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DILJA/1196: Krieg in Afghanistan - Deutscher NATO-General Ramms erwägt Truppenrückzug (SB)


Könnte sich der Krieg in Afghanistan für NATO und USA als ein "zweites Vietnam" erweisen?

Deutscher NATO-General Ramms zieht Truppenrückzzug in Erwägung, sollte die Zustimmung der afghanischen Bevölkerung verlorengehen


Ginge es im Krieg der westlichen Mächte in Afghanistan tatsächlich um die Verfolgung der dorthin behaupteten Drahtzieher der zur ultimativen Weltkriegsrechtfertigung instrumentalisierten "9/11"-Ereignisse oder auch nur um die Vernichtung des dortigen, weltweit führenden Opiumanbaus, hätten die Kampfhandlungen wohl längst eingestellt und die Besatzungsstreitkräfte abgezogen werden können. Nach acht Kriegsjahren sieht die militärische Lage jedoch aus westlicher Sicht katastrophaler denn je aus. Die "Taliban" sollen dem Vernehmen nach bereits große Teile des Landes unter ihrer Kontrolle halten. Nicht einmal in der Hauptstadt Kabul, die bislang als eiserne Festung der NATO- und US-Streitkräfte galt und als das einzige Gebiet, in dem der bisherige und vermutlich auch zukünftige "Präsident" Afghanistans, Hamid Karsai, so etwas wie Regierungsgeschäfte führen konnte, können sich die derzeitigen Machthaber des Landes vor Angriffen des Besatzungswiderstandes noch sicher sein.

Kurz vor der Wahlzeremonie, die zur Absicherung des Besatzungsregimes diesem den Anschein einer demokratisch legitimierten Regierung verschaffen sollte, räumte ein CIA-Mitarbeiter laut ddp angesichts einer ganzen Serie schwerer Angriffe ein, "keinen richtigen Überblick mehr über die Lage im Land" zu haben. Kurzum untersagte die Karsai-"Regierung" jegliche Berichterstattung über die Angriffswellen, indem sie einheimischen Medien mit der Schließung und ausländischen Pressevertretern mit der Ausweisung drohte. Nach Angaben der NATO ist, in trockenen Zahlen ausgedrückt, die militärische Stärke ihrer Gegner so sehr angestiegen, daß diese in der Lage sind, die Anzahl täglicher Angriffe und Anschläge von 32 auf 48 zu steigern. Auch in der Zahl der Todesopfer macht sich die zunehmende militärische Stärke der "Taliban" bemerkbar. So mußten die US-Streitkräfte bereits für den Monat Juli mit 44 gefallenen US-Soldaten einen neuen Höchststand eigener Todesopfer seit Beginn des Krieges melden. Diese Zahl wurde noch vor Ende des laufenden Monat August mit 46 getöteten US-Soldaten abermals überschritten.

Die USA führen diesen Krieg bislang mit 62.000 eigenen Soldaten und wollen diese Zahl bis Ende des Jahre noch um weitere 6000 Soldaten erhöhen. Nach militärischer Logik scheint die derzeit katastrophale Lage mit einer Intensivierung der Kriegführung und namentlich einer weiteren Truppenverstärkung beantwortet zu werden, und so ist es ein offenes Geheimnis, daß die Obama-Regierung nach der Bundestagswahl auch von der neu gewählten deutschen Bundesregierung, wie auch immer sie dann aussehen mag, eine nicht unerhebliche Ausweitung des Bundeswehr-Kontingents in Afghanistan erbitten bzw. fordern wird. So will der Spiegel, einem Bericht in seiner jüngsten Ausgabe zufolge, erfahren haben, daß Obama bislang einzig aus Rücksicht auf die Wahlchancen der Bundeskanzlerin davon Abstand genommen habe, eine solche Forderung zu stellen. Nach der Wahl am 27. September aber, so hätten US-Diplomaten führende CDU-Politiker schon einmal wissen lassen, würde die Bundesrepublik aufgefordert werden, weitere Truppen an den Hindukusch zu schicken.

Ein klares Nein gegenüber solchen Plänen kommt in der so gar nicht "heißen" Phase des Bundestagswahlkampfes, aus dem die übrigen Parteien den Krieg in Afghanistan nach Kräften herauszuhalten suchen, einzig von der Partei "Die Linke", deren Vorsitzender Oskar Lafontaine in einer Pressemitteilung vom 30. August erklärte:

Es wäre unverantwortlich, weitere Soldaten in einen Krieg zu schicken, von dem US-Präsident Obama selber sagt, er sei nicht zu gewinnen. Ich fordere die Bundesregierung auf, die Bundeswehr sofort aus Afghanistan abzuziehen bevor es zu spät ist. Die Bundeswehr wird in unverantwortlicher Weise immer tiefer in einen Krieg verstrickt, in dem immer mehr unschuldige Zivilisten getötet werden.

Da die Kriegsbeteiligung Deutschlands am Afghanistan-Feldzug der US- bzw. NATO-Streitkräfte in der deutschen Bevölkerung keineswegs auf einer breiten Zustimmung beruht, sondern bestenfalls auf einer Ignoranz, die in womöglich heftige Ablehnung umschlagen könnte, sollten sich auch die Zahlen der Todesopfer unter den eigenen Soldaten drastisch erhöhen, könnte jede im Bundestag vertretene Partei jetzt die Gelegenheit ergreifen, wie die Linke mit kriegskritischen Positionen und Rückzugsforderungen in Erscheinung zu treten und sich gegenüber der eigenen Bevölkerung als besonders verantwortungsbewußt zu präsentieren, da sie es ablehnt, das Leben von Bundeswehrsoldaten in einem Krieg zu gefährden, von dem ohnehin niemand glaubt, er diene der Verteidgung Deutschlands.

Von einem Rückzug oder auch nur einer Rückzugsdebatte kann im politischen Berlin, von der Linken einmal abgeshen, allerdings nicht die Rede sein, und so trug auch Bundespräsident Horst Köhler das Seine dazu bei, um die Nation mehr und mehr auf Kriegskurs einzustimmen. Am vergangenen Freitag mahnte er nach dem Besuch des Jägerregiments 1, das sich in Sachsen-Anhalt auf den Kampfeinsatz in Afghanistan vorbereitet, eine öffentliche Diskussion über die Rolle der Bundeswehr in der Gesellschaft und speziell über den Afghanistan-Einsatz an und behauptete, es sei die "Aufgabe der Politik", diesen "der Bevölkerung noch besser zu vermitteln und zu erklären".

Noch besser als schlecht? Vor diesem Hintergrund wird es weder der politischen Führung in Berlin noch in Washington gefallen haben, was der deutsche NATO-General Egon Ramms zu diesem Thema von sich gab. In einem am heutigen Montag ausgestrahlten Beitrag des ARD-Hörfunkstudios Südasien äußerte er sich zur Bedrohungslage durch die Taliban in Afghanistan. Ramms ist Befehlshaber des NATO Allied Joint Force Command in Brunssum und somit Vorgesetzter des Kommandeurs der Internationalen Schutztruppe ISAF, des US-amerikanischen Generals Stanley McChrystal, des Befehlshabers der ISAF- und US-Truppen in Afghanistan. Dieser hatte schon in der vergangenen Woche eine Richtlinie herausgegeben, derzufolge die Soldaten stärker auf die afghanische Bevölkerung zugehen sollten. Doch wie bitte schön soll so etwas aussehen, wenn afghanische Zivilisten die Bombardierung ihrer Häuser ebenso fürchten müssen wie für sie tödliche Zwischenfälle auf Straßen und an Kontrollpunkten?

Auf Fragen dieser Art dürften weder McChrystal noch NATO-General Ramms konkrete Antworten zur Hand haben, zumal die westlichen Soldaten, wie der neue Höchststand gefallener US-Soldaten beweist, jederzeit und bei jeder Gelegenheit mit Angriffen ihrer Feinde rechnen müssen. General Ramms erklärte in dem ARD-Hörfunk-Beitrag, daß die Bedrohung darin läge, "daß es den Taliban möglicherweise gelingt, uns die Bevölkerung zu entwinden". Inwiefern der General glaubt, maßgeblichen Einfluß auf die afghanische Bevölkerung zu haben, ist eine schwer zu beantwortende Frage, doch letztendlich kommt Ramms zu einer bemerkenswerten Schlußfolgerung: "Wenn wir die Unterstützung der Bevölkerung nicht gewinnen, müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, ob wir das Land nicht verlassen müssen."

Da das ISAF-Kommando vom ersten Tag an mit der Legende angetreten war, in Afghanistan Aufbauhilfen mit militärischem Begleitschutz leisten und ganz generell dem Land und seinen Bewohnern helfen zu wollen, ist diese Idee nicht nur nicht neu, sondern bereits gänzlich aufgebraucht. Mit anderen Worten: Da jegliche Bemühungen, die "Hirne und Herzen" der afghanischen Bevölkerung für die westlichen Besatzer zu gewinnen, in den bisherigen Kriegsjahren fehl- und nahezu in ihr Gegenteil umgeschlagen sind, bietet diese Idee keinerlei brauchbare Option.

Verkürzt gesagt könnte General Ramms auf der Basis seiner fraglos vorhandenen militärischen Sachkompetenz den sofortigen und bedingungslosen Abzug nicht nur der deutschen Truppen, sondern einen Abbruch der gesamten Kriegführung fordern, da diese weder für Deutschland oder die USA noch irgendeinen anderen NATO-Staat in irgendeiner Weise gewinnversprechend ist. Ramms allerdings gibt die Hoffnung nicht auf und behauptet: "Wenn es uns gelingt, die Unterstützung der Bevölkerung zu halten oder gar zu verbessern, haben wir eine gute Chance, den Taliban irgendwann den Boden zu entziehen" und könnten den Einsatz "ohne wahnsinnige Mengen von Toten" zu Ende bringen. Da die Unterstützung der Bevölkerung für den kriegführenden Westen nicht zu haben ist, sind diese "Mengen von Toten" zu befürchten.

Anmerkung:

[1] Karsai weiter ohne absolute Mehrheit in Führung, tagesthemen 31. August 2009, 14:19
http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=55&tx_ttnews%5Btt_ news%5D=60105&tx_ttnews%5BbackPid%5D=23&cHash=0b0eb83f54

31. August 2009