Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STANDPUNKT/460: Der 7. Juni - Tag der Machtergreifung in der Türkei? (Nützliche Nachrichten)


Nützliche Nachrichten 4-5/2015
Dialog-Kreis

Der Kommentar
Der 7. Juni - Tag der Machtergreifung?

Von Andreas Buro


Am 7. Juni wird in der Türkei die Große Nationalversammlung, das Parlament, neu gewählt. Dabei geht es nicht um dies oder das, sondern um das große Ziel des Präsidenten Erdogan, der Türkei eine Verfassung geben zu können, nach der alle Macht beim Präsidenten, also bei ihm, Erdogan, angesiedelt sein wird. Bisher hatte der Präsident mehr oder weniger nur repräsentative Aufgaben und die Regierung und ihr Ministerpräsident bestimmten die Richtlinien der Politik. Um diesen Macht- und Strukturwechsel zu erreichen, benötigt die Regierungspartei AKP eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die ist nicht leicht zu erreichen, zumal der jetzige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und seine Regierung Erdogans Zielsetzung nur halbherzig unterstützen. Erdogan würde im Falle eines Sieges die Ergebensten der Ergebensten um sich scharen. Die Mannschaft der jetzigen Regierung würde nach einem solchen Wechsel kaum mehr benötigt. Die AKP ist so innerlich gespalten, aber tritt nicht getrennt in den Wahlen in Erscheinung.

Die Kurden spielen für den Ausgang der Wahlen eine entscheidende Rolle. Sie haben sich mit ihrer Partei HDP kühn und gleichzeitig höchst risikoreich vorgewagt. Sie wollen diesmal als Partei kandidieren. Das bedeutet für sie, sie müssen die 10-prozentige-Hürde überspringen. Gelingt dieses nicht, verfallen ihre gesamten Stimmen. Das würde das Wahlergebnis zugunsten der AKP wesentlich verbessern. Rechnet die HDP auf Stimmen aus dem Umfeld der Gezi-Protestler und linker Splittergruppen? Rechnen sie etwa mit einer Unterstützung aus der EU und aus Deutschland? Dafür ein Beispiel: Der Dialogkreis hatte an die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses des Bundestag die ausführlich begründete Bitte gerichtet, die PKK und ihr Umfeld in Deutschland von der Liste der Terrororganisationen zu streichen. Die CSU antwortete ablehnend und außer den Grünen meldete sich niemand. Ihr außenpolitischer Sprecher Omid Nouripour zeigte sich dialogbereit. Er schrieb u.a.:

"Ein intensiver Dialog muss die offenen Fragen, die Grundlage des PKK Verbotes sind, thematisieren. Dazu gehört u.a. die Unabhängigkeit hiesiger Strukturen von der PKK in der Türkei, die Verbindlichkeit der friedlichen Streitbeilegung im türkisch-kurdischen Friedensprozess, Aufklärung der Vorwürfeder schweren Menschenrechtsverletzungen in den von der PYD regierten Gebieten."

Offensichtlich ist von den deutschen Parteien keine friedenspolitische Unterstützung zu erwarten. Da nützen auch keine hochrangigen Entschuldigungen für kurdische Krawalle in den 90er Jahren.

Öcalan betont den friedenspolitischen Kurs der PKK. Er schlägt ihr vor, einen Kongress abzuhalten, auf dem die Niederlegung derWaffen beschlossen werden soll. Doch kommt das nicht alles viel zu spät?

Ich wage die Prognose, kurz vor den Wahlen kommt es zu einem spektakulären gewaltsamen Zwischenfall, der der PKK angelastet wird. Die Zeit vor dem Urnengang wird zu kurz sein, um den Vorfall aufzuklären, die Medien liefern Breitseite auf Breitseite. Potentielle Wähler der HDP gehen nicht zur Wahl oder wenden sich anderen Parteien zu. Sollte man nicht präventiv eine solche Möglichkeit in aller Öffentlichkeit diskutieren?

*

Quelle:
Nützliche Nachrichten 4-5/2015
Dialog-Kreis
Redaktion: Andreas Buro, Memo Sahin, Luise Schatz und Mani Stenner
Postfach 90 31 70, 51124 Köln
Telefon: 02203-126 76, Fax: 02203-126 77
E-Mail: dialogkreis@t-online.de
Internet: www.dialogkreis.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang