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STREITSCHRIFT/030: Ist Deutschland eine gekaufte Demokratie? (Hans Fricke)


Ist Deutschland eine gekaufte Demokratie?

Von Hans Fricke, 20. Februar 2010


Das Getöse um Guido Westerwelles in Rambo-Manier geführte verleumderische Angriffe auf Millionen Hartz-IV-Empfänger hat die von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am 15. Februar 2010 veröffentlichten Rechenschaftsberichte der Parteien völlig unverdient in den Hintergrund treten lassen, zeigen sie doch die Größenordnungen der Parteispenden, mit denen das Kapital die großen Parteien um Jahr vor der Bundestagswahl bedacht hat. Laut der Saarbrücker Zeitung vom 16. Februar 2010 flossen insgesamt rund 20 Millionen Euro Spenden von Firmen und Verbänden, davon fast 14 Millionen in die Kassen von CDU und CSU.

Auf der Spenderliste der Union stehen mehr als 50 Unternehmen. Zu den Gönnern der vergangenen vier Jahre zählen aber auch arbeitgebernahe Verbände sowie Privatleute wie die Industriellen-Familie Quandt, die zu den namhaftesten CDU-Geldgebern gehört. So erhielten, um nur drei Beispiele zu nennen, die CDU von der Deutschen Bank AG 200.000 Euro, von Ferring Arzneimittel 150.000 Euro und die CSU vom Verband der Metallindustrie 600.000 Euro.

Die Liberalen konnten im Vorwahljahr 2,69 Millionen Euro für sich verbuchen. Auch hier zählen vor allem Unternehmen und arbeitgebernahe Verbände zu den Spendern, beispielsweise Deutsche Bank AG mit 200.000 Euro und Substantia AG mit 300.000 Euro.

Knapp dahinter lag die SPD mit 2,67 Millionen Euro, vor allem von Großkonzernen und aus der Finanzbranche, z.B. Daimler AG und BMW mit je 150.000 Euro.

Bei den Grünen landeten acht Spenden, meist von Großunternehmen, die sich insgesamt auf mehr als 490.000 Euro summierten, z.B. von Allianz SE 60.000 Euro.

Nur die Linkspartei ging wie die Jahre zuvor leer aus.

Während diese ebenso gängige wie aufschlussreiche Praxis in den Medien so gut wie keine Rolle spielt und deshalb von der Bevölkerung kaum wahrgenommen wird, war dagegen der Aufschrei groß, als bekannt wurde, dass August Baron von Finck, Mitinhaber der Mövenpick-Gruppe, die in Deutschland 15 Luxushotels betreibt, der FDP 1,1 Millionen Euro und der CDU 820.000 Euro gespendet hat und die Koalitionsparteien danach beschlossen, die Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen zum 1. Januar 2010 von 19 auf 7 Prozent zu senken. Hotels zahlen seitdem rund eine Milliarde weniger Steuern. (Unbeachtet blieb leider, dass SPD und Grüne von 1998 bis 2008 allein vom Allianz-Konzern rund 1,1 Millionen kassierten. Beide Parteien hatten die Versicherungsindustrie mit milliardenschweren Rentenversicherungen beglückt.)

Der Reichtum des spendablen adligen Hoteliers, der für FDP und CDU zusammen fast 2 Millionen Euro locker gemacht hat, gründet laut Forbes Magazin vom 11.3.2009 zum großen Teil auf Erbschaft. Der Großvater war Mitbegründer des Allianz-Konzerns und auch sein Vater spielte als Bankier eine bedeutende Rolle. Er gehörte zu einer Gruppe von Industriellen, die sich 1931 mit Adolf Hitler tragen und der NSDAP im Falle eines Linksputsches 25 Millionen Reichsmark zur Verfügung stellten. Außerdem war Finck Teilnehmer des Geheimtreffens vom 20. Februar 1933 von Industriellen mit Hitler. (Henry Ashby Turner, "Hitler aus nächster Nähe, Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932". S. 372). Weitere illustre Namen auf der Teilnehmerliste dieses für unser Volk so verhängnisvollen Treffens waren u.a. Flick, Krupp und Quandt. Gemeinsam beschlossen diese Wegbereiter des Faschismus einen Wahlfonds von 3 Millionen Reichsmark für die NSDAP. Eine Woche später brannte der Reichstag.

Die Empörung der Menschen über den jüngsten Parteispenden-Deal speist sich auch aus der zeitlichen Nähe der tranchierten Spenden an die FDP. Im September 2008 erfolgte die erste Zahlung, im Mai 2009 tauchte die Steuerermäßigung für Hotels im FDP-Programm auf, und nach der Bundestagswahl wurde auf Westerwelles Drängen das Vorhaben in die Tat umgesetzt. Das riecht nicht nur für Elmar Wiegand, Mitarbeiter beim Verein LobbyControl nach einer Art Auftragsarbeit, bei der nach erfolgreich absolvierten Teilschritten eine der höchsten Parteispenden in der Geschichte der Freidemokraten in drei Teilspenden im Jahr 2009 überwiesen wurde.

Die von der inzwischen häufig als "Mövenpick-Koalition" bezeichneten Bundesregierung beschlossenen Gesetze nutzen nicht nur der Hotelbranche. Zusammengerechnet zahlen Unternehmen zukünftig 2,4 Milliarden Euro weniger Steuern. Auch reiche Firmenerben profitieren davon. Etliche von ihnen müssen künftig überhaupt keine Erbschaftssteuer mehr bezahlen. Zu dem Skandal gehört, dass für einen Teil der Steuergeschenke Länder und Gemeinden blechen müssen. Ihnen fehlen künftig bis zu vier Milliarden Euro im Jahr. Die ohnehin schon stark gebeutelte Bevölkerung spürt das bereits heute im tagtäglichen Leben. In den Kommunen steigen die Gebühren für Müll, Abwasser, Straßenreinigung, Parks und Friedhöfe. Wichtige Dienstleistungen für die Bürger entfallen vollends mangels Geld. Dabei sind die Steuersubventionen für das Hotelgewerbe nur die Spitze des Eisberges. Der Koalitionsvertrag ist voller Zugeständnisse an Lobbygruppen. So fiel süddeutsche.de bei einer kritischen Durchsicht dieses Vertrags von Union und FDP auf, dass das Werk voll sei mit Forderungen, die inhaltlich von den Lobbygruppen vorgedacht wurden. Das bisschen Steuersubvention für das Hotelgewerbe falle dabei kaum ins Gewicht!

Allgemein ist festzustellen, dass direkte Parteispenden nur einen kleinen Teil der Politikbeeinflussung ausmachen. Mehr und mehr haben sich in den vergangenen Jahren Lobbynetzwerke im Zentrum des Regierungshandelns verankert, die direkt in Planung und Formulierung öffentlicher Gesetzesvorhaben eingreifen. Der Journalist Götz Hamann schreibt in seinem Buch dazu:

"Viele Wirtschaftsvertreter haben ohnehin freien Zugang zu den Volksvertretern. Denn Lobbyisten, die neben der offiziellen Registrierung auch noch die Bürgschaft von fünf Abgeordneten oder die eines Fraktionsvorsitzenden vorweisen können, bekommen einen Hausausweis für den Bundestag. Bis Ende 2005 wurden 4500 dieser Ausweise an Lobbyisten ausgeteilt, deutlich mehr als Journalisten erhielten."
(Götz Hamann / Cerstin Gammelin, "Die Strippenzieher", S. 29)

Hamann weiter:

"Allein bei Volkswagen arbeiten in der 'Abteilung Regierungsbeziehungen' inzwischen mehr als zwanzig Angestellte (...) Diese suchen in der Hierarchie des Regierungsapparates den Kontakt zu einfachen Beamten, Referats- und Abteilungsleitern, nicht zum Bundeskanzleramt. Ihre Aufgabe ist es, den politischen Prozess zu beobachten - und die Fäden in der Hand zu behalten. Sobald ein den Konzern betreffendes Thema sich in der öffentlichen Diskussion in die 'falsche' Richtung zu drehen beginnt oder ein Gesetzesentwurf die Geschäfte des Konzerns gefährdet, haben die Angestellten Hochbetrieb: Dann werden Positionspapiere geschrieben, Mitarbeiter in die Ministerien entsandt oder Symposien und parlamentarische Abende in der eigenen Repräsentanz organisiert."

Paul Schreyer wies am 19. Januar 2010 in "Gewählt von wem? - Zur Finanzierung der Parteien" darauf hin, dass sich diese Entwicklung kaum noch verdeckt vollzieht:

"Jeder kann sehen, wer die Prachtbauten am Pariser Platz im Zentrum der Hauptstadt okkupiert. Neben dem Brandenburger Tor und der hochgesicherten amerikanischen Botschaft residieren der Ölgigant BP sowie Bayer, Allianz und die Commerzbank. Man ist auf Augenhöhe - wenn nicht höher (...) Erleichtert wird die Arbeit der Lobbyisten durch Politiker, die die Seiten wechseln."

Beispiele sind bekanntlich zahlreich: Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller, danach Konzernchef; Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, danach im Aufsichtsrat des deutschen Energiegiganten RWE; Ex-Innenminister Otto Schily und Wegbereiter des biometrischen Reisepasses, danach Aufsichtsrat bei "Safe ID Solutions", einem Unternehmen, das mit neuartigen Ausweisen Geld verdient. Von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröders Gazprom-Deal und Joschka Fischers Beratertätigkeit gar nicht erst zu reden.

Aufschlussreich, wenn sich die "unabhängigen" und angeblich nur ihrem Amt und ihrem "Gewissen" verpflichteten "demokratischen" Staatsdiener in ihrer Rage gegenseitig öffentlich ihrer Abhängigkeit vom Kapital bezichtigen. Den Vorwurf der Käuflichkeit seiner Partei durch den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel kontert der aufgebrachte FDP-Generalsekretär Lindner mit dem Hinweis, die SPD habe schließlich selbst Geld aus der Auto-Industrie angenommen und sich danach für die Abwrackprämie stark gemacht. Geld gegen Gesetz? War das der Deal mit Mövenpick? Ist die Regierung käuflich, wie es der SPD-Vorsitzende seitdem öffentlich behauptet? Wird unser Volk von Lobbys und "Amigos" regiert? Was hat das alles noch mit "Volksvertretern" und Demokratie zu tun? Es ist das Personal (z.B. wurde der bisherige Spitzenmanager und Lobbyist des Verbandes der Privaten Krankenversicherung Christian Weber als Abteilungsleiter für Grundsatzfragen ins Gesundheitsministerium übernommen und der bisherige EON-Generalbevollmächtigte für Wirtschaftspolitik und Lobbyist der Atom-Industrie Gerald Hennenhöfer wechselte ins Umweltministerium), es sind die großzügigen Parteispenden, die man getr ost als Bestechungsgelder werten kann, und es ist der Koalitionsvertrag - überall ist der besorgniserregende Einfluss der Wirtschaftslobbyisten spürbar. Zu Recht stellt Paul Schreyer deshalb fest:

"Im Sumpf aus bekannten Spenden, verdeckten Spenden, Parallelkampagnen und frei wucherndem Lobbyismus verblassen die Ergebnisse einer Bundestagswahl."

Die großzügigen Finck-Spenden an FDP und CDU und die daraufhin beschlossene Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers haben nach Meinung der unabhängigen Organisation LobbyControl, die gegen Korruption in der Politik kämpft, nicht bloß "ein Geschmäckle", sondern: "Es stinkt!"

Auch der Fraktionsvize der Linkspartei im Bundestag Ulrich Maurer kritisiert:

"Deutschland wird mehr und mehr zur gekauften Demokratie."

Er will Spenden von Unternehmen an Parteien generell verbieten. Abgeordnete sollen außerdem nicht auf den Gehaltslisten von Wirtschaftsverbänden und Großbetrieben stehen. DIE LINKE hat einen Gesetzentwurf angekündigt, um die Bestechung von Parteien zu verhindern.

"Was nach jetzigem Stand rechtlich zulässig ist, muss deswegen politisch nicht gerechtfertigt sein", erklärte Dagmar Enkelmann (DIE LINKE). "Nicht das große Geld, sondern die Interessen der Wählerinnen und Wähler müssen das Sagen haben."

Dessen sollten sich auch die Wählerinnen und Wähler bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2010 bewusst sein.


Hans Fricke ist Autor des im August 2008 im Berliner Verlag am Park erschienen Buches "Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg". 383 Seiten, Preis 19,90 Euro, ISBN 978-3-89793-155-8


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Quelle:
© 2010 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2010