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DILJA/1298: Kein Scherz - Uribe im UN-Gremium zum Überfall auf Gaza-Flottille (SB)


Uribe macht's möglich

Plötzlich akzeptiert Israel eine UN-Untersuchungskommission zum Überfall auf die Gaza-Flottille


Bekanntlich hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Nicht anders ist wohl zu verstehen, warum die israelische Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, wie sein Büro am Montag in Jerusalem mitteilte, ihren bisherigen Widerstand gegen eine von den Vereinten Nationen eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission zu dem Angriff der israelischen Marine auf die "Free Gaza"-Flottille, bei dem am 31. Mai acht türkische Bürger und ein weiterer Aktivist mit türkischer und US-amerikanischer Staatsangehörigkeit getötet worden waren, plötzlich aufgegeben hat. Bislang hatte es im israelischen Kabinett nicht die geringste Bereitschaft gegeben, eine Untersuchung zuzulassen, die nicht unter der eigenen Kontrolle steht. Heftigen Protest hatte beispielsweise Innenminister und Vizepremierminister Eli Yishai von der religiösen Shas-Partei artikuliert, der schon die Forderung nach einer internationalen Untersuchung als "internationale Heuchelei" [1] gegeißelt hatte, auf die einzugehen für Israel nicht notwendig sei, weil die eigene Armee "die moralischste auf der Welt" sei.

Nun ist die Einsetzung einer Untersuchungskommission seitens der Vereinten Nationen nicht von der Zustimmung Israels abhängig, und so hatte der UN-Menschenrechtsrat in Genf bereits ein solches Team gebildet, bestehend aus Juristen aus Großbritannien, Malaysia und Trinidad und Tobago, worauf die israelische Regierung mit der Konstituierung einer eigenen Kommission reagiert hatte, der als internationale Beobachter der nordirische Friedensnobelpreisträger David Trimble und der kanadische Ex-Militärstaatsanwalt Ken Watkin angehörten. Die "Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt", kurz EJDM, hat unterdessen bei dem Hamburger Völkerrechtler, ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Linkspartei und Europa-Politiker Norman Paech ein Rechtsgutachten zur Klärung des von der israelischen Armee auf die Hilfsflottille für den Gazastreifen verübten Überfalls in Auftrag gegeben, das inzwischen vorliegt [2].

Für die Regierung Netanjahu sind Untersuchungsergebnisse und rechtliche Bewertungen dieser und ähnlicher Art so lange vollkommen irrelevant und bestenfalls ein Ärgernis, wie ihre westlichen Verbündeten ihre bisherige Haltung beibehalten und keinerlei Schritte unternehmen, unliebsamen Druck auf sie auszuüben. So war und ist es der israelischen Regierung bis heute möglich, jegliche Zusammenarbeit mit dem UN-Menschenrechtsrat zu verweigern und dessen, unter Federführung des südafrikanischen Richters Richard Goldstone über die nach Ansicht der Berichterstatter von der israelischen Armee wie auch von palästinensischer Seite im dreiwöchigen Gaza-Krieg vom Dezember 2008 und Januar 2009 verübten Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen zu ignorieren. Die Gründe, warum die Regierung Netanjahu jetzt einem UN-Untersuchungsgremium zustimmt, sind deshalb in ihrer Gewißheit zu vermuten, in dieser Kommission auf keine unbotmäßigen Geister zu stoßen.

Wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Montag mitteilte, sollen der vierköpfigen Delegation ein türkischer wie auch ein israelischer Repräsentant, deren Identität Ban noch nicht bekanntgab, angehören. Allem Anschein nach ist Tel Aviv mit der personellen Besetzung hochzufrieden. "Wir sind sicher, dass die Fakten auf unserer Seite sind", erklärte der israelische Regierungssprecher Mark Regev. Aus seinen Worten "Wir haben keinerlei Problem mit einem glaubwürdigen, objektiven Gremium" [3] läßt sich unschwer herauslesen, daß dieses Gremium, noch bevor es überhaupt seine Arbeit aufgenommen hat, aus israelischer Sicht nicht nur kein Problem darstellen, sondern sogar als nützlich erachtet werden wird. Die Frage, ob Israel Zusicherungen gemacht worden seien, die zu diesem Sinneswandel beigetragen hätten, wollte der israelische Regierungssprecher allerdings nicht beantworten.

