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DILJA/1183: Honduras - Präsident Manuel Zelaya überprüft sein Verhältnis zu den USA (SB)


Präsident Zelaya hält sich nach seinem zweiten mißlungenen Rückkehrversuch im nicaraguanischen Grenzgebiet zu Honduras auf

Nach anfänglichem Grundvertrauen stellt er nun die Regierung Obama auf die Probe


Vor genau einem Monat, am 28. Juni 2009, wurde Manuel Zelaya, der demokratisch gewählte Präsident des traditionell US-freundlichen mittelamerikanischen Staates Honduras, aus dem Amt geputscht. Dem Staatsstreich folgte die Etablierung einer zivil bemäntelten De-facto-Militärdiktatur, die ihren tatsächlichen Charakter ungeachtet der von ihr gewaltsam durchgesetzten Medienzensur keineswegs verbergen kann. Das Regime geht gewaltsam gegen die Front der Putschgegner vor und schafft Verhältnisse, die überwunden geglaubte Ängste vor einem Rückfall in die schlimmen Zeiten der Todesschwadrone und Folterregime nicht etwa nur wachrufen, sondern bereits bestätigen. So wurden nicht nur über 1200 Oppositionelle unter den fadenscheinigsten Vorwänden wie etwa wegen des Verstoßes der eigens zu diesem Zweck verhängten nächtlichen Ausgangssperre verhaftet, sondern auch etliche Putschgegner bereits ermordet.

Las Manos, üblicherweise eine "kleine, freundliche Zollstation" an der nicaraguanisch-honduranischen Grenze, wurde am vergangenen Freitag zum Schauplatz einer abermaligen Machtdemonstration des honduranischen Militärs. Manuel Zelaya überquerte zwar die Grenze, sah sich jedoch einer Phalanx aus Soldaten und Polizisten gegenüber, die sich zwar abwartend und, wie der rechtmäßige honduranische Präsident erklärte, ihm gegenüber durchaus respektvoll verhielten, ihn jedoch allein durch ihre Präsenz an der beabsichtigten Rückkehr hinderten, so daß ihm nichts anderes übrig blieb, als unverrichteter Dinge nach Nicaragua zurückzukehren. Dies lag vor allem auch daran, daß der Grenzbereich vom honduranischen Militär abgeriegelt und die Zufahrtswege blockiert worden waren, um die anreisenden Unterstützer daran zu hindern, Zelaya in Empfang zu nehmen und wie geplant bis nach Tegucigalpa zu begleiten. Die Putschgegner kamen nicht weiter als bis nach El Paraíso, einer Stadt mit dem trefflichen Namen "Das Paradies" in zehn Kilometer Entfernung zur Grenze, an Zelaya heran.

In El Paraíso wurde eine totale Ausgangssperre verhängt, die dort versammelten Zelaya-Unterstützer, unter ihnen auch nahe Familienangehörige des gestürzten Präsidenten, wurden vom Militär, das seine in der Grenzregion stationierten Kräfte am Sonntag noch weiter verstärkte, eingekesselt und zu De-facto-Gefangenen gemacht, die von jeder Versorgung mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten ausgeschlossen sind. Unverkennbar setzt das Regime auf eine Mischung aus brutalster Gewaltanwendung, Aushungerung und Demoralisierung, um den Widerstand im Land zu schwächen und besser noch zu brechen. So wurde der zweite Übergangsversuch Zelayas - der erste scheiterte am 5. Juli daran, daß die Militärs das Flugzeug mit Zelaya an Bord auf dem Flughafen von Tegucigalpa an der Landung hinderten -, von den derzeitigen Machthabern mit einem weiteren Mord beantwortet.

