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FRAGEN/001: Interview mit Dr. Mustafa Barghouti (Elsa Rassbach)


Ein Interview mit Dr. Mustafa Barghouti

Von Elsa Rassbach, 16.04.2012



Am 20. März interviewte ich Dr. Mustafa Barghouti(1) zu den Plänen einer neuen internationalen Initiative zum Tag des Bodens am 30. März: ein "Globaler Marsch nach Jerusalem"(2), um in einer gewaltlosen Aktion alle palästinensischen politischen Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft im historischen Palästina wie auch die in der Diaspora zu vereinen und mit unterstützenden Aktionen in aller Welt zusammen zu bringen.(3)

Am 27. März veröffentlichte Mustafas entfernter Cousin, der Fatahführer Marwan Barghouti, einen Brief aus dem Gefängnis, in dem er seit zehn Jahren eine lebenslange Strafe absitzt. Marwan Barghouti ruft in diesem die Palästinensische Autonomiebehörde auf, die Friedensverhandlungen und alle Zusammenarbeit mit Israel abzubrechen, einen totalen Boykott gegen Israel durchzuführen und sich an die UN-Vollversammlung zu wenden, um den Antrag auf Anerkennung der Eigenstaatlichkeit voranzubringen. Er rief auch das palästinensische Volk dazu auf, mit einem neuen gewaltfreien Volksaufstand im Geiste des arabischen Frühlings zu beginnen: eine dritte Intifada.(4) Als Strafe dafür steckten ihn die Israelis in Einzelhaft.

Beide Barghoutis rufen zu einem intensiveren palästinensischen Volkswiderstand auf, was auch eine Kritik an der alten Fatahführung beinhaltet. Beide Barghoutis haben zur Einheit zwischen Fatah und Hamas und allen anderen palästinensischen Parteien aufgerufen; doch die beiden könnten bei einer neuen palästinensischen Wahl gegen einander konkurrieren: Marwan als Führer der kämpferischeren zweiten Generation von Fatahaktivisten und Mustafa als Führer der Palästinensischen Nationalen Initiative (die Al-Mubadara Partei). Bei den Wahlen von 2005 gewann Mustafa Barghouti als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde 19% der Stimmen.(5) Daraufhin verboten die Israelis ihm, Jerusalem zu betreten, wo er geboren wurde und als Mediziner 15 Jahre lang gearbeitet hat.

Bei dem "Globalen Marsch nach Jerusalem" in diesem Jahr planten die Palästinenser und ihre Unterstützer, so weit wie möglich nach Jerusalem zu marschieren: entweder an die Grenzen des Libanon, Syriens und Jordaniens, zu den Checkpoints im Gazastreifen und der Westbank oder zu den israelischen Botschaften in aller Welt. Der nächste Punkt, den Mustafa Barghouti erreichen konnte, war der Qalandia-Checkpoint zwischen Ramallah, wo er jetzt lebt, und Jerusalem. Am Qalandia-Checkpoint wurde er verletzt und in ein Krankenhaus gebracht. Über die Ursache seiner Verletzung gab es widersprüchliche Berichte.(6)

Berichte über den Erfolg des Globalen Marsches nach Jerusalem waren ebenfalls widersprüchlich. An den Grenzen des Libanon und Jordaniens versammelten sich weitaus weniger Demonstranten als von manchen vorausgesagt worden war, und soweit bekannt, hat niemand versucht, in israelisch kontrolliertes Gebiet zu gelangen. Doch die Organisatoren erklärten, dass sie ihre wichtigsten Ziele erreicht hätten.(7)

Ich sprach kürzlich noch einmal über Skype mit Mustafa Barghouti.


Rassbach: Wie war Ihre Reaktion auf den Aufruf, den Marwan Barghouti vom Gefängnis aus gab?

