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KRIEG/1759: Defender 2020 - Kriegsspiele und Selbstgefährdung ... (SB)



Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen. Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt.
Frank-Walter Steinmeier zu einem Manöver in Polen im Jahr 2016 [1]

Inzwischen schreiben wir das Jahr 2020. Daß sich der unterdessen als Bundespräsident reüssierte Steinmeier angesichts der anlaufenden Großübung "Defender 2020" abermals zu einer derartigen Einlassung durchringen könnte, ist nicht zu erwarten. Ein militärisch zurückhaltendes Profil der Sozialdemokratie zu simulieren, fällt nicht mehr unter sein Kerngeschäft, wobei auch sonst niemand in der Führungsriege der SPD ernsthafte Probleme damit zu haben scheint, daß Deutschland als logistische Drehscheibe eine Schlüsselfunktion bei der Durchführung des riesigen Manövers wahrnimmt. Daß die Bundesrepublik im Kriegsfall auch aus diesem Grund allererstes Angriffsziel wäre und mit hohen Opferzahlen sowie schwersten Verwüstungen zu rechnen hätte, liegt so sehr auf der Hand, daß die Sachwalter der bellizistischen Doktrin nichts unversucht lassen, den Ball in der öffentlichen Wahrnehmung flach zu halten.

In den kommenden Wochen und Monaten bewegen sich Konvois mit insgesamt 37.000 Soldatinnen und Soldaten, davon 20.000 aus den USA, mit schwerem Gerät durch Europa Richtung Polen und Baltikum. Es werde die größte Truppenverlegung aus den USA seit einem Vierteljahrhundert, sagt die Bundeswehr. Was bekommt die Bevölkerung von dieser Übung mit? "Wenn es gut läuft, nicht viel. Wir werden natürlich in der Presse, in den Medien informieren. Schlimmstenfalls kommt es zu Staus, zu Verkehrsbehinderungen. Das wollen wir minimieren, indem wir nachts marschieren", so Generalleutnant Martin Schelleis. "Da wird kein Lindwurm von hundert Fahrzeugen auf den Straßen unterwegs sein." Geplant ist, daß Konvois nur zwischen 20 und 6 Uhr rollen, in der Regel sollen nicht mehr als 20 Fahrzeuge zusammen unterwegs sein. Schelleis informierte zusammen mit seinem US-Kollegen, Generalmajor Andrew Rohling, in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin über das Großmanöver. Richtig sichtbar würden die Truppenbewegungen in Deutschland ab Ende Februar. Es handelt sich um eine amerikanische Übung zusammen mit 18 NATO-Partnerländern, wobei Rohling absurderweise betonte, sie richte sich nicht gezielt gegen irgendein Land. Es gehe vielmehr vor allem um einen Test strategischer Bereitschaft im Fall der Reaktion auf eine Krise. [2]

Da aber offenkundig ist, gegen wen sich der Aufmarsch richtet, fühlte sich Schelleis denn doch bemüßigt hinzuzufügen: "Russland hat gezeigt, dass es willens ist, Grenzen in Europa mit militärischer Macht zu verschieben - durch die Annexion der Krim. Und das hat viele NATO-Mitglieder, insbesondere unsere östlichen Nachbarn, in Alarmzustand versetzt." Daß auch die "östlichen Nachbarn" maßgeblich daran beteiligt waren, die Expansion der NATO bis dicht an die russische Grenze voranzutreiben, sollte wie immer in dieser Kontroverse nicht unerwähnt bleiben. Davon abgesehen stuften Ende vergangenen Jahres fast zwei Drittel der Deutschen das Verhältnis zu den USA als "schlecht" oder "sehr schlecht" ein, was immerhin Anlaß dazu geben könnte, sich den bevorstehenden amerikanischen Durchmarsch nicht gefallen zu lassen. Das sieht Generalmajor Rohling aus zweckdienlichen Gründen natürlich ganz anders, ja er hofft sogar auf eine positive Reaktion der Bevölkerung, zumal die Übung schließlich kein Alleingang sei, sondern gemeinsam mit vielen Partnerländern stattfinde.

Was die Opposition im Bundestag betrifft, hält Rüdiger Lucassen, der Verteidigungsexperte der AfD, das Manöver zwar grundsätzlich für sinnvoll, da sich die NATO vorbereiten müsse: "Aber für uns in Zentraleuropa ist es wichtig, gegenüber der Russischen Föderation Transparenz zu zeigen. Das heißt, sie einzubinden." Für Tobias Lindner von den Grünen wäre das Großmanöver dann ein Erfolg, wenn damit auf eine dauerhafte Stationierung von mehr US-Soldaten in Deutschland und Europa verzichtet werden könnte, was man ebenfalls nicht gerade als dezidiert antimilitaristische Position ausweisen kann. Lediglich Die Linke lehnt die Übung gänzlich ab und erklärt, sie sei ein "gefährliches Säbelrasseln" in Richtung Rußland, es werde Krieg geübt. Stattdessen brauche es einen neuen Anlauf für Abrüstung und Rüstungskontrolle.

Angesichts derart umfangreicher Truppenbewegungen quer durchs Land läge der Entschluß nahe, Protest dagegen zu organisieren und Blockaden in Erwägung zu ziehen. Bundestagsabgeordnete der Linken haben die Initiative "Stoppt Defender 2020" ins Leben gerufen, die im Netz "Informationsfluss und Mobilisierung gegen diese umfassende Kriegssimulation unterstützen" soll. In mindestens zwei Städten sind noch im Januar Treffen des Netzwerks Friedenskooperative geplant, unter anderem ist auch Attac mit im Boot. Gegner kritisieren vor allem, daß Moskau provoziert wird, was weitere Eskalationen nach sich ziehen könne, zumal Rußland am 8. Mai den 75. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg feiert. Und nicht zuletzt wird der Klimaschutz als Kritik gegen die Großübung angeführt.

Wie Schelleis versichert, werde man sehr transparent mit den Verlegungen und den Transporten umgehen. In Kommunen soll die US Army Infoveranstaltungen anbieten und von dort hätten ihn noch keine negativen Reaktionen erreicht: "Ich bin positiv überrascht, dass es als eine Stärkung der Ziele Deutschlands anerkannt wird, seinen Verpflichtungen nachzukommen." [3] Die Übung werde aber "auch manche auf den Plan rufen, die das ablehnen", zeigte sich der General gewarnt. "Das ist ja auch das gute Recht, seine abweichende Meinung bei uns zu äußern. Dafür stehen wir und dem dient letztendlich auch diese Übung. Solange Protest im Rahmen des Rechtes passiert und legitim stattfindet, haben wir überhaupt kein Problem damit."

Die Übung läuft noch im Januar an, wobei sich der Hauptverlegezeitraum der US-Kräfte in Europa von Februar bis Mai erstreckt. Aus den USA kommen 8.600 Radfahrzeuge und mehr als 1.100 Kettenfahrzeuge. Von Mitte Mai an beginnt der Rücktransport, der im Juli abgeschlossen sein soll. Für Verlegungen landen Maschinen an mehreren deutschen Flughäfen, schweres Gerät wie Kampfpanzer, Schützenpanzer und Haubitzen wird zumeist per Schiff angeliefert. Das Material wird teils auf dem Wasserweg weitertransportiert, vor allem aber auf der Schiene und in drei großen Achsen auf der Straße. Die Übung gab europaweit Anlaß, Brücken kriegstauglich zu sanieren oder zu verstärken. Wenngleich sich das Großmanöver auf Polen und das Baltikum konzentriert, erstreckt es sich über zehn Länder. Innerhalb des großen Szenarios gibt es weitere Übungsschauplätze in Deutschland. So werden in Grafenwöhr in Bayern und in Bergen in der Lüneburger Heide Gefechte geübt.

Nicht alles Material wird aus den USA nach Europa verschifft, setzt doch die US-Armee auch 13.000 Fahrzeuge und Container ein, die sie in ihren riesigen bewachten Lagerhäusern in Deutschland ständig bereithält. Binnen 96 Stunden soll das Material komplett bei den Kampfeinheiten sein. Eine Panzerbrigade der Nationalgarde bekommt für die Übung die M1-Panzer sowie Paladin-Panzerhaubitzen aus europäischen Lagerstandorten der US-Armee.

Teil von "Defender 2020" ist der Umgang mit Attacken im Cyberraum, wofür neue Ausrüstung und sichere Kommunikation erprobt wird. Die Übung ist zugleich ein Test für das neue "Joint Support and Enabling Command" der NATO, das in Ulm aufgebaut wird. Seine Aufgabe ist es sicherzustellen, daß Truppen und Militärgerät in einem Krisenfall nationale Grenzen zügig überwinden, wobei es die Übergaben als ein Logistikkommando koordiniert. Die Bundeswehr organisiert und sichert die Transporte in Deutschland, sie schafft den Großteil der Quartiere und der Versorgung für die durchziehenden Einheiten. 1.500 deutsche Soldaten sind nur zur Unterstützung der Amerikaner im Einsatz, 1.200 weitere nehmen an Gefechtsübungen teil. Der kommandierende General der US-Streitkräfte in Europa, Christopher G. Cavoli, sprach denn auch von Unterstützung auf einem "sehr signifikanten Niveau". Das war keineswegs übertrieben, wäre doch ohne diese oftmals unterschätzte deutsche Logistik die Kriegsvorbereitung und Kriegsführung der NATO in dieser Weltregion gravierend beeinträchtigt.

Schelleis bezeichnet das Großmanöver fast schon euphemistisch als eine Herausforderung nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch auch für die Partner in den Behörden der Länder, den Landkreisen und bei der Polizei. "Nicht zuletzt auch für die deutsche Bevölkerung." Eher nicht anzunehmen und doch nie ganz auszuschließen wäre eine deutsche Bevölkerung, die den Begriff "Herausforderung" in diesem Zusammenhang im Sinne einer Zumutung auslegt, die sie sich nicht länger bieten läßt. An Orten und Gelegenheiten, den Heerzug nach Osten nicht gänzlich ungehindert durchmarschieren zu lassen, wird es in naher Zukunft jedenfalls nicht mangeln.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/militaer-verteidigung/id_87114912/uebung-defender-europe-2020-gigantische-aktion-mit-20-000-soldaten.html

[2] www.tagesschau.de/ausland/defender-103.html

[3] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/militaer-verteidigung/id_87149410/militaer-uebung-defender-europe-was-hat-die-aktion-mit-russland-zu-tun-.html

15. Januar 2020


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