Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1091: Krieg total - Israels Panzereinmarsch in den Gazastreifen (SB)


Israel rühmt sich seiner Kriegführung gegen eineinhalb Millionen eingepferchte und ausgehungerte Menschen

Krieg mit allen Waffengattungen - Israel greift die Bewohner des Gazastreifens mit Luftwaffe und Marine, Panzern und Infanterie an


Am Samstagabend begann die israelische Armee etwa um 20 Uhr mit der bereits seit Tagen angekündigten und befürchteten Bodenoffensive in den Gazastreifen hinein. Mit Unterstützung der Luftwaffe, die ihre Bombardierungen wie in allen Kriegstagen und -nächten zuvor fortsetzte, drangen israelische Panzereinheiten und Infanteriesoldaten, von denen bis zu zehntausend in den Tagen zuvor in dem zur für Zivilisten und Journalisten verbotenen militärischen Sperrzone erklärten Grenzgebiet zusammengezogen worden waren, in den Gazastreifen ein. Man müsse sich, so behauptete ein Armeesprecher, auf einen "langen und harten Kampf" einstellen, und so sollen weitere Reservisten eingezogen worden sein. Ein Krieg aller Waffengattungen gegen eine am Boden liegende und durch die bisherigen Bombardierungen bereits schwer traumatisierte, noch dazu durch die israelische Totalblockade ausgehungerte und verelendete Bevölkerung stellt eine humanitäre Katastrophe dar, für die es kaum noch adäquate sprachliche Umschreibungen gibt.

Konkrete Informationen über "die Lage" im Gazastreifen sind den westlichen Medien nur unvollständig zu entnehmen, und so speisen sich nicht wenige Berichte über den Kriegsverlauf am Tag 1 nach dem Beginn der Bodenoffensive aus Erklärungen der israelischen Armee. Demnach sind die israelischen Streitkräfte in der Nacht, am Morgen und am Vormittag an mehreren Stellen, genauer gesagt im Norden, südlich von Gaza-Stadt sowie im Süden bei Rafah, tief in den Gazastreifen eingedrungen. Vor der Küste liegende Marineschiffe hätten den gesamten Küstenstreifen von Nord nach Süd unter Feuer genommen. Desweiteren sei es gelungen, Gaza-Stadt vom Rest des Gazastreifens abzutrennen. Doch nicht nur das, denn nach Armeeangaben wurde der gesamte Küstenstreifen in drei Teile getrennt, um, wie das Militär behauptet, die Gebiete, aus denen radikale Palästinenser Raketen auf israelisches Gebiet abfeuerten, unter Kontrolle zu bringen. Sollte der Beschuß fortgesetzt werden, könne das Küstengebiet auch noch weiter aufgesplittet werden.

In Israel, zumindest innerhalb der israelischen Elite, wird die Ausweitung des bisherigen Luftkrieges auf einen mit Panzerverbänden und gutausgerüsteten Infanteriesoldaten vorangetriebenen Kampf um die Häuser und Straßen in dem dichtbesiedeltsten Gebiet der Welt bereits als großer Erfolg gewertet. Wie der ARD-Korrespondent Torsten Teichmann aus Tel Aviv berichtete [1], zeigte sich der israelische Politiker Zachi Haneghbi "hoch zufrieden" mit dem bisherigen Kriegsverlauf:

Wir haben der ganzen politische Ebene, dem Ministerpräsidenten, dem Verteidigungsminister und der Außenministerin zu diesem Vorgehen gratuliert. Wir brechen mit dem Mythos, wonach die israelische Armee gelähmt ist, nicht reagieren kann und nicht bereit ist Risiken einzugehen, um einer Million Bürger im Süden zu Hilfe zu kommen.

Eine so offen zur Schau gestellte Kriegsbegeisterung läßt vermuten, daß die israelische Regierung sich ihrer Sache vollkommen sicher sein zu können glaubt. Mit anderen Worten: Sie ist sich der wie offen auch immer bekundeten Rückendeckung sämtlicher aus ihrer Sicht relevanten internationalen Staaten sicher. Die Reaktionen der sogenannten westlichen Welt am Tag nach der begonnenen Bodenoffensive bestätigen dies. Zwar wurde in New York vier Stunden lang in einer Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates verhandelt, doch eine den israelischen Angriff verurteilende und von Libyen vorgelegte Resolution wurde selbstverständlich nicht verabschiedet. Traditionsgemäß legten die USA ihr Veto ein, was es den europäischen Verbündeten ermöglichte, in diesem Gremium ihr Gesicht zu wahren und nicht in aller Deutlichkeit als Kriegsverbündete in Erscheinung treten zu müssen.

