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DILJA/1142: Gipfelgedanken - Massive Repression gegen NATO-Kritiker spricht Bände (SB)


Ein Kriegsbündnis feiert sich selbst - NATO-Gipfel am 3./4. April 2009

Mobilmachung gegen den "inneren Feind" nimmt groteske Züge an


Die Zeitung mit den vier Großbuchstaben irrte auch hier: die Stadt Freiburg, in der bereits am Montag eine erste Demonstration gegen den NATO-Jubiläumsgipfel durchgeführt wurde, wurde weder in Schutt noch in Asche gelegt. Ungeachtet dieser und weiterer Provokationen verlief die Demonstration, bei der etwa 3000 Demonstranten einer gleichgroßen Zahl vermeintlicher Ordnungshüter gegenüberstand, weitgehend friedlich. Einen durchaus gewaltbereiten Eindruck hatten in Freiburg allerdings die Sicherheitskräfte gemacht. Wie Verina Speckin vom Anwaltsnotdienst zur juristischen Betreuung von NATO-Gegnern gegenüber der jungen Welt am 1. April erklärte, tauchten bei der Kundgebung vor dem Rathaus Polizisten mit der Aufschrift "Antikonfliktteam" auf, während in den Seitenstraßen Mannschaftswagen mit weiteren Uniformierten lauerten. Die Demonstranten wurden auf beiden Seiten von Polizisten eskortiert, die ihre Schlagstöcke und Helme ebenfalls mitlaufen ließen. Als es dunkel wurde, setzten die Beamten ihre Helme auf.

Die demonstrierenden Gipfelgegner sahen sich jedoch nicht nur martialisch auftretenden Gesetzeshütern gegenüber, sondern hatten, um nicht Gefahr zu laufen, wegen einer vermeintlichen Ordnungswidrigkeit oder gar Straftat belangt zu werden, zahlreiche, grotesk anmutende Polizeiauflagen zu beachten. Halstücher und Kapuzenpullis durften, weil als "Vermummungsgegenstände" bewertet, nicht getragen werden. Kein Demonstrant, und schon gar kein als Clown kostümierter, durfte sich den Beamten auf eine Distanz von weniger als 1,5 Metern nähern, und, last but not least, durften Transparente nicht parallel zur Laufrichtung getragen werden, damit den den Demonstrationszug begleitenden Beamten nicht die Sicht zwischen den Reihen der Demonstranten versperrt werde... Alles in allem demonstrierte die Staatsgewalt bereits am Montag in Freiburg, wie sie bei den bevorstehenden Gipfelprotesten ihrerseits mit dem grundgesetzlich verankerten Demonstrationsrecht umzugehen gedenkt.

15.000 Beamte wurden deutscherseits aufgefahren, um die Sicherheit der erlauchten Gipfelteilnehmer zu schützen, die nach Polizeiangaben durch 3000 als "gewaltbereit" einzuschätzende Demonstranten gefährdet werden würde. "Wer den NATO-Gipfel stören will, muß daran gehindert werden«, erklärte die französische Innenministerin Michèle Alliot-Marie den rund 10.000 im Einsatz befindlichen französischen Polizeibeamten. Doch wie sollen sie und ihre deutschen Kollegen die Absichten der Gipfelgegner erkennen und, genauer gesagt, zwischen legitimen und vermeintlich illegitimen unterscheiden können? Doch nicht nur die Polizei, auch das Militär steht auf deutscher wie auf französischer Seite der zum Hochsicherheitsbereich erklärten Konferenzregion in Bereitschaft, so als habe es die grundgesetzliche Befugnis zur Ausübung polizeilicher Aufgaben. Die französische Armee ist mit Tauchern und Sprengstoffspürhunden im Einsatz, das Heer steuerte zwei mobile Abschußbasen für Boden-Luft-Raketen sowie mehrere Hubschrauber bei.

An die AWACS-Überflugzeuge, die den gesperrten Luftraum kontrollieren, werden sich die Demonstranten schon gewöhnt haben. Etlichen Gipfelgegnern wurde, auf durchaus vielfältige Weise, die Teilnahme an den Protestveranstaltungen von vornherein verwehrt. Rund 40 von ihnen wurde von den deutschen Behörden die Einreise nach Frankreich verweigert. Daß eigens für die Gipfeltage das Schengener Abkommen außer Kraft gesetzt wurde, um Kontrollen an den Grenzen sowie im grenznahen Raum durchführen zu können, versteht sich von selbst. Martin Heiming, Heidelberger Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwaltsvereins, erklärt dazu gegenüber der jungen Welt (3.4.), daß die Bundespolizei rund 40 Personen, die zur Anti-NATO-Demonstration in Strasbourg fahren wollten, an der Grenze zurückgewiesen hat, obwohl nichts strafrechtlich Relevantes gegen sie vorlag.

