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FRAGEN/010: Kenneth Kaunda, ein afrikanischer Humanist, der sich mit Gandhi verglich - Teil 2 (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Kenneth Kaunda, ein afrikanischer Humanist, der sich mit Gandhi verglich - Teil 2

Interview mit Amzat Boukari-Yabara von Olivier Flumian, 14.09.2021



Porträt - Unknown photographer, Public domain, via Wikimedia Commons

Kenneth Kaunda im Jahr 1983
Unknown photographer, Public domain, via Wikimedia Commons

Vor einigen Wochen verstarb der ehemalige Präsident von Sambia, Kenneth Kaunda. Obwohl er außerhalb der englischsprachigen Welt kaum bekannt ist, verdient er mehr als einen kurzen Absatz in den Geschichtsbüchern.

Kaunda war ursprünglich der Anführer der Bewegung, die der damaligen britischen Kolonie Nordrhodesien 1964 die Unabhängigkeit unter dem Namen Sambia brachte. Er wurde der erste Präsident und blieb es bis 1991.

Pressenza blickt auf den Werdegang dieser großen Persönlichkeit der Unabhängigkeitsgeneration zurück, die sich als Humanist verstand und deren Erfahrung, mit ihren Licht- und Schattenseiten, Anerkennung verdient. Wir haben den Historiker und panafrikanischen Aktivisten Amzat Boukari-Yabara interviewt, der die wichtigsten Momente dieser Lebensgeschichte wachruft.

Heute werfen wir einen Blick auf das politische Wirken des ersten sambischen Präsidenten.


Die Entwicklung des Bildungssystems wurde seinem Regime zugeschrieben. Welches waren die großen Meilensteine und die bedeutsamsten Fortschritte von Kaundas Regierung für sein Land?

Wenn Kaunda der Bildung den Vorrang einräumte, dann mit Blick darauf, daß er selbst einmal Lehrer war und die Notwendigkeit sah, das Land aus der strukturbedingten fachlichen Abhängigkeit vom Ausland zu lösen. Man kann keine Unabhängigkeit erlangen, wenn man nicht die Verantwortung für die Gesundheit, Sicherheit und die wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung der Menschen übernimmt. Er verurteilte das britische Kolonialsystem, das nur etwa hundert Hochschulabsolventen und um die zwölftausend Absolventen von Sekundarschulen hervorbrachte, und investierte in den Bau von Bildungseinrichtungen und die Ausweitung der Grund- und Sekundarschulbildung.

In seiner Regierungszeit baute er Schulen und auch Ausbildungszentren, um die regionale und soziale Ungleichheit beim Zugang zu Bildung zu beheben. Über die Bildungsinitiative hinaus rief Kaunda die werktätige Bevölkerung, insbesondere die Jugend, dazu auf, in die Landwirtschaft zu gehen, um Selbstversorgung zu erreichen und die Abhängigkeit vom Kupfer zu beenden. Eines der Projekte beinhaltete, Sambias Position als Binnenstaat in eine Stärke zu verwandeln, indem man versuchte, den landwirtschaftlichen Überschuss in Richtung der acht Nachbarländer (Angola, Botswana, DR Kongo, Malawi, Mosambik, Namibia, Tansania und Simbabwe) zu exportieren.


Trotz seines erklärten Humanismus gründete Kaunda schließlich ein Einparteiensystem. Wie lässt sich dieses Paradoxon erklären?

Die Einführung des Einparteiensystems, angekündigt im Jahre 1972 und im August 1973 in die Verfassung aufgenommen, kennzeichnet den Bruch mit dem britischen parlamentarischen System. Diese Maßnahme folgte auf das Verbot der vom ehemaligen Vizepräsidenten Simon Kapwepwe gegründeten Oppositionspartei. Die anschließenden Wahlen waren durch einen starken Rückgang der Wahlbeteiligung und die Abwahl dreier wichtiger Mitglieder der sambischen Regierung geprägt. Tatsächlich bedeutet Einparteiensystem nicht, dass es nur einen einzigen Kandidaten gibt, und das Prinzip der Einheitspartei beinhaltet die Präsentation mehrerer Kandidaten, die unterschiedliche Linien vertreten. Das Einparteiensystem zielt darauf ab, jeden Machtwechsel zu verhindern, der unangenehme Folgen für die Unterstützung der Anti-Apartheid Bewegung haben könnte. Wahrscheinlich befürchtete Kaunda, dass die demokratische Öffnung als Feigenblatt für tribalistische oder neokolonialistische Fliehkräfte dienen könnte.

