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STANDPUNKT/361: Das Monster auf dem Hügel (Uri Avnery)


Das Monster auf dem Hügel

von Uri Avnery, 5.4.2014



ES GIBT nichts Besseres als jede Woche einen Skandal. Ein gepfefferter Skandal regt die Leute auf, beschäftigt die Medien, lässt uns Dinge wie Krieg und Frieden, Besatzung und Apartheid vergessen. Wie Brot und Spiele im alten Rom.

In dieser Woche hatten wir mehrere Skandale, die uns beschäftigten. Ehud Olmert, ein früherer Ministerpräsident, wurde verurteilt, weil er riesige Bestechungsgelder annahm, als er Bürgermeister von Jerusalem war. Er wurde für die Genehmigung eines monströsen Gebäudekomplexes auf dem höchsten Hügel West-Jerusalems bezahlt, der schon aus großer Entfernung sichtbar ist.

Als ob dies nicht schon genug wäre, Sylvan Shalom, ein Kabinettsminister mit einem halben Dutzend Funktionen, wurde einer Notzucht verdächtigt. Eine frühere Sekretärin erinnerte sich, dass er sie vor 15 Jahren in seinem Hotelzimmer angegriffen hatte.

Sich mit solch aufregenden Nachrichten zu beschäftigen, wer kann da noch Zeit und Energie haben, über die Krise bei den israelisch-palästinensischen Verhandlungen nachzudenken, die wirklich niemals richtig anfingen? Die Öffentlichkeit weiß gut genug, dass diese Verhandlungen eine Farce sind, in Bewegung gesetzt von der amerikanischen Regierung, die nicht den Schneid hat, gegen die Mietlinge der israelischen Regierung im Kongress aufzubegehren und Benjamin Netanjahu etwas aufzuzwingen.


FALLS SICH TATSÄCHLICH jemand irgendwelche Illusionen über amerikanische Politik gemacht hat, dann wären sie ihm in dieser Woche ausgetrieben worden.

Der Kasino-Mogul Sheldom Adelson organisierte eine öffentliche Vorstellung seiner Macht.

Er lud die vier wahrscheinlichsten republikanischen Kandidaten für die nächsten Präsidentenwahlen in sein Las Vegas Wett-Paradies ein, um einen auszuwählen. Alle Eingeladenen folgten natürlich der Einbestellung.

Es war eine beschämende Vorführung. Die Politiker krochen vor dem Casino-Herrn. Mächtige Gouverneure von bedeutenden Staaten taten ihr Bestes, um sich selbst wie Bewerber bei einem Jobinterview gut zu verkaufen. Jeder von ihnen versuchte, über den andern zu triumphieren und versprach dem Mogul, alle Bitten zu erfüllen.

Flankiert von israelischen Leibwächtern nahm Adelson die amerikanischen Hoffnungsvollen in die Zange. Und was verlangte er vom zukünftigen Präsidenten der USA? Als erstes und wichtigstes: blinden und bedingungslosen Gehorsam gegenüber einem anderen Staat: Israel.

Adelson ist einer der reichsten Juden in der Welt. Er ist auch ein Fanatiker vom rechten Flügel - nicht nur ein amerikanischer Rechter, sondern auch ein israelischer.

Während er jetzt den besten amerikanischen Präsidenten sucht, der für Geld zu haben ist, hat er seinen israelischen Handlanger schon erwählt. Er hat etwas in Israels Geschichte noch nie Dagewesenes getan: ein Instrument geschaffen, um mit ihm dem israelischen Volk seine ultra-rechten Ansichten aufzudrängen.

Zu diesem Zweck hat er riesige Geldsummen investiert und eine Tageszeitung nach seiner Vorstellung geschaffen. Sie wird "Israel heute" genannt und ist buchstäblich unbezahlbar: Sie wird kostenlos im ganzen Land verteilt.

Seine Leserschaft ist jetzt die Größte im ganzen Land, bedroht die Existenz der ehemaligen Nummer 1 "Yedioth Aharonot" und bringt gerade die nächste Zeitung um: "Maariv".

