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DILJA/1287: Aufpolierungsarbeiten am Feindbild "links" bereiten Verschärfungen vor (SB)


Der Feind steht immer noch links

Die Bemühungen von Verfassungsschutz, Politik und Medien um das Feindbild "linker Gewalttäter" kündigen Repressionsverschärfungen an


Vor rund zwei Wochen, am 12. Juni 2010, fand in der deutschen Hauptstadt unter dem Titel "Wir zahlen nicht für eure Krise" eine Demonstration statt, die fraglos dem linken Spektrum zuzuordnen ist, da sie eine dementsprechende, grundlegende Kritik an der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung beinhaltete. Am Rande dieser seitens ihrer Teilnehmer friedlich verlaufenden Protestveranstaltung kam es zu einem nach wie vor nicht vollständig aufgeklärten Vorfall, der allerdings von Politikern und Medien zum Anlaß genommen wurde, das Feindbild "linke Gewalttäter" nach Kräften zu befeuern und zu erneuern. Später stellte sich schnell heraus, daß die Angaben, die die offiziellen Ermittlungsbehörden, also Polizei und Staatsanwaltschaft, gegenüber der Öffentlichkeit, sprich der Presse machten, nicht nur erheblich moderater und unspektakulärer ausfielen, sondern in etlichen Punkten den dort lancierten Behauptungen diametral widersprachen.

Auf Nachfrage des Onlinemagazins Telepolis [1] hatte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am 17. Juni erklärt, daß es sich bei dem Sprengkörper, der am Rande dieser Demonstration mehrere Polizeibeamte verletzt habe, weder um eine "selbst gebastelte Splitterbombe" noch um einen "normalen Silvesterböller" gehandelt habe. Die Verletzungen der betroffenen Polizisten spezifizierte er dahingehend, daß bei zwei Beamten Teile des Explosionskörpers unter die Haut eingedrungen seien und dort im Krankenhaus operativ entfernt werden mußten, während 14 weitere Beamte Knalltraumata und zum Teil oberflächliche Hautverletzungen davongetragen hätten. Einen Tag später stellte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, in einem Gastkommentar in der jungen Welt [2] klar, welch krasser Widerspruch zwischen polizeilichen Angaben und medialem Hype bestanden hatte.

Demnach hatte bis zum Ende der Demonstration der darin zum Ausdruck gebrachte Protest gegen die Sparpolitik der Bundesregierung die Schlagzeilen und Meldungen dominiert, bis die Berichterstattung schlagartig, beruhend auf einer um 18.27 Uhr verbreiteten dpa-Meldung, von der darin aufgestellten Behauptung, zwei Polizeibeamte seien durch eine explosiven Stoff schwer verletzt worden, bestimmt wurde. Während die Polizei am darauffolgenden Sonntag um 11.02 eine Pressemitteilung veröffentlichte, in der von einem von Unbekannten geworfenen Sprengsatz die Rede war, wußte dpa keine zwanzig Minuten später zu berichten oder vielmehr zu behaupten, daß nach Polizeiangaben eine möglicherweise mit Nägeln und Glasscherben gefüllte "Splitterbombe" detoniert sei. Der Begriff "Splitterbombe" wurde wenig später vom Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) aufgegriffen, während der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, im Zusammenhang mit diesem Vorfall von "Mordversuchen" sprach.

Weitere Politiker wie auch einschlägig bekannte Medien ergriffen die sich ihnen bietende Gelegenheit, das ohnehin bestehende Feindbild "links" auf eine deutlich höhere Stufe anzuheben und in den Ruch vermeintlich mörderischer Absichten zu stellen. Die Zeitung mit den vier Buchstaben titelte am darauffolgenden Montag "Bombenanschlag auf Polizisten", stand damit jedoch keineswegs allein. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), wollte in dem Vorfall einen "Anschlag" bislang unbekannter Brutalität erkannt haben und wurde in dieser Auffassung durch den bayrischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) unterstützt, der ein "Comeback des linken Terrors" heraufbeschwor.

