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STANDPUNKT/885: Coole Verlierer (spw)


spw - Ausgabe 4/2019 - Heft 233
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Meinung
Coole Verlierer

von Peter Reif-Spirek[1]


Die Bundestagswahl 2017 stellte eine Weichenstellung in eine "andere Republik" dar.[2] Ein regional zerklüftetes Parteiensystem löst das alte mit seiner bipolaren Struktur der Volksparteien auf, SPD und CDU verlieren - asymmetrisch - ihren volksparteilichen Charakter. Die SPD gerät durch regionale Auszehrung in einen politisch subalternen Status. Erstmals hat sich mit der AfD eine rechtspopulistische Partei bundesweit etabliert. Ihr Aufstieg und als Gegenpol die Terraingewinne der Grünen zeigen die aktuelle Bedeutung einer kulturalistischen Spaltungslinie der politischen Lager.

Die seither erfolgten Landtagswahlen bestätigen diesen andauernden Umbruch.[3] Zugleich sind die meisten Akteure in der alten politischen Ordnung sozialisiert und greifen auf frühere Mobilisierungsmuster zurück. Weder wird eine gesellschaftspolitisch reaktionäre und marktradikale Re-Traditionalisierung der CDU zu neuen Mehrheiten verhelfen, noch wird sich jene alte Sozialdemokratie wiederherstellen lassen, wenn man sich nur mit langem Atem an das Erneuerungswerk macht. Dafür war das Zerstörungswerk von Schröder, Müntefering und ihrer allzu vielen Vasallen zu gründlich.

Gegen solche nostalgischen Sehnsüchte soll auf einige harte empirische Befunde der aktuellen Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg hingewiesen werden[4]:

1. In Brandenburg wird eine rot-rote, in Sachsen eine rot-schwarze Regierung abgewählt. In keinem der beiden Bundesländer haben die Berliner Groko-Parteien SPD und CDU zusammen eine Mehrheit. Es sind Dreierkonstellationen zur Regierungsbildung nötig, die vom Novum zum Regelfall werden. In den zerklüfteten Parteienlandschaften ohne starkes Zentrum werden bald auch Tolerierungsmodelle und Minderheitsregierungen ihre Anrüchigkeit verlieren. Die Weichen sind in Sachsen und Brandenburg auf eine Kenia-Konstellation von SPD, CDU und Grüne gestellt, wobei in Brandenburg auch R2G möglich wäre, wenn sich die CDU mit einem Rechtsruck als regierungsunfähig erweist. R2G ist derzeit eine der zufällig entstehenden Möglichkeiten, aber kein politisches Projekt des Aufbruchs, das neue Wählerschichten mobilisiert.

2. Es gehört zu den Paradoxien des politischen Umbruchs, dass die Regierungsparteien abgestraft, die bisherigen Ministerpräsidenten jedoch gestärkt wurden. Das erfolgreiche politische Branding der beiden Ministerpräsidenten hat die Endphase des Wahlkampfs geprägt, so dass die massiven Wahlverluste ihrer Parteien fast in Vergessenheit geraten.

3. Der Typus der Volkspartei gehört der deutschen Parteiengeschichte an. Zwar ist die CDU in Sachsen die stärkste Kraft geblieben, hat aber mit 32,1 Prozent ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis erzielt. Die an den letzten Landtagswahlen orientierten Wanderungsbilanzen erzeugen jedoch ein falsches Bild des politischen Prozesses: Im Vergleich zur Europawahl 2019 mit einer nur leicht geringeren Wahlbeteiligung (LTW: 66,6 Prozent, Europa-Sachsen: 63,6 Prozent), bei der die CDU erstmals hinter die AfD zurückfiel, hat sie mit über 9 Prozent und ca. 220.000 zusätzlichen Zweitstimmen wieder deutlich zulegen können. In Brandenburg profitiert die CDU in keiner Weise von ihrer Oppositionsrolle und erzielt das schlechteste Landtagswahlergebnis der CDU in den neuen Bundesländern. Ohne bundespolitischen Hype landet die FDP in beiden Bundesländern, wo sie hingehört: im politischen Nichts.