Kaunda hat innenpolitisch tatsächlich eine Politik und Philosophie der Gewaltlosigkeit beibehalten, die alles in allem einzigartig geblieben ist. Die Aufrechterhaltung des Ausnahmezustandes erklärte er damit, dass Sambia von allen Seiten angegriffen werden könne und dass das Prinzip des Ausnahmezustands nicht darin bestehe, das Volk zu unterdrücken, sondern es zu schützen. Die Formulierung mag Anlass zum Schmunzeln geben, aber faktisch war Sambia ständig von Repressalien durch Südafrika und Rhodesien bedroht, die Embargos oder Blockaden verhängen und damit die Wirtschaft ersticken sowie die Infrastruktur des Landes korrodieren konnten.


Das unabhängige Sambia hat wichtige wirtschaftliche Umbrüche erlebt. Warum ist es der Wirtschaftspolitik der Regierung nicht gelungen, die Mehrheit der Sambier aus der Armut zu befreien?

Sambia liegt mitten im Herzen des Kupfergürtels (Copperbelt), der an die südlichen Provinzen der Demokratischen Republik Kongo (DRK) grenzt. Das Land verfügt über reiche Naturressourcen und Bodenschätze. Kupfer natürlich, von dem es einer der weltweit führenden Produzenten ist, aber auch Kobalt, Mangan, Uran, Gold und Diamanten. Sambia verfügt über ein Wasserkraft- und Energiepotenzial, insbesondere durch den Kariba-Staudamm, der ebenso die Industrialisierung wie eine Technisierung der Landwirtschaft sicherstellen sollte.

Angesichts der bevorstehenden Unabhängigkeit forderten die mächtigen Bergbauunternehmen jedoch eine Entschädigung. Kaunda war der Ansicht, dass die Kolonialbetriebe zu entschädigen eine Angelegenheit der britischen und nicht der neuen sambischen Regierung sei. Um den Landwirtschafts- und Bergbausektor zu verstaatlichen, handelte er mit den wichtigsten Konzernen (Anglo-American, Rhodesian Selection Trust, Shell, BP, Banken, Versicherungen usw.) die Mehrheitsübernahme durch den sambischen Staat aus, um sie für andere Wirtschaftsakteure zu öffnen. Kaunda führte in allen Bereichen des Landes eine Politik der "Sambianisierung" ein, sowie eine Steuerreform, die Exporte belastete und die Wirtschaft noch stärker von primären Rohstoffen abhängig machte.

Bis Anfang der 1970er Jahre ließ der Verkaufspreis für Kupfer erneute Investitionen in Infrastruktur, in Gesundheit und Bildung zu. Auch die sambische Bevölkerung musste ihren Beitrag zu den Lasten des Krieges leisten, was manchmal wirtschaftliche Entscheidungen umfasste, die mit den primären Interessen unvereinbar waren. So beging Sambia 1973 mit der Schließung der Grenze zu Südrhodesien aus politischen Gründen wirtschaftlichen Selbstmord, bevor es aus der Eröffnung der Eisenbahnlinie einen Nutzen zog, die ihm an der tansanischen Küste einen Absatzmarkt eröffnete.

Nach den Ölschocks - Sambia hat weder Erdölvorräte noch Gasreserven - fiel der Kupferpreis, was zu einer anhaltenden Inflation und schweren sozialen Krisen führte. Im Jahre 1978 unterzeichnete Sambia ein "Stabilisierungsprogramm" mit dem IWF, aber die Situation verschärfte sich. Der IWF übernahm kurzerhand die Kontrolle über die Wirtschaft des Landes und drängte Kaunda mit Hilfe von Auflagen eine Sparpolitik auf. Im Mai 1987 stoppte Kaunda das Strukturanpassungsprogramm und versuchte, das Land auf der Grundlage einer Politik des internen Wachstums, gestützt auf lokale Ressourcen, wieder in Schwung zu bringen.

Der ugandische Akademiker Yash Tandon, der in seinem Buch "Ending Aid Dependency" auch den Fall Sambia untersucht, stellt fest, dass Kaundas neues Programm zur Restauration der Wirtschaft aus "bedeutenden politischen Veränderungen wie Diversifizierung, Inflationskontrolle, Einschränkung des Außenhandels und Verringerung der Importabhängigkeit" bestand. Mit einem Anstieg der Landwirtschaft (21 %), des verarbeitenden Gewerbes (15 %) und des BIP (6,7 %, das Dreifache der Vorhersage) hat sich das Wagnis gelohnt, aber noch bevor das Land den Kopf über Wasser halten konnte, kamen die Gläubiger zurück und forderten die Rückzahlung der Schulden im Rahmen der Sonderziehungsrechte (SZR), für die 83 % der Einnahmen des Landes verwendet wurden.

Im Juli 1989 musste das Land unter die Aufsicht des IWF zurückkehren. Die mit dem Zusammenbruch des Sowjetblocks und dem Ende der Apartheid einhergehende Wirtschaftskrise zwang Kaunda zur Rückkehr zu einem Mehrparteiensystem. Kaunda musste darauf die Macht an Frederick Chiluba abtreten, einen Gewerkschaftsführer, der sie danach nicht mehr aus der Hand gab.


Wir wissen, dass er ein unerschütterlicher Anhänger der Anti-Apartheid-Bewegung war. Welche Kontakte unterhielt er im weiteren Sinne zur panafrikanischen Bewegung und ihren Ideen?

Die Unterstützung des Kampfs gegen die Apartheid aber auch gegen den portugiesischen Kolonialismus durch Kenneth Kaundas Sambia ist einfach nicht ausreichend bekannt. Die ANC-Partei hat von Lusaka aus gearbeitet, mit ihrem Rundfunk, ihren diplomatischen Vertretungen und militärischen Kontakten. Deshalb hatte Sambia zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit keine andere Wahl, als die südafrikanische Regierung anzuerkennen und sehr zeitig zu versuchen, die Befreiung von Nelson Mandela im Gegenzug für die Unterzeichnung eines Nichtangriffspakts zwischen den beiden Ländern auszuhandeln. Es ging auch darum, die jeweilige Sicherheit der sambischen Arbeiter in Südafrika und die der Südafrikaner in Sambia zu gewährleisten. Auf alle Fälle war Kaunda der erste Präsident, der von Nelson Mandela nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis besucht wurde. Mandela hätte ihm nicht vorgehalten, sich mit drei südafrikanischen Präsidenten getroffen zu haben, weil er den taktischen Sinn von Kaundas Diplomatie verstand. Er hat sich mit allen panafrikanischen und antiimperialistischen Führern von damals getroffen oder sie empfangen.

Während der Gründungskonferenz der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) in Addis Abeba im Mai 1963 hatte Kaunda erreicht, dass der Boykott Südafrikas auf andere rassistische und koloniale Regime ausgeweitet wurde. Als eine der Säulen der Panafrikanischen Freihandelsbewegung (PAFMECA) und der Gruppe der Frontlinienstaaten hatte er 1977-78 und 1987-88 den Vorsitz der OAU inne und trug mit seiner Gelassenheit und Geduld zur Mäßigung der Konflikte bei. Archivaufnahmen während eines OAU-Gipfels im Jahre 1987 zeigen, wie er mit großem Interesse der letzten Ansprache des burkinischen Präsidenten Thomas Sankara zuhört, der seine afrikanischen Amtskollegen dazu aufrief, die Zahlung der Schulden zu verweigern.

Kaundas politische und moralische Stärke lag in der Tatsache, dass er Einfluss und Unabhängigkeit Sambias mit friedlichen Mitteln errungen hat in einer Region, die von Befreiungskriegen heimgesucht wurde. Und dass er die Macht abgegeben hat, sicher, erst nach Ablauf von 27 Jahren, aber dabei die Einheit Sambias erhalten hat, eines Landes, das sich aus Völkern auch der benachbarten Territorien Simbabwe, Mosambik, Kongo oder Namibia zusammensetzt. Mit anderen Worten, Kaundas Philosophie und Amtsführung brachten nicht die radikalste oder spektakulärste Form des Panafrikanismus hervor, aber sie neutralisierten eine fürchterliche Waffe des Imperialismus, die darin bestand, zu teilen und zu herrschen.

Trotzdem ist ein maßgeblicher Widerspruch festzuhalten: der Beschluss 1968 die Unabhängigkeit des nigerianischen Gebietes Biafra anzuerkennen. Diesem Akt lag jedoch ein Motiv zugrunde, das dem General de Gaulles Frankreich diametral entgegen gesetzt war. Für Kaunda war Nigeria eine koloniale Föderation, die zerfallen musste, wie es bei der indischen, westindischen und zentralafrikanischen Föderation der Fall war. In der Folgezeit übte Kaunda regelmäßig Druck aus, die westlichen Wirtschaftsinteressen der Embargopolitik gegen Südafrika unterzuordnen.

Ein dritter und letzter Teil des Interviews folgt.


Die Übersetzung wurde von Doris Fischer vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt.


Link zum französischen Originalartikel:
Kenneth Kaunda, un humaniste africain qui se réclamait de Gandhi - partie II
17.08.21 - Olivier Flumian
https://www.pressenza.com/fr/2021/08/kenneth-kaunda-un-humaniste-africain-qui-se-reclamait-de-gandhi-partie-ii/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 5. Oktober 2021

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