Der einzige Zweck von Adelsons Zeitung ist es, Benjamin Netanjahu zu dienen, persönlich und politisch, bedingungslos und offen. Dies ist eine solch unverhohlene Einmischung in Israels Politik durch einen ausländischen Milliardär, dass dies eine Reaktion auslöst: alle Knesset-Fraktionen, die Rechten wie die Linken (außer Likud, natürlich), haben eine Forderung unterzeichnet, um dieser Korrumpierung von Demokratie ein Ende zu setzen.


SELTSAMERWEISE wurde die zionistische Bewegung in einem Casino gegründet. So hieß die Halle in Basel in der Schweiz, in der der erste zionistische Kongress 1897 stattfand. Aber er hatte nichts mit Glücksspiel zu tun. Das Stadt-Casino war eben eine zentralgelegene Halle.

Später wurden Kasinos zu Glücksspiel-Orten und waren im Bewusstsein der Öffentlichkeit mit der Mafia verbunden. Heutzutage scheinen sie in den USA koscher zu sein, obwohl sie in Israel streng verboten sind.

Las Vegas ist jetzt zur Hauptstadt der amerikanischen Politik geworden. Alles was Adelson tut, tut er offen, stolz und schamlos. Ich frage mich, wie einfache Amerikaner auf dieses Spektakel eines Milliardärs - besonders eines Juden -, der den nächsten Präsidenten für sie wählt, reagieren.

Uns wird erzählt, dass Antisemitismus in Europa und in der ganzen Welt auf dem Vormarsch ist. In der verrückten geistigen Welt des Antisemitismus kontrollieren Juden den Kosmos. Und hier haben wir einen Juden, der gerade den Seiten der "Protokolle der Weisen von Zion" entsprungen zu sein scheint, denn er versucht, den Herrscher des mächtigsten Landes auf dem Planeten zu bestimmen.

Adelson hatte das letzte Mal keinen Erfolg. Das letzte Mal spendete er riesige Summen Geld für einen hoffnungslosen Kandidaten, und dann für den Republikaner, der bei der Nominierung gewonnen hatte und dann gründlich von Barack Obama vernichtet wurde. Aber keiner kann sicher sein, dass dies wieder geschehen wird. Für Adelson könnte es gut heißen: "Wenn Geld nicht wirkt, dann versuche es mit mehr Geld."


DAS EIGENTLICHE Problem ist, dass der amerikanische politische Prozess total korrupt ist. Man kann es nicht anders ausdrücken.

Um die Nominierung einer großen Partei zu bekommen und dann als Präsident gewählt zu werden, benötigt man enorme Summen Geld. Seitdem das größte Schlachtfeld das Fernsehen ist und Kandidaten dafür zahlen müssen, werden diese Summen immer größer.

Es ist schön zu denken, dass gewöhnliche Bürger mit ihren bescheidenen Beiträgen genügend Geld zusammenbringen können, doch das ist eine Illusion. Spenden in diesen Dimensionen können nur von den Reichen kommen, besonders von den sehr, sehr Reichen (Amerikaner mögen dieses enthüllende Wort nicht mehr und sprechen von den "Wohlhabenden". Aber das ist glatte Schönfärberei.)

Die sehr reichen wurden einmal Millionäre, dann Multi-Millionäre und jetzt Milliardäre genannt. Adelson ist ein Multi-Milliardär.

Ein Milliardär gibt für einen Präsidenten-Kandidaten ein Vermögen nicht umsonst aus. So wäre er nicht Milliardär an erster Stelle geworden. Wenn er erst mal seinen Mann gewählt bekommt, verlangt er Gegenleistungen.

Man hat mir erzählt, dass Adelson will, dass das Glücksspiel im Internet verboten wird, damit gewöhnliche, echte Kasinos florieren können. Aber ich habe keine Zweifel, dass ihm seine rechten zionistischen Leidenschaften wichtiger sind. Falls es ihm gelingt, seinen Mann ins Weiße Haus zu bringen, dann wird die USA der extremen Rechten in Israel total hörig sein. Er könne ebenso gut Netanjahu ins Ovale Office setzen. (Und warum nicht? Es benötigt nur eine kleine Änderung in der Verfassung. Wie viel mag das kosten?)