Samstagfrüh fand man den Leichnam von Pedro Mandiel Muñoz, einem 24jährigen Zelaya-Anhänger, der an den Demonstrationen für die Rückkehr des Präsidenten teilgenommen hatte, ganz in der Nähe von El Paraíso. Der Tote war zuvor von der honduranischen Polizei festgenommen worden. Sein Leichnam wies neben Folterspuren zehn Stichverletzungen auf. Da er nicht "verschwand", sondern in unmittelbarer zeitlicher wie räumlicher Nähe zu den Vorgängen in und um El Paraíso, wo es auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und den Demonstranten gekommen war, liegengelassen wurde, muß angenommen werden, daß seine Ermordung der Einschüchterung aller übrigen Putschgegner gewidmet ist. Die die Putschisten unterstützenden honduranischen Medien verbreiteten zudem noch die Behauptung, Pedro Mandiel Muñoz sei von seinen eigenen Freunden umgebracht worden. In der Hauptstadt Tegucigalpa kam es zu einem weiteren Mordversuch an Juan Carlos Trochez, dem Sohn des liberalen Abgeordneten Rodrigo Trochez. Der Zelaya-treue Jugendliche, auf den von bislang unbekannten Tätern geschossen wurde, überlebte schwer verletzt. Für seinen Vater steht unmißverständlich klar, daß die Putschisten dahinterstecken.

Angesichts dieser weiteren Zuspitzung der Lage scheint Manuel Zelaya mehr noch als bisher desillusioniert worden zu sein. Der Präsident, der sich nach wie vor an dem kleinen nicaraguanischen Grenzort Las Manas aufhält, wo er sich nach seinem mißlungenem Rückkehrversuch in einem Zeltlager einrichtet, um weiterhin in unmittelbarer Grenznähe auszuharren, hat die Presse über die Verhaftung des Bauerngewerkschafters Rafael Alegría informiert, der am Samstag an einem der vom Militär in dem Verwaltungsbezirk El Paraíso errichteten Kontrollpunkte festgenommen worden war. Alegría, dessen sofortige Freilassung Zelaya forderte, war von 1993 bis 2004 Sprecher der Kleinbauernbewegung Via Campesina und danach als Landwirtschaftsberater für Zelaya tätig gewesen. Keine zwei Wochen zuvor hatte Alegría die internationalen Staaten, so beispielsweise in einem in mit dem österreichischen Standard geführten Gespräch, noch über den Putsch und die neuen Verhältnisse in Honduras informiert und im Zuge dessen die Ermordung eines jungen Putschgegners während der Proteste am Flughafen von Tegucigalpa bei Zelayas erstem Rückkehrversuch geschildert [1]:

Die Militärs haben dort den 19-jährigen Isis Obed Murillo erschossen. Die Putschisten, die mit Billy Joya einen Mann zum Minister gemacht haben, der in den 80er Jahren am "Verschwinden" von 134 Menschen beteiligt war, machen sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig. Anführer der Massenbewegungen und des Widerstands werden verfolgt und unterdrückt. Ich fordere die Welt und besonders die Menschenrechtsorganisationen auf, uns in dieser Situation nicht im Stich zu lassen und Solidarität zu zeigen.

Unterdessen scheint Manuel Zelaya durch die Erfahrungen, die nicht nur er selbst machen mußte, sondern die das demokratische Honduras und die gesamte Opposition der Putschgegner betrifft, zu einem Klärungsprozeß gekommen zu sein, von dem die Auffassungen des Präsidenten über die Rolle der USA augenscheinlich nicht verschont geblieben sind. Sein neues, zunehmend kritisches Verhältnis zu Washington läßt sich unter anderem auch daran ablesen, daß er nach diesem Wochenende von seiner ursprünglich für den heutigen Dienstag geplanten Reise in die USA Abstand genommen hat. US-Außenministerin Hillary Clinton wird zur Klärung der Lage beigetragen haben durch ihre Kritik an Zelaya, dem sie vorwarf, "unverantwortlich" gehandelt zu haben, nur weil er, weitgehend allein und unbewaffnet, in sein Land zurückzukehren versucht hatte. Das Militär, das eben dies durch seine Blockaden unmöglich gemacht hatte und dabei gegen die Anhänger des Präsidenten gewaltsam vorgegangen war, wurde von der US-Politikerin hingegen nicht gescholten.

