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DILJA/1331: Todesschwadrone und Todesängste in der De-facto-Diktatur Honduras (SB)


Morde an Regimegegnern schaffen ein Klima der Angst

Deutsche Regierung unterstützt die De-facto-Diktatur in Honduras


In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts galt Lateinamerika als der Kontinent der Militärputsche, von dem die westlichen Staaten mit leichtem Schaudern abrückten ganz so, als hätten sie mit der blutigen Handschrift antikommunistischer Machthaber und antidemokratischer Putschisten nicht das Geringste zu tun. Historisch ist dies längst widerlegt, kann doch heute schwerlich noch geleugnet werden, daß die chilenischen Putschisten gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende vom 11. September 1973 auf tatkräftige Unterstützung aus dem Ausland zurückgreifen konnten. Dies galt auch für die übrigen Diktatoren der südlichen Staaten des zum "Hinterhof der USA" erklärten Kontinents (Jorge Rafael Videla in Argentinien, Juan Maria Bordaberry in Uruguay, Alfredo Stroessner in Paraguay, Hugo Banzer in Bolivien und Ernesto Geisel in Brasilien), die im Rahmen der 1975 installierten Terrornetzwerks "Condor" von der geheimdienstlichen und militärischen Zusammenarbeit insbesondere mit den USA bzw. der US-finanzierten "School of Americas" (OAS), der Folterer- und Mörderschule in der Panamakanalzone, zehren konnten.

All dies scheint seit Jahrzehnten der Vergangenheit anzugehören, auch wenn die strafprozessuale Aufarbeitung in vielen betroffenen Ländern noch immer nicht abgeschlossen ist. Das "Verschwindenlassen" Tausender Regimegegner, das mörderische Tun berüchtigter Todesschwadrone, die damit einhergehende politische Deckung und faktische Straffreiheit, all dies gilt heute als Erkennungsmerkmal diktatorischer Verhältnisse lateinamerikanischer Lesart. Die Zeit der Militärputsche ist ein für allemal vorbei, hieß es schon vor Jahren durchaus offensiv aus dem Kreise der neuen Linksregierungen des Kontinents, die sich in dem Bündnis "Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerikas" (ALBA), dem neben den Gründungsmitgliedern Kuba und Venezuela Bolivien, Ecuador, Nikaragua, Honduras, St. Vincent und die Grenadinen sowie Dominika, Antigua und Barbuda angehören, gegen die Einflußnahme westlicher Staaten zusammengeschlossen hatten. Allein, mit der Proklamation eines auf der tatsächlichen Zurückdrängung dieses Einflusses beruhenden neuen Selbstbewußtseins war es nicht getan, wie sich am 28. Juni 2009 mit dem Militärputsch gegen den ALBA-Mitgliedstaat Honduras zeigen sollte, der dem Bündnis ein knappes Jahr zuvor beigetreten war.

Mit diesem Schritt hatte der damalige honduranische Präsident Manuel Zelaya von der Liberalen Partei eine unsichtbare rote Linie überschritten, die ihm seine westlichen Ziehväter und -mütter gezogen haben dürften. Als liberaler Politiker war Zelaya wie viele andere seiner Partei durch die politische Schulung der in dem kleinen mittelamerikanischen Land besonders aktiven und der bundesdeutschen FDP nahestehenden Friedrich-Naumann-Stiftung gegangen, hatte dann jedoch aus seinem präsidialen Verantwortungsgefühl heraus eigene Ideen entwickelt. Bei einer grassierenden Armut von 70 Prozent hatte Zelaya ungeachtet seiner "Klassenzugehörigkeit zur anderen Seite" - er war zuvor Präsident des Unternehmerverbandes seines Landes gewesen - mehr und mehr eine an den sozialen Interessen und den politischen Teilhabemöglichkeiten der verarmten Bevölkerungsmehrheit orientierte Politik eingeschlagen, die ihn fast wie von selbst zu einer konkreten Kooperation mit den ALBA-Staaten führte.

Damit entstand, keineswegs nur in Lateinamerika, eine Konstellation, die der der