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KRIEG/1742: Syrien - Okkupation, nachladen, erobern ... (SB)



Wir sollten die Bitte der US-Regierung, bei der Absicherung der geplanten Schutzzone in Nordsyrien zu helfen, wohlwollend prüfen. Das bestehende Bundeswehrmandat in Jordanien könnte dafür entsprechend angepaßt werden.
Jürgen Hardt (Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion) [1]

Es liegt in der Logik der Kriegsführung, einmal errungene Positionen nicht wieder preiszugeben, sondern sie als Ausgangslage für künftige Waffengänge vorzuhalten. Das gilt auch für den Bundeswehreinsatz in Syrien, der nun über das Ende der Koalition gegen den Islamischen Staat hinaus unter neuen Maßgaben fortgesetzt werden soll. Dabei spielen insbesondere die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik zusammen, die gemeinsam eine Pufferzone im Norden des Landes einrichten wollen. Diese soll offiziell dem doppelten Zweck dienen, sowohl den angedrohten Einmarsch der Türkei in das kurdisch besiedelte Gebiet östlich des Euphrat als auch die reguläre Wiedereingliederung der Region in die syrische Staatsverwaltung zu verhindern. Dies würde darauf hinauslaufen, einen Teil Syriens dauerhaft westlicher Kontrolle zu unterwerfen, wofür es keine völkerrechtliche Legitimation gibt. Mithin bliebe der Einsatz der deutschen Luftwaffe über Nordsyrien eine Beteiligung an der illegalen Besetzung fremden Territoriums. [2]

Die Errichtung einer solchen Pufferzone sehen auch die Pläne der türkischen Regierung vor, die diesen Streifen Landes dauerhaft okkupieren, die kurdischen Gebiete zerschlagen und im Zuge einer ethnischen Säuberung eine arabischstämmige Bevölkerung ansiedeln will. Im Interessenkonflikt zwischen Washington und Ankara um diese territoriale Einverleibung genießen die kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) als taktische Bündnispartner der US-Streitkräfte befristete Unterstützung gegen die türkischen Angriffe. Der kurdische Gesellschaftsentwurf kann weder in Washington und Berlin noch in Moskau und Damaskus auf ernsthafte Sympathien oder auch nur langfristige Duldung setzen. Daher findet der Kampf der Kurdinnen und Kurden in einer komplexen Gemengelage diverser Groß- und Regionalmächte statt, die auf den syrischen Schlachtfeldern um Einfluß ringen, weil dort die Weichen für die größer angelegten strategischen Auseinandersetzungen gestellt werden.

Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar forderte US-Verteidigungsminister Patrick Shanahan hinter verschlossenen Türen hochrangige Vertreter einiger westlicher Staaten auf, den Aufbau der Pufferzone in Syrien zu übernehmen und dabei auch Bodentruppen zu stellen. Die USA wollten ihre dortigen Aktivitäten so schnell wie möglich zurückfahren, für die Absicherung eines Nachkriegsszenarios stünden nun die Europäer in der Pflicht. Seither bemüht sich die Bundesregierung um einen konstruktiven Dialog mit Washington. Um nicht wieder als Bremser dazustehen, sind sich Kanzleramt, Außenamt und Verteidigungsministerium dem Vernehmen nach weitgehend einig, daß man die USA in der Syrienfrage nicht verprellen sollte. Da eine Entsendung deutscher Bodentruppen jedoch politisch ausgeschlossen ist, bot sich an, eine mögliche Schutztruppe aus der Luft zu unterstützen, wofür in Jordanien bereits Material und Logistik bereitstünde.

Im Zuge der Verhandlungen versammelten Ursula von der Leyens Politik-Chef Geza Andreas von Geyr und der Politik-Direktor John C. Rood aus dem Pentagon in Berlin streng vertraulich die anderen Nationen, die bisher an der Anti-IS-Koalition teilnehmen. Sowohl von der Leyen als auch Außenminister Heiko Maas reisten im April nach Washington, um das Thema auf höchster Ebene zu besprechen. Hatte Shanahan in München noch europäische Bodentruppen für Nordsyrien eingefordert, war bei seinem Gespräch mit von der Leyen im April nur noch von der Fortsetzung der bisherigen Bundeswehrmission die Rede. Ziemlich vage erklärte die deutsche Verteidigungsministerin nach dem Gespräch, man wolle in den nächsten Wochen und Monaten entscheiden, wie jeder Partner der internationalen Koalition "seinen fairen Anteil leisten" könne. Berlin hat Washington offenbar in den geheimen Konsultationen angeboten, das am 31. Oktober 2019 auslaufende Mandat für die Teilnahme der Bundeswehr an der Koalition gegen den IS zu verlängern. Heute stand der Bundeswehreinsatz bei Pompeos Gesprächen mit Maas und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin erneut auf der Tagesordnung.