4. In beiden Bundesländern verbessern sich die Grünen deutlich und geraten dadurch in eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung. Doch bleiben sie hinter ihrem Ergebnis bei den Europawahlen zurück. Sie sind bei den Wählern unter 25 Jahren die stärkste Kraft des Mitte-links-Spektrums und bei Wählern mit hohem Bildungskapital stark. Der bundesweite Rückenwind durch die Klimawandeldebatte und die neu entstehende Öko-Jugendbewegung Fridays for Future trägt sie locker über die 5-Prozent-Hürde, aber ohne diesen wäre die parlamentarische Existenz im Osten nach wie vor gefährdet. Die Grünen haben dort eine erweiterte etatistische Funktion, denn sie werden als Regierungspartner in allen Konstellationen gebraucht. Aber sie üben - im Unterschied zu den West-Grünen - keine gesellschaftliche Brückenfunktion aus, die unterschiedliche soziale Milieus verbindet.

5. Die SPD marschiert bekanntlich von Erfolg zu Erfolg - zumindest in ihrer Eigenwahrnehmung. Beliebte Methode Klingbeil: Man imaginiert einen beliebigen Zeitpunkt, x-Wochen vor dem Wahltermin, in dem es um die Partei noch viel schlechter bestellt gewesen sei, um sich dann einen fulminanten Schlussspurt zu attestieren, in dem man toll gekämpft und aufgeholt habe. Mit dieser Vernebelungsrhetorik wird aus jeder Wahlniederlage unter der Hand ein Erfolg. Die sächsische SPD erzielt mit 7,7 Prozent das schwächste Landtagsergebnis der Partei, erklärt sich aber gleichzeitig - "Ein bisschen Spaß muss sein"? - zum coolsten Landesverband. Immerhin, man liegt noch vor der Tierrechtspartei und darf in Sachsen weiter Regierungspartner sein. Wenn es dann sogar zur Regierungsführung wie in Brandenburg reicht, ist fast schon alles in Ordnung, denn die etatistische Logik ist die einzige, die in der SPD wirklich zählt. Die tatsächlichen Verhältnisse stellen sich deutlich differenzierter dar. Vom mitteldeutschen Raum ausgehend zieht sich in der Sozialdemokratie eine Zone gescheiterter Landesverbände nach Süddeutschland, die in der Fläche organisatorisch so ausgezehrt sind, dass sie allein schon deshalb kaum noch wissen, wie ihre Wählermilieus ticken. Wer solche Strukturschwächen zulässt - und sie sind ja seit Jahren bekannt -, darf sich über bundespolitische Zweitklassigkeit nicht wundern. Diese Landesverbände organisieren selbst nicht einmal ein laues Lüftchen, beklagen aber ständig den fehlenden Rückenwind aus Berlin. Dass die Bundespartei, mit einem monatelangen Selbstbeschäftigungsprogramm zur Vorsitzsuche beschäftigt, alles andere als einen positiven Mobilisierungsfaktor darstellt, ist evident.

Die Brandenburger SPD hat ihren ersten Platz im Parteiensystem verteidigt - mit dem schlechtesten Landtagswahlergebnis ihrer Geschichte. Sie hat allerdings im Vergleich zur Europawahl wieder deutlich mehr Stimmen mobilisieren können. Erst durch diesen doppelten Vergleich ergibt sich ein Gesamtbild von Mobilisierungsleistungen und strukturellen Defiziten der Partei. Ihre über dem Bundesdurchschnitt liegenden Werte verdankt sie vor allem den über 60jährigen Wählern, während sie in den Altersgruppen unter 35 Jahren auf 12-Prozent-Niveau liegt. Wie lange die Erinnerung an die große Geschichte die Sozialdemokratie im "roten Brandenburg" noch trägt, ist offen. Die Abstürze kommen heute schneller als man denkt.

6. Der große Verlierer ist die Linkspartei, die nach allen Richtungen Stimmen verliert. In Sachsen profitiert sie als Oppositionspartei nicht von den Regierungsverlusten, sondern verliert 8,5 Prozent. Selbst gegenüber dem schon als Desaster wahrgenommenen Europawahlergebnis büßt sie sowohl prozentual als auch bei den absoluten Stimmen ein. In Brandenburg erzielt sie als Regierungspartei ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis, verliert 7,8 Prozent und belegt nur noch Platz 5 im Parteiensystem. Sie erhält 13.000 weniger Stimmen als bei der Europawahl; im Vergleich zur Bundestagswahl sind es sogar etwa 120.000 Stimmen weniger. Martin Reeh attestiert dem stark etatistisch orientierten Brandenburger Landesverband, in der Regierung so "erfolglos wie die SED-Reformer"[5] gewesen zu sein. Zahlreiche Skandale begleiten die Regierungszeit; zuletzt musste die Gesundheitsministerin Diana Golze, die als designierte Spitzenkandidatin für die Landtagswahlen galt, zurücktreten.