Barghouti: Ich stimme mit ihm überein, dass Israel aus der Palästinensischen Autonomiebehörde eine Sicherheits-Unteragentur zu machen versucht, während Israel uns weiter besetzt und unterdrückt hält. Deshalb sollte alle diese Zusammenarbeit mit Israel gestoppt werden. Ich denke, wir haben auch dieselbe Meinung über den gewaltlosen Volkswiderstand. Es war das, woran wir die letzten zehn Jahre gearbeitet haben. Und ich bin persönlich stolz und glücklich darüber, dass jetzt alle politischen Kräfte, die früher den gewaltlosen Widerstand für ineffektiv hielten, diesen jetzt anerkennen und annehmen. Dies ist der größte Erfolg, der passieren kann. Und ich glaube, dass dies jetzt eine gute Gelegenheit für uns alle ist, einen gemeinsamen Kampf durchzuführen.

Rassbach: Kam die Methode der Gewaltlosigkeit aus den Dörfern in der Westbank und deren Kampf?

Barghouti: Schon 1936 gab es in Palästina eine gewaltlose Widerstandsbewegung, einen Streik, der sechs Monate andauerte. Das ist Tradition, und das beste Beispiel ist die erste Intifada. Aber der neue gewaltlose Widerstand in seiner reinsten Form begann in den Dörfern wie Budrus und Safa, hat sich dann in Bilin und Nilin und dann in andern Dörfern, dann in Jerusalem und in Hebron ausgebreitet, und nun verbreitet er sich überall. Wenn man drei oder vier Jahre zurückgeht zu den Erklärungen, die wir damals machten, so sahen wir voraus, dass dieser gewaltlose Widerstand sich ausbreiten würde. Heute sind die Menschen aus drei Gründen davon überzeugt: erstens, wegen des totalen Misserfolges des sog. Friedensprozesses, der zu nichts anderem als zu einem Ersatz für Frieden wurde und zu einem Deckmantel für die israelische Expansionspolitik; zweitens, weil vielen klar wurde, dass gewaltloser Widerstand viel effektiver ist als militärische Aktionen; und drittens - und das ist sehr wichtig - es ist ein guter Weg, den palästinensischen Kampf mit der internationalen Solidarität zu verbinden und zwar mit einem klaren Ziel: die Parameter des Kampfes, des Konfliktes und des Kräfteverhältnisses zu verändern. Wir sind davon überzeugt, dass bis jetzt die israelische Besatzung davon profitierte, uns zu besetzen, und dieser gewaltlose Volkswiderstand lässt die Besatzung teuer werden. Der gewaltlose Widerstand nimmt verschiedene Formen an, und das ist gut so. Eine der wichtigsten Aktionen war, dass wir die Belagerung von Gaza zu brechen versuchten: Ich erinnere an 2008, als wir mit einem kleinen Boot kamen, und es uns gelang, die Belagerung zu durchbrechen. Das hat viele Führer in Gaza in Bezug auf ihre Überzeugung und Akzeptanz des gewaltfreien Widerstandes beeinflusst. Aber es gibt noch viel mehr Formen: Hungerstreiks, Demonstrationen und vor allem die sehr bedeutende Form des Boykotts israelischer Produkte, den wir in den nächsten Wochen erweitern wollen.

Rassbach: Warum ist Gewaltlosigkeit wirksamer?

Barghouti: Sie ist wirksamer, weil hier jeder mitmachen kann und nicht nur eine kleine Gruppe. Sie ist wirksamer, weil sie den Israelis nicht erlaubt zu behaupten, dass sie die Opfer dieses Konfliktes sind. Gewaltlosigkeit entblößt sie und outet sie als das, was sie in Wirklichkeit sind: die Unterdrücker, die Besatzer und die Verursacher des Apartheid-Systems.

Rassbach: Am palästinensischen Tag des Bodens am 30. März gab es eine neue gewaltlose Aktion: den Globalen Marsch nach Jerusalem, von dem Sie einer der Hauptunterstützer waren. Welche Rolle spielten Ihre politische Partei, die Palästinensische Nationale Initiative, und die anderen politischen Parteien bei dieser Aktion?