Das Verhältnis Deutschlands zu den USA gilt als belastet. Seit Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump wirft die amerikanische Administration der Bundesrepublik noch drängender als unter dessen Vorgänger Obama vor, einen zu geringen Anteil an gemeinsamen Verteidigungsbemühungen zu leisten. Der Einsatz in Nordsyrien soll zur Annäherung beider Seiten beitragen. Diese Kontroverse überlagert und verschleiert indessen das Streben der Bundesregierung, auf eigene Faust wie auch im Kontext der Europäischen Union die Militarisierung ihrer expansionistischen Ambitionen voranzutreiben. Insofern liefert der unablässige Druck Washingtons, die Kriegskasse auf die im Rahmen der NATO als Zielvorgabe vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufzustocken und sich stärker mit eigenen Truppen zu engagieren, einen durchaus willkommenen Vorwand, das eigene Interesse an Aufrüstung und Kriegsführung zu befördern.

Der IS hat sein einst riesiges Herrschaftsgebiet in Syrien und im Irak mittlerweile vollständig verloren. Endgültig zerschlagen ist er aber noch nicht, da Zellen weiter aktiv sind und sowohl im Irak als auch in Syrien Angriffe durchführen. Auch der oberste Anführer Abu Bakr al-Bagdadi soll noch am Leben und untergetaucht sein. [3] In den Kämpfen gegen den IS wurden zwar zahlreiche Milizionäre getötet oder gefangengenommen und Territorien zurückerobert, nicht wenige IS-Kämpfer aber auch im Zuge eines Verdrängungsprozesses zum Abzug gezwungen, die sich andernorts neu formieren können. Erst als sich abgezeichnet hatte, daß keine der zahlreichen islamistischen Söldnergruppierungen dem IS standhalten konnte, der ihnen militärisch überlegen war und sie regelrecht aufsaugte, setzte die US-Regierung auf die kurdischen YPG/YPJ. Diese kämpfen nicht für Gotteslohn oder Sold, sondern für den Fortbestand ihrer angegriffenen Siedlungsgebiete und den gerade in dieser Weltregion beispiellosen Gesellschaftsentwurf des demokratischen Föderalismus. Sie waren denn auch die einzigen kämpfenden Einheiten, die unter hohem Blutzoll den IS am Boden besiegen konnten, was sie unverzichtbar für die US-Streitkräfte und die Anti-IS-Koalition machte.

So wesentlich die Lufthoheit und schweren Waffen der USA und Frankreichs sowie phasenweise auch Rußlands waren, um insbesondere die türkische Luftwaffe und Panzertruppe am Angriff auf die kurdischen Gebiete und Stellungen zu hindern, wäre der IS in den Ortschaften und Städten, wo er sich unter die ansässige Bevölkerung mischte, allein mit Bomben, Raketen und Artilleriegranaten nicht zu überwinden gewesen. Hinzu kommt, daß diese Anwendung überlegener Waffengewalt aus der Distanz bei der Rückeroberung ungeheuer viele zivile Opfer kostete und verheerende Verwüstungen anrichtete.

Militärisch soll die Bundeswehr die Etablierung der geplanten Schutzzone aus der Luft mit den hochauflösenden Aufklärungsbildern der Tornados und der Luftbetankung durch einen Airbus A310 der Luftwaffe unterstützen. Voraussetzung dafür wäre eine Verlängerung der Stationierung deutscher Soldaten in Jordanien, von denen sich derzeit rund 280 in "Camp Sonic" auf dem jordanischen Luftwaffenstützpunkt Muwaffaq Salti Air Base bei Al-Asrak befinden, der rund 100 Kilometer östlich von Amman liegt.

Außenpolitisch wäre der Einsatz ein deutliches Signal, daß Deutschland auch bei heikleren internationalen Missionen Position bezieht. Wie eingangs zitiert, wird in der CDU eine solche Verlängerung des Mandats positiv gesehen. Innenpolitisch ist die Idee einer Fortsetzung des Einsatzes jedoch selbst in der Koalition umstritten. Schon bei der letzten Verlängerung des Mandats, bei der es sich bereits um die dritte handelte, wackelte die Mehrheit von CDU/CSU und SPD. Daher wurde als Kompromißformel im Text festgeschrieben, daß die Mission spätestens 2019 ausläuft. "Die Bereitstellung von 'Tornados' zur luft- und raumgestützten Aufklärung sowie die Luftbetankung werden zum 31. Oktober 2019 beendet", heißt es im Beschluß des Bundestags vom 18. Oktober 2018. Die SPD lehnt eigenen Angaben zufolge eine Verlängerung strikt ab. Eine Schutzzone ohne Zustimmung durch den UN-Sicherheitsrat berge "enorme Eskalationsrisiken", gab der außenpolitische Sprecher Rolf Mützenich zu bedenken. "Die SPD hat im vergangenen Jahr durchgesetzt, dass der 'Tornado'-Einsatz in diesem Herbst ausläuft. Eine Verlängerung oder eine Anpassung des Mandats kommt aus unserer Sicht nicht infrage."

