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LAIRE/1362: Schuldenlast - Zaumzeug und Zügel ... (SB)



Die Schuldenlast der Schwellen- und Entwicklungsländer steigt und steigt. Die betroffenen Staaten müssen neue Kredite aufnehmen, nur um ihre alten abzugleichen. Die Entschuldungsinitiative der 1990er Jahre ist quasi zunichte gemacht, was nicht überrascht, da es zu keinem Zeitpunkt darum gegangen war, die vermeintlich entlasteten Staaten grundsätzlich vom Joch ihrer Abhängigkeit zu befreien.

2018 hatten 124 hochverschuldete Schwellen- und Entwicklungsländer Auslandsschulden in Höhe von zusammen 7,8 Billionen US-Dollar angehäuft, berichteten die Initiative Erlassjahr.de und das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor in ihrem "Schuldenreport 2020". [1] Was darin nicht erwähnt wurde: Diese Summe, so groß sie auch erscheinen mag, macht nur ein gutes Drittel der Schulden eines einzigen Landes aus, der USA, die sich zu dem Zeitpunkt auf 21,46 Billionen US-Dollar beliefen.

Diesen extrem hohen Schuldenstand können sich die Vereinigten Staaten nur aufgrund ihrer militärischen, wirtschaftlichen und politischen Macht leisten. Es gibt niemanden, der die Schulden eintreibt, und wer es unter Umständen könnte, hat kein Interesse daran, da seine eigene Vorherrschaft wie die der USA auf dem Schuldsystem errichtet wurde.

Für die ärmeren Länder stellen hohe Schulden ein Last dar, für die Weltmacht Nummer eins dagegen einen Faktor, der die eigene Vorherrschaft absichert. Die USA sind dermaßen hoch verschuldet und können sich immer höher verschulden, daß es die gesamte Weltwirtschaft und damit auch all die Gläubiger in den Abgrund reißen würde, sollte die "Schuldenblase" platzen.

Von jenen 124 "kritisch" verschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländern gestaltet sich die Lage in Bhutan, der Mongolei, Sri Lanka, Dschibuti, Kap Verde, Mosambik, Sudan, Argentinien, El Salvador, Jamaika, Libanon und Kirgisistan am schwierigsten. Insgesamt können sogar 19 Länder ihren Schuldendienst gar nicht oder nicht mehr vollständig bedienen. Obschon die Wucht der Zerstörungen der Lebensverhältnisse durch die Klimawandelfolgen noch erheblich an Intensität zunehmen werden, sind die Folgen des Klimawandels bereits deutlich als Schuldenrisiko erkennbar. Zugleich verhindert der Schuldendienst, daß die Länder für viele Menschen überlebenswichtige Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel ergreifen.

Erlassjahr.de und Misereor bemängeln das Fehlen eines "international koordinierten Verfahrens zur Bewältigung neuerlicher Schuldenkrisen", was zur Folge habe, daß diese verschleppt werden. Die Kosten hätten die Menschen in den betroffenen Ländern zu tragen. Zudem gestalte sich die für ein koordiniertes Verfahren notwendige internationale Zusammenarbeit mit China, das inzwischen der bedeutendste Gläubiger ist, als schwierig.

Es ist sicherlich verdienstvoll, auf die ansonsten wenig beleuchtete Schuldabhängigkeit der Entwicklungs- und Schwellenländer aufmerksam zu machen und wegen der teils existenzbedrohenden sozialen Folgen zu versuchen, einen Weg aus der heiklen Lage aufzuzeigen. Indes liegen die Grenzen des Schuldenreports 2020 da, wo er sich mit dem System arrangiert, indem innerhalb dieses Rahmens nach einer gerechteren, weniger leidvollen Lösung gesucht wird. An dieser Stelle nach der Möglichkeit einer Reform der Schuldabhängigkeit zu suchen, erweist sich insofern als problematisch, als daß Schulden ein Mittel zum Zweck sind, um die betroffenen Staaten an die Kandare zu nehmen.

Für diejenigen, die die Zügel in der Hand halten, ergibt sich eine vorteilhafte Hebelwirkung, eine vollumfängliche Hegemonie. Sie bestimmen, wie und nach welchen Maßstäben in den schuldabhängigen Ländern produziert wird, wie die zur Dressur ausgesuchten Staaten die Produktionsverhältnisse gestalten, nach welchen Konditionen Löhne gezahlt und staatliche Subventionen ausgegeben oder eben verweigert werden, wie Handel betrieben wird und vieles mehr.

Die Gläubiger denken nicht eine Sekunde daran, die Zügel aus der Hand zu legen und den ärmeren Staaten einen Rollentausch anzubieten. Deshalb würde eine Entschuldung niemals eine Emanzipation zum Ergebnis haben, sondern lediglich eine Abmilderung allzu destruktiver "Auswüchse"; vergleichbar mit der Einführung der gesetzlichen Sozialversicherung in den 1880er Jahren im Deutschen Kaiserreich durch Reichskanzler Otto von Bismarck zwecks Befriedung der Arbeiterinnen und Arbeiter, nicht etwa zu deren Befreiung von der Lohnarbeit.

Ähnlich würde eine neuerliche Entschuldung, in welcher Form sie auch durchgeführt würde, nicht zur Befreiung der Staaten, sondern zu deren fortgesetzter Unterwerfung beitragen. Bezeichnenderweise war die Entschuldungsinitiative der G8-Staaten 1999 in Köln an Bedingungen des Wohlverhaltens geknüpft. Die als Gläubiger auftretenden Industriestaaten implementierten auf diesem Wege Teile ihrer unheilvollen Strukturanpassungsprogramme oder setzten deren Erfüllung voraus, damit ein Staat für die - lediglich partielle - Entschuldung in Frage kam. So stellte die Initiative Erlassjahr.de fest, daß die Entschuldung dazu geführt hat, daß die besonders hoch verschuldeten Länder (HIPC - Highly Indebted Poor Countries), die bis dahin zahlungsunfähig waren und ihre Schulden sowieso nicht mehr zurückzahlen konnten, wieder zahlungsfähig wurden. Dank der Entschuldung stieg deren Schuldendienst sogar erneiut an.

So erhielten diese Staaten die Chance zur Integration oder Reintegration in den Weltmarkt. Ihnen wurde also gestattet, einen Platz als Rohstofflieferant am unteren Ende der Wertschöpfungskette einzunehmen oder, sofern sie sich wie Ghana etwas hochgehangelt hatten, als Absatzraum für verarbeitete Waren aus dem Globalen Norden. Die Regeln des Weltmarkts jedoch, um abschließend die obige Analogie ein weiteres Mal zu bemühen, werden von den Reitern, nicht den Rössern aufgestellt.


Fußnote:

[1] https://erlassjahr.de/wordpress/wp-content/uploads/2020/01/SR20-online-.pdf

31. Januar 2020


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