Barghouti: Ich vertrat alle politischen Parteien der Westbank im Koordinierungskomitee für den Marsch. In der Westbank waren alle politischen Parteien wie auch die Institutionen der Zivilgesellschaft vollständig in der Organisierung des Globalen Marsches nach Jerusalem involviert. Und wir stimmten alle darin überein, dass wir mit palästinensischen Fahnen und unsern Parteifahnen zu dem Marsch kommen würden. Der dahinterstehende Gedanke war, die Parteimitglieder zu ermutigen, in großer Zahl zu kommen - und es funktionierte. Es war mit viel Mühe verbunden, alle palästinensischen Fraktionen der Westbank zusammenzubringen, und so scheint der Globale Marsch nach Jerusalem wenigstens ein symbolischer Schritt in Richtung Einheit zu sein. Während der Demonstration in der Westbank marschierten alle Führer der politischen Parteien in der vordersten Reihe. Natürlich ist es unsere Pflicht, dort zu laufen, weil wir es uns nicht erlauben können, dass junge Leute von den Israelis verletzt werden und wir hinten warten und sie vom bequemen, sicheren Büro aus dirigieren. Die Palästinensische Initiative hatte eine Menge Unterstützer aus verschiedenen Gebieten der Westbank, die am Marsch teilnahmen.

Rassbach: Am Tag des Bodens rief die stellvertretende Direktorin von Amnesty International (ai) für den Nahen Osten und Nordafrika Israel auf, mit der exzessiven Gewalt gegen Demonstranten aufzuhören. Haben die Israelis ein ungewöhnliches Maß an Gewalt gegen den Globalen Marsch ausgeübt?

Barghouti: Es war ungewöhnlich, wie früh sie mit dem Angriff begannen. Ich denke, sie hofften, die Demonstrationen würden abgebrochen werden, und als ihnen klar wurde, dass dies nicht der Fall war, fingen sie sofort mit grober Gewalt an. Diese war nicht nur unverhältnismäßig, extrem und übertrieben, sondern z.B. auch in Qalandia, wo ich war, begannen sie mit dem Abschießen von Tränengas und Metallkugeln, die nur dünn mit Gummi ummantelt sind, lange bevor wir die Checkpoints erreichten. Dann hörte diese Gewalt nicht mehr auf. Die ständige und unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt ist für die israelische Armee gegenüber gewaltlosen Demonstrationen zur Gewohnheit geworden. Und ich fürchte, dies wird so lange so weitergehen, solange die internationale Gemeinschaft dies nicht kritisiert und genügend Druck ausübt. Ich danke Amnesty International, dass es seine Aufmerksamkeit auf diese exzessive Gewalt richtet, die angewandt wird. Am Tag des Bodens verletzten sie mindestens 320 Menschen, einschließlich eines Mannes in Gaza, der mit einer Hochgeschwindigkeitskugel getötet wurde. Es gab auch einen Mann in Bethlehem, der direkt ins Gesicht getroffen und dessen Kiefer gebrochen wurde. Auch ich selbst bekam eine ihrer Tränengasbomben ab, die meinen Kopf streifte.

Rassbach: Am Tag des Bodens zitierte ai auch Berichte darüber, dass Sicherheitskräfte der Palästinensischen Behörde versuchten, Demonstrationen in den von ihr kontrollierten Gebieten zu verhindern und dass Hamas-Sicherheitskräfte Demonstranten in Gaza geschlagen hätten. Steht der Volkswiderstand in Palästina nun palästinensischen Sicherheitskräften als erstem Hindernis gegenüber?

