten im Prozeß vor der 13. Großen Wirtschaftskammer des Stuttgarter Landgerichts zwischen 2006 und 2009 illegal befördert haben, in die falschen Hände gelangt? Diese gern kolportierte Redewendung wirft zwangsläufig die Gegenfrage auf, was denn die richtigen Hände für solche Kriegswaffen wären. Im Falle Mexikos tritt die interessengeleitete Absurdität dieser Unterscheidung auf besonders krasse Weise zutage. In wechselnden Teilen des Landes herrschen seit Jahren kriegsähnliche Zustände, da rivalisierende Kartelle und korrupte Sicherheitskräfte einander teils offene Gefechte um die Vorherrschaft im Drogenhandel, aber längst auch um andere lukrative Geschäfte mit Waffen, Menschen und sonstigen begehrten Gütern liefern. Mehr als 200.000 Menschen sollen seit 2006 dem mexikanischen Binnenkrieg zum Opfer gefallen sein. Damals startete die Regierung unter Einsatz der Armee einen Feldzug gegen die Kartelle, der maßgeblich zur Eskalation des Mordens beigetragen hat. Wenn also selbst die Polizei vor Entführung, Erpressung, Folter und Mord nicht zurückschreckt, sollten sich Waffenlieferungen in dieses Land von selbst verbieten.

Wie der Vorsitzende Richter Frank Maurer in seiner zweistündigen Urteilsbegründung hervorhob, sei das Verfahren kein Tribunal über die deutsche Rüstungspolitik gewesen. Die an den Exporten beteiligten Bundesbehörden sprach die Kammer weitgehend von einer Mitverantwortung frei. Dreh- und Angelpunkt im Prozeß waren lediglich die zur Genehmigung gelieferten Endverbleibserklärungen der mexikanischen Behörden. Der Käufer bestätigt damit, daß Waffen nicht an Drittländer weiterverkauft werden oder im Falle Mexikos in Bundesstaaten gelangen, in denen Menschenrechtsverletzungen vermutet werden. Dabei spielte beispielsweise Guerrero eine Rolle, wo 2014 Dutzende Studenten verschwanden. Polizisten sollen die Männer verschleppt und einer kriminellen Organisation übergeben haben. Das Gericht geht davon aus, daß in Erklärungen bewußt Falschangaben gemacht wurden, um sich die Genehmigungen zu erschleichen. [3]

Demnach durften die Waffenexporte nach Mexiko genehmigt werden, da die deutschen Behörden angeblich nicht wissen konnten, daß die Endverbleibserklärungen manipuliert waren. Wußte Heckler & Koch davon? Das mittelständische Unternehmen saß wohlgemerkt nicht auf der Anklagebank, sondern trat in diesem Verfahren als sogenannter Nebenbeteiligter auf. Angeklagt waren mehrere ehemalige Mitarbeiter, die als eingeweiht galten. Sie haben nach Auffassung des Gerichts bandenmäßig gehandelt, wobei zwei Hauptverantwortliche gar nicht vor Gericht standen. Der damalige Leiter des Vertriebsteams in Mexiko war im Laufe des Verfahrens verstorben, der Verkaufsrepräsentant aus Gesundheitsgründen nicht zur Verhandlung erschienen. Er befindet sich in Mexiko, wo ihm ein separater Prozeß gemacht werden soll. Dafür hat die Staatsanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl beantragt. [4]

Das Urteil gegen die angeklagten fünf ehemaligen Mitarbeiter fiel denkbar milde aus. Von den drei Angeklagten, für die die Staatsanwaltschaft Haftstrafen gefordert hatte, verurteilte die Kammer nur zwei wegen illegaler Waffenlieferungen nach Mexiko und setzte in beiden Fällen die Strafe zur Bewährung aus. Ein früherer Vertriebsleiter erhielt eine Strafe von einem Jahr und zehn Monaten, zudem muß er 80.000 Euro an karitative Einrichtungen zahlen. Eine ehemalige Sachbearbeiterin verurteilte die Kammer wegen Beihilfe zu einem Jahr und fünf Monaten sowie zu 250 Sozialstunden. Die ehemaligen Geschäftsführer Peter Beyerle und Joachim Meurer sowie ein früherer stellvertretender Vertriebsleiter wurden freigesprochen, da die Indizien nach Auffassung des Gerichts nicht für eine Verurteilung ausreichten. [5]

Heckler & Koch kam dennoch nicht ungeschoren davon, da das Stuttgarter Landgericht ein Bußgeld in Höhe von 3,7 Millionen Euro gegen den Waffenhersteller verhängte. Auf diesen Betrag hatte die Kammer den Tatertrag aus dem Mexiko-Geschäft festgelegt. Da dieser Ertrag unrechtmäßig erzielt wurde, muß er in die Staatskasse entrichtet werden, so die Logik des Gerichts. Schon wenige Minuten nach der Urteilsverkündung teilte das Unternehmen mit, man könne nicht nachvollziehen, daß das Gericht nicht nur den erwirtschafteten Gewinn des Mexikogeschäfts, sondern den gesamten Kaufpreis eingezogen sehen wolle, obgleich sich kein Mitglied der Geschäftsleitung strafbar gemacht habe. Zudem habe man von Beginn an mit der Staatsanwaltschaft kooperiert. Noch vor einer Woche hatte der Verteidiger von Heckler & Koch eine Zahlung von 200.000 Euro angeboten. Bei einem Jahresumsatz von knapp 200 Millionen Euro dürfte das verhängte Bußgeld von 3,7 Millionen eine durchaus relevante Summe für den mittelständischen Waffenbauer sein, der zuletzt Verluste schrieb.

