Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STANDPUNKT/562: Nur ein Trick (Uri Avnery)


Nur ein Trick

von Uri Avnery, 11. Juni 2016


VOM DAMALIGEN schwedischen Botschafter in Paris hörte ich einmal die folgende Geschichte:

"1977, als die UN den Plan zur Teilung Palästinas diskutierte, war ich ein Mitglied des Unterkomitees, das sich mit Jerusalem befasste. Eines Tages sandten die Juden einen neuen Vertreter. Sein Name war Abba Eban. Er sprach ein schönes Englisch, ein viel besseres als die britischen und US-amerikanischen Mitglieder des Komitees. Er sprach über eine halbe Stunde und am Ende gab es keine Person mehr im Saal, die ihn nicht abgrundtief hasste."

Ich erinnerte mich an diese Episode, als ich im Fernsehen die Pressekonferenz von Dore Gold, dem General-Direktor unsres Außenministeriums, sah. Es ging darin um die neue Pariser Friedenskonferenz, die von unserer Regierung heftig verurteilt wurde.

Von dem Augenblick an, als ich Gold zum ersten Mal sah, war er mir unsympathisch. Er war damals unser neuer Gesandter bei der UN. Ich sagte mir, dass meine Haltung ihm gegenüber eine unwürdige Zurückweisung ausländischer Juden ("Exiljuden" im israelischen Slang) sei. Gold spricht hebräisch mit einem sehr starken amerikanischen Akzent und ist nicht gerade ein Apoll. Ich hätte einen aufrechten, israelisch aussehenden Pioniertyp bevorzugt, der englisch mit einem ausgesprochenen hebräischen Akzent spricht. (Ich weiß, dies klingt rassistisch und ich schäme mich gründlich dafür.)


IN GOLDS PRESSEKONFERENZ ging es um die französische Friedensinitiative zum israelisch-palästinensischen Konflikt.

Ich habe den heimlichen Verdacht, dass es in Wirklichkeit keine französische, sondern eine getarnte amerikanische Initiative ist.

Sie erregt den Zorn der israelischen Regierung und kein amerikanischer Präsident, der will, dass er oder seine Partei wiedergewählt wird, kann es wagen, den Zorn der israelischen Regierung zu erregen.

Im Weißen Haus herrscht schreckliche Angst davor, unsere Regierung in Wut zu versetzen. Barack Obama hasst Netanjahu - aus gutem Grund. Er kann nichts offen gegen ihn tun - nicht bis Mitternacht des Wahltages. Ganz gleich, ob Hillary Clinton oder (um Himmels Willen) Donald Trump gewählt wird - Obama bleibt noch fast drei Monate im Amt. Und in dieser Zeit ist er frei wie ein Vogel. Er kann tun, was ihm gefällt. Alles, wovon er acht lange Jahre Tag und Nacht geträumt hat. Und der, von dem er geträumt hat, war Benjamin Netanjahu.

Rache ist süß. Aber erst im November. Bis dahin hat er nach Netanjahus Pfeife zu tanzen, wenn er der Kandidatin der Demokraten nicht schaden will.

Was kann er also im Juni tun? Er kann die Aufgabe an andere weiterleiten. Zum Beispiel, die Franzosen bitten, eine Friedenskonferenz einzuberufen, um den Weg zur Anerkennung des Staates Palästina zu bereiten.

Die Franzosen darum zu bitten, in Paris eine hochrangige Konferenz abzuhalten, wäre so, als würde man eine Katze fragen, ob sie Milch möchte. Man muss nicht lange auf eine Antwort warten.

Frankreich trauert wie Großbritannien um seine imperiale Vergangenheit, als Paris das Zentrum der Welt war und gebildete Deutsche und Russen, von Ägyptern und Vietnamesen ganz zu schweigen, französisch sprachen. Die Pässe vieler Nationen waren in dieser Sprache gedruckt.

Das war die Zeit, als in den Atlanten fast die Hälfte der Welt das französische Blau trug, während die andere Hälfte in britischem Rot erschien. Die Zeit, als der französische Diplomat Georges Picot und sein britischer Kollege Mark Sykes den osmanischen Nahen Osten unter sich aufteilten. Diese Woche ist es genau hundert Jahre her.

Die Außenminister (ganz zu schweigen von Königen und Präsidenten) der Welt in einem der vielen schönen Paläste von Paris zu versammeln, ist ein französischer Traum. Die Briten sind etwa in derselben Situation, würden dasselbe tun, sind aber zu sehr damit beschäftigt, mit infantilem Drang die Europäische Union zu verlassen.