Barghouti: Die palästinensischen Sicherheitskräfte versuchten, die Demonstration in Bethlehem zu stoppen, doch es gelang ihnen nicht, und den Leuten von Mubadara und Fatah und anderen Gruppen gelang es, an den dort stehenden Sicherheitsoffizieren vorbeizukommen, um ihre Demonstration durchzuführen. In Qalandia war ein Mob, der die an der Demonstration teilnehmenden Leute angriff und die Demonstration daran zu hindern versuchte, den Checkpoint zu erreichen. Natürlich trugen diese Leute zivile Kleidung. Wir kennen sie nicht. Wir wissen auch nicht, wer sie angeführt hat, aber es gibt eindeutig den Verdacht, dass es Versuche gab, das Vorankommen der Demonstration zu verhindern. Die Palästinensische Autonomiebehörde erklärte offiziell, dass sie den gewaltlosen Volkswiderstand unterstützt. Also erwarten wir, dass kein Palästinenser versuchen sollte, Palästinenser am gewaltlosen, friedlichen Kampf für ihre Rechte zu hindern oder zu stoppen, weil wir für die Freiheit von jedem kämpfen. Sie sollten den gewaltlosen Volkswiderstand eher unterstützen als ihn zu blockieren oder zu unterwandern versuchen. Die Behörden in der Westbank und im Gazastreifen haben kein Recht, Palästinenser von der Teilnahme am friedlichen gewaltfreien Widerstand abzuhalten - sei es im Gazastreifen, in der Westbank oder anderswo.

Rassbach: Am Tag des Bodens wurden Sie während der Demonstration verletzt und ins Krankenhaus gebracht. Es gibt einander widersprechende Berichte über die Ursachen Ihrer Verletzung. Können Sie uns sagen, was geschah?

Barghouti: Da der Tag des Bodens dieses Jahr an einem Freitag war, begann er mit zwei Gebeten, eines auf der Straße und eines in der Moschee. Als das eine auf der Straße beendet war, begannen die Leute, sich zu bewegen, wobei Herr Alol, der Mitglied des Zentralkomitees der Fatah ist, andere und ich die Demonstration anführten. Dann wurde gesagt, dass da noch andere in der Moschee warteten; also stoppten wir die Demo und warteten. Danach ging alles gut, bis die israelische Armee uns angriff. Bei der zweiten Welle von Tränengasbomben traf mich eine der Bomben an meinem Kopf. Ich wurde verletzt und begann zu bluten. Ich wurde schnell zu einer Ambulanz gebracht. Als ich die Ambulanz gerade betreten wollte, versuchten einige derselben Leute, die die Demo am Fortschreiten hindern wollten, mich anzugreifen. Und als ich in der Ambulanz war, begannen sie, die Ambulanz anzugreifen, schlugen sie, und wir waren nur froh, dass sie nicht durchbrechen konnten. Sie griffen nicht nur die eine Ambulanz an, in der ich war, sondern auch zwei andere. Die Palästinensische Autonomiebehörde untersucht diese Sache jetzt, und wir warten auf die Ergebnisse.

Rassbach: Wer waren diese Leute?

Barghouti: Das wird untersucht. Wir denken, dass jeder, der palästinensische Demonstranten während einer Demonstration gegen die Besatzung angreift, nicht im Interesse des palästinensischen Volkes handelt. Davon wird nur die Besatzung profitieren. Ich sprach dreimal mit Präsident Abbas über diese Sache. Wir trafen uns, und er verurteilte solche Aktionen gegen jeden palästinensischen Führer. Er wünschte mir gute Besserung von der Verletzung durch die Tränengasbombe. Viele andere Funktionäre kamen, um mich im Krankenhaus zu besuchen. Und nun wird untersucht, warum diese Kerle versucht haben, diese Demonstration zu blockieren; denn wir werden nicht erlauben, dass sich dies wiederholt. Wir müssen einig sein. Den Globalen Marsch nach Jerusalem am Tag des Bodens haben wir in enger Zusammenarbeit mit meiner Partei, der Mubadara, und mit der Fatah, der PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine), der PPP (Palestinian People Party), der Hamas und allen anderen organisiert. Und als ich im Krankenhaus lag, kamen mich alle Führer aller dieser Parteien besuchen, um mir gegenüber ihre Achtung auszudrücken. Wir werden nicht zulassen, dass dieser Vorfall unsere Einigkeit beeinträchtigt. Es gab keinen Konflikt zwischen den politischen Parteien. Dies war die Tat einer kleinen Gruppe von Leuten, die Angriffe auf Ambulanzen und auf verletzte Menschen und auf einige Demonstranten anzettelten. Gegen diese Leute muss ermittelt werden. Wir müssen herausfinden, wer hinter ihnen steht und sie motiviert hat. Und ich denke, die Israelis machen sich lächerlich, wenn sie abstreiten, dass sie mich verletzt haben. Würden sie auch behaupten, dass sie keine Verantwortung für die anderen 320 Verletzten vom Tag des Bodens und den Tod des 19jährigen Mahmoud Zakout in Gaza haben?