Nun hatte, wenig beachtet, ein Polizeisprecher am 15. Juni gegenüber der Berliner Zeitung erklärt, daß bei dem Sprengsatz definitiv weder Metall noch Glas verwendet worden war. Auf Nachfrage der taz bestätigte die Staatsanwaltschaft einen Tag später, daß es sich nicht um eine "Splitterbombe" gehandelt hat. Dennoch und, wie anzunehmen ist, wider besseren Wissens, behauptete der Innenexperte der CSU, Hans-Peter Uhl, in einer anläßlich dieses Vorfalls am Nachmittag desselben Tages einberufenen und von den Regierungsfraktionen beantragten Aktuellen Stunde im Bundestag, daß mit Eisenteilen gespickte Splitterbomben zum Einsatz gebracht worden seien. Desweiteren beschwor der CSU-Politiker eine Gewalt, "die es in den letzten Jahren in Deutschland nicht gegeben hat".

Obwohl bis heute der genaue Tathergang nicht rekonstruiert, sprich etwaige Täter identifiziert und überführt werden konnten, wurde die Aktuelle Stunde unter den Titel "Linksextremismus" gestellt. Gefordert wurden in ihr gesetzliche Verschärfungen, so beispielsweise eine schärfere Bestrafung von Angriffen auf Polizeibeamte, aber auch ein verstärkter Strafrahmen bei Landfriedensbruch. Bundesinnenminister Thomas de Maiziére deutete den von noch immer unidentifizierten Tätern erfolgten Wurf eines Sprengkörpers in der Aktuellen Stunde als einen "Angriff auf unsere Demokratie in ihrem Kern". Woraus die vielen Abgeordneten, Minister und Medienvertreter ihre Kenntnis, daß es sich bei dem oder den Tätern um Menschen gehandelt haben muß, die dem linken Spektrum zuzurechnen sind, eigentlich gezogen haben, läßt sich für Außenstehende nicht nachvollziehen. Am Tag nach der eigens zu diesem Thema im Bundestag abgehaltenen Aktuellen Stunde wurde bekannt [1], daß gegen drei Personen, einen 33jährigen und zwei 21jährige aus dem Berliner Umland, ein Anfangsverdacht bestünde, daß sie jedoch noch nicht Beschuldigte im Sinne des Strafprozeßrechts seien.

Entgegen seiner vorherigen Behauptung mußte Berlins Innensenator Körting am 17. Juni im Abgeordnetenhaus einräumen, daß es sich bei dem Knallkörper um einen großen Böller gehandelt hat. Laut kriminaltechnischer Untersuchung sei dies Pyrotechnik für Berufsfeuerwerker gewesen. Für die vielfach kolportierte These, dem Knallkörper seien Zusatzstoffe beigefügt worden, gibt es Körting zufolge keine Anhaltspunkte. Bei den Verletzungen, die zwei Polizeibeamte durch die Explosion erlitten hatten, handelte es sich um bis zu sechs Zentimeter tiefe Schnittwunden, nachdem Teile des Böllers in die Beine der Beamten eingedrungen seien. Sicherlich erfüllt das Werfen eines solchen Böllers in einer solchen Situation einschlägige Straftatbestände wie etwa Körperverletzung, doch bleibt dessen ungeachtet die schnelle, um nicht zu sagen überschnelle und durch belastbare Fakten nicht begründbare Zuordnung des gesamten Vorfalls an die Adresse "links" nicht nachvollziehbar ohne zu argwöhnen, daß hier einer spezifischen Repression und Kriminalisierung gegen als links bewertete Oppositionelle der Boden bereitet werden soll.

Dieser Verdacht läßt sich durch den am 21. Juni in Berlin vorgestellten jüngsten Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz erhärten, in dem die für 2009 erstellten Zahlen über den sogenannten Rechts- und Linksextremismus gegeneinandergestellt wurden. Will man dieses Zahlenmaterial einmal zugrundelegen, was nicht möglich ist, ohne die Probleme der Datenerhebung und -auswertung aufgrund verschiedener, nicht unbedingt korrelierbarer polizeilicher Statistiken zu ignorieren, ist die "Zahl der Straftaten mit rechter Motivation" im vergangenen Jahr mit 18.750 viermal so hoch wie die mit "linker Motivation" (4.735). Gleichwohl wird in dem Bericht hervorgehoben, daß die "Zahl der Gewalttaten mit zu vermutendem" (!) "linksetremistischem Hintergrund mit 1.096 registrierten Delikten gegenüber dem Vorjahr (2008: 701) deutlich gestiegen" sei, wobei auch eine "in ihrer Aggressivität deutlich zunehmende verbale" (!) "Militanz" zu beobachten sei.