Aus den Worten des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon geht desweiteren hervor, daß der eigentliche Sinn und Zweck dieser Übung seitens der Vereinten Nationen bzw. der dieses Gremium dominierenden Staatenelite nicht in einer umfassenden und schonungslosen Aufklärung der Vorfälle liegen dürfte, die Ende Mai zu dem Massaker an unbewaffneten Menschen, die auf mit Hilfsgütern beladenden Schiffen die Seeblockade des Gazastreifens durchbrechen wollten, um den eingeschlossenen Palästinensern humanitäre Hilfe zu leisten, geführt haben. Vielmehr dürfte es darum gehen, dem NATO-Mitglied und neben Israel kaum minder wichtigen US-Verbündeten in der Region, nämlich der Türkei, so weit entgegenzukommen, daß sie ihre israelkritische Haltung revidiert.

Ankara hatte gegen die von Israel selbst eingesetzte Kommission eingewandt, daß eine unabhängige Untersuchung nicht von Israel, das den Überfall zu verantworten habe, durchgeführt werden könne. Die türkische Regierung hatte auf einer Untersuchungskommission "unter der direkten Kontrolle der Vereinten Nationen" bestanden, weil Israel "auf der Anklagebank" [1] sitze und nicht selbst Staatsanwalt und Richter sein könne. Nach Angaben des UN-Generalsekretärs wird das wundersame Gremium, das einerseits die türkischen Ansprüche zufriedenstellen soll, aber auch von Israel akzeptiert wird, am 10. August seine Arbeit aufnehmen und im September einen ersten Zwischenstandsbericht liefern. Auf diesen braucht niemand gespannt zu sein, da sich angesichts der Umstände und Hintergründe dieser Untersuchungsarbeit vorhersagen läßt, daß sie zu einem Ergebnis geführt werden wird, das im Interesse Israels liegt. Die Vereinten Nationen laufen somit Gefahr, an Renommee zu verlieren, da sie mit der personellen Besetzung eines vermeintlich neutralen und unabhängigen Gremiums ein Eigentor geschossen haben.

Dies betrifft weniger den designierten Leiter des vierköpfigen Gremiums, den früheren Ministerpräsidenten Neuseelands, den Labour-Politiker Geoffrey Palmer, wiewohl dieser sich keineswegs als hartnäckigster Menschenrechtsaktivist einen Namen gemacht hat. Nein, die tatsächliche Garantie für eine konsequent pro-israelische Ausrichtung dieses Zirkels dürfte in der Person Alvaro Uribes zu vermuten sein, dem bald ehemaligen Präsidenten Kolumbiens, dessen Amtszeit in wenigen Tagen ausläuft. Uribe ist nicht ein beliebiger Staatschef eines lateinamerikanischen Landes, sondern ein Politiker, gegen den bzw. die von ihm geführte Regierung ihrerseits schwerste Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen bestehen. So wurden kurz vor den Ende Mai durchgeführten Präsidentschaftswahlen, aus denen Uribes bisheriger Verteidigungsminister und Intimus Manuel Santos als Sieger ungeachtet der von renommierten Beobachtern festgestellten Praxis des Stimmenkaufs und der Beeinflussung durch Paramilitärs hervorging, Gerüchte über die Verbindungen Präsident Uribes zu diesen irregulären Milizen bekannt.

