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LAIRE/1239: Bundesregierung streicht Zusage der Klima-Soforthilfe (SB)


Klima-Soforthilfe an arme Länder nichts als heiße Luft

Wo Entwicklungshilfe draufsteht, ist nicht Entwicklungshilfe drin


Wenn du einen Bettler triffst, gib ihm kein Geld, sondern einen Tritt, lautet die selbstgefällige Ansicht mancher hanseatischen Pfeffersäcke, Düsseldorfer Modezaren, Münchner Medienmogule und sonstigen Systemgünstlinge. Diese Einstellung findet sich auch bei unseren Berliner Bundesbürokraten, die im Haushaltsentwurf 2011 nicht einmal 70 Millionen Euro Klima-Soforthilfe für arme Länder ausweisen wollen, wieder. Wie der "Tagesspiegel" [1] berichtet, sind die international zugesagten Gelder in dem am Mittwoch vom Kabinett abzusegnenden Entwurf nicht vorgesehen. Dafür reichten die Mittel nicht aus, erklärte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Man muß es sich einmal vor Augen führen: Erst stellt der Minister die Finanzplanung auf, dann tut er so, als sei die Streichung ein unvermeidlicher Vorgang, mit dem er nichts zu tun habe. Mit solcher Rhetorik wußte einst auch die "Eiserne Lady" Maggie Thatcher zu glänzen. Mit "Tina" - There is no alternative - begründete sie in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den auf einen drastischen Sozialabbau hinauslaufenden Wirtschaftskurs der Liberalisierung und Privatisierung. Im gleichen Geiste beschwor nun der deutsche Finanzminister das Schicksal, indem er erklärte, daß "die in der Finanzplanung ab dem Jahr 2012 vorgesehenen allgemeinen Haushaltsmittel nicht ausreichend" [1] sind, als daß die Bundesregierung ihre Zusage, die Ausgaben für Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0, 7 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen, einhalten kann.

Wie aber wär's mit Umwidmung aus anderen Budgets? Denn im Umwidmen versteht sich die Regierung gut. Jene 70 Millionen Euro, die tatsächlich "zusätzliche" Mittel im Haushalt wären, sind Bestandteil des deutschen Anteils in Höhe von 420 Millionen Euro an der internationalen Klima-Soforthilfe, die jedoch nicht neu aufgebracht, sondern kurzerhand umgewidmet wurden. Das System läuft wie geschmiert: Im ersten Schritt wird Entwicklungshilfe versprochen, im zweiten an anderer Stelle gestrichen, und im dritten Schritt wird ein Teil des eingesparten Betrags als Soforthilfe für die armen Länder ausgewiesen. Mit der versprochenen und nicht geleisteten Klima-Soforthilfe wird somit eine faktische Kürzung der Entwicklungshilfe verschleiert.

Die Behauptung, daß keine Finanzmittel vorhanden sind, trifft nicht zu. Entgegen den negativen Erwartungen rechnen Experten damit, daß beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit allein in diesem Jahr drei Milliarden Euro weniger benötigen wird als ursprünglich geplant. Das ist das 42fache dessen, was an Klima-Soforthilfe eingespart wird. Wo, bitte schön, fehlen da die Gelder?

Nicht, daß es eine echte Neuigkeit wäre, daß die reichen Länder ihre Zusage an Entwicklungshilfe brechen oder Umwidmungen vornehmen. Auch die frühere britische Regierung wollte einen Teil der Klima-Soforthilfe aus anderen Budgets entnehmen, wie die britische Zeitung "The Guardian" im Januar berichtete. [2] Und die Europäische Union hatte sich bereits in ihrem Entwurf für die internationalen Klimaschutzverhandlungen im Dezember in Kopenhagen nicht darauf festgelegt, daß die Soforthilfe zusätzlich zum Klimaschutz geleistet wird. Darin war sie sich damals schon mit der Bundesregierung einig. [3]

Im übrigen hatten die Bundesregierung und andere reiche Industriestaaten schon 1970 beschlossen, 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts als Entwicklungshilfe auszugeben. Die nichteingehaltene Zusage wurde 32 Jahre später - man hoffte wohl auf das allgemeine Vergessen - erneuert. Nun gilt 2015 als Zielmarke. Experten bezweifeln, daß sie erreicht wird. In diesem Jahr müßte Deutschland bei 0,51 Prozent liegen und nicht bei den tatsächlichen 0,4 Prozent, wie einem aktuellen Bericht auf bundestag.de zu entnehmen ist. [4 ]

Zu den nicht eingehaltenen Zusagen, Umwidmungen und Mittelstreichungen kommt ein Faktor hinzu, der bislang nicht angesprochen wurde: Etikettenschwindel. Wo Entwicklungshilfe draufsteht, ist nicht unbedingt Entwicklungshilfe drin. Vor fünf Jahren zog die internationale Hilfsorganisation ActionAid eine umfangreiche Bilanz, die bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren hat und die Situation sehr treffend beschreibt. [5] Bei 61 Prozent der von den G7-Staaten zugesagten Hilfsgelder handelt es sich demnach um "Phantomgelder". Dazu zählte die Organisation unter anderem Gehälter für Berater, Gutachter und Firmen aus den Industriestaaten.

In diesem Sinne liegt ein nicht unerheblicher Teil der Entwicklungshilfe in einer Grauzone. Es hat ja nichts mehr mit der möglicherweise ursprünglich einmal der Entwicklungshilfe zugrundeliegenden Absicht zu tun, wenn Gelder an den Erwerb von teuren Markenmedikamenten gebunden werden, obgleich das Entwicklungsland mit der gleichen Summe preisgünstigere Generika kaufen und damit sehr viel mehr Menschen helfen könnte. Oder wenn die Bundesregierung Hilfsprojekte in Afghanistan als Entwicklungshilfe ausweist, obgleich diese militärische Funktionen erfüllen. Oder wenn ein Schuldenerlaß als Entwicklungshilfe bezeichnet wird und dieser sich lediglich buchungstechnisch niederschlägt, nicht jedoch zu einer realen Verbesserung der Lebensverhältnisse in den armen Ländern beiträgt.

Die Streichung der zugesagten Klima-Soforthilfe für die armen Länder zeigt es noch einmal in aller Deutlichkeit: Die Klimakonferenz von Kopenhagen ist nicht einfach nur gescheitert, so daß sich nun alle bemühen sollten, daß die Nachfolgekonferenz in Cancun besser für die armen Länder läuft. Nein, die Kopenhagen-Konferenz war eine unmißverständliche Kampfansage der reichen Länder in Richtung Schwellen- und Entwicklungsländer. (Unbestritten, daß sich diese untereinander auch nicht einig waren.) Die Folgen des Klimawandels sollen die ärmeren Länder selbst tragen. Umfangreiche Unterstützung, durch die die Probleme behoben werden, dürfen sie nicht erwarten.


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Anmerkungen:

[1] "Bundesregierung will jährlich 70 Millionen Euro bei Entwicklungshilfe einsparen", Dagmar Dehmer, Tagesspiegel, 6. Juli 2010
http://www.tagesspiegel.de/politik/bundesregierung-will-jaehrlich-70-millionen-euro-bei-entwicklungshilfe-einsparen/1876280.html;jsessionid=4F37B0DAE03A837F62415FDB32EB2744

[2] "Climate fund 'recycled' from existing aid budget, UK government admits", The Guardian, 25. Januar 2010
http://www.guardian.co.uk/environment/2010/jan/25/climate-aid-uk-funding

[3] "EU aims to raid aid budgets for climate deal: Oxfam", Reuters, 6. Dezember 2009
http://mobile.reuters.com/mobile/m/FullArticle/CECO/nenvironmentNews_uUSTRE5B50I920091206?src=RSS-ECO

[4] "Sorge um Entwicklungsziele der UNO", Juni 2010
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2010/30239942_kw24_de_millenniumsziele/index.html

[5] "Real Aid. An Agenda for Making Aid Work", ActionAid, Juni 2005

6. Juli 2010