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LAIRE/1381: Nachcoronakonjunktur - zum bloßen Trost da fließt kein Euro ... (SB)



Die Regierung hat ein 130-Milliarden-Euro-Paket zur Belebung der Konjunktur nach dem wirtschaftlichen Einbruch durch die Coronaviruspandemie beschlossen. Doch unter den 57 Einzelmaßnahmen sucht man die Umsetzung eines Vorschlags vergebens: Jede Bürgerin und jeder Bürger sollten pauschal 250 Euro erhalten, die ausschließlich für vom Shutdown betroffene Kleinunternehmen ausgegeben werden dürften. Begründet wird die Kritik an diesem von den Grünen vorgebrachten Vorschlag [1] unter anderem damit, daß davon unterschiedslos auch die Reichen profitieren würden. [2]

Bei diesem Argument wird geflissentlich übersehen, daß der Unterschied zwischen reich und arm längst gesellschaftlich etabliert ist. Jetzt, wo die ärmeren Menschen endlich einmal Geld zur nahezu freien Verfügung auf die Hand bekommen könnten, ohne daß sie dafür einer Behörde rechenschaftspflichtig wären und ohne ihnen das Geld an anderer Stelle wieder abzuknöpfen, wie ansonsten üblich im Hartz-IV-Regime, wird plötzlich Gerechtigkeitsempfinden vorgetäuscht.

Vielleicht hätte man einfach nur mal die ärmeren Menschen selbst fragen sollen, was sie von einem Einkaufsgutschein in Höhe von 250 Euro halten, der vielleicht an Bedingungen geknüpft wäre wie, daß das Geld nicht im Supermarkt oder Onlinehandel ausgegeben werden dürfte und binnen eines Jahres ausgegeben werden müßte.

Wäre das nicht eine Vitaminspritze für die lokale Wirtschaft, die sofort wirkt und von der sowohl Haushalte als auch Kleinunternehmen wie Handwerker, Restaurants, Frisiersalons und andere Dienstleistungsfirmen Vorteile hätten? Diese wie auch die ärmeren Menschen hätten zu dieser Art der Konjunkturspritze sicherlich nicht Nein gesagt. Zumal dieser Vorschlag andere wirtschaftliche Stimulierungsmaßnahmen gar nicht ausschließt.

Was aber hätten diejenigen, die eine pauschale Geldverteilung als ungerecht verwerfen, wohl zu dem folgenden, fiktiven Vorschlag gesagt, den Reichen sehr viel mehr Geld als Konjunkturspritze zukommen zu lassen, also 250 Euro für die Armen und 2500 Euro für die Reichen? Wäre das ihrer Meinung nach noch ungerechter? Genau! Aber spiegelte das nicht die vorherrschende Reichtumsverteilung treffend wider? Damit haben die Regierungsparteien offensichtlich keinerlei Probleme - wohl aber mit einem Pauschalbetrag für alle. Diese Geldverteilung nach dem Gießkannenprinzip ist ihnen anscheinend zu "sozialistisch".

Im übrigen erschließt sich nicht, warum das Gießkannenprinzip einen so schlechten Ruf genießt, ermöglicht doch die Gießkanne, sachgerecht eingesetzt, wahlweise eine punktgenaue oder breitflächige Versorgung mit dem lebenswichtigen Wasser. Anstelle der Anwendung des Gießkannenprinzips hat die Regierung unter anderem beschlossen, die Mehrwertsteuer zeitweilig von 19 auf 16 und den reduzierten Steuersatz von 7 auf 5 Prozent abzusenken. Man verwendet also keine Gießkanne, sondern schaltet gleich die Berieselungsanlage ein.

Es wird behauptet, daß Menschen mit einem geringen Einkommen von der Mehrwertsteuersenkung verhältnismäßig mehr Vorteile haben, weil sie ihr Einkommen fast komplett ausgeben, während reiche Menschen sparen und deswegen nicht mit ihrem vollen Einkommen in die Gunst der auf ein halbes Jahr befristeten Steuersenkung gelangen. Das Argument ist insofern schwach, als daß die Reichen mehr für den Konsum ausgeben als die Armen, also in absoluten Zahlen auch einen größeren Vorteil haben. Daß sie zusätzlich noch Geld auf die Seite legen können, drückt ihren Konsum nicht unter den der Armen.

Selbst wenn der Handel die Mehrwertsteuersenkung in ganzer Höhe an die Kundinnen und Kunden weitergibt, wäre das noch weniger als das, was Supermärkte, Baumärkte und andere Unternehmen regelmäßig an Sonderangeboten auswerfen. Im übrigen liegt der Vorschlag, einen 250-Euro-Gutschein pro Person auszugeben, in der Summe mit 21 Mrd. Euro nur knapp über den voraussichtlichen Mindereinnahmen des Staates durch die Mehrwertsteuersenkungen in Höhe von insgesamt 20 Mrd. Euro.

Die Steuersenkung wird sich vermutlich weniger als Maßnahme zur Stärkung der Nachfrage- als der Angebotsseite herausstellen, insbesondere der großen Unternehmen und der Versandhändler wie Amazon. Vielleicht ziehen die Menschen den Kauf beispielsweise eines Autos oder Fernsehers vor, wenn sie wissen, daß die Ware im nächsten Jahr wieder teurer werden wird. Doch die Menschen werden nicht deshalb auf einmal zur Tafel Schokolade greifen, weil sie statt 99 Cent "nur" noch 96 oder 97 Cent kostet.

Mit einfachen Ausschüttungen wie die 250-Euro-Soforthilfe tut sich die deutsche Regierung offensichtlich schwer. Ungeachtet dessen ist sie bereit, neun Milliarden Euro für die Rettung eines einzigen Konzerns, der Lufthansa, auszugeben. Wobei hinter dem Begriff "Rettung" ein großes Fragezeichen gestellt werden muß. Zur Zeit ist das Unternehmen wie ein Schwarzes Loch: Man kann noch so viel darin versenken, es wird nichts dabei herauskommen, sondern es würde nur noch größer werden. Die Fluggesellschaft wird womöglich 26.000 Personen entlassen. Nur um die Dimension der gewaltigen Finanzspritze für eine umweltschädliche, im Sinkflug befindliche Branche zu veranschaulichen: Von den neun Milliarden Euro könnten 26.000 Personen bei einer monatlichen Ausschüttung von 3.000 Euro pro Kopf neun bis zehn Jahre leben, ohne Lohnarbeit verrichten zu müssen.

Allen anderslautenden Einschätzungen zum Trotz hat die Nachcoronakonjunktur viel mit der Vorcoronakonjunktur gemein: kein Euro für die Armen.


Fußnoten:

[1] https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/wirtschaft/PDF/Papier-stationaerer-Einzelhandel.pdf

[2] Deutschlandfunk, Kontrovers, 15. Juni 2020

https://www.deutschlandfunk.de/kontrovers.1768.de.html

15. Juni 2020


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