Ein R2G-Aufbruch geht von der Linkspartei in ihrer derzeitigen Verfassung ebenso wenig wie von der SPD aus. Bleibt es bei dieser rasanten Erosion ihrer ostdeutschen Wählerbasis, ist ihre bundespolitische Bedeutung gefährdet. Sie hat im Osten offensichtlich ihre gesellschaftliche Kommunikationsfähigkeit in breite gesellschaftliche Milieus verloren - und zwar unabhängig von ihrer Oppositions- oder Regierungsrolle. Wenn Spitzenkandidaten aus der Landeshauptstadt mit dem Tante-Emma-Laden als Wahlmobil vorfahren, ersetzt dies keine Parteistrukturen vor Ort.

Bis zur Thüringer Landtagswahl wird der innerparteiliche Burgfriede gewahrt bleiben. Danach werden die strategischen Auseinandersetzungen vermutlich wieder in binären Freund-Feind-Mustern ausgetragen, mit der sich die Linkspartei als "würdige" Nachfolgeorganisation kommunistischer Parteien erweist.

7. Auch wenn sie "nur" zur zweitstärksten Partei in beiden Bundesländern wird, ist die AfD der eigentliche Wahlsieger. Gegenüber den vorangehenden Landtagswahlen legt sie jeweils zweistellig zu. Mit 27,5 Prozent in Sachsen und 23,5 Prozent in Brandenburg erreichen die Landesverbände das beste bzw. drittstärkste Landtagswahlergebnis in der Parteigeschichte. In Sachsen hat sie über 590.000 Zweitstimmen bekommen. Im Vergleich zur vorangegangenen Landtagswahl hat die AfD eine positive Wählerwanderungsbilanz von etwas mehr als 435.000 Wählern, vor allem frühere Nicht- (plus 241.000) und CDU-Wähler (plus 81.000). Der Eindruck eines bei dieser Landtagswahl erfolgten Rechtsrucks relativiert sich, wenn man die Ergebnisse der Europa- und der Bundestagswahl hinzuzieht. Bei der Europawahl konnte sie bei einer vergleichbaren Wahlbeteiligung bereits 520.000 Stimmen gewinnen, bei der Bundestagswahl mit einer höheren Wahlbeteiligung sogar 670.000 Zweitstimmen. In Brandenburg zeigt sich ein ähnliches Bild: mit 297.000 Zweitstimmen schneidet der Landesverband besser als bei der Europawahl (238.000 Stimmen) und nur leicht schlechter als bei der Bundestagswahl (301.000 Stimmen bei höherer Wahlbeteiligung) ab.

In beiden Bundesländern ist die AfD in allen Alterskohorten zweistellig. Ihre Wählerschaft ist deutlich männlich dominiert. Sie rekrutiert ihre Wähler aus allen sozialen Statusgruppen, aber erzielt bei Arbeitern (44 Prozent Brandenburg, 41 Prozent Sachsen) und Arbeitslosen (43 Prozent Brandenburg, 41 Prozent Sachsen) überdurchschnittliche Werte. Sie ist eine kleine Volkspartei mit großem Arbeiterbauch. Ihre Hochburgen hat sie in den Braunkohleregionen und in den Wahlkreisen mit schrumpfender Bevölkerung. Die "Abgehängten" - und hier geht es um politische Gefühlslagen, die sich nicht auf einen Sozialstatus reduzieren lassen - setzen ihre Hoffnungen nicht in die politische Linke, sondern in die völkische Rechte. Dort, wo die anderen Parteien kaum noch präsent sind und als Invasion aus der Landeshauptstadt wahrgenommen werden, gelingt der AfD eine sozialräumliche, nachbarschaftliche Mobilisierung. Man wählt eine Partei, weil sie das Gesicht des Nachbarn trägt, sei es der Handwerker, Feuerwehrmann oder der Trainer der Jugendmannschaft. An solchen kommunikativen Vernetzungen scheitert jede Skandalisierung von außen.