Dies mag wie vieles andere mehr Zelaya dazu bewogen haben, sein anfängliches Grundvertrauen in die neue US-Regierung unter Präsident Obama einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Während die noch am Tage des Staatsstreiches gebildete Nationale Front der Putschgegner sofort geargwöhnt hatte, daß es sich bei den intensiven Gesprächen zwischen den Putschisten und dem noch immer aus Tegucigalpa nicht abberufenen US-Botschafter, Hugo Llorens, sowie des stellvertretenden US-Staatssekretärs für Lateinamerika, Thomas Shannon - beide sind dem Personal der vorher regierenden Bush-Clans zuzuordnen -, um eine Beteiligung an den Putschvorbereitungen gehandelt hat, war Manuel Zelaya sogar nach seinem Sturz anfangs noch besten Glaubens über die politische Redlichkeit Washingtons. In einem am 12. Juli in Venezuela mit dem lateinamerikanischen Nachrichtensender TeleSur und dem Pressedienst lateinamerikanischer Agenturen Poonal geführten Interview bezeugte er nach einem Gespräch mit Thomas Shannon noch sein Vertrauen in den US-Diplomaten und die durch diesen vertretene US-Regierung. Auf die Frage, ob Shannon "tatsächliches Interesse seitens der USA vermittelt" habe, antwortete Zelaya [2]:

Die USA sind ein demokratisches Land. Hier gibt es keine Staatsstreiche. Hier wurden in Krisenfällen Präsidenten erschossen. Die Konflikte laufen hier noch dramatischer ab. Man muss berücksichtigen, dass Obama erst wenige Monate im Amt ist, und zumindest er und Außenministerin Hillary Clinton versuchen, eine Lösung zu finden. Sie beide verurteilen die jüngsten Ereignisse in Honduras aufgrund ihrer eigenen Prinzipien scharf, ganz egal, was die Motive der Putschisten sein mögen. Außerdem sind die Menschen, die derzeit in Honduras die Regierungsgeschäfte leiten, den USA komplett unbekannt; dasselbe gilt für den gesamten amerikanischen Kontinent und erst recht für die übrigen Länder der Welt. Zum ersten Mal in der Geschichte stellen sich 192 Staaten aus aller Welt geschlossen hinter eine gewählte Regierung und verurteilen ihren Sturz klar und deutlich. Diese Unterstützung fühle ich auch seitens der US-Regierung. Mit Entsetzen wird die Weltöffentlichkeit der unversöhnlichen Haltung gewahr, mit der Putschisten die Proteste in Tegucigalpa, in San Pedro Sula, in allen Städten Honduras mit Gewalt unterdrücken. Diese Gruppe ist so brutal und rücksichtslos, dass sie sich über die internationale Kritik genauso hinwegsetzen wie über die Proteste in den Straßen, die gnadenlos niedergeschlagen werden. Das Böse hat auf eine sehr grausame Weise in Honduras Einzug gehalten.

Auf die anschließende Frage, was er denn von der These halte, daß die in Honduras stationierten US-Streitkräfte mit dem honduranischen Militär beim Putsch zusammengearbeitet haben könnten, erklärte Zelaya seinerzeit:

Nein, das glaube ich nicht. Ich kann bezeugen, dass die US-Regierung, dass insbesondere der US-Botschafter Hugo Llorens, versucht hat, eine Lösung zu finden, solange sich die Verschwörung nur anbahnte. Denn es war abzusehen, dass hier ein Schlag gegen die Demokratie geplant war. Die USA waren das erste Land, das in einem öffentlichen Kommuniqué die Ereignisse verurteilte. Die ersten Protestaktionen wurden Anfang Juli vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und der US-amerikanischen Regierung initiiert. Besonders Llorens befand sich in engagiertem Austausch mit den Abgeordneten und den Militärs.

Inzwischen würde Präsident Zelaya diesen "engagierten Austausch" womöglich schon anders beurteilen. Am gestrigen Montag sagte er den geplanten Besuch in den USA ab und erklärte mit Bezug auf die US-amerikanische Außenministerin Clinton, die ihm vorgeworfen hat, sein Rückkehrversuch würde nicht dazu beitragen, die demokratische und verfassungsmäßige Ordnung in Honduras wiederherzustellen: "Wenn jemand mit mir sprechen will, soll er hierher nach Ocotal kommen; hier kann ich ihn empfangen." Clinton wird kaum diesen Schritt tun und den gestürzten Präsidenten von Honduras, den sie dazu bringen will, an den vermeintlichen Verhandlungstisch in Costa Ricas Hauptstadt San José zurückzukehren, um unter US-amerikanischer Kontrolle die Initiative für die Beendigung des Putsches den dort abgehaltenen Scheingesprächen zu überantworten, in Las Manos, dem kleinen Grenzort auf der nicaraguanischen Seite zur Staatsgrenze nach Honduras, aufsuchen.

