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STANDPUNKT/607: Oh mein Gott, Trump! (Uri Avnery)


Oh mein Gott, Trump!

von Uri Avnery, 12. November 2016


PRÄSIDENT TRUMP. Ich stehe noch immer unter Schock. Besser, ich gewöhne mich daran.

Dies war nicht nur eine weitere US-Wahl. In meinem Leben habe ich schon viele erlebt. Die Ergebnisse einiger gefielen mir, die anderer nicht.

Aber diese hier ist ganz anders. Sie ist ein Erdbeben, das die Oberfläche des Planeten verändert.

Wie ist das geschehen? Warum? Und warum kam es so völlig unerwartet?


ES KAM deshalb unerwartet, weil die Meinungsumfragen so abgöttisch verehrt wurden.

Wie ich letzte Woche schrieb, bevor dies geschah, erinnern mich diese Umfragen an die römische Art und Weise, die Zukunft aus den Eingeweiden zu lesen und an die modernere Kunst der Astrologen.

So weit, wie ich mich erinnern kann, sind die Umfragen immer falsch gewesen. Von Zeit zu Zeit war eine Umfrage korrekt, so wie eine kaputte Uhr zweimal am Tag richtig geht. Eine solche Umfrage wurde dann gefeiert, bis zum nächsten Mal, wenn sie wieder falsch war, wie alle andern.

Dies trifft für Israel wie für die USA und überall sonst zu.

Werden sich die Medien bei der nächsten Wahl wieder den Umfragen zuwenden? Sicherlich. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Die Umfragen sorgen für Einschaltquoten. Sie schaffen Spannung. Statt nur langweilige und sich wiederholende Wahlreden zu bringen, schaffen sie Aufregung. Ihre Aufs und Abs füllen Druck- und Sende-Lücken.

Kurz gesagt, Umfragen werden von den Medien für die Medien geschaffen. Sie bedeuten nichts. Wenn die wirklichen Ergebnisse bekannt werden, werden die Umfrageergebnisse bis zum nächsten Mal vergessen, bis die Umfragen wieder beginnen, als sei nichts geschehen.

Was ist daran falsch? Nun, fast jeder belügt die Meinungsforscher. Für einen Wähler war es erniedrigend zuzugeben, dass er für die absurde Wahl des vulgären Mobs, für Trump, stimmen werde und nicht für die auserlesene Kandidatin der Elite.

Um wirklich stichhaltige Ergebnisse zu bekommen, muss ein Meinungsforscher wenigstens eine Stunde mit jedem Befragten verbringen und ihm umfassend Fragen über verschiedene Probleme stellen, wie Arbeit, Waffen, Elite und Ähnliches. Und selbst dann kann man nicht sicher sein.

Ich schreibe dies nicht in der Hoffnung, dass beim nächsten Mal die Leute lachen werden, wenn sie die Abstimmungen sehen. Wie könnten sie ohne Umfragen denken, sie wüssten, wer gewinnen wird?


WIR WISSEN wirklich nicht, wer Trump ist und was er während der nächsten vier Jahre tun wird. Wir kennen nur den Trump der Wahlkampagne: eine garstige Person, einen Größenwahnsinnigen, einen Lügner, einen Dummkopf. Man sollte noch Erz-Faschist hinzufügen.

Am Vorabend der letzten freien Wahlen im Vor-Hitler-Deutschland schrieb Joseph Goebbels, der Vordenker der modernen Propaganda, in sein Tagebuch: "Wir müssen immer wieder an die niedrigsten Instinkte der Massen appellieren."

Dies könnte gut das Motto aller faschistischen Bewegungen in der Welt sein. Dies war sicherlich auch Donald Trumps Motto während seiner Wahlkampagne.

Die niedrigsten Instinkte der Massen führen sie dahin, die Ausländer, die Mitglieder von Minderheiten, sexuell Andersartige und vor allem alle "Eliten", die gewöhnlich in den Hauptstädten des Landes leben, zu hassen. Diese Instinkte führen sie dahin, an Verschwörungstheorien zu glauben - je wilder umso besser. Sie führen sie dahin, zu glauben, dass dunkle Mächte am Werk sind, die unser geliebtes Land untergraben und unseren heldenhaften Soldaten Dolche in den Rücken stoßen.

In jedem Land gibt es Leute, die inbrünstig an diese Art von Unsinn glauben. Die ihrem Führer vertrauen. Der ihre Feinde hasst. Der ihr Land wieder groß machen will. Deutschland erwache!

In "normalen" Zeiten vegetieren diese Elemente an den Rändern. Ihre Stimmen werden kaum in den Medien und im Parlament gehört. Aber manchmal taucht der Abschaum an die Oberfläche. Das ist es, was jetzt in den USA geschah.

Warum? Warum jetzt?


EINIGE WÜRDEN sagen: wegen der einzigartigen Persönlichkeit des Donald Trump. Die einzigartige Mischung aus Größenwahn, Zurschaustellung und Massenattraktivität. Das ist richtig, aber es ist nicht genug, um dieses Phänomen zu erklären.

Trumps gibt es zu jeder Zeit und überall. Sie kommen und gehen. Warum dieser Trump? Was macht diesen Trump so besonders?

Anfangs erregte er Hohn und Spott - ähnlich wie andere Demagogen, die jahrelang als politische Clowns betrachtet wurden, bevor sie unsägliches Unglück verursachten. Es gab in dieser Woche keinen Hohn mehr, als der vernünftige Teil Amerikas vor Angst fast umgekommen wäre. Der Clown könnte ein Monster werden.

Warum? Warum jetzt?


DIE VOLKSBEWEGUNG, die rund um Trump entstand, erinnert an den Ausbruch eines Vulkans. Er kam aus der Tiefe der Erde. Dies ist nicht nur eine politische Bewegung, die von einem klugen Politiker zusammengesetzt wurde. Sie ist ein Naturphänomen, eine Massen-Emotion, ein Ausdruck tiefsitzender Ängste und Sehnsüchte.

Ich glaube, sie wurde von der Tatsache verursacht, dass sich die menschliche Gesellschaft vorwärts bewegt hat und Massen orientierungsloser Menschen in Elend und Verzweiflung zurückließ.

Die Globalisierung hat die Lebensbedingungen von Milliarden Menschen verändert, zum Besseren und zum Schlechteren. Produktions- und Handelsmuster sind nicht wiederzuerkennen. Es ist wie ein Erdbeben - Berge werden zu Tälern, Täler werden zu Bergen. Dies ist schon zuvor in der Geschichte geschehen, zum Beispiel bei den Technikfeinden in England und bei den Webern in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert. Sie zerschlugen die modernen Maschinen, die ihnen die Arbeit wegnahmen. Es war eine vergebliche Rebellion.

Die Hauptopfer sind heute die unteren Schichten der ehemals führenden Nationen. Die Blaukragen. Diejenigen, die gestern noch stolz in fachkundigen, gut bezahlten und zufrieden stellenden Jobs waren und jetzt mit viel niedrigeren Jobs - wenn überhaupt - zufrieden sein müssen.

Das amerikanische Auto, ein weltweites Symbol, der Stolz der amerikanischen Nation, ist jetzt ein verachtetes Wrack.

Dies erzeugt natürlich Hass gegen Ausländer (gegen die Asiaten, die die Autos produzieren) und gegen Minderheiten (die Mexikaner, die um die miserablen, noch zu erhaltenden Jobs wetteifern). So entsteht ein erbitterter Nationalismus. Der Detroiter Arbeiter mag arbeitslos sein, ihm mag die Zwangsräumung seines Hauses drohen, aber er ist immer noch ein weißer Amerikaner. Als solcher hat er gewählt.

Der Trumpismus ist der Aufschrei der großen Massen der Amerikaner, die wirtschaftlich entwurzelt, geistig orientierungslos, allgemein elend, voller Hass, Misstrauen und Verzweiflung sind.

Dies ist keine vorübergehende Situation und keine vorübergehende Gemütsverfassung. Der Trumpismus wird unter Präsident Trump weiter bestehen.


ES GIBT enorme Unterschiede zwischen den USA und Israel.

Die USA sind ein riesiges Land. Israel ist winzig, kleiner als viele reiche US-Staaten. Die USA ist bis jetzt multikulturell; Israel ist es auf jeden Fall nicht. Die USA sind reich an Naturschätzen. Israel hat fast keine, außer einigen Ölfelder im Meer, weit ab von seiner Küste. Usw.

Benjamin Netanyahu ist kein Trump, nicht einmal ein halber Trump. Aber er wird sehr schnell einer.

Netanjahu ist ein Ein-Problem-Mann. Er verbeißt sich in ein Problem und in dem bleiben seine Zähne eine lange Zeit stecken. Vor noch nicht langer Zeit war es die iranische Bombe. In einer Minute hätte der Iran sie bereits. Das wäre das Ende der Welt, das mit Israel beginnen würde. Darum erklärte er Barak Obama den Krieg, hielt eine Rede im Kongress und schockierte die Welt.

Und dann hörte er damit auf. Praktisch über Nacht. Keine Bombe. Kein Iran. Kein Ende von irgendetwas.

Nun sind die Medien dran. Netanjahu will die Medien erobern. Nicht nur einige. Nicht die meisten. Alle.

Es ist nicht EINES seiner Anliegen. Es ist nicht einmal sein wichtigstes Anliegen. Es ist sein EINZIGES Anliegen.

Um dies in die Praxis umzusetzen, unternahm Netanjahu einen ungewöhnlichen Schritt. Als die neue (und vierte) Regierung gebildet wurde, behielt er sich das Kommunikations-Ministerium vor, ein sehr nebensächliches Ministerium. Jetzt wurde deutlich, warum.

Der jüdische Kasino-Mogul Sheldon Adelson, Trumps Wohltäter, ist Netanjahus größter Bewunderer (und sein Besitzer). Er hat eine Tageszeitung, die umsonst verteilt wird und nur Netanjahu und seiner Frau gewidmet ist. Sie ist bis jetzt die am weitesten verbreitete Zeitung im Land.

Ist das genug? Bei weitem nicht! Netanjahu ist mit dem israelischen öffentlichen Fernsehen nicht einverstanden, das mehr oder weniger neutral ist. Obgleich es viel weniger einflussreich ist als unsere kommerziellen Sender, hat Netanjahu entschieden, es durch einen persönlichen Sender zu ersetzen.

Dies ist jetzt sein einziges Anliegen. Er richtete ein neues Unternehmen ein, das nach dem Vorbild der BBC gestaltet wurde, aber plötzlich entdeckte er, dass das Unternehmen, das noch nicht auf Sendung ist, schon jetzt voller "radikaler Linker" ist (das sind alle, die keine Bewunderer "Bibis" sind).

Netanjahu will es also abschaffen und den bestehenden Dienst, vermutlich nach einer gründlichen Umbesetzung, behalten.

Wozu Netanjahu die absolute Herrschaft über die Medien braucht, zeigte sich diese Woche auf dem kommerziellen Kanal 10. Eine sehr beliebte (und außergewöhnliche) Enthüllungssendung mit dem Titel Uwda ("Tatsache") widmete Netanjahus äußerst unbeliebter (dritter) Frau Sara eine ganze Stunde.

Es scheint, dass Sara'le (kleine Sara), wie sie gewöhnlich genannt wird, all jene, die einen hohen Rang bekleiden, darunter den Stabschef der Armee und die Generaldirektoren aller Ministerien, einzig und allein auf Grund von deren persönlicher Loyalität ihrem Mann (und ihr selbst) gegenüber ernennt.

Am Ende des Programms las Ilana Dayan, die Redakteurin der Sendung, eine offizielle Widerlegung aus Netanjahus Büro vor. Das waren mehr als vier Seiten (sechs Minuten) voll persönlicher Beschimpfungen Dayans, die sie langsam mit unbewegter Miene vorlas. Das war recht amüsant.

Mit sehr wenigen Ausnahmen sind die israelischen Medien inzwischen eingeschüchtert. Der Volkshumor spricht von einem Hof, einem König, einer Königin und einem Kronprinzen. Aber das ist jetzt nicht mehr zum Lachen: Es ist eindeutig: Netanjahu will ein israelischer Putin oder Erdogan sein. Und jetzt: ein Trump.



LASST UNS fair sein. Es geschehen bisweilen Wunder.

Der Präsident Trump kann sich durchaus als ein ganz anderer Mensch herausstellen, als der unangenehme Kandidat, der er war. Er kann pragmatisch im guten Sinn des Wortes sein, schnell lernen und sensibel regieren.

Wie unsere muslimischen Freunde sagen: Inshallah - wenn Gott es will.



Copyright 2016 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 12.11.2016
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2016

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