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STREITSCHRIFT/004: Staat und Gewerkschaften (Gilbert Karasek)


Staat und Gewerkschaften

Von Gilbert Karasek, 22. Juni 2009


Liebe Kolleginnen und Kollegen.

Angesichts der Ohnmacht der Arbeiterklasse gegenüber dem Kapitalismus und seinen Krisen, wird die Frage nach der Rolle der Gewerkschaften immer lauter. Die Aufgaben des Staates werden oft mit den Aufgaben der Gewerkschaften vermischt und umgekehrt. Es gibt selbst beim Großteil der Linken keine klaren Standpunkte zum Staat und den ursprünglichen Zweck der Gewerkschaften. Alles ist unklar, vernebelt, verdreht und verschleiert, die Arbeitnehmer wissen nicht woran sie sind und dass macht ihre von Kapitalismus bedrohte Existenz um nichts besser. Es ist also ein Wissenstand unter den Arbeitnehmern, wie es sich die herrschende Klasse nicht besser wünschen kann. Wir sollten uns aus dieser Hilflosigkeit heraus, den derzeitigen Zustand der Gewerkschaften und die tatsächliche Rolle des Staates anschauen.

Der Staat an sich ist Nichts anderes als die Form einer Organisation, die sich die herrschende Klasse zur Sicherstellung der Privilegien und des Privateigentums gegeben hat, in der sie sich ihre Interessen gegenüber den Untergeordneten geltend macht. So steht er mit seinem Bildungsmonopol, seinen gesetzgebenden Parlamentarismus, Gerichtsbarkeit, Steuern, Polizei, Militär, Justiz und Gefängnisse, als eine anonyme Körperschaft den Arbeitnehmer gegenüber. Mit seinen repressiven Einrichtungen schützt der Staat die Grundlage des Bürgertums, das in der Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeitskraft besteht. Der Staat, wird bedient von den bürgerlichen Parteien, sie schützen die Interessen der Kapitalistenklasse, indem sie die Rechtsordnung und Gesetze, den Bedürfnissen des Kapitals anpassen.

Dass in Deutschland die Gewerkschaften mit dem Kapital verwachsen sind darüber gibt es viele Studien. Was aber in Österreich hervorzuheben ist, die regierenden Parteien vertreten nicht nur den Staat, sie lenken darüber hinaus die Fraktionen, die in den Bünden, Gewerkschaften und Kammern aktiv sind. Z.B. die ÖVP kontrolliert die Fraktionen in den Bauern- und Wirtschaftsbünden, die SPÖ die Fraktionen in den Arbeiterkammern und Gewerkschaften. "Neben der ausschließlich der Arbeit unterworfenen großen Mehrheit, bildet sich eine von direkt-produktiver Arbeit befreite Klasse, die die gemeinsamen Angelegenheiten der Gesellschaft besorgt: Staatsgeschäfte, Justiz, Bildung, Wissenschaften, Künste usw. Es ist also das Gesetz der Arbeitsteilung, das der Klassenteilung zugrunde liegt." (MEW Bd. 19). Die Teilung der Arbeit zwischen den Parteien und den Fraktionen ist sozusagen in "Kopf- und Handarbeit" organisiert, wobei die Parteien die Kopfarbeit verrichtet. Über die Parteibeschlüsse wird die Politik der Fraktionen in den Wirtschafts- und Bauernbünden, in Kammern und Gewerkschaften bestimmt; an deren Beschlüsse die Parteimitglieder bzw. ihre Funktionäre und Fraktionsvorsitzende gebunden sind. In der Praxis führen die Parteien gemeinsam mit der Kapitalistenklasse das Gesellschaftsleben sowie die Geschäfte des Staates, auf der anderen Seite bestimmen sie über ihre Fraktionen die Politik in den Bünden, Kammern und Gewerkschaften. Das einzig halbwegs Demokratische was für die Arbeitnehmer in der bürgerlichen Demokratie verbleibt, sie dürfen alle fünf Jahre, ihre herrschende Obrigkeit mit ein Kreuzerl bestätigen. Nur sollte man auch wissen, dass in der bürgerlichen Herrschaftsform durch die Teilung der Arbeit zwischen den Wähler und den Gewählten, der Wähler entmündigt wird. Das Kreuzerl steht für das Symbol der Teilung der Arbeit; für das Abtreten ihrer demokratischen Rechte an ihren gewählten Stellvertretern.