Die Washington Post hatte am 25. Mai die Aussage eines früheren Polizeioffiziers veröffentlicht, derzufolge der jüngere Bruder des Präsidenten, Santiago Uribe, in den 1990er Jahren für die Organisierung der Paramilitärs verantwortlich gewesen sei. Die Polizei sei bestochen worden, um die bis zu 50 Morde, die der Gruppe der zwölf Apostel angelastet werden, zu decken. All dies geschah in einer Region, in der der Großgrundbesitz der Familie Uribe liegt und zu einer Zeit, in der Alvaro Uribe Gouverneur des Bundesstaates war. Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen, die in die Verantwortung des nun scheidenden Präsidenten fallen, beziehen sich jedoch nicht nur auf die Vergangenheit. Entgegen anderslautender Behauptungen, denen zufolge die Lage der Menschenrechte in Kolumbien verbessert worden sei, haben Morde an und Drohungen gegen Menschenrechtsaktivisten sogar noch zugenommen. Nach Angaben des Gewerkschaftsdachverbandes CUT sind in Kolumbien im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits 31 Gewerkschafter ermordet worden. [4]

Alvaro Uribe seinerseits wird sich seinen israelischen Verbündeten - zwischen Israel und Kolumbien bestehen seit längerem politisch enge Beziehungen, die eine intensive Zusammenarbeit der jeweiligen Geheimdienste einschließen - durch Äußerungen anempfohlen haben, die ihn als Idealbesetzung für das Free-Gaza-Untersuchungsgremium aus Sicht Israels ausgewiesen haben dürften. So hat die zuständige Staatsanwaltschaft des Nachbarlandes Ecuador gegen den Kommandeur der kolumbianischen Streitkräfte, General Freddy Padilla, vor wenigen Wochen entgegen früherer Entscheidungen Anklage erhoben wegen mehrfachen Mordes. Nach Angaben des Staatsanwaltes der ecuadorianischen Stadt Sucumbios, Carlos Jiménez, lägen ausreichende Indizien vor gegen General Padilla, der für den Bombenangriff der kolumbianischen Armee Anfang März 2008, bei dem 25 Menschen, unter ihnen vier Mexikaner, ein Ecuadorianer und der FARC-Kommandeur Raúl Reyes, getötet worden waren, verantwortlich gemacht wird.

Noch-Präsident Uribe reagierte auf die für ihn typische und seine Position klarstellende Weise. Er lehnte eine Untersuchung gegen Padilla rundweg ab und bezeichnete die gegen den General geführten Ermittlungen als "unbegreiflich". Dieser habe eine "heldenhafte Arbeit gegen den Terrorismus" geleistet, ließ Uribe wissen. Der scheidende Präsident Kolumbiens und angehende Vizepräsident einer UN-Untersuchungskommission zu den von der israelischen Armee an Angehörigen einer humanitären Mission verübten Verbrechen erklärte, man dürfe General Padilla auf keinen Fall "im Namen einer verweichlichten und schleimigen Diplomatie" schutzlos preisgeben. [5]

Anmerkungen

[1] Israel stimmt UN-Untersuchung zu, Der Standard, 02.08.2010,
http://derstandard.at/1277339344799/Israel-stimmt-UN-Untersuchung-zu

[2] Der Überfall auf die Free Gaza Flotille am 31. Mai 2010, Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt, 02.08.2010,
http://www.eldh.eu/de/publikationen/publikation/the-raid-on-the-free-gaza-flotilla-on-31-may-2010-42

[3] Angriff auf Gaza-Flotte: Israel stimmt UNO-Untersuchung zu, Die Presse.com, 03.08.2010,
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/585180/index.do

[4] Manuel Santos besucht Merkel. Menschenrechtler fordern klare Haltung der Kanzlerin. Gewerkschafter und Journalisten in Kolumbien konkret gefährdet, von Malte Daniljuk, amerika21.de, 05.07.2010

[5] Ecuador klagt kolumbianischen General an. Untersuchung über Verantwortung an Bombenangriff in Ecuador 2008. Scheidender Präsident Uribe reagiert ungehalten, von Hans Weber, amerika21.de, 16.07.2010

3. August 2010