Wie auch immer, haben wir jetzt diese französische Initiative, eine glänzende Versammlung von Außenministern oder ihren Vertreter, die die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen in einem begrenzten Zeitrahmen verlangen, mit dem erklärten Ziel, den palästinensischen Staat anzuerkennen.


NETANJAHU LIEBT Frankreich. Er liebt es, sich dort mit seiner Frau an der französischen Riviera zu amüsieren, in den teuersten Pariser Restaurants zu speisen und in luxuriösen Pariser Wohnungen zu leben - so lang es andere bezahlen. Das kam letzte Woche in einem Prozess gegen einen französischen Juden ans Licht, der des Betrugs in Höhe von Hunderten von Millionen Euros beschuldigt wird, und der einige von Netanjahus Reisen bezahlt hat. Netanjahu denkt gar nicht daran, für sein Vergnügen selbst zu bezahlen und er besitzt wie die englische Königin auch keine Kreditkarte.

Sich an französischem Luxus zu erfreuen, ist eine Sache, sich für französische Diplomatie zu begeistern, jedoch eine andere. Im Moment widmet Netanjahu seine Zeit, wenn er nicht gerade mit seinen Rechtsanwälten beschäftigt ist, der Vereitelung der französischen Initiative.

Warum, um Gottes willen? Was ist so schlimm an der Versammlung der höchsten Staatsmänner und -frauen der Welt, die den israelisch-palästinensischen Friedensprozess neu in Gang setzen wollen? Praktisch alles!

Dieser Friedensprozess ist wie ein schlafender Hund. Ein gefährlicher Hund. So lange er schläft, kann Netanjahu sich alles erlauben - die Besatzung palästinensischen Gebiete verschärfen, die Siedlungen erweitern (Still, damit der Hund nicht aufwacht!) all die hundert täglichen Verrichtungen, die die Besatzung "unumkehrbar" machen. Und da kommen die Franzosen und versetzen dem Hund einen Stoß in die Rippen.

Na und?, mögen die Leute fragen. Es gab vorher auch schon Konferenzen, Friedensprozesse in Hülle und Fülle, internationale Resolutionen. Wenn also eine weitere große Konferenz einberufen wird und Einzelheiten einer Friedensvereinbarung diskutiert werden, wird Israel eben nicht daran teilnehmen und Netanjahu wird das Ganze ignorieren. Wie viele Male ist dies schon vorher geschehen? Es verursacht höchstens ein gelangweiltes Gähnen.


ABER DIESES Mal könnte es anders sein. Nicht für sich genommen, aber wegen der internationalen Atmosphäre.

Langsam, sehr langsam verfinstert sich Israels internationaler Horizont. Kleine Dinge geschehen jeden Tag in aller Welt. Eine Resolution hier, ein Boykott dort, eine Erklärung, eine Demonstration. Das Israel, das von aller Welt bewundert wurde, ist schon lange verschwunden.

Die BDS-Bewegung ist enorm erfolgreich. Sie schadet der israelische Wirtschaft zwar nicht wirklich, aber sie schafft eine Stimmung. Zuerst auf den Universitätsgeländen und dann um sie herum. Jüdische Institutionen senden SOS-Signale aus.

Inzwischen sind selbst die jüdischen Institutionen infiziert. Die täglichen Nachrichten über das, was in den besetzten Gebieten und selbst im eigentlichen Israel geschieht, verletzen Juden, und besonders junge Juden. Viele von ihnen kehren Israel den Rücken, andere engagieren sich sogar aktiv gegen Israel.

Dies ist ein starkes Land. Es hat ein sehr großes Militär, die modernsten Waffen, eine gesunde Wirtschaft (besonders auf dem Gebiet von Hightech) und es hat häufig diplomatische Erfolge.

Dies ist kein zweites Südafrika, wie die BDS-Leute es gerne sehen würden. Da gibt es große Unterschiede. Das Apartheid-Regime wurde von Nazi-Sympathisanten geführt, während Israel noch immer auf der von der Holocaust-Ära ausgelösten weltweiten Buß- und Reue-Welle reitet. Südafrika hing von seinen rebellischen schwarzen Arbeitskräften ab, Israel importiert ausländische Arbeiter aus vielen Ländern.

Israel hängt nicht wirklich von der finanziellen Unterstützung Amerikas ab. Diese Unterstützung ist ein Luxus, nicht mehr. Es bedarf des US-Vetos gegen die feindlichen Vorschläge in den UN, aber es kann die UN im Allgemeinen durchaus ignorieren und tut das auch.