Rassbach: Was wurde am Tag des Bodens in Richtung des Aufbaus palästinensischer Einheit erreicht?

Barghouti: Ich denke, diese Einheit wurde befestigt. Es war ein großer Tag, weil die Menschen zugleich an Demonstrationen und Aktivitäten sowohl innerhalb Israels - im Negev und in Galiläa - wie auch auf der Westbank, im Gazastreifen, in Jerusalem und in der Diaspora teilgenommen haben. Dies war ein großes Zeichen dafür, die palästinensische Einheit rund um gemeinsame Ziele wiederzugewinnen, und es war auch ein großer Zusammenschluss des palästinensischen gewaltlosen Volkswiderstands mit der internationalen Solidarität.

Rassbach: Doch obwohl es Solidaritäts-Demonstrationen in mehr als 80 Ländern in aller Welt gab, haben diese Aktivisten bis jetzt kaum Einfluss auf ihre eigenen Regierungen, um sie davon zu überzeugen, die palästinensische Sache zu unterstützen.

Barghouti: Das stimmt nicht. Die Aktivisten bauen einen guten Einfluss in ihren Ländern aus. Unser Kampf ist wie der Anti-Apartheid-Kampf in Südafrika. Es braucht Zeit und einen schrittweisen Aufbau. Wir müssen aufhören, davon zu träumen, dass wir die Lösung von der US-Regierung bekommen werden, wie einige Politiker noch glauben. Wie beim Anti-Apartheid-Kampf arbeiten die Menschen zur Zeit in vielen Ländern auf der Graswurzelebene, und nach und nach wird dies einen Einfluss auf die Parlamente haben. Dies hat sogar schon das Europäische Parlament erheblich verändert. Und nach den Parlamenten werden sich die Regierungen ändern. Das letzte, das sich verändern wird, werden die USA sein. Wir wissen dies.

Rassbach: Sie zählen nicht auf Obama, dass er Ihnen hilft, falls er wiedergewählt wird?

Barghouti: Nein. Es sei denn, es geschieht ein Wunder, und er wandelt sich. Aber ich rechne mit dem Volk der USA, das nach und nach lernen wird, einschließlich der jüdisch-amerikanischen Gemeinschaft. In der letzten Märzwoche sprach ich in Washington DC auf einer Konferenz einer jüdischen Organisation, die sich J-Straße (J-Street) nennt. Es war umwerfend. Ich denke, je mehr Menschen die Realität und die moralische Integrität des palästinensischen Kampfes verstehen, und auch begreifen, wie unmoralisch die israelische Unterdrückung ist, umso mehr werden wir uns durchsetzen. Ich glaube an die Menschen, die ihre Regierungen ändern werden.

Rassbach: Und was ist mit Deutschland?