Die Parteifraktionen bilden die Organisationsstrukturen in den Gewerkschaften und über die Parteifraktionen kontrolliert das Bürgertum mit ihren Parteien, die Arbeiterklasse. Und spätestens hier drängt sich die Frage auf: Bestanden die Organisationen der Gewerkschaften immer schon aus den Parteifraktionen? Keineswegs. Ursprünglich waren die Gewerkschaften der Sammelpunkt der politisch aktiven Arbeitnehmer; es gab keine Form der Teilung der Arbeit, in der eine selbständige Körperschaft oder Fraktion, die politische Arbeit der Arbeiterklasse übernahm. Der Unterschied zwischen den ursprünglichen und den gegenwärtigen Gewerkschaften bestand darin, dass damals die Arbeitnehmer, neben ihre lebenserhaltende Arbeit, ihre politische Tätigkeit in den Gewerkschaften, selbst verrichteten. In der Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber planten und führten sie, neben ihrer Erwerbsarbeit, selbst den Kampf gegen die Profitgier der Arbeitgeber. Und dass ohne einer ihr vorgesetzten Fraktion, die über ihr steht und sie bevormundet. Die Bürokratie bildete keine selbstständige Interessensgemeinschaft, wie sie heute die Funktionärsklasse verkörpert, sie hatte keine politische Entscheidungsgewalt, sie waren an die Ergebnisse der Abstimmungen der Arbeitnehmer gebunden, an denen sie allerdings als gleichberechtigte Mitglieder teilnahmen.

Dennoch, das Problem der Vergangenheit ist auch in der Gegenwart das gleiche geblieben, nämlich die Arbeitnehmer sind sich der Folgen die der Teilung der Arbeit zu Grunde liegen, nicht bewusst. Dass die Arbeitsteilung überhaupt die Voraussetzung für die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft ist, ist für sie Fremd. Diese Unwissenheit über die Arbeitsteilung herrscht ebenso in ihren Organisationen, die aus diesem Grund die Auswirkungen ignoriert, die die Teilung der Arbeit auf die Gesellschaft hat. Sie können nicht erkennen, dass die Unterordnung der einzelnen Individuen unter die Teilung der Arbeit, die menschenverachtende Hierarchie erzwingt. Zum Beispiel, die Knechtschaft des Dienens und des Herrschens, sind zugleich Verhältnisse der Teilung der Arbeit. Anfänglich hat sich die Arbeitsteilung aus der Spezialisierung des Tauschhandels entwickelt, wobei "die Klassen durch die Teilung der Arbeit bereits bedingt sind" (MEW Bd. 3). Die Teilung der Arbeit beschränkt die Einsicht und das Bewusstsein, auf die eine Tätigkeit, an der der Mensch in seinen Arbeitsleben gebunden ist. Sie durchzieht alle Berufs- und Gesellschaftsbereiche, beginnend in den Betrieben, Werkstätten, Fabriken, Schulen, Büros und setzt sich in den isolierten privaten Wirtschaftszellen, der Familie, zwischen Frau und Mann fort. Die Teilung der Arbeit zwingt den Mensch die berufliche Einseitigkeit auf, die alle seine Begabungen und schöpferischen Bedürfnisse auf Kosten dieser Einseitigkeit unterdrückt; sie unterdrückt die Universalität der menschlichen Fähigkeiten und macht daraus genau das Gegenteil, sie macht aus seiner Universalität einen beschränkten Fachidioten. "Übrigens ist es ganz einerlei, was das Bewusstsein alleine anfängt, wir erhalten aus diesem ganzen Dreck nur das eine Resultat, dass diese drei Momente, die Produktionskraft, der gesellschaftliche Zustand und das Bewusstsein, in Widerspruch untereinander geraten können und müssen, weil mit der Teilung der Arbeit die Möglichkeit, ja die Wirklichkeit gegeben ist, dass die geistige und m aterielle Tätigkeit - dass der Genuss und die Arbeit, Produktion und Konsumtion, verschiedenen Individuen zufallen, und die Möglichkeit, dass sie nicht in Widerspruch geraten, nur darin liegt, dass die Teilung der Arbeit wieder aufgehoben wird." (MEW Bd. 3).

Zwischen den 1. und 2. Weltkrieg bildete sich die Spezialisierung in den Gewerkschaften aus. Die Spezialisierung in der Arbeiterbewegung, hier der arbeitende Lohnsklave und dort der Spezialist sein Stellvertreter, der nichts arbeitende, von der Arbeit freigestellte Funktionär, er übernahm die politische Tätigkeit der Arbeitnehmer. Und jene Arbeitnehmer, die neben ihrer beruflichen Tätigkeit noch politische Arbeiten in den Gewerkschaften verrichteten, wurden von ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit, von einer sich immer stärker herausbildenden selbständigen Körperschaft verdrängt. Die Gewerkschaft verwandelte sich zu einer Versorgungseinrichtung für die aus der Teilung der Arbeit hervorgegangene Körperschaft; es war die Geburtsstunde der Funktionärsklasse. Und mit der Einführung des bürgerlichen Wahlmodus, der ständigen Wiederwahl gleicher Personen, wurde nicht nur die Teilung der Arbeit gefestigt, es konzentrierte sich mit jeder Wiederwahl, mehr Privilegien und Macht in den Händen dieser Personen. Was also die Arbeitnehmer mit der Einführung der Teilung der Arbeit, durch das Abtreten ihrer demokratischen Selbstbestimmung an einer von ihr Fremden bürokratischen Körperschaft, einbüssten, dass bildet einerseits ihre Ohnmacht und andererseits die Macht der Funktionärsklasse; die als bürgerlicher Ausdruck, über die Bewegung der Arbeiterklasse herrscht. Das endgültige Ende der ursprünglichen Gewerkschaften wurde durch die faschistische Herrschaft des Bürgertums vollzogen.

Nachdem das Bürgertum in ihrer faschistischen Herrschaftsperiode von 1933 bis 1945 die Gewerkschaften zerschlugen, errichteten sie im Jahr 1945, auf den Ruinen der zertrümmerten Gewerkschaften und unter dem Ausschluss der Arbeiterklasse, ihren Gewerkschaftstyp. Es war also nicht die Arbeiterklasse die am 15.05.1945 den ÖGB (Österreichischen Gewerkschaftsbund) gegründet hat, sondern jene Parteifraktionen des Bürgertums deren Parteien, im Staat die Geschäfte für den Kapitalismus regelten. Und dementsprechend haben die Parlamentsfraktionen die Gewerkschaften an den Bedürfnissen des Kapitalismus angepasst; als eine über den Arbeitnehmer stehende Autorität, auf die die Arbeitnehmer weder einen demokratischen Zugang noch Einfluss haben. Nicht nur dass die Teilung der Arbeit zwischen den Arbeitnehmer und seinen über ihn stehenden Fraktionen die Gewerkschaften für den Kampf gegen den Kapitalismus unbrauchbar macht, so setzt die Funktionärsklasse, gelenkt von ihren Parteien, die Organisationskraft der Gewerkschaften, zur geistigen und intellektuellen Unterdrückung gegen die Arbeiterklasse ein. Was in der Öffentlichkeit der bewaffnete Teil des Staates ist, dass sind in den Betrieben die Funktionäre der Gewerkschaftsfraktionen; sie sorgen gemeinsam mit den Manager für politische Ruhe und Ordnung, für die reibungslose Unterdrückung und für die gewinnbringende Ausbeutung der Arbeiterklasse.

Die durch die Teilung der Arbeit freigestellte und von den Parlamentsparteien mit Privilegien überhäufte Funktionärsklasse, dient seit über hundert Jahren den Überleben und den Wirtschaftsinteressen des Kapitalismus. "War doch der letzte Grund, womit der Klassenunterschied verteidigt wurde, stets: Es muss eine Klasse geben, die sich nicht mit der Produktion ihres täglichen Lebensunterhaltes abzuplagen hat, damit sie die Zeit behält, die geistige Arbeit der Gesellschaft zu besorgen." (MEW Bd. 18). Die sich nicht abplagende Klasse von Manager, Kapitalisten, Politiker und Funktionäre verteidigen die bürgerliche Ideologie und ihren Führungsanspruch über die unterdrückte Klasse, weil sie durch die Teilung der Arbeit ihre Privilegien erhält.

Die Arbeitnehmer müssen lernen ihre gesellschaftlichen Angelegenheiten selbst zu leiten. Aber erst die Beseitigung der Teilung der Arbeit innerhalb der Arbeiterbewegung, schafft den notwendigen demokratischen Raum, dass die Arbeitnehmer den Umgang mit ihrer Selbstbestimmung erlernen können. Andererseits kann es keinen menschlichen Fortschritt geben und der Klassenkampf wird unter dem Strich, wie in den vergangenen hundert Jahren, immer nur im Fortbestand der kapitalistischen Produktionsform enden, die der Teilung der Arbeit unterliegt. Schließlich sind die Produktivkräfte des Kapitalismus Unheil anrichtende Destruktionskräfte, deren Fortbestand, wie es die Wissenschaft nachgewiesen hat, sich gegen die Existenz der Menschheit richtet.

Was die Epoche des Kapitalismus gegenüber dem vergangen Epochen auszeichnet, was seine historische Bedeutung war, er hat die Voraussetzung für die Beseitigung der Teilung der Arbeit geschaffen. Daran anknüpfend und auch wenn die hierarchische und knechtende Unterordnung der Teilung der Arbeit noch eine Weile das Gesellschaftsbild prägen wird, so müssen die Arbeitnehmer zugleich, neben ihrer beruflichen Tätigkeit, ihre Organisationen selbst leiten und führen. Aber damit die Arbeitnehmer erlernen können, selbst Entscheidungen zu beschließen, die ihr gesellschaftliches Dasein bestimmen, muss sie heute und jetzt beginnen, die Teilung der Arbeit in den Gewerkschaften zu beseitigen.

Die Erkämpfung der Selbstbestimmung in ihren eigenen Organisationen, ist nicht bloß eine Utopie, sie ist eine zwingende Voraussetzung, damit die Arbeitnehmer ihre Gewerkschaften von der Vormundschaft des Kapitals, seinen Wächtern die Funktionärsklasse, befreien kann. Eine über den Arbeitnehmer herrschende Körperschaft, macht die Gewerkschaften unbrauchbar; ihre Funktionen sind nur dann in Takt, wenn die Arbeitnehmer, in direkter gemeinsamer demokratischer Zusammenarbeit, über sich, selbst bestimmen. Die Teilung der Arbeit, in produzierende und in genießende, in dienende und herrschende, ist nicht nur undemokratisch, sie ist versklavend, ausbeutend und entrechtend, sie hat in den Gewerkschaften sowie in den Organisationen der Arbeiterbewegungen nichts verloren.

Gruß Gilbert Karasek


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Quelle:
Gilbert Karasek, 22. Juni 2009
KIV - Konsequente Interessensvertretung
Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, Wien


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2009