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STANDPUNKT/495: Entwicklung - Die Chance unbedingt nutzen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. September 2015

Entwicklung: Die Chance unbedingt nutzen

von José Graziano da Silva*


Bild: © Alessandra Benedetti/FAO

José Graziano da Silva
Bild: © Alessandra Benedetti/FAO

ROM (IPS) - Die nächsten 15 Jahre werden über die Zukunft unseres Planeten entscheiden. In dieser Zeitspanne - inmitten des tiefgreifenden Transformationsprozesses der Weltwirtschaft - werden wir uns mit einigen der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts konfrontiert sehen.

Die Überwindung von Hunger und extremer Armut gehört dazu. Heute haben fast 800 Millionen Menschen nicht ausreichend zu essen. Dabei wird genug produziert, um alle satt zu bekommen. Wir brauchen unbedingt Lösungen für die strukturellen Schwächen, die den Hungernden den Zugang zu Nahrung verwehren.

Anders ausgedrückt: Soziale Inklusion muss zur tragenden Säule von Entwicklung werden. Solange wir nicht Entscheidungen treffen, die von Nachhaltigkeitsprinzipien geleitet werden, bringen wir keine soziale Inklusion zustande.

Wir sind die erste Generation, die den Hunger besiegen und für universelle Ernährungssicherheit sorgen könnte. Und vielleicht sind wir die letzte Generation, die irreparable Schäden durch den Klimawandel überhaupt noch abwenden kann.

Das Abkommen, das wir brauchen, damit wir die richtige Richtung einschlagen können, erfordert einen bislang nie dagewesenen politischen Willen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wird in diesen Tagen getan, wenn die internationale Gemeinschaft mit einer Nachhaltigkeitsagenda die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) beschließt, die dafür sorgen sollen, dass es der Welt in den kommenden 15 Jahren besser geht.

Der neue globale Pakt für die Zukunft sieht auch die Beseitigung von Armut und Hunger bis 2030, Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen und nachhaltigere Wege vor, damit das Angebot die Nachfrage decken kann.

Die Entscheidungen, die wir als Verbraucher treffen, sind inzwischen genauso wichtig für unsere Zukunft wie die Entscheidungen der Produzenten.

Zu den mit Nahrungsmitteln chronisch unterversorgten 800 Millionen kommen weitere zwei Milliarden Menschen hinzu, die mangelernährt sind, und 500 Millionen, die unter Fettleibigkeit leiden. Gerade in den Ländern mittlerer und hoher Einkommen nimmt die Fettleibigkeit zu.

Paradoxerweise geschieht dies alles in einer Welt, in der fast ein Drittel der produzierten Nahrungsmittel verloren geht oder verschwendet wird, was den Druck auf die Produktion weiter erhöht.

Die Welt, die durch die Umsetzung der SDGs erreicht werden soll, ist kein Wunschtraum, keine Utopie: Wir können es schaffen.

Das Problem ist Teil der Lösung. Da Wohlstand und Gerechtigkeit immer weiter auseinanderdriften, hängt unser Überleben mehr und mehr von der unabdingbaren Zusammenarbeit ab.

Entweder schaffen wir eine Zukunft für alle, oder aber niemand wird eine annehmbare Zukunft erleben. Das zeigt schon der Exodus der vielen verzweifelten Flüchtlinge, die auf der Suche nach einem besseren Leben die gefährliche Reise auf dem See- oder Wasserweg antreten.

Mehr als 70 Prozent der globalen Ernährungsunsicherheit trifft die ländlichen Gebiete in den armen und in den Entwicklungsländern. Eine Lösung könnte die Anerkennung und Unterstützung der kleinbäuerlichen Familienlandwirtschaft sein, um das Null-Hunger-Ziel in nachhaltiger Weise zu erreichen. Damit dies gelingt, brauchen wir öffentliche Maßnahmen für den Kapazitätenaufbau, die Förderung der Produktion und den Zugang zu Krediten und Dienstleistungen. Darüber hinaus gilt es die internationale Zusammenarbeit zu verstärken.

Um Hunger und Armut auszurotten, müssen wir endlich anfangen, uns mit den Ursachen von Notlagen beschäftigen. Unser Versagen käme uns teuer zu stehen: Weitermachen wie bisher bedeutet nämlich, dass 2030 noch immer 650 Millionen Menschen hungern.

Wir haben hochgerechnet, dass es zur Bekämpfung des Hungers bis 2030 Investitionen in soziale Schutzmaßnahmen und die landwirtschaftliche/ländliche Entwicklung in Höhe von 267 Milliarden US-Dollar bedarf. Das bedeutet, dass wir für jeden Menschen, der hungert, jedes Jahr 160 Dollar aufbringen müssten.

Das ist mehr oder weniger das, was wir für ein Mobiltelefon bezahlen. Diesen relativ kleinen Betrag müssten wir zahlen, wollen wir die Welt noch zu Lebzeiten von der Geißel des Hungers befreien. (Ende/IPS/kb/25.09.2015)


* José Graziano da Silva ist Generaldirektor der Weltagrarorganisation FAO


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/09/opinion-fifteen-years-and-forever/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2015

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