Der Rechtsruck hat sich in beiden Bundesländern schon lange angebahnt. Es handelt sich insofern nicht um einen "Ausrutscher" zielloser Protestwähler, sondern die AfD verfügt mittlerweile im Osten über ein mobilisierungsfähiges Stammwählerpotential, dem man eine gewisse Identifikation mit dem politischen Kernprogramm unterstellen muss. Die Skandalisierungsstrategie, die auf die Aktionseinheit der AfD mit Neonazis in Chemnitz oder jüngst auf die diversen rechtsextremen Verstrickungen des Brandenburger AfD-Spitzenkandidaten Andreas Kalbitz[6] verweist, läuft mittlerweile auch deshalb ins Leere. In der SPW 6/2018 habe ich die AfD als Radikalisierungskollektiv bezeichnet: in Bezug auf ihre innerparteiliche Entwicklung, ihre bewirkten gesellschaftlichen Diskursverschiebungen und die Umgruppierung des Alltagsverstands. Der Rechtspopulismus wird in der Parteienforschung oft als reiner Mobilisierungsstil missverstanden. Doch dann war auch die NPD in ihren erfolgreichen Zeiten "populistisch". Gleichwohl unterscheiden sich die traditionell extrem rechte NPD und die rechtspopulistische AfD nicht durch ihren Mobilisierungsstil, sondern durch ihre Stellung im Parteiensystem: Rechtspopulistische Parteien sind Sammlungsbewegungen, die heterogenen Strömungen eine gemeinsame Plattform bieten. Ihre Stärke ist die permanente Grenzverletzung, während die klassische extreme Rechte keinen Zweifel an ihrer Demokratiefeindschaft lässt. Rechtspopulistische Parteien negieren nicht den Alltagsverstand, sondern erziehen ihn nach rechts. Sie stehen mit dem einen Bein innerhalb, mit dem anderen Bein außerhalb des Verfassungsbogens. Wichtig ist, dass die Grenzverletzung ebenso zur politischen "Spielanordnung" gehört wie die (zumeist) folgenlose Ermahnung oder der vereinzelte Parteiausschluss. Es war diese konflikthafte und zugleich arbeitsteilige Zwiespältigkeit, mit der die AfD eine Rechtsverschiebung der politischen Landschaft initiieren konnte, wie es der klassischen extremen Rechten nicht möglich war. Aber die AfD hatte immer ihre "Fachosphère", um diese schöne französische Kennzeichnung zu verwenden. Wenn der Vorsitzende Jörg Meuthen die Identitären gegen den Verfassungsschutz verteidigt und den völkisch-nationalistischen Flügel um Höcke und Kalbitz im Rahmen der Verfassungsordnung verortet,[7] ist dies nichts anderes als die von Armin Mohler vorgedachte, von der Neuen Rechten stets praktizierte Taktik, "unter der Fahne des Konservativen die Grenzen bis weit ins faschistische Gelände hinein zu verschieben".[8]

Der völkisch-nationalistische Flügel geht aus den Wahlen in Sachsen und Brandenburg gestärkt hervor. Es ist eine rechte Rebellion, die sich unter der Parole "Vollende die Wende" der Kostüme der demokratischen Revolution von 1989 bedient und sie in ihr Gegenteil verkehren will. Diese feindliche Übernahme kann und muss man als ehemalige DDR-Opposition zurückweisen. Aber das ändert nichts daran, dass der demokratische Erfahrungsschatz, einen Staat schon einmal aus den Angeln gehoben zu haben, nun nach rechts gewendet werden kann und das Gefühl besteht, mit der AfD vom policy taker des Westens zum policy maker zu werden.

In den Wahlerfolgen der AfD verdichten sich die unverarbeiteten Verwerfungen des deutschen Einigungsprozesses und die sozial-räumlichen Spaltungen des neoliberalen Kapitalismus mit der Angst vor der "globalen Unordnung", die in Gestalt des Flüchtlings als "Bote des Unglücks" (Brecht) an die eigene Haustür klopft.[9] Daraus erwächst eine Sehnsucht nach der "alten Ordnung", die die AfD wieder auferstehen lassen will. "Es gibt drei große Entwertungen durch den Kapitalismus: Das ist einmal die Entwertung von Bindung, das zweite ist die Entwertung von Erinnerung und drittens die Entwertung von Erfahrung. Bindung bedeutet die Objektfixierung des Menschen und die innere Fixierung des Menschen. Das sind Dinge, die dem kapitalistischen System widersprechen. Deshalb ist die Frage der Bindung für mich so wichtig. Wenn Bindungen aufgelöst werden, suchen sich die bindungsbedürftigen Menschen oft falsche Objekte. Sie versuchen einen erodierenden Lebenszusammenhang irgendwie erträglich zu machen. Durch die Entwertung von Bindung verschwindet das Bindungsbedürfnis nicht, sondern ganz im Gegenteil. Der Rechtsradikalismus nutzt dieses Bedürfnis aus" (Oskar Negt).[10] Der Vereinigungsprozess hat Erfahrungen bis in den Alltagsbereich entwertet, Bindungen aufgelöst und Erinnerung diskreditiert. Daher speist sich die besondere Dynamik des Rechtspopulismus im Osten.