Das fände ich okay, wenn Adelson wirklich etwas vom israelisch-arabischen Konflikt verstünde. Das Problem ist, dass er nichts davon versteht. Mit der typischen Arroganz der sehr Reichen denkt er, dass er es wohl tut. Doch scheint es, dass er nicht die leiseste Ahnung von den Wurzeln des Konfliktes hat, von seiner Geschichte und der akuten Gefahr, die in unserer Zukunft lauert.

Falls Adelson unsere Zukunft diktieren könnte, würde es eine Katastrophe für unser Land bedeuten.


UNSER EIGENES politisches System ist nicht ganz so korrupt wie das amerikanische, aber es ist schlimm genug.

Israels Parteien, die an den Wahlen teilnehmen, bekommen, entsprechend ihrer Größe in der letzten Knesset, kostenlose TV-Sendezeiten. Ein Minimum an Sendezeit wird auch den neuen Parteien eingeräumt. Aber das ist viel zu wenig für eine Wahlkampagne.

Parteien dürfen nur eine bestimmte Spendensumme annehmen und auch nur eine bestimmte Summe ausgeben. Der Rechnungsprüfer übt strenge Kontrolle aus.

Und so kommen wir zurück zu Olmert.

Kein ehrgeiziger Politiker ist mit der genehmigten Geldmenge zufrieden. Viele von ihnen schauen sich nach Tricks um, um den Rechnungsprüfer zu umgehen. Manchmal erreichen sie die Grenzen der Legitimität, oft gehen sie drüber hinaus. Olmert selbst ist mehrfach in der Vergangenheit verdächtigt worden, illegales Geld zu verwenden; aber es gelang ihm immer wieder, davonzukommen.

In dieser Weise gegen das Gesetz zu verstoßen, ist ein strafbares Vergehen, aber in der Vergangenheit verurteilte die israelische Öffentlichkeit dies nicht all zu energisch. Die allgemeine Haltung war "Politiker sind eben Politiker."

Diese Haltung veränderte sich, als zum ersten Mal heraus kam, dass Politiker Bestechungen nicht zu Gunsten der Partei annahmen, sondern für sich selbst. Der erste große Skandal dieser Art - 1976 von meinem Magazin aufgedeckt - betraf Asher Yadlin, einen Führer der Labor-Partei, der gerade zum Direktor der Bank von Israel ernannt wurde. Es kam heraus, dass er die Bestechung für sich selbst statt für die Partei nahm. Er kam ins Gefängnis. Seitdem wurden viele solche Fälle aufgedeckt. Mehrere Minister sind ins Gefängnis geschickt worden. Einer hat seine Gefängnisstrafe schon abgesessen, ist zurück und spielt nun eine zentrale Rolle in der Knesset. Ariel Sharon und Avigdor Lieberman entkamen mit knapper Not der öffentlichen Anklage.

(Ich habe schon einmal die Geschichte über einen früheren Bildungsminister erzählt. Ein Kollege sagte zu ihm: "Gratuliere mir! Ich wurde freigesprochen!" Er antwortete ihm trocken: "Seltsam. Ich bin nie freigesprochen worden!")

Olmert ist der neueste Fall und er stellt alle anderen in den Schatten, weil er ein Ministerpräsident war. Das Land ist geschockt. Doch seine lange Karriere ist befleckt mit Anklagen, vor denen er von seinen Anwälten immer gerettet wurde. Als erstes nahm er Geld für seine Wahlkampagnen. Später nahm er Geld für sich selbst.


ES GIBT keinen Weg, um die Korruption des politischen Prozesses in den USA - und hier - zu verhindern, ohne das Wahlsystem völlig zu verändern. So lange so große Summen benötigt werden, um gewählt zu werden, wird die Korruption unangefochten herrschen.

Bis solch eine Reform stattfindet, werden die Adelsons und die Olmerts die Demokratie korrumpieren.

Und das Monster auf dem Hügel in Jerusalem wird als Warnung dort stehen.


Copyright 2014 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 05.04.2014
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2014