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STANDPUNKT/424: Kuba/USA - An der Schwelle zu einer neuen Ära? (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Januar 2015

Kuba/USA: An der Schwelle zu einer neuen Ära?

von Ricardo Alarcón*


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Der ehemalige kubanische Außenminister Ricardo Alarcón
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Havanna, 27. Januar (IPS) - Am 17. Dezember beendete Präsident Barack Obama mit der Freilassung der fünf kubanischen Antiterroristen [- die sogenannten 'Cuban Five' hatten Havanna in den 1990er Jahren über Anschlagspläne gewaltbereiter Exilkubaner in den USA informiert -] aus 16-jähriger US-Haft ein großes Unrecht und veränderte darüber hinaus den Lauf der Geschichte.

Indem Obama in ein und derselben Rede das Scheitern der US-amerikanischen Kuba-Politik einräumte, die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen und die Aufhebung aller Restriktionen ankündigte, die vollständige Aufhebung des Embargos vorschlug und eine neue Ära in den Beziehungen zu Kuba einläutete, sprengte er alle bisherigen Erwartungen und überraschte selbst die erfahrensten Analysten.

Die feindliche Politik, die erstmals Präsident Dwight D. Eisenhower (1953-1961), noch vor der Geburt des jetzigen Amtsinhabers, in die Tat umsetzte, wurde von den nachfolgenden republikanischen und demokratischen Regierungen nur geringfügig verändert und durch das Helms-Burton-Gesetz kodifiziert, das 1996 von Präsident Bill Clinton in geltendes Recht überführt wurde.

In den ersten Jahren wurde diese Politik mit großem Erfolg vorangetrieben. 1959, im Jahr des Sieges der Kubanischen Revolution, hatten die Vereinigten Staaten den Höhepunkt ihrer Macht erreicht und sich die Vormachtstellung in einem Großteil der Welt, vor allem in der westlichen Hemisphäre, gesichert. Dadurch konnten sie den Ausschluss Kubas aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erreichen. Der fast völlig isolierte Karibikstaat wurde nur noch von der Sowjetunion und deren Partnern im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Comecon) unterstützt, dem die Staaten des Warschauer Pakts angehörten.

Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus ließ viele Menschen darauf hoffen, dass das Ende der Kubanischen Revolution ebenfalls erreicht sei. Sie stellten sich auf eine lange Zeit der unipolaren Herrschaft ein. In ihrer Siegestrunkenheit erkannten sie nicht die tiefere Bedeutung der Geschehnisse. Das Ende des Kalten Krieges eröffnete neue Möglichkeiten für den gesellschaftlichen Kampf und konfrontierte den Kapitalismus mit Problemen, die sich als schwierig zu meistern herausstellten.

Der Fall der Berliner Mauer versperrte ihnen den Blick darauf, dass ein im Februar 1989 ausgebrochener sozialer Aufstand in Venezuela, der unter dem Namen 'Caracazo' bekannt wurde, ein Zeichen für den Beginn eines neuen Zeitalters in Lateinamerika war.

Kuba gelang es auch nach dem Wegbrechen seiner langjährigen Verbündeten zu überleben und entscheidenden Einfluss auf die tiefgreifende Transformation der Region zu nehmen. Seit Jahren steht nun fest, dass die auf eine Isolation Kubas ausgerichtete US-Politik ein Fehlschlag war und am Ende die Vereinigten Staaten selbst isolierte, wie Außenminister John Kerry inzwischen eingeräumt hat.

Ein neues Verhältnis zu Kuba ist wichtig für die US-Regierung, die gefordert ist, ihre Beziehungen zu einer Region wiederherzustellen, die nicht mehr Hinterhof der USA ist. Die Wiederherstellung der Beziehungen ist derzeit von fundamentaler Bedeutung, da sich die USA trotz ihrer Macht nicht mehr in einer komfortablen Führungsposition befinden und die alten Zeiten nie wiederkehren werden.

Bis zu einem neuen US-kubanischen Verhältnis ist es noch ein langer Weg. Zuallererst ist es notwendig, das Wirtschafts-, Handels- und Finanzembargo vollständig aufzuheben. Dies wird nun mit frischem Elan von weiten Teilen der US-Unternehmerschaft gefordert.

Eine Normalisierung der Beziehungen würde voraussetzen, dass die USA lernen, mit dem Andersartigen zu leben und von alten Herrschaftsträumen abzulassen. Dass sie die Souveränität eines Staates und damit ein grundlegendes Prinzip der Charta der Vereinten Nationen anerkennen. Wie die Geschichte zeigt, hat diese Charta den Mächtigen nicht immer gefallen.

Was die Freilassung der fünf Kubaner betrifft, so sollte man sich daran erinnern, dass alle US-Präsidenten ausnahmslos von den Befugnissen Gebrauch gemacht haben, die ihnen Artikel 2, Absatz 2, Klausel 2 der US-Verfassung zugesteht. Seit mehr als zwei Jahrhunderten haben die US-Präsidenten die unbeschränkte Macht, denjenigen, die Verbrechen gegen die USA begehen, Strafaufschub und Gnade zu gewähren.

Im Fall der 'Cuban Five' gab es weitreichende Gründe für eine Begnadigung durch die Exekutive. 2005 hatte ein mit drei Richtern des US-Berufungsgerichts besetzter Ausschuss das Urteil mit dem Argument aufgehoben, es sei aufgrund von "Vorurteilen und Feindseligkeiten" zustande gekommen. Ein neues Verfahren wurde angeordnet.

2009 erklärte dasselbe Gericht die Urteile gegen drei der fünf Kubaner für ungültig, da nicht bewiesen werden konnte, dass sie Militärgeheimnisse ausspioniert oder weitergegeben hatten. Zudem seien sie keine Gefahr für die nationale Sicherheit gewesen. Beide Entscheidungen fielen einstimmig.

Diejenigen, die Gerardo Hernández Nordelo zudem der 'Verabredung zum Mord' beschuldigt hatten, mussten einräumen, dass sich der Vorwurf nicht beweisen ließ. Während der Regierungszeit von Präsident George W. Bush wollten Staatsanwälte im Mai 2001 sogar erreichen, dass die Anklage fallen gelassen wurde.

Hernández musste fünf Jahre lang auf eine Antwort auf seine zahlreichen Petitionen warten, mit denen er bei dem Gericht in Miami seine Haftentlassung, eine Prüfung seines Falls und eine öffentliche Stellungnahme der Regierung zu der staatlich finanzierten massiven Medienkampagne gegen ihn durchsetzen wollte.

Das Gericht hat darauf niemals reagiert. Auch die großen Mainstreammedien äußerten sich nicht zu der unüblichen Paralyse des Justizsystems. Es war offensichtlich, dass es sich um einen politisch motivierten Fall handelte, der nur durch eine politische Entscheidung gelöst werden könnte. Und eine solche Entscheidung konnte nur der Präsident treffen.

Obama bewies Weisheit und Entschlossenheit, als er die Gefangenen nicht nur freiließ, sondern auch das zugrundeliegende Problem anging. Klug war, beides zeitgleich zu tun. (Ende/IPS/ck/2015)


* Ricardo Alarcón war von 1992 bis 1993 Außenminister und von 1993 bis 2013 Vorsitzender der Nationalversammlung Kubas.


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/01/cuba-and-the-united-states-a-new-era/
http://www.ipsnoticias.net/2015/01/cuba-y-estados-unidos-una-nueva-era/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2015


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