Barghouti: Die Menschen in Deutschland verstehen die Situation immer besser. Immer mehr begeistern sie sich für die palästinensische Sache. Sicherlich lasen Sie die Bemerkungen des Führers der SPD, Herrn Gabriel, als er nach Hebron ging und sagte, dies sei Apartheid. Dies ist nur ein Indikator. Je mehr diese politischen Führer nach Palästina kommen, umso mehr werden sie die Situation verstehen. Die Menschen in Deutschland müssen verstehen, dass unser Kampf, um Palästina zu befreien, nicht das Leiden des jüdischen Volkes während des Holocaust, noch während der Pogrome in Russland oder während der Inquisition in Spanien leugnet. Nichts von dem, was wir tun, leugnet dies - im Gegenteil, das Leiden des jüdischen Volkes sollte die Regierung Israels motivieren, nicht dieselben Fehler zu machen, indem sie das palästinensische Volk unterdrückt. Bei unserm gewaltlosen Widerstand geht es nicht nur um die Befreiung des palästinensischen Volkes, sondern es geht auch um die Befreiung der Bevölkerung Israels vom letzten kolonialen Siedlersystem in der modernen Geschichte und vom schlimmsten Apartheidsystem in modernen Zeiten. Wenn die Menschen in Deutschland dies verstehen, wird ihnen klar werden, dass es bei der Unterstützung unseres Kampfes auch um die Unterstützung beider Völker geht, darum, dass für beide Völker Konflikte verhindert und auf beiden Seiten Leben gerettet werden. Die Israelis selbst werden nicht eher frei sein bis die Palästinenser frei sind.

(Übersetzung Ellen Rohlfs; Übersetzungsredaktion Harald Etzbach)


Elsa Rassbach ist Filmemacherin und Journalistin aus den USA, jetzt in Berlin. Sie ist Mitglied von Codepink, einer Organisation, die den Globalen Marsch nach Jerusalem unterstützte. Ihr mehrfach preisgekrönter historischer Spielfilm, "The Killing Floor" (1984), über den Kampf einer Gewerkschaft gegen den Rassismus in den Schlachthöfen Chicagos, wird in diesem Jahr wieder herausgegeben.


Dieses Interview erschien zuerst am 16.04.2012 in der israelischen Zeitschrift +972 und dann am 18.04.2012 in der US Zeitschrift Counterpunch:
http://972mag.com/dr-mustafa-barghouti-nonviolent-resistance-is-more-effective/42160/
http://www.counterpunch.org/2012/04/18/an-interview-with-dr-mustafa-barghouti/
Neues Deutschland veröffentlichte einen Auszug des Interviews am 10.04.2012:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/223561.gewaltloser-widerstand-ist-wirksamer.html?sstr=rassbach%7Cbarghouti


Anmerkungen:

(1)‍ ‍http://972mag.com/author/972blog/page/3/
http://www.neues-deutschland.de/artikel/222327.jerusalem-sollte-allen-zugaenglich-sein.html?sstr=rassbach|barghouti

(2)‍ ‍http://www.gm2j.com/

http://www.jerusalem-marsch.de/aktuelles.html

(3)‍ ‍http://worldblog.msnbc.msn.com/_news/2012/03/29/10907912-global-march-to-jerusalem-israels-borders-on-high-alert-as-huge-protests-loom?lite

(4)‍ ‍http://www.counterpunch.org/2012/03/30/the-new-mandela/
http://www.s-o-z.de/?p=66789
http://www.uri-avnery.de/index.php?mact=News,cntnt01,print,0&cntnt01articleid=183&cntnt01showtemplate=false&cntnt01returnid=19

(5) http://en.wikipedia.org/wiki/Palestinian_presidential_election,_2005#cite_note-2

(6)‍ ‍http://www.jpost.com/MiddleEast/Article.aspx?id=264235
http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-4210306,00.html
http://972mag.com/scores-injured-at-qalandia-in-land-day-protest/39640/
http://mondoweiss.net/2012/04/more-on-the-barghouti-attack-at-qalandiya-on-friday.html

(7)‍ ‍http://www.jpost.com/DiplomacyAndPolitics/Article.aspx?id=264195

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Quelle:
© 2012 by Elsa Rassbach
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
E-Mail: elsarassbach@gmail.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2012