Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

LAIRE/1285: Zeiger der Doomsday Clock vorgerückt - Gefahr durch Atomkrieg und Klimawandel wächst (SB)


Weltuntergangsuhr steht wieder auf fünf vor zwölf

Nuklearforscher lassen in ihrer Beurteilung der Weltlage Herrschaftsinteressen und ihre Folgen unerwähnt


Weil weder die Produktion von Atomwaffen gestoppt noch die Gefahr der Proliferation gebannt wurde und auch in Bezug auf den Klimawandel keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen wurden, haben Atomwissenschaftler der USA am Dienstag den Zeiger der Doomsday Clock (Weltuntergangsuhr) um eine Minute vorgestellt. [1] Damit wurde die Entscheidung vom Januar 2010, als die Uhr unter anderem wegen der Vision des US-Präsidenten Barack Obama von einer atomwaffenfreien Welt, Fortschritten bei internationalen Abrüstungsverträgen zwischen den USA und Rußland und der Klimakonferenz von Kopenhagen um eine Minute auf sechs vor zwölf zurückgestellt wurde, wieder aufgehoben.

Der Forschungs- und Sicherheitsausschuß des Bulletin of the Atomic Scientists, in dem seit 1947 eine Uhr die Gefahr des "Weltuntergangs" anzeigt, erinnert daran, daß es noch mehr als 19.000 Atomwaffen auf der Welt gibt. Damit könne die Weltbevölkerung mehrere Male vernichtet werden. Die Ratifizierung des Abrüstungsvertrags für Strategische Waffen, New START, im Dezember 2010 durch die USA und Rußland wird von den Atomwissenschaftlern positiv hervorgehoben, aber zugleich machen sie darauf aufmerksam, daß der Comprehensive Test Ban Treaty (Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen) noch nicht von Ägypten, China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und den USA ratifiziert wurde und deswegen nicht in Kraft treten konnte.

Die Atomwissenschaftler sprachen auch die Kontroverse zwischen Moskau und Washington hinsichtlich des US-Raketenabwehrschirms an. Sie gingen aber nicht ins Detail und erwähnten nicht, daß sogar der New START-Vertrag auf der Kippe steht. Denn die fortgesetzte Bedrohung Rußlands durch den Aufbau des Raketenabwehrschirm der USA hat zu beträchtlichen Spannungen geführt, welche den russischen Präsidenten Dmitri Medwedw zu der öffentlichen Erklärung brachten, daß man auch wieder aus dem New START-Vertrag aussteigen könne, sollten die USA die russischen Sorgen über den Raketenschild weiterhin ignorieren. [2]

Die Antwort der USA auf diesen Warnschuß war Ausdruck unerschütterlicher Ignoranz oder nackten Machtbewußtseins, was aufs gleiche hinausläuft: Die russische Regierung mißverstehe die Bedeutung des Raketenschilds, er richte sich gar nicht gegen Rußland, sondern gegen Länder wie Iran. Diese Aussage ist in etwa so, als wenn die Sowjetunion zur Zeit der Kubakrise erklärt hätte, die auf dem Karibikstaat stationierten Mittelstreckenraketen zielten nicht auf die USA. Zwar vereinfacht so ein Vergleich, da die Konstellation im Oktober 1962 eine andere war als heute, aber auch damals standen sich die USA und Rußland gegenüber - nur daß im Unterschied zu heute die umstrittenen Raketen nicht auf Moskau, sondern auf Washington zeigten.

Sollten die USA weiterhin das Sicherheitsbedürfnis Rußlands mißachten, und eben danach sieht es aus, dann wird die russische Seite genötigt sein, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, welche mit einiger Wahrscheinlichkeit die Spannungen und damit die Kriegsgefahr erhöhen. Einem Staat die Zweitschlagskapazität zu nehmen, indem man an seinen Grenzen Raketenstellungen aufbaut, bedeutet, ihn erpreßbar und angreifbar zu machen für einen vernichtenden Nuklearschlag. Damit Rußland niemals in diese unterlegene Lage gerät, hat es die Wahl, Waffen zu entwickeln, die nicht abgefangen werden können - beispielsweise immer raffiniertere Interkontinentalraketen mit steuerbaren Mehrfachsprengköpfen entwickeln -, oder in einem Akt der Verzweiflung zuzuschlagen, bevor der Feind angreift. Erstere Option wird tatsächlich verfolgt, letztere erscheint unwahrscheinlich, da es die eigene Vernichtung einschlösse. Dennoch wird am Beispiel des Raketenabwehrschirms deutlich, wie unvereinbar die Interessen zwischen den beiden größten Nuklearmächten des Planeten nach wie vor sind. Das ist keine gute Voraussetzung für die Einhaltung des New START-Abkommens.

Die US-Atomwissenschaftler warnten zudem, daß trotz des Nuclear Security Summit (Nuklearer Sicherheitsgipfel) im Jahr 2010 noch immer nicht die Gefahr beseitigt worden sei, daß sich radikale Gruppen in den Besitz von hochangereicherten Uran und Plutonium bringen und Anschläge mit Nuklearmaterial verüben könnten. Desweiteren würden die Regierungen nur behaupten, daß sie sich um die Sicherheit ihrer nuklearen Gefechtsköpfe sorgten, wenn sie Bombenkomponenten und Startsysteme austauschten. Solche Maßnahmen würden aber von anderen Staaten als Zeichen einer substantiellen militärischen Aufrüstung gewertet.

Der Konflikt des Westens mit dem Iran wegen seines mutmaßlichen Programms zum Bau einer Atombombe wird bei der Beurteilung der weltpolitischen Lage ebenfalls nicht ausgespart. Wobei die Forscher auch keine Idee haben, wie das prinzipielle Problem der Urananreicherung mittels Zentrifugen, mit denen sowohl Brennstoff für die zivile als auch die militärische Nutzung hergestellt werden kann, zu lösen sei. Sie schrieben lediglich, daß dieses Problem gelöst werden müsse. Nicht ins Kalkül ziehen die Wissenschaftler augenscheinlich die Möglichkeit eines Kriegs zwischen den USA, der EU und Israel gegen Iran mit anschließender Eskalation. Dabei würden womöglich auch China und Rußland involviert, die um die globalhegemonialen Ambitionen der westlichen Allianz wissen. Wohingegen die zivile Atomenergienutzung thematisiert wird. Die Nuklearkatastrophe aufgrund der Zerstörung des japanischen Atomkraftwerks Fukushima Daiichi durch ein Erdbeben und den anschließenden Tsunami am 11. März 2010 habe Fragen aufgeworfen, die beantwortet werden müßten, so die Forscher. Komplexe Systeme wie Atomkraftwerke müßten sicherer und das Personal besser geschult werden, um die Gefahr von Unfällen und Fehlentscheidungen zu verringern.

Seit 2007 berücksichtigen die Atomwissenschaftler bei der Festlegung der Zeigerstellung der Doomsday Clock neben der Gefahr eines Nuklearkriegs und sogenannter terroristischer Aktivitäten die Bedrohung durch die Folgen des Klimawandels. In diesem Jahr schrieben sie, daß die Weltgemeinschaft schon kurz vor dem Zeitpunkt stehen könnte, an dem katastrophale Entwicklungen in der Erdatmosphäre nicht mehr zu stoppen seien. Mit Bezug auf Erklärungen der Internationalen Energieagentur in Paris hieß es, daß die Gesellschaften innerhalb der nächsten fünf Jahre Alternativen zu fossilen Energieträgern entwickeln müßten, andernfalls werde das Klima wärmer, es käme zu mehr Wetterextremen, Dürren, Hungersnöten und Wassermangel; der Meeresspiegel stiege an, flache Inselstaaten gingen unter, die Weltmeere versauerten. Innerhalb dieses Jahrzehnts würden die Weichen für die nächsten 40, 50 Jahre gestellt, so das Resümee.

Eine der Möglichkeiten, Grundlaststrom zu produzieren und dabei wenig Kohlendioxid zu emittieren, stellten Atomkraftwerke dar. Rußland, China, Indien und Südkorea würden wahrscheinlich Akws bauen, Uran anreichern und damit die globale Nuklearenergie-Industrie mitgestalten. Es bestehe zwar die Hoffnung auf Alternativen zur Verbrennung von Kohle, Erdöl und Uran für die Energiegewinnung - beispielsweise Solar- und Windenergie, und auch die Energieeinsparung und -effizienz sei inzwischen Thema sowohl bei der industriellen als auch privaten Energienutzung -, aber bei allem Bemühen auf lokaler Ebene in vielen Ländern befürchten die Atomforscher, daß die Geschwindigkeit eines Kurswechsels nicht genügt und die erforderliche Transformation nicht rechtzeitig vor umwälzenden klimatischen Veränderungen bewerkstelligt wird.

Die gegenwärtigen politischen Prozesse sehen die Atomforscher als ganz und gar unzureichend an, um die Herausforderungen für das Überleben der Menschen zu meistern. Wohingegen die Forscher in dem Arabischen Frühling, der Occupy-Bewegung, den politischen Protesten in Rußland und bei Aktionen der einfachen Leute in Japan einen Hoffnungsschimmer zu erkennen glauben.

Der positive Aspekt an der Doomsday Clock besteht sicherlich darin, daß die Forscher eine kritische Stellungnahme abgeben und ins Bewußtsein rücken, mit welch verheerenden Folgen politische Entscheidungsträger kalkulieren. Höchst kritisch an der Weltuntergangsuhr ist dagegen zu bewerten, daß allein schon durch die Namensgebung vermeintlich schicksalhafte Entwicklungen unterstellt werden. Die politischen Akteure werden allenfalls genannt, ihre Absichten und Ziele hingegen ausgespart. Ganz und gar ausgeblendet wird der allem politischen Geschehen hinterlegte Sozialkampf, die Unvereinbarkeit zwischen Herrschenden und Unterdrückten, oder gar die Idee einer Auflösung dieses Widerspruchs durch eine einseitige, unbestechliche und emanzipatorische Positionierung auf Seiten der Schwachen und Ausgegrenzten.

Die Zeiger der Weltuntergangsuhr mal vor- und mal zurückzudrehen beruhigt das Gewissen, es rührt aber nicht an den liebgewordenen Privilegien eines Berufsstands, dem nicht zuletzt deshalb hohe gesellschaftliche Anerkennung zuteil wird, weil er den bestimmenden Kräften Mittel zur Sicherung ihrer Herrschaft an die Hand gibt. Das gilt nicht allein für den ursprünglichen Bau der Atombombe, sondern bis heute, indem das Atomwaffenarsenal gewartet und modifiziert wird, Atomkraftwerke in die Welt gesetzt werden, die die Verfügungsgewalt des Staates stärken, neue Waffen entwickelt werden und generelle eine herrschaftsförmige Wissenschaftsideologie verbreitete wird. Die Doomsday Clock ist Bestandteil der Gesellschaft, nicht ihr Gegenentwurf und kein Ausdruck der vollständigen Verweigerung der Atomwissenschaftler gegenüber Herrschaftsinteressen.



Anmerkungen:

[1] "Doomsday Clock moves to five minutes to midnight", 10. Januar 2012
http://www.thebulletin.org/content/media-center/announcements/2012/01/10/doomsday-clock-moves-to-five-minutes-to-midnight

"Doomsday Clock Moves 1 minute closer to midnight", 10. Januar 2012
http://www.thebulletin.org/content/media-center/announcements/2012/01/10/doomsday-clock-moves-1-minute-closer-to-midnight

[2] "Medwedew droht mit Ausstieg aus Abrüstungsabkommen", NZZ Online, 23. November 2011
http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/medwedew_droht_mit_ausstieg_aus_abruestungsabkommen_1.13396182.html