Kritisch äußerte sich auch Tobias Lindner, Verteidigungsexperte der Grünen. Er forderte die Bundesregierung auf, umgehend den Bundestag über ihre Planungen zu informieren. "Der Schutz der Kurden ist wichtig, kann aber nur auf Basis des Völkerrechts erfolgen", sagte Lindner. Die Grünen würden einen möglichen Mandatsantrag "gründlich prüfen". [4] Die Bundestagsfraktion der Linken hatte einen Bundeswehreinsatz in Syrien von Anfang an abgelehnt und eine Verfassungsklage gegen die Entscheidung der Bundesregierung erwogen. Ihres Erachtens gab es kein ausreichendes Mandat oder zumindest keine eindeutige rechtliche Grundlage. Die Grundrechtepartei erhob am 6. Dezember 2015 Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, doch wurden ihre Anträge mit Beschluß vom 18. Februar 2016 ohne inhaltliche Begründung als unzulässig verworfen.

Der Kampf gegen den IS, dessen Schreckensherrschaft in den USA und allen europäischen Staaten außer der Türkei ein auch in der Öffentlichkeit unbestrittenes Feindbild bot, wurde zum Türöffner einer nichtmandatierten militärischen Intervention in Syrien, die letztendlich ganz anderen Bestrebungen geschuldet war, als nur die Gotteskrieger zu besiegen und die Kurdengebiete zu schützen. Weder lag eine Resolution des UN-Sicherheitsrats vor, noch hatte die syrische Regierung um Hilfe gebeten. Und selbst wenn völkerrechtlich ein Angriff vorläge, dürfte die Bundeswehr zur Verteidigung eines anderen Staates laut Bundesverfassungsgericht nur im Rahmen eines sogenannten Systems kollektiver Sicherheit, also der UNO oder der NATO, eingesetzt werden, was aber nicht der Fall war. Für die EU wurde das zwar behauptet, was aber sehr umstritten war, da diese bislang keine militärische Struktur aufweist und nicht einmal ein einstimmiger Beschluß des Europäischen Rates (gemäß Art. 42 Abs. 2, 4, 5 EU-Vertrag) vorlag.

Dies zeigt zum einen, daß die Argumentation mit dem Völkerrecht und der Mandatierung im System kollektiver Sicherheit grundsätzlich auf tönernen Füßen steht. Denn wer wollte etwa der NATO attestieren, ihr liege die Sicherheit der Welt am Herzen. Es bleibt letzten Endes eine Machtfrage, Kriege zu führen und deren Legitimation entsprechend anzupassen, um die Bevölkerung an der Heimatfront bei der Stange zu halten. Geltendes Recht wird dabei systematisch mißachtet und gebrochen, um auf diese Weise neue Standards zu etablieren, die dann ihrerseits ausgehebelt werden können. Was aber die Sozialdemokraten betrifft, deren Veto in der Koalition die Verlängerung des Mandats verhindern könnte, dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Zum einen war ihr Außenminister Maas in die Geheimverhandlungen mit Washington eingebunden, zum anderen befürworten auch sie Auslandseinsätze der Bundeswehr. Auf ihrer vergeblichen Suche nach einem eigenständigen Profil behalten sie sich nur dann und wann vor, ganz bestimmte Rüstungsexporte oder Kriegsbeteiligungen befristet auszusetzen.


Fußnoten:

[1] www.spiegel.de/politik/ausland/mike-pompeo-in-berlin-angela-merkel-spricht-mit-us-aussenminister-ueber-iran-konflikt-a-1270112.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/355777.naher-osten-tornados-gegen-völkerrecht.html

[3] www.zeit.de/news/2019-05/30/syrien-einsatz-der-bundeswehr-koennte-doch-laenger-dauern-190530-99-443014

[4] www.maz-online.de/Nachrichten/Politik/USA-draengt-auf-Bundeswehr-Einsatz-in-Nord-Syrien

31. Mai 2019


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