Die juristische Aufarbeitung der umstrittenen Waffenlieferungen nach Mexiko belasten das Unternehmen seit Jahren. Beweise für das Verfahren sicherten Ermittler unter anderem im Rahmen einer Razzia, bei der im Herbst 2011 rund 300 Beamte Büroräume des Waffenherstellers durchsuchten. Jürgen Grässlin, der das Verfahren 2010 durch eine Anzeige mit auf den Weg gebracht hatte, zeigte sich mit dem Urteil zum Teil zufrieden. Heckler & Koch sei zum ersten Mal in seiner Firmengeschichte wegen illegalen Waffenhandels verurteilt worden. Mit diesem Urteil sei die Finanzlage und die Imagelage des Unternehmens drastisch verschärft und nicht entschärft. Zugleich kritisierte der Vorsitzende des Rüstungsinformationsbüros und Sprecher der Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!", daß die mit den Waffen möglichen Menschenrechtsverletzungen in dem Prozeß keine Rolle gespielt hätten. Die Schwachpunkte der Gesetze zur Kontrolle von Rüstungsexporten seien durch die 29 Prozeßtage offengelegt worden. Extrem ärgerlich sei allerdings, daß der ehemalige Geschäftsführer Beyerle den Gerichtssaal als freier Mann verlassen konnte. Daß er von Tausenden exportierten Gewehren nichts gewußt habe, sei nach wie vor nicht vorstellbar und angesichts der Verurteilung einer früheren Sachbearbeiterin ein "klarer Fall von Zweiklassenjustiz". Der Linken-Politiker und frühere Bundestagsabgeordnete Jan van Aken forderte eine Reform der Gesetze: "Das Urteil sagt, dass der zentrale Pfeiler des heutigen Kontrollsystems nicht funktioniert. Deswegen brauchen wir jetzt ein neues, strenges Gesetz gegen Waffenexporte. Und bis dahin darf es keine Genehmigungen geben."

Die Vereinten Nationen bemühen sich seit Jahren, die Verbreitung von Kleinwaffen einzudämmen. Schußwaffen wie Pistolen und Gewehre verschärfen Konflikte, destabilisieren Gesellschaften und hemmen die Entwicklung, heißt es dazu. Die Bundesregierung bezeichnet die Kontrolle dieser Waffensysteme einschließlich ihrer Munition als "wesentliches Element von Krisenprävention und Friedenskonsolidierung" und als "zentrales Anliegen im Bereich der konventionellen Rüstungskontrolle". Hat das Urteil des Stuttgarter Landgerichts die Kluft zwischen diesem Anspruch und der Realität des deutschen Waffenexports auf eine Weise vor Augen geführt, die man als ersten Schritt in eine wünschenswerte Richtung bezeichnen könnte?

Eher schon steht zu befürchten, daß mit Heckler & Koch ein Bauernopfer und noch dazu ausgesprochen milde abgestraft wurde, zumal sich das angesichts des seit 2010 laufenden Verfahrens ohnehin kaum vermeiden ließ. Genaugenommen wurde ja nicht das Unternehmen, sondern eine Gruppe wegen dieser Affäre entlassener Mitarbeiter zur Rechenschaft gezogen, als handle es sich um zwei voneinander unabhängige Sphären. Streng juristisch mag das im Sinne der Unschuldsvermutung, aus der aus guten Gründen nicht je nach Bedarf gerüttelt werden sollte, sogar zugetroffen haben. Doch glaubwürdig im landläufigen Sinne ist das ebensowenig wie die angebliche Unwissenheit der Bundesbehörden, die ihrerseits getäuscht worden seien. Wer mit Waffen handelt oder diesen Handel genehmigt ist für die Folgen verantwortlich, auch wenn dies nach deutscher Rechtsprechung keineswegs so gewertet und entsprechend geahndet wird.

Liefert Heckler & Koch das Sturmgewehr G36 an die Bundeswehr oder NATO-Verbündete, regt man sich allenfalls darüber auf, wenn es womöglich nicht so perfekt wie versprochen funktioniert. Verkauft das Unternehmen sein G36 an die mexikanische Polizei, was über den Kunstgriff der fragwürdigen Unterscheidung zwischen problematischen und unproblematischen Bundesstaaten legalisiert wird, ist das ebenfalls in Ordnung. Nur wenn publik wird, wie dieses Unternehmen seinen Geschäften auch dort nachgeholfen hat, wo es geltende Vorschriften zu unterlaufen galt, kann es schon einmal ein paar symbolische Schläge auf die Finger setzen. Für die Öffentlichkeitsarbeit deutscher Rüstungsschmieden und die Kriegspolitik der Eliten muß das nicht von Nachteil sein: Seht her - bei uns funktioniert die Kontrolle der Waffenexporte! Abgesehen davon liegt Mexiko von uns aus gesehen so weit im Westen, daß es angesichts des nie wirklich aufgegebenen deutschen Vormarsches nach Osten militärstrategisch schlichtweg irrelevant wäre, die Rüstungsausfuhren an die dortigen Machtkomplexe aus Kartellen und Sicherheitskräften um jeden Preis geheimzuhalten oder im Dienste deutscher Interessen zu rechtfertigen.


Fußnoten:

[1] www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/prozess-heckler-koch-millionenbusse-gegen-ruestungsfirma-16052629.html

[2] www.produktion.de/nachrichten/unternehmen-maerkte/das-sind-die-10-groessten-deutschen-ruestungsunternehmen-236.html

[3] www.deutschlandfunk.de/illegale-waffenexporte-ruestungsfirma-heckler-koch-zu.769.de.html

[4] www.tagesspiegel.de/politik/waffenexporte-heckler-und-koch-muss-3-7-millionen-euro-zahlen/24022086.html

[5] www.jungewelt.de/artikel/349633.waffenlieferungen-nach-mexiko-gnade-für-waffendealer.html

22. Februar 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang