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LAIRE/1248: UNHCR konstatiert quasi-dauerhafte weltweite Flüchtlingsbevölkerung (SB)


Getrieben um den ganzen Globus - Flüchtlinge im 21. Jahrhundert


Mit dem Zerfall der Sowjetunion vor rund zwei Jahrzehnten endete auch der Systemkonflikt zwischen den Staaten des NATO- und des Warschauer Pakts. Nicht jedoch endete der Konflikt der Menschen mit dem System. In den letzten zwanzig Jahren ist die Welt unsicherer geworden, insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001, nachdem in den USA vier Linienmaschinen entführt und unter anderem in das World Trade Center gesteuert wurden. Der damalige US-Präsident George W. Bush kündigte daraufhin einen Kreuzzug gegen das Böse an, rief den Globalen Krieg gegen den Terror aus, und die NATO sekundierte mit der Ausrufung des Bündnisfalls.

Indes sollte Nine eleven, bzw. 9/11, wie jenes Datum genannt wird, weniger als historische Zäsur verstanden werden denn als Katalysator, durch den zuvor eingeleitete historische Entwicklungen in Richtung repressiver Sicherheitsstaat beschleunigt wurden. Der Unterschied zwischen Krieg und Frieden verschwimmt seitdem, was nichts anderes bedeutet, als daß immer weniger von Frieden gesprochen werden kann.

Unter offiziell eingestandenen Irreführungen wurde ein Land wie der Irak überfallen; zahllose Regierungen waren an der Entführung von Menschen durch den US-Geheimdienst CIA beteiligt; die Militärs aus sich demokratisch gebenden Staaten foltern straflos routinemäßig; und mit Hilfe von Drohnen und anderem Kriegsgerät werden Menschen auf der ganzen Welt - zur Zeit schwerpunktmäßig in Pakistan, aber auch Jemen, Sudan und Somalia - getötet. Der Terrorkrieg verleiht diesen Hinrichtungen eine Legalität, wie sie die verantwortlichen Exekutoren verstehen und aufgrund ihrer überlegenen Gewaltmittel durchsetzen können.

Neben einer wachsenden Zahl von Hungernden, die im Rahmen der globalisierten Ordnung von der Versorgung abgeschnitten sind, werden mehr und mehr Menschen aus ihrem angestammten Regionen vertrieben und fristen ein Dasein als Flüchtlinge. UN-Flüchtlingskommissar António Guterres warnte am Montag, daß es weltweit 43 Millionen Flüchtlinge gibt, die dringend eines besseren Schutzes bedürften. "Wir werden Zeuge, wie eine quasi-dauerhafte weltweite Flüchtlingsbevölkerung entsteht. Gemessen an der Möglichkeit zur freiwilligen Rückkehr war das vergangene Jahr das Schlechteste seit zwei Jahrzehnten. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Die Konflikte verändern sich ihrer Natur nach und werden immer schwieriger zu lösen. Es wird immer komplizierter, Frieden zu erreichen und zu erhalten." [*]

Man könnte auch sagen, daß sich der soziale Zusammenhalt mehr und mehr auflöst. Das tat er auch früher schon, teils mit der Konsequenz einer um vieles größeren Vernichtung als heute. Aber mittlerweile lösen sich die klaren Fronten des Kriegs auf. Das dürfte einer der Gründe sein, warum es laut Guterres zunehmend schwieriger wird, Frieden zu schaffen. Flüchtlinge, Binnenvertriebene, Asylsuchende, Staatenlose und andere hilfsbedürftige Menschen müßten sich in einem immer komplexeren Umfeld zurechtfinden, stellte der UN-Flüchtlingskommissar in seiner Eröffnungsrede für die diesjährige Sitzung des UNHCR-Exekutivkomitees fest.

Flüchtlinge aus Afghanistan sind auf 69 Staaten verteilt. Somit hat jeder dritte Staat der Erde Einwohner dieses zentralasiatischen Lands aufgenommen. Menschen durchwandern ganze Kontinente oder queren mehrere Ozeane, um einen Ort zu erreichen, von dem sie sich Sicherheit erhoffen. Neben 43 Millionen Flüchtlingen weltweit zählt das UN-Flüchtlingshilfswerk 23 Millionen Binnenvertriebene und 12 Millionen Staatenlose. Auch diese Zahlen sind Ausdruck der Entwurzelung und Haltlosigkeit, stellen allerdings nur die Spitze des Eisbergs dar. Getrieben von Armut bis hin zu nackter Existenznot hält eine seit vielen Jahrzehnten stattfindende Landflucht an - inzwischen leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land -, zudem sind Heerscharen von Wanderarbeitern unterwegs und suchen nach Arbeit. Auch diese Phänomene könnte man als abgestufte Formen einer aus der Not geborenen Flucht bezeichnen.

Die Sachwalter der hier beschriebenen Ordnung, die sich als Weltführer gerieren und internationale Gipfeltreffen zelebrieren (Weltklimagipfel, UN-Ernährungskonferenz, MDG-Konferenz, G7- und G20-Treffen, etc.) verlangen unverdrossen Gefolgschaft. Ihre Politik sei alternativlos, behaupten sie. Das müssen sie auch behaupten, und sie müssen alles dafür tun, daß kein Zweifel an diesem Eindruck aufkommt, denn dabei würde ihre Regierung in Frage gestellt werden. Wir leben in einer Welt, in der Banken gerettet werden, nicht aber Hungernde und Flüchtlinge. Es wird Zeit, daß sich all diejenigen, die ihrer Lebenschancen beraubt und zu den ewigen Verlierern gerechnet werden, sich entschieden von diesem System emanzipieren.


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Anmerkung:

[*] "UN-Flüchtlingskommissar warnt vor quasi-dauerhaften Flüchtlingskrisen", 5. Oktober 2010
http://www.unhcr.de/aktuell/einzelansicht/article/5/un-fluechtlingskommissar-warnt-vor-quasi-dauerhaften-fluechtlingskrisen.html?PHPSESSID=4ffb18376a9730bbaf899296fc35cd03

6. Oktober 2010