Zur Begründung für diese Verweigerung des durch Schengen eigentlich garantierten Freizügigkeitsrechts wurde das deutsche Paßgesetz bemüht, das solche Maßnahmen in Fällen, die für die Bundesrepublik Deutschland von erheblichem Belang sind, vorsieht. Ergo wurde behauptet, die Betroffen hätten in Frankreich "gewalttätig" werden wollen, was dem Ansehen Deutschlands geschadet hätte. Anderen Zurückgewiesenen wurden vorgehalten, sie hätten sich gegenüber der Polizei nicht "kooperativ" verhalten oder hätten Vermummungsgegenstände, besagte Halstücher oder Kapuzenpullis, getragen - dabei gibt es in Frankreich nicht einmal den Straftatbestand der Vermummung. Wiederum andere Demonstrations- und Gipfelprotest-Willige wurden von vornherein daran gehindert, ihren Wohnort zu verlassen. Ihnen wurde von der Polizei das Verlassen ihres Wohnortes verboten, und, um die Einhaltung dieses einem Polizeistaat, jedoch nicht einem demokratischen Rechtsstaat zur Ehre gereichenden Verbots zu überwachen, wurde ihnen auferlegt, sich täglich bei der Polizei zu melden.

Unliebsame Erfahrungen mit Sicherheitsbehörden, die an einem friedlichen und reibungslosen Verlauf der Proteste nicht interessiert zu sein scheinen, weil dann die Dämonisierung der Gipfelgegner und ihrer Positionen erschwert ist, konnten auch die Bewohner des Anti-NATO-Camps im Strasbourger Ortsteil Neuhof machen. Sie berichteten von ständigen und schikanösen Personenkontrollen durch die Polizei. Hubschrauber würden sehr tief über das Camp fliegen, hieß es desweiteren. Am Dienstag wurde das Fahrzeug einer Volxküche, die die Campbewohner mit Essen versorgen wollte, an der Grenze angehalten. Die Küchenmesser wurden beschlagnahmt und zu Beweisen für die üblen Absichten der angehenden Köche, die noch bis Mittwochnachmittag von der Polizei festgehalten wurden, umgedeutet.

Ebenfalls am Dienstag suchte eine Sondereinheit der französischen Polizei, die in den Banlieues für ihre Einsätze als "Agents provocateurs" berüchtigte zivile "Brigade anti criminalité" (BAC), den rund 800 Campbewohnern das Leben schwer zu machen. Als diese ihre Provokationen, die darauf abzielen, einen Widerstand seitens der Gipfelgegner zu hervorzurufen, der dann mit Repressalien "beantwortet" werden kann, ergebnislos verpufften, verlagerten sich die Beamten auf das Abschießen von Schockgranaten in Richtung der Zelte, die - zum Glück - niemanden verletzten. In Deutschland wurden solche Waffen in der Vergangenheit bereits mit schwerwiegenden Folgen für Getroffene verwendet, in Malville kam 1977 sogar ein Mensch durch eine solche Granate ums Leben.

Einen Vorgeschmack darauf, wie von seiten der NATO mit deutschem Recht und deutscher Rechtsprechung umgegangen wird, lieferte unterdessen der Fall zweier Journalisten, denen die Akkreditierung zum Gipfel durch das Bundeskriminalamt verweigert worden war. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hatte am Dienstag in zwei von den Betroffenen angestrengten Eilverfahren entschieden, daß es für die Praxis des BKA, die vom Akkreditierungsstab der NATO übermittelten Personendaten mit dem polizeilichen Informationssystem INPOL abzugleichen und auf dieser Basis der NATO eine positive oder negative Rückmeldung zu geben, keine Rechtsgrundlage gibt. "Die Übermittlung einer Bewertung an das NATO-Hauptquartier ist offensichtlich unzulässig", entschied das Gericht und gab dem BKA auf, die Negativ-Akkreditierungen zurückzuziehen. Angeblich sollten mit der INPOL-Anfrage "mögliche Gefahren" für führende Politiker abgewehrt werden, faktisch sollte eine potentiell kritische Berichterstattung in grundrechtsverletzender Weise unterbunden werden.

Doch der Gerichtsbeschluß verfehlt dennoch seine Wirkung. Die NATO hält an der Verweigerung der Akkreditierungen fest - ohne jede Begründung, und stellt damit einmal mehr unter Beweis, warum Tausende Menschen zum Gipfel angereist sind. Bei ihnen allen handelt es sich jedoch um Demonstranten, die ihren Protest gegen das waffenstärkste und aggressivste Militärbündnis der Welt zum Ausdruck bringen wollen und deshalb, noch bevor die für Samstag in Strasbourg angekündigte Großdemonstration überhaupt angefangen hat, mit Schikanen und Repressalien konfrontiert sind, die sie in ihren Argumenten und Standpunkten nur noch weiter bestärken können. Wer nun einwenden möchte, daß die Gipfelgegner nicht die gesamte Bevölkerung repräsentieren, muß sich im Gegenzug aber auch fragen lassen, warum es denn sämtliche im Bundestag vertretenen Pro-NATO-Parteien unterlassen haben, zu Pro-NATO-Kundgebungen und -Demonstrationen aufzurufen oder sonstige Feierlichkeiten unter Einbeziehung jubelwilliger Bevölkerungsteile zu organisieren, wenn doch, wie sie glauben machen wollen, das 60jährige Bestehen der NATO ein so freudiges Ereignis sei?

3. April 2009