Somit zeichnet sich, wenn man so will, eine politische Radikalisierung des honduranischen Präsidenten ab. In einem weiteren Interview [3], das er nach dem ersten, aber noch vor dem zweiten Rückkehrversuch gegeben hat, nahm Zelaya in klaren Worten gegen die Putschisten Stellung. Auf die Frage, wie er es erklären könne, daß sich das Putschistenregime, obwohl es international isoliert ist und im eigenen Land einer starken Widerstandsbewegung gegenübersteht, so unnachgiebig zeigt, antwortete der Präsident:

Sie sind wie Raubtiere aus dem Urwald, die ihre Beute mit Zähnen und Klauen verteidigen. Sie betrachten Honduras als ihren Betrieb, als einen Besitz, den man ausbeuten kann. Dabei handelt es sich um zehn Familien, die ihre wirtschaftlichen und finanziellen Pfründe und ihre Privilegien behalten wollen.

Befragt nach seinen eigenen Äußerungen, denen zufolge es "rechte politische Kreise in Nordamerika gibt, die den Staatsstreich unterstützt haben und dies weiterhin tun", gab Zelaya in diesem Interview [3] eine Antwort, die die Obama-Regierung (noch) ausklammert:

Es gab Äußerungen von diesen Leuten, die sich offen für den Putsch ausgesprochen haben. Darunter befinden sich US-amerikanische Senatoren und Kongreßabgeordnete. Mister Otto Reich zum Beispiel war in den Jahren 2003 und 2004 unter Bush junior US-Sondergesandter für die westliche Hemisphäre und hat erklärt, daß er für den Staatsstreich ist. Es gibt Belege und Beweise, daß die Falken des Expräsidenten George W. Bush hinter dem Putsch stecken.

Die jüngsten Ereignisse mögen unterdessen dazu geführt haben, daß Zelaya die politische Verläßlichkeit auch der Obama-Regierung in Frage zu stellen begonnen hat. So kritisierte er am Montag, daß international zuwenig Druck auf die Putschisten ausgeübt werde, obwohl diese "sehr schwach" seien. Dann forderte der Präsident die Obama-Administration auf, der Diktatur in seinem Land "kraftvoll" entgegenzutreten und sprach dabei seinen US-amerikanischen Amtskollegen direkt an. Präsident Barack Obama, so Zelaya, müsse jetzt handeln, um klarzustellen, "welches die wirkliche Haltung seiner Regierung zu dem Staatsstreich ist". Mit anderen Worten: Die diplomatischen Manöver der Gattung Lug und Trug verfangen bei Zelaya, der den vermeintlichen Hoffnungsträger und Wandelkünstler im Weißen Haus ultimativ auf die Probe stellt, nicht mehr.

Anmerkungen:

[1] "Ich fordere die Welt auf: Lasst uns nicht im Stich", 16. Juli 2009, derStandard.at,
http://derstandard.at/fs/1246542358056/Interview-Ich-fordere-die-Welt-auf-Lasst-uns-nicht-im-Stich?_seite=2&sap=2

[2] Manuel Zelaya: "Meine Rückkehr nach Honduras kann jeden Moment erfolgen", 12. Juli 2009, Poonal Nr. 855, Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 20. Juli bis 26. Juli 2009

[3] "Sie betrachten Honduras als ihren Betrieb". Gestürzter Präsident setzt im Kampf gegen Putschisten auf Kraft der sozialen Bewegung. Ein Gespräch mit Manuel Zelaya Rosales, von Giorgio Trucchi, zuerst am 24.7.2009 in Liberazione erschienen, dann in einer Übersetzung von Andreas Schuchardt in der jungen Welt vom 27.7.2009

28. Juli 2009