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LAIRE/1344: Europa - unendliche Weiten ... (SB)



Verschwommenes Bild eines Rings aus den ins sichtbare Licht übertragenen Radiowellenmessungen - Foto: Event Horizon Telescope Collaboration

Nicht des Kaisers neue Kleider, sondern ein supermassereiches Schwarzes Loch mit leuchtender Akkretionsscheibe im Zentrum der Galaxie M 87
Foto: Event Horizon Telescope Collaboration

Jetzt, da die von tiefen sozialen Widersprüchen gespaltene Europäische Union auseinanderzubrechen droht, scheint die EU-Kommission mehr denn ja darauf abzuheben, den Zusammenhalt der Union über eine europäische Vision sichern zu wollen. Die wird im technologischen Fortschritt und der gemeinsamen Erkundung der unendlichen Weiten des Weltalls gesucht. Und gefunden. Am Mittwoch, den 10. April, hat die EU-Kommission auf ihrem Youtube-Kanal einen Livestream zu einer Pressekonferenz in Brüssel über die erste Aufnahme eines Schwarzen Lochs geschaltet. Zeitgleich wurde das Ereignis an weiteren fünf Standorten in Chile, China, Japan, Taiwan und den USA bekanntgegeben. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten unser Verständnis vom Universum revolutionieren, wurde das mediale Großereignis bereits im Vorfeld gepriesen. Mit solchen Aktionen will die EU-Kommission anscheinend die Ehrfurcht der Menschen wecken und sie hofft offenbar, daß ein wenig davon für den Verkünder dieser kosmischen Botschaft abfällt.

Selten hat die EU-Kommission solch ein Bohei um ein astronomisches Thema gemacht wie bei der Präsentation der ersten Aufnahme eines supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie Messier 87 (M 87) im Virgo-Galaxienhaufen, Sternbild Jungfrau, rund 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Das Bild wurde mit dem Event Horizon Telescope (EHT - Ereignishorizont-Teleskop) aufgenommen, zu dem acht Radioteleskope, verteilt über die ganze Welt, zusammengeschlossen sind. Mittels interferometrischer Operationen werden sie rechnerisch zu einem einzigen Teleskop von 8.000 Kilometer Durchmesser. Ein Teil der Finanzmittel für die Forschungen mit dem EHT stammen vom Europäischen Forschungsrat. Beteiligt sind auch die USA, Kanada, Japan, China, Indien und zahlreiche weitere Länder.

Auf dem Bild sieht man nichts. Genau darum geht es. Dieses Nichts ist schwarz und stellt ein Schwarzes Loch dar, erkennbar nur durch das Verhalten des Umfelds auf seine Existenz. Die hatte der Physiker Albert Einstein vor gut 100 Jahren in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorausgesagt. Diesem dunklen, hochverdichteten, sogar Licht verschlingenden Objekt, das durch seinen Ereignishorizont begrenzt wird, wird die 6,5milliardenfache Masse unserer Sonne zugesprochen. Es soll einen Durchmesser von 100 Millionen Kilometern haben.

Was als leuchtender Ring um das Schwarze Loch herum zu sehen ist (sprich: als Ergebnis jahrelanger Rechenoperationen nach wiederum jahrelangen Vorbereitungen präsentiert wird), entspricht laut Monika Mo´scibrodzka von der Radboud Universität in Nijmegen der sich im Uhrzeigersinn drehenden, aufgeheizten Materie der sogenannten Akkretionsscheibe. Diese erscheint auf dem Bild im unteren Bereich heller, was so gedeutet wird, daß sich die rotierende plasmatische Materie auf die Erde zubewegt.

Der Nutzen, das Bild von einem Schwarzen Loch aufgenommen zu haben, ist zumindest für die Wissenschaft mit Sicherheit riesig. Wobei hier weniger an das präsentierte Ergebnis an sich zu denken ist, als vielmehr an seine Erarbeitung sowie die Perspektiven, die sich nunmehr eröffnen. Die mathematischen, logistischen und politischen Mittel und Wege bieten die Aussicht auf weitere Kooperationen mit noch mehr Radioteleskopen und noch genaueren Darstellungen.

Man kann zwar nicht wirklich gut imaginieren, was sich hinter dem recht unscheinbar wirkenden Bild verbirgt, aber die angedeutete kosmische Größe dieses urgewaltigen Verschlingers im Zentrum von M 87 könnte Ehrfurcht wecken, vergleichbar vielleicht mit jener, die zur pharaonischen Herrschaftszeit im alten Ägypten beim Anblick der Pyramiden aufkam, oder mit jenem andächtigen Eindruck der eigenen Winzigkeit angesichts des riesigen, in den Himmel ragenden Kölner Doms und anderer klerikaler Prachtbauten.

Die nationalistische Karte zu ziehen, wie es US-Präsident Donald Trump bevorzugt, indem er "America first!" ausruft und sein begeistertes Publikum mit "USA! USA!"-Rufen antworten läßt, geht bei einem Staatenbund wie der Europäischen Union nicht. Bildet doch gerade die Überwindung des Nationalismus ihren Markenkern. Zumindest nach außen hin. Was nicht bedeutet, daß die EU nicht ähnliche Interessen verfolgt wie die USA und es unter den Nationen, die sich zu einer Union zusammengefunden haben, nicht auch Gewinner und Verlierer gibt. Das hat insbesondere Deutschland mit seinem Austeritätsdiktat gegenüber Griechenland in den letzten Jahren schmerzlich vor Augen geführt. Das ist ein so offenkundiger gesellschaftlicher Widerspruch, daß er wohl durch das Schwelgen in der ideologischen Soße des vermeintlich Gemeinsamen vergessen gemacht werden soll. Da bietet sich die Instrumentalisierung von Technologie und Wissenschaft sowie das Beschwören der Zusammenarbeit geradezu an.

Die Verkünder der kosmischen Botschaft tragen keine golddurchwirkten Talare, sie traten in Zivil auf und geben sich recht locker, ohne dabei leichtfertig zu wirken. Auf der per Livestream im Internet geschalteten Pressekonferenz berichtete der seit 2014 für Wissenschaft zuständige EU-Kommissar Carlos Moedas, er sei stolz auf die Wissenschaft. Mit dem Bild des Schwarzen Loches verbinde sich Science und Fiction; das rühre an Kinderfragen. Geradezu religiös wurde Moedas mit seiner offenkundigen Anspielung auf die Geburt Jesu, als er in bezug auf eine Aussage Michael Kramers, des amtierenden Direktors des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn, erklärte, man werde die Zeit in eine vor und eine nach der Veröffentlichung des Bildes vom Schwarzen Loch unterteilen. Dies sei ein großer Moment für die Menschheit.

Kaum weniger enthusiastisch äußerte sich J. Anton Zensus, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie und Vorsitzender des EHT-Vorstands. Das Erstellen des Bilds sei nicht die Geschichte eines Helden, sondern die Geschichte vieler Helden, verkündete er. Die Kooperation, in der Europa führend sei, erbringe ein viel besseres Ergebnis, als es eine Einzeluntersuchung je vermocht hätte.

Das Schwarze Loch sehe aus wie der Eingang zur Hölle, bediente sich auch der Vorsitzende des EHT-Wissenschaftrats, Heino Falcke von der University Nijmegen, eines Vergleichs aus dem reichhaltigen Fundus religiös konnotierter Bilder.

Soll das europäische Haus nicht noch während der Phase seines Aufbaus zusammenstürzen, braucht es einen ideologischen Kitt, wie ihn die Weltraumforschung anbietet. Die weiß um ihren Preis und läßt sich das gut bezahlen. Die Errichtung von Großgeräten an den entlegendsten Orten der Erde wie der Atacama-Wüste in Chile oder der Antarktis und die Beteiligung von über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Europa, Amerika, Asien und Afrika allein an dem EHT-Projekt kostet zig Millionen Euro an öffentlichen Geldern aus den Wissenschaftsbudgets der beteiligten Staaten.

Das astrophysikalische Greifen nach der Ferne mittels des Spektralbereichs von 1,3 Millimetern unterscheidet sich kaum vom Bemühen der Religionen, über Glaubensvorstellungen in eine jenseitige Sphäre zu fassen und allein durch diesen Vorgang ihrer scheinbar habhaft zu werden. Als Ikonographie des physikalischen Weltbilds ist das gigantische Schwarze Loch in M 87 genauso unerreichbar wie das jenseitige Reich eines oder mehrerer Götter einer beliebigen Religion. Doch diese Ferne an die Gutgläubigen heranzuholen, mittels des angelegten Koordinatensystems aus Raum und Zeit scheinverfügbar zu machen und zum Abschluß sprichwörtlich ins Bild zu setzen, sieht die Priesterschaft auf dem Feld der Wissenschaft weniger als Beruf denn Berufung an. Diese Fähigkeit zur Vermittlung hebt sie vermeintlich von den Normalsterblichen ab. Die sollen und, falls die Ideologie verfängt, wollen demütig ihren Pflichten nachkommen, während andere in den heiligen Hallen von Sakralbauten, die heutzutage das Aussehen von Wissenschaftseinrichtungen annehmen können, sich ein Leben lang mit der Erforschung von Schwarzen Löchern und anderen kosmischen Monstrositäten befassen.


12. April 2019


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