Tatsächlich jedoch scheinen die führenden EU-Staaten tiefer denn je in die israelische Kriegführung miteingebunden zu sein. So kündigte die Europäische Union eine Vermittlungsmission an, die, durchgeführt von hochrangigen Vertretern, zunächst in Kairo beginnen würde mit der erklärten Absicht, Ägypten dazu zu bewegen, "mäßigend" auf die Hamas einzuwirken. Auf die israelischen Panzer und F-16-Kampfflugzeuge, die in einem Gebiet Krieg führen, dessen Bewohner über keine technologisch auch nur annähernd gleichwertigen Militäroptionen verfügen, soll nach Ansicht der EU-Oberen demnach nicht "mäßigend" eingewirkt werden. Die EU-Kommission forderte Israel keineswegs auf, den Krieg sofort zu beenden, sondern erklärte lediglich, wie um die eigene Beteiligung an diesen Verbrechen zu kaschieren, Israel möge internationale Verpflichtungen einhalten und Hilfslieferungen an die Bevölkerung des Gazastreifens zulassen.

Der Marschbefehl, auf den die im Grenzgebiet zum Gazastreifen stationierten israelischen Soldaten schon seit Tagen, wie es hieß, "gewartet" hätten, wurde nach einer unmittelbar nach der Rückkehr von Außenministerin Zipi Livni aus Paris gefällten Entscheidung des Sicherheitskabinetts am Freitag gegeben. Dieser Zeitpunkt ist durchaus bedeutsam, legt er doch die Vermutung nahe, daß Livni in Paris, wo sie mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy sowie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gesprochen hatte, das Okay der Europäer für die Bodenoffensive eingeholt haben könnte. Verlautbart wurde in westlichen Medien lediglich, daß Sarkozy und Steinmeier - vergeblich - versucht hätten, die Repräsentantin der israelischen Regierung zu einer Waffenruhe zu bewegen, was Livni jedoch strikt abgelehnt hätte.

Damit wurde gegenüber der Öffentlichkeit der Eindruck eines partiellen Interessengegensatzes zwischen der Kern-EU, die aus humanitären Gründen eine baldige Beilegung des Konfliktes zu befürworten vorgibt, und einem Israel postuliert, das einfach auf "stur" schaltet. Im Verhältnis zu den USA könnte es jedoch im Zuge dieses Krieges zu einer Veränderung gekommen sein. Zwar gab die US-Regierung wie schon alle Vorgängerregierungen vor ihr der israelischen Regierung im Weltsicherheitsrat die gewohnte Rückendeckung, doch scheint die scheidende Administration in Washington, die sich in ihren außen- wie innenpolitischen Zielen nicht im mindestens von der künftigen unter Barack Obama unterscheidet, leicht verschnupft zu sein. So ließ Vizepräsident Dick Cheney am heutigen Sonntag wissen, daß Israel diesmal gar nicht um die Erlaubnis aus Washington nachgefragt hätte, den bisherigen Luftkrieg auf einen Bodenkrieg auszuweiten.

Israel habe es wohl für erforderlich gehalten, diesen Schritt zu vollziehen, so Cheney, der damit durchaus zu verstehen gibt, daß das politische Washington nicht erfreut ist über dem Bruch der altbewährten Tradition, jeden relevanten militärischen Schritt mit den USA abzusprechen. Da der Entschluß zum Bodenkrieg nach der Rückkehr Livnis aus Paris erfolgte, steht umso mehr zu vermuten, daß die EU in Gestalt Sarkozys und Steinmeiers gegenüber Washington an Einfluß gewonnen und den USA in bezug auf Israel die Rolle des mächtigen, aus dem Hintergrund heraus operierenden und dabei höchst eigene Hegemonialinteressen verfolgenden Verbündeten streitig zu machen trachtet.

[1] Offensive im Gazastreifen, tagesschau.de, 04.01.09 - 17:38, http://www.ndrinfo.de/nachrichten/weitere_themen/nachrichten8_url- aHR0cDovL3d3dy50YWdlc3NjaGF1LmRlL2F1c2xhbmQvZ2F6YXN0cmVpZmVuMjM0LW5pbWV4LnhtbA==.html

4. Januar 2009