Doch alles in allem: Israels sich verschlechterndes internationales Ansehen ist beunruhigend. Selbst Netanjahu macht sich Sorgen. Langsam, aber sicher akzeptiert die Welt den Staat Palästina als Tatsache des Lebens, als eine Bedingung für Frieden.

Netanjahu schaut sich nach einem neuen Trick um. Und was findet er? Ägypten.


ISRAELS BEZIEHUNGEN zu Ägypten reichen ein paar tausend Jahre in die Vergangenheit zurück. Ägypten war schon eine Regionalmacht, als das israelitische Volk entstand. Nach dem Auszug aus Ägypten (der sich niemals wirklich zugetragen hat), gab es, wie die Bibel uns erzählt, viel Auf und Ab in den Beziehungen zwischen dem mächtigen Ägypten und dem kleinen Israel.

Als die Assyrer Jerusalem belagerten und die Judäer auf die Hilfe der Ägypter warteten, spottete ein assyrischer General: "Verlässest du dich auf den zerbrochenen Rohrstab Ägypten, welcher, so jemand sich darauf lehnt, geht er ihm in die Hand und durchbohrt sie?" (Jesaja 36,6 und 2. Könige 18,21)

Nun ist der gegenwärtige Pharao, Abd al-Fattah a-Sisi, Netanjahus große Hoffnung. Ägypten, bankrott wie immer, hängt von den Saudis ab. Die Saudis hängen (im Geheimen) von den Israelis und ihrem Kampf gegen den Iran und Bashar Assad ab. Daher ist a-Sisi auch ein (heimlicher) Verbündeter Israels.

Um sich aufzuplustern, posiert a-Sisi auch als Friedensstifter. Er ruft zu einer "regionalen" Friedensinitiative auf.

In seiner Schmährede gegen die Franzosen lobte Dore Gold die ägyptische Friedensinitiative. Er beschuldigte die Franzosen, diese zu sabotieren und damit den Frieden zu verhindern.

Auch Netanjahu akzeptierte - jedenfalls mit Worten - die ägyptische Initiative und fügte hinzu, es seien nur "ein paar Änderungen" notwendig.

Das ist tatsächlich der Fall. A-Sisis Plan gründet sich auf die saudische Friedensinitiative von 2002, die von der Arabischen Liga übernommen wurde. Darin wird gefordert, dass Israel die besetzten Gebiete (einschließend der Golanhöhen und Ostjerusalem) räumt und den Staat Palästina sowie das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr akzeptiert. Netanjahu würde lieber tausend Tode sterben, bevor er irgendetwas davon akzeptiert.

Den ägyptischen Plan als Vorwand für die Zurückweisung des französischen Plans zu benutzen, ist die reine Chuzpe. Sie gründet sich auf die zynische Annahme, dass man tatsächlich die ganze Welt jederzeit täuschen könnte.

"Regional" ist übrigens das neue Schlagwort. Es kam vor einiger Zeit auf und selbst einige wohlmeinende Israelis haben es übernommen. "Regionaler Frieden", wie schön.

Statt dass wir mit den verhassten Palästinensern über Frieden reden, lasst uns über Frieden mit der "Region" reden. Klingt gut. Ist aber völliger Unsinn.

Kein arabischer Führer von Marokko bis zum Irak wird eine Friedensvereinbarung mit Israel unterschreiben, die nicht das Ende der Besatzung und die Schaffung eines palästinensischen Staates einschließt. Keiner von ihnen kann das. Sein Volk wird das nicht zulassen. Selbst Anwar al-Sadat nahm diese Bestimmungen in seinen Friedensvertrag mit Menachem Begin auf (allerdings in Formulierungen, die leicht zu unterwandern waren).

Als meine Freunde und ich 1949 zum ersten Mal die Lösung vorbrachten, die unter dem Namen "Zwei Staaten für zwei Völker" bekannt wurde, schloss sie selbstverständlich den Frieden mit der ganzen arabischen Welt mit ein. Und zum Frieden mit der arabischen Welt gehört selbstverständlich auch Frieden mit dem Staat Palästina. Diese beiden hängen zusammen wie Siamesische Zwillinge.

Wenn wir jetzt von einem "regionalen Frieden" als einer Alternative für Frieden mit den Palästinensern sprechen, so ist das Unsinn. "Regionaler Frieden" meint nicht Frieden.

Anderntags schrieb Gideon Levy in Haaretz, dass Netanyahu und Avigdor Lieberman "jetzt so reden wie Uri Avnery im Jahre 1969".

Sehr schmeichelhaft. Aber leider ist dies nur ein Trick.



Copyright 2016 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

*

Quelle:
Uri Avnery, 11.06.2016
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang