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LAIRE/1374: Lohn der Anpassung - Entwicklungshilfe ... (SB)



Die Bundesregierung will nur noch wenigen ausgewählten Ländern sogenannte Entwicklungshilfe zukommen lassen. Nicht zum ersten Mal reduziert Deutschland damit den Kreis der begünstigten Empfängerländer, die sich gegenüber deutschen Interessen aufgeschlossen zeigen. Alle anderen fallen in die unausgesprochene Kategorie "schlechte Regierungsführung". Das sind solche Länder, die beispielsweise Geschäfte mit dem Konkurrenten China betreiben, den Marktöffnungsforderungen Deutschlands Widerstand leisten oder in denen zuvor auch von Deutschland hofierte Eliten an der Macht sitzen und es den einstigen Kolonialherren und heutigen Globalisierungspartnern gleichtun wollen.

Mit wohlfeilen Formulierungen wie, daß "eine neue Qualität der Zusammenarbeit" angestrebt wird, "die Maßnahmen in Zukunft noch wirksamer und effizienter eingesetzt werden sollen" und die Bundesregierung "noch stärker als bisher messbare Fortschritte bei guter Regierungsführung, der Einhaltung der Menschenrechte und im Kampf gegen die Korruption" einfordert [1], greift das BMZ zwar die seit langem an der Entwicklungspolitik geübte Kritik seitens Nichtregierungsorganisationen auf, doch sie legt deren Standpunkte so aus, daß damit wieder einmal die eigenen Hegemonialinteressen bedient werden.

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) ist jemand, der beansprucht, genauer hinzuschauen. Auf dem Rückflug von Bangladesch, wo er ein Lager mit myanmarischen Flüchtlingen der Rohingya besucht hat, soll er unter dem Eindruck der dort herrschenden elenden Verhältnisse beschlossen haben, alle Projekte der Zusammenarbeit mit der Regierung in Myanmar auszusetzen, wie tagesschau.de berichtete. [2]

Vor einigen Jahren hatte Müller eine Reform der Entwicklungspolitik angekündigt, die nun mit dem Konzept "BMZ 2030" [3] konkretisiert wurde und in den nächsten Jahren umgesetzt werden soll. Myanmar ist draußen. Von ursprünglich 85 Ländern, mit denen das BMZ bilateral zusammengearbeitet hat, sind rund 50 übriggeblieben. Die Länderliste ist zwar unveröffentlicht, doch werden in der Presse schon Namen genannt. So entfällt die bilaterale Hilfe auch für Liberia, Nepal, Sri Lanka, Honduras, Guatemala und Kuba.

Müller zufolge werde mit keinem Land die Zusammenarbeit komplett eingestellt. Statt der bisherigen bilateralen Hilfe soll die Kooperation durch die Europäische Union, Hilfsorganisationen oder Stiftungen fortgesetzt werden. Außerdem werde man im Bereich der Gesundheitspolitik kein Projekt einstellen - wegen der Coronaviruspandemie. Doch wurden die Hilfsorganisationen zuvor gefragt, ob sie überhaupt willens sind, sich in Ländern stärker zu engagieren, aus denen sich das BMZ aufgrund beispielsweise von Korruption und Repression zurückgezogen hat?

VENRO zum Beispiel, der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e. V., der in der Spanne der Nichtregierungsorganisationen (NRO) zu den eher moderaten, regierungsnahen Positionen neigt, zeigt sich in mancher Hinsicht skeptisch gegenüber der Reform. Das BMZ habe sie "in einem vornehmlich internen Reflexionsprozess" entwickelt (...), der "explizit nicht für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft" geschaffen wurde. Dennoch stelle sich die Frage, inwieweit sich "die Veränderungen bei Schwerpunkten, Prozessen und Strukturen im BMZ mittelbar auf die Arbeit der NRO auswirken". Und etwas weiter in der Stellungnahme: "Auch wenn wir generell die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Arbeit begrüßen, sollten NRO als eigenständige Akteurinnen der Entwicklungszusammenarbeit nicht in die Rolle gedrängt werden, entstandene Lücken zu füllen. Dies entspricht nicht ihrem Selbstverständnis in ihrer Zusammenarbeit mit lokalen Partner_innen." [4]

VENRO begrüßt, daß sich die Bundesregierung zu den Pariser Klimaschutzzielen und den UN-Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 bekennt, kritisiert jedoch, daß im Reformkonzept des BMZ das Prinzip "Leave no one Behind" aus der Agenda 2030 nicht erwähnt wird. Und nicht nur VENRO, auch das Bischöfliche Hilfswerk MISEREOR e. V. bemängelt laut tagesschau.de, daß die am wenigsten entwickelten Länder unter den Tisch gefallen sind.

Das Konzept BMZ 2030 wird zwar als erstes Reformprojekt seit zwölf Jahren bezeichnet, doch hat das Ministerium in der Zwischenzeit (2017) seinen "Marshallplan mit Afrika" aufgelegt, durch den die Zusammenarbeit bereits auf wenige Staaten konzentriert wird. Historischer Hintergrund hierzu wiederum ist der Ausstieg Deutschlands bzw. der Europäischen Union aus dem Lomé-System, bei dem den 78 AKP-Staaten - ehemalige Kolonien in Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum - unter anderem zollfreier Zugang für die hiesigen Märkte eingeräumt worden war. Dieses System wollte die Europäische Union zu ihrem Vorteil durch Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) mit zu Gruppen zusammengeschlossenen Ländern ersetzen, ein Prozeß, der sehr zäh verlief und nicht überall Erfolg im Sinne der EU gezeitigt hat. Die Position der AKP-Staaten hatte sich nämlich im Laufe der Verhandlungszeit verbessert, da mit China ein alternativer Handelspartner zur Verfügung stand.

Auf Empfehlung der OECD hat die Bundesregierung 2008 fast zwei Dutzend Kooperationsländer, mit denen eine umfassendere Entwicklungszusammenarbeit betrieben wurde, aus seiner Liste gestrichen. Schaut man noch weiter zurück, wird man feststellen, daß die Bundesregierung schon vor Jahrzehnten eine Konzentration der sogenannten Empfängerländer für Entwicklungshilfe angemahnt hat.

Entwicklungspolitik hat somit von jeher die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in den Ländern des Trikonts mittelbar und unmittelbar begleitet. Selbstverständlich wurden und werden dabei Partnerländer und Themen immer wieder neu festgelegt, da sich auch die wirtschaftspolitischen Bedingungen geändert haben.

Wenn sich BMZ-Chef Müller vom "Gießkannenprinzip" verabschieden will, wie er behauptet, dann zeigt das, daß seine Erfahrungen beim Gärtnern eher bescheiden zu nennen sind, dient doch die Gießkanne der gezielten Bewässerung bestimmter Pflanzen. Oder er nimmt es mit der Wahl seiner Analogien nicht so genau. Was er mit "Gießkannenprinzip" meint, ist klar, er will damit sagen, daß damit auch Unkraut begossen wird, das kein Wasser erhalten soll. Nun, Müller hätte wohl eher von einem Gießkännchen sprechen sollen, denn üppig hat sein Ministerium die zur Verfügung stehenden Gelder nicht verteilt.

Im übrigen sollte, wenn von "Entwicklungshilfe", "Partnerschaft auf Augenhöhe" oder "Zusammenarbeit" gesprochen wird, dies den eigentlich dabei beabsichtigten Vorgang treffender übersetzt werden als einen Versuch, die eigene Exportwirtschaft zu stärken, dauerhafte Absatzräume für hier produzierte Waren zu schaffen oder allgemein, Produktionsbedingungen zum Vorteil der eigenen Hegemonialabsichten zu schaffen. Das schließt die Abwehr von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen ebenso ein wie den gezielten Brain Drain, also das Abwerben von ausgebildeten Fachkräften mittels der Blue Card der Europäischen Union.

Die Definitionshoheit darüber, welche Regierung korrupt ist, Pressezensur ausübt oder Oppositionelle unterdrückt, liegt ausschließlich bei der Bundesregierung. Die verfolgt mit ihrem an Menschenrechten orientiertem Ansatz politische Absichten, deren Erfüllung sich nicht von den Herrschaftstechniken unterscheidet, weswegen andere Staaten nun keine Entwicklungshilfe mehr erhalten sollen. Seien es Waffenlieferungen an Kriegsnationen wie Saudi-Arabien - notfalls über Bande, also über andere Staaten -, die Anerkennung eines gescheiterten Putschisten als rechtmäßigen Staatsführer in Venezuela oder das Stillschweigen über einen Staatsführer wie Erdogan, der so vieles auf sich vereint, daß es für drei "Schurken" reichen würde: Folter, Führen eines Angriffskriegs, Zusammenarbeit mit Kopfabschneider-Dschihadisten, Liquidierung von Oppositionellen im Ausland und vieles mehr. Wenn es um die Abwehr von Flüchtlingen geht, kennt die Bundesregierung kein Pardon. Menschenrechte sind nur was für die anderen.


Fußnoten:

[1] http://www.bmz.de/20200429-1

[2] https://www.tagesschau.de/inland/entwicklungshilfe-kriterien-101.html

[3] http://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/infobroschueren_flyer/infobroschueren/sMaterialie485_bmz_2030.pdf

[4] https://venro.org/fileadmin/user_upload/Dateien/Daten/Publikationen/Stellungnahmen/VENRO_Stellungnahme_BMZ_2030.pdf

5. Mai 2020


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