Die Herausforderung einer erfolgreichen völkischen Bewegungspartei muss angenommen werden. Dafür bedarf es eines langen Atems, denn die Menschen haben einen politischen Lernprozess von rechts durchgemacht, der sie radikalisiert hat. Um sie wiederzugewinnen, bedarf es daher eines erneuten Lernprozesses von links, der die politische Agenda ihres Alltagsverstands wieder verändert und für andere Themen öffnet. Ohne Empathie mit den Menschen und ihren alltäglichen Nöten, wie das Arlie Hochschild bei ihrer "Reise ins Herz der amerikanischen Rechten" eindrucksvoll vorgemacht hat,[11] gibt es keine gelingende politische Kommunikation. Wenn wir den Menschen kein politisches Angebot machen können, das keinen in der Gesellschaft zurücklässt und abhängt, sondern gleichwertige Lebensverhältnisse in unterschiedlichen Sozialräumen garantiert, brauchen wir uns nicht wundern, wenn ein Sicherheitsprogramm von rechts Attraktivität gewinnt. Die AfD bekämpft man nur durch einen eigenen Frame, durch einen eigenen Gesellschaftsentwurf eines "besseren Lebens" und nicht durch eine Anti-AfD-Politik, die selbst in der Abwehr und Zurückweisung den politischen Frame des Rechtspopulismus aktiviert.[12] Nur mit einer Politik starker Sozialstaatlichkeit, die sozialräumliche Spaltungen zurückdrängt und öffentliche Infrastrukturen erfahrbar ausweitet, wird dem völkischen Nationalismus die soziale Basis entzogen werden können.


Anmerkungen

[1] Peter Reif-Spirek ist Sozialwissenschaftler und parteiloser Sozialdemokrat in Erfurt.

[2] Peter Reif-Spirek: Die andere Republik, Notizen nach einer vorhersehbaren Niederlage. In: SPW 5/2017. Der Beitrag ist online abrufbar.

[3] Peter Reif-Spirek: Das Ende der Sozialdemokratie, wie wir sie kannten. Bayerische und hessische Lektionen. In: SPW 6/2018. Der Beitrag ist online abrufbar.

[4] Landtagswahl Sachsen. Landtagswahl Brandenburg. 1. September 2019. Ergebnisse und Schnellanalysen auf Basis des Infratest-dimap-Berichts für die SPD.

[5] Martin Reeh. Die Linke vor den Landtagswahlen. Austaktiert In: Taz vom 27.8.2919
https://taz.de/Die-Linke-vor-den-Landtagswahlen/!5619941/.

[6] Gideon Botsch/Christoph Schulze: Andreas Kalbitz. Der neue Rechtsaußen. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2019, S. ff.

[7] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-07/rechtsextremismus-identitaere-bewegung-joerg-meuthen-aufmarsch-halle.

[8] Volker Weiß. Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Stuttgart 2017, S. 39.

[9] Vgl. hierzu ausführlicher Cornelia Koppetsch: Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. Bielefeld 2019. Der Soziologe Zygmunt Baumann greift auf dieses Bild von Brecht zurück und verbindet es mit einer Soziologie des Fremden, u.a. in "Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache", Frankfurt am Main, 4. Auflage 2017.

[10] Oskar Negt: "Humanität setzt Bindungen voraus, die der Kapitalismus zerstört" Interview in FR vom 1.8.2019.

[11] So der Untertitel ihres methodisch anregenden Buchs "Fremd im eigenen Land", Frankfurt am Main 2017.

[12] Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht. 2018. In einem taz-Interview vom 9.12.2016 sagt sie: "Die Frames der Gegner aufzugreifen, führt zu nichts. Durch die Erwähnung eines Frames, unabhängig ob bejahend oder verneinend, wird dieses immer wieder aktiviert. Das ist dann kostenloser Wahlkampf für die anderen".
https://taz.de/Expertin-ueber-sprachliche-Manipulation/!5359993&s=wehling/.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2019, Heft 233, Seite 4-9
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2019

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