Eine im Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz festgestellte "verbale Militanz" spricht wohl für sich, da bei einem solchen Wortungetüm schwer zu erklären sein dürfte, wie "verbal" und "Militanz" überhaupt in einen sinnfälligen Zusammenhang gebracht werden können. Ungeachtet all dessen nahm Bundesinnenminister de Maiziére den Bericht zum Anlaß, verschärfte Aktivitäten gegen links einzuleiten und zu begründen. Der Verfassungsschutz sei ein "Frühwarnsystem", so der Minister, der zudem ankündigte, man werde dem Verhalten der Linksextremisten "entschlossen entgegentreten", wobei verstärkt darauf zu achten sei, "die Leitfiguren der Szene zu identifizieren, Kommunikationswege aufzudecken und das daraus erwachsende Gewaltpotenzial perspektivisch zu bewerten" [3].

Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, stimmte in dieses Lied mit ein und erklärte anläßlich der Vorstellung des jüngsten, in seinem Haus erstellten Berichts, daß es einen "signifikanten Anstieg" linker Gewalt gäbe. Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, erklärte gegenüber der Zeitung mit den vier Buchstaben gar, es drohe "eine Renaissance des linken Terrorismus in einem neuen Gewand, geprägt von einem Haß auf den Staat und seine Eliten und mit dem Potential für neue und tödliche Anschlagswellen" [4] und forderte sogleich gesetzliche Verschärfungen, um schon im Vorfeld von Demonstrationen gründliche Durchsuchungen der Teilnehmer ebenso zu ermöglichen wie den Unterbindungsgewahrsam gegen "potentielle Gewalttäter". Die Gewerkschaft der Polizei stand dem in nichts nach. Durch ihren stellvertretenden Bundesvorsitzenden Bernhard Witthaus ließ sie wissen, es sei "dringend notwendig, gegen gewaltbereiten Linksextremismus ebenso breite Bündnisse zu schmieden, wie es gegen die rechte Szene der Fall ist" [4].

Wer angesichts all dieser bedrohlichen Worte noch einen klaren Kopf zu behalten imstande ist, wird womöglich der Frage nachgehen, ob nicht die zunehmenden Kfz-Brandstiftungen ein Beleg für die so lautstark beschworene Zunahme "linker Gewalt" sein könnten. Doch auch hier geben nicht einmal die polizeilichen Angaben genug Substanz her, um die Kernthese kampagnenartig verbreiteter Behauptungen stützen zu können. Nach Polizeiangaben gehen die Ermittler in dieser Deliktsgruppe von verschiedenen Motiven - so auch Versicherungsbetrug, Eifersucht, Trunkenheit - aus. In Berlin kam es im laufenden Jahr bislang zu insgesamt 97 an Autos verübten Brandstiftungen, doch nur in 16 Fällen gehen die Behörden, basierend auf welchen Überlegungen und Indizien auch immer, von einer politisch motivierten Straftat aus [5].

Da der geworfene Knallkörper während der Demonstration gegen den Sozialabbau vor zwei Wochen zuerst und zuletzt den politischen Zweck zu erfüllen scheint, einer Repressionsverschärfung vornehmlich gegen links den Boden zu bereiten, kann nach Lage der Dinge keineswegs ausgeschlossen werden, daß es sich hier um einen Fall der "Strategie der Spannung" handeln könnte, womit operative Maßnahmen seitens beteiligter und involvierter Geheimdienste oder weiterer Sicherheitsbehörden gemeint sind, um Vorwände und Rechtfertigungslagen zu schaffen für Maßnahmen, die anlaßunabhängig geplant und beschlossen wurden.

Anmerkungen

[1] "Explodierender Gegenstand" auf Berliner Demonstration: Anfangsverdacht gegen drei Personen aus dem Berliner Umland, von Peter Muehlbauer, telepolis, 17.06.2010

[2] Böller bleibt Böller. Medienhysterie nach Demo in Berlin. Gastkommentar von Ulla Jelpke, junge Welt, 18.06.2010, S. 8

[3] Wirtschaftsspionage verdrängt linke und rechte Gewalt. Die Zahl der dem Linksextremismus zugerechneten Gewalttaten ist nach dem Verfassungsschutzbericht stark angestiegen, von Peter Nowak, telepolis, 21.06.2010

[4] Hysterie gegen Linke, von Lenny Reimann, junge Welt, 22.06.2010, S. 1

[5] Trau keiner Statistik. "Linksextreme Gewalt" - viel Gerede, aber keine belastbaren Zahlen, von Ulla Jelpke, junge Welt, 21.06.2010, S. 3

25. Juni 2010