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WIDERSTAND/004: Pakistan - Belutschischer Rebellenkommandant Allah Nazar im IPS-Gespräch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Oktober 2012

Pakistan: Belutschische Widerstandskämpfer bilden gemeinsame Front - Rebellenkommandant Allah Nazar im IPS-Gespräch

von Karlos Zurutuza


Belutschische Kämpfer in Pakistan - Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Belutschische Kämpfer in Pakistan
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

San Sebastián, Spanien, 30. Oktober (IPS) - In Pakistan bauen die Splittergruppen, die für ein freies Belutschistan kämpfen, offenbar an einer gemeinsamen Front gegen die Streitkräfte. Alle Verbände seien dabei, sich unter einem gemeinsamen Kommando zu sammeln, erklärte Allah Nazar, Kommandant der Belutschischen Befreiungsfront (BLF), im Telefoninterview mit IPS.

Belutschen sind ein Volk, das in Afghanistan, Iran und Pakistan beheimatet ist. Sie sprechen eine eigene Sprache und bevölkern ein Gebiet von der Größe Frankreichs, das sie selbst Belutschistan nennen. Obwohl sie auf reichen Gas-, Öl-, Gold-, Kupfer- und Uranvorkommen sitzen, gehören sie in den jeweiligen Ländern zu den Ärmsten der Armen.

In Pakistan sind zahlreiche belutschische Rebellengruppen aktiv, darunter die Belutschische Befreiungsarmee und 'Lashkar-e-Balochistan' (Armee Belutschistans). Analysten machen für die Zersplitterung der Bewegung Stammeszugehörigkeiten verantwortlich. Die überwiegende Mehrheit der Gruppierungen ist weltlich ausgerichtet und verfolgt ein und dasselbe Ziel: die Unabhängigkeit Belutschistans.

Nazar, ein ehemaliger Arzt, wirft der pakistanischen Regierung vor, die belutschische Gesellschaft talibanisieren zu wollen, um den Widerstand der Bevölkerung zu brechen. Pakistan sei die Wiege und Brutstätte der Taliban und schleuse Terroristen nach Afghanistan, Indien, Saudi-Arabien und in den Jemen. Seiner Meinung nach "liegt ein freies Belutschistan im Interesse der zivilisierten Welt". Es folgen Auszüge aus dem Interview.

IPS: Wie muss man sich die Gruppe vorstellen, die Sie anführen?

Allah Nazar: In der BLF sind Menschen aus allen Lebensbereichen - vom Bauern bis zum Arzt - vertreten. Wir verfügen über 6.000 Kämpfer und jeden Tag werden es mehr. Die BLF führt einen Guerillakrieg in Ostbelutschistan, das unter pakistanischer Kontrolle steht.

IPS: Stehen Sie mit 'Jundullah' ('Armee Gottes') in Verbindung, der Rebellenbewegung im Nachbarland Iran?

Nazar: Wir wissen, dass die in der Jundullah zusammengeschlossenen Kämpfer auch Belutschen sind, aber wir unterhalten keine Beziehungen zu ihnen. Wir führen einen nationalistischen Kampf und haben mit dem religiösen Extremismus der Jundullah nichts zu tun.

Wir verwehren uns zudem gegen den Vorwurf der Regierung in Islamabad, dass Indien den belutschischen Widerstand unterstützt. Das ist reine Propaganda der pakistanischen Staatsmedien. Wir werden nicht von Indien unterstützt.

IPS: Der von Pakistan kontrollierte Teil Belutschistans hat eine Provinzregierung. Warum haben sie den bewaffneten Kampf gewählt anstatt in die Politik zu gehen?

Nazar: Wir waren vor der Gründung Pakistans im August 1947 zu einem unabhängigen Staat erklärt worden. Sieben Monate später wurde unser Land von Pakistan besetzt. Die Bevölkerung Belutschistans hat die Besatzung von Anfang an nicht akzeptiert. Somit ist unser Kampf die Fortsetzung des Kampfes unserer Vorväter. Parlamentarier verabschieden brutale Gesetze gegen unsere nationale Identität, unsere Kultur und Sprache, die vom Obersten Gerichtshof legitimiert werden.

IPS: Einige belutschische Führer sprechen von Selbstbestimmung und nicht von Unabhängigkeit ...

Nazar: Kommandanten wie Akhtar Mengal, ein ehemaliger Chefminister der Provinz, Anführer des Mengal-Clans und Leiter der Belutschischen Nationalpartei, rufen nach 'nationaler Selbstbestimmung'. Doch dieser Begriff ist viel zu vage. Selbstbestimmung kann vieles bedeuten, etwa, dass wir innerhalb des Staatsgefüges bleiben. Doch wir haben unsere eigene Geschichte, unsere eigene Sprache und unsere eigene Kultur. Wir wollen die Freiheit.

IPS: Was halten Sie von der Freiheitscharta, den Fahrplan für die belutschische Unabhängigkeit, wie er von dem in London lebenden Politiker und Stammesführer Hyrbyair Marri angestrebt wird?

Nazar: Die Freiheitscharta ist ein sehr wichtiger Schritt. Alle belutschischen Kämpfer sollten sie unterstützen.

IPS: Islamabad zufolge werden Projekte wie der Tiefseehafen Gwadar der belutschischen Wirtschaft Auftrieb geben ...

Nazar: Gwadar ist ein Projekt, das den Interessen der Punjabi und der ehemaligen Kolonialmächte dient, nicht aber dem belutschischen Volk. Man will Migranten und andere Bevölkerungsgruppen nach Belutschistan bringen, um die bestehende Bevölkerungsstruktur zu verändern. Gwadar wäre für das belutschische Volk das Todesurteil.

IPS: Die Belutschen werfen Islamabad eine Talibanisierungspolitik zur Zerschlagung der nationalen belutschischen Bewegung vor ...

Nazar: Das stimmt. Belutschen sind kulturell, traditionell und historisch ein weltliches Volk. Das pakistanische Regime versucht, die belutschische Gesellschaft zu talibanisieren. In dem Gebiet, in dem ich mich gerade aufhalte, hat der pakistanische Geheimdienst zwei religiöse militante Gruppen gegründet: die 'Ansar-al-Islam' und die 'Tahafuz-e-Hadoodullah' ('Beschützer der Herrschaft Gottes').

Man hat diese Gruppen angeblich im Namen des Islam gebildet, doch sollen sie in Wahrheit die belutschische Freiheitsbewegung zerschlagen. Pakistan ist die Wiege und die Brutstätte der Taliban. Pakistan schleust Taliban und auch Al-Qaeda-Terroristen nach Afghanistan, Indien, Saudi-Arabien und in den Jemen. Pakistan ist ein verantwortungsloser Staat, der die zivilisierte Welt in Gefahr bringt. Ein freies Belutschistan liegt im Interesse der zivilisierten Welt.

IPS: Washington will ab 2014 aus Afghanistan abziehen. Wie wird sich dies auf den afghanisch-pakistanischen Raum auswirken?

Nazar: Wenn sich die USA und die NATO aus Afghanistan zurückziehen, wird dies zu Turbulenzen und Instabilität führen. Ein schwaches Afghanistan wird nicht nur die Region destabilisieren, sondern der gesamten zivilisierten Welt schaden. (Ende/IPS/kb/2012)


Link:

http://www.ipsnews.net/2012/10/qa-baloch-groups-to-unite-against-pakistan/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2012