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FLUCHT/022: Mali - Unsicherheit und Unterversorgung verzögern Heimkehr der Vertriebenen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Januar 2014

Mali: Unsicherheit und Unterversorgung verzögern Heimkehr der Vertriebenen

Von Marc-André Boisvert


Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Agaichetou Touré ist im März 2012 aus Gao nach Bamako geflohen
Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Bamako, 3. Februar (IPS) - Agaichetou Touré hat sich im Hilfszentrum in Kalaban-Koura, einem Viertel in der malischen Hauptstadt Bamako, eingefunden, um sich als Vertriebene registrieren zu lassen. Sie stammt aus Gao. Als Islamisten im März 2012 die Kontrolle über die Hauptstadt der gleichnamigen Region im Südosten des Landes übernahmen, floh sie mit ihren Kindern in einem Kanu auf die andere Seite des Niger-Flusses.

Ihre beiden Ältesten brachte Touré bei einer Tante unter. Sie selbst und ihre achtjährige Tochter fuhren mit dem Bus ins 1.200 Kilometer entfernte Bamako weiter. Dort leben sie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit Tourés Bruder, dessen beiden Frauen und acht Kindern zusammen. "Ich sitze in Bamako fest", berichtet die 42-Jährige. "Auch wenn mir das nicht gefällt, so muss ich doch bleiben."

Ein Jahr ist es her, dass die Regierung des westafrikanischen Landes den Norden zurückerobert hat, ein halbes seit den friedlichen Wahlen. Doch noch immer warten hunderttausende Vertriebene und Flüchtlinge auf die Möglichkeit heimzukehren.

Anfang 2012 hatten Tuareg, eine Gemeinschaft traditioneller Nomaden, die in Mali, im Niger und in Algerien leben, den Norden Malis in ihre Gewalt gebracht. Doch im April des gleichen Jahres verdrängte eine Koalition aus bewaffneten islamistischen Gruppen - Al-Qaeda im islamischen Maghreb, Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJWA) und 'Ansar Dine' - die von Tuareg geführte nichtreligiöse Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad.

Mit Hilfe französischer Soldaten konnten die malischen Truppen schließlich den Großteil des Gebietes zurückerobern. Seit Juni 2013 herrscht eine Feuerpause, die der Regierung erlaubt hat, Soldaten im Norden abzustellen, und die im letzten Jahr den Weg für demokratische Wahlen freimachte. Doch wird der Waffenstillstand nach UN-Angaben immer wieder von beiden Seiten gebrochen, etwa in Form von unkoordinierten Truppenbewegungen.


Fast 150.000 Vertriebene heimgekehrt

Wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Mali berichtet, wurden im Januar 217.811 Binnenflüchtlinge gezählt. Die meisten von ihnen halten sich im Süden des Landes und in Bamako auf. Im Juni letzten Jahres waren es 353.455 gewesen. Geschätzte 167.000 Malier harren in Auffanglagern in den Nachbarländern aus.

In dem spartanisch eingerichteten neuen Büro in Kalaban-Koura kommt Mahamane Allassa Assofaré jeden Tag mit durchschnittlich 20 Vertriebenen zusammen. In Mali gibt es insgesamt fünf solcher Anlaufstellen, die von der Agentur für technische Zusammenarbeit und Entwicklung (ACTED) in Zusammenarbeit mit der IOM betrieben werden.

Assofaré dokumentiert die Fälle eines jeden Vertriebenen, der bei ihm durch die Tür kommt. Denn das ist der erste Schritt, um den Betroffenen Hilfe in Form einer Basisversorgung, eines professionellen Trainings und von finanziellen Mitteln zukommen zu lassen. Schwangere Frauen haben zudem Anspruch auf eine medizinische Versorgung.

"Diese Menschen sehen sich mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Der Lebensunterhalt in Bamako ist viel kostspieliger als dort, woher sie kommen", sagt Assofaré und händigt einem Vertriebenen ein Blatt zum Ausfüllen aus.

Die IOM schätzt, dass etwa 57 Prozent der 353.455 Vertriebenen, die im Juni 2013 als Binnenflüchtlinge anerkannt wurden, inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt sind - in 78 Prozent der Fälle, weil sich die Sicherheitslage verbessert habe.

Niamoye Alidji war eine der ersten, die in den Norden zurückgekehrt sind. Sie lebt nun wieder im von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannten Stadt Timbuktu und ist heilfroh, den Schritt gewagt zu haben. "Immer mehr Menschen kommen allmählich zurück. Die Geschäfte und Schulen machen wieder auf. In Timbuktu hat sich vieles zum Guten gewandelt. Hier sind wir sicher", sagt sie in einem Telefongespräch mit IPS.


Rückkehr nicht immer möglich

Das mag für Timbuktu zutreffen, doch in vielen anderen Regionen ist das nicht der Fall. In der Stadt Gao kam es im vergangenen Monat zu mehreren Raketenanschlägen. Auch Kidal im Norden erlebt ähnliche Anschläge.

"Wir stehen auf dem Standpunkt, dass wir die Menschen angesichts solcher Sicherheitsrisiken nicht zur Rückkehr zwingen sollten", sagt Olivier Beer vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. "Auch die humanitären Bedingungen und die Abwesenheit des Staats machen eine frühzeitige Heimkehr nicht ratsam."

Almahady Cissé von 'Cri de Coeur', einem malischen Kollektiv, das zur Unterstützung der Opfer der humanitären Krise im Norden gegründet worden ist, vertritt die gleiche Meinung. "Es fehlt an begleitenden Maßnahmen. Im Grunde sind die Menschen dort völlig auf sich allein gestellt", sagt er.

Der 50-jährige Abdoulaye Haidara stammt aus der Nähe von Bourem, einer Stadt in der Region Gao. Er lebt ebenfalls seit fast zwei Jahren in Bamako und würde lieber heute als morgen nach Hause zurückkehren. "Aus Gesprächen mit meinen Angehörigen weiß ich zwar, dass sich die Sicherheitslage in Bourem bessert, doch gibt es dort nichts, von dem ich leben könnte. Wie soll ich dort meine vier Kinder durchbringen? Es macht keinen Sinn, zurückzukehren."

Der Mangel an einer grundlegenden Versorgung hat etliche Heimkehrer veranlasst, erneut nach Bamako zu kommen. "Sie haben alles durch die Plünderungen verloren. Und um die Wirtschaft dort ist es sehr schlecht bestellt", sagt Assofané.

"Doch nicht nur die Lage der Vertriebenen, auch die der Familien, die sie aufnehmen, ist schwierig", warnt der ACTED-Landesdirektor Nicolas Robe. "Diese Haushalte bitten um Unterstützung."

Der IOM zufolge werden viele Heimkehrer auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein. Etwa 800.000 Menschen benötigen Soforthilfe. Drei Millionen der insgesamt 14,8 Millionen Malier laufen Gefahr, in den nächsten Monaten ohne Nahrung dazustehen. "Eine Rückkehr muss gut überlegt sein", meint deshalb Cissé von Cri de Coeur. "Die Menschen, die alles verloren haben, brauchen Hilfe. Sie brauchen Zeit, um ihre Rückkehr zu vorzubereiten. Und dieser Prozess dauert eben seine Zeit." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/01/nothing-malis-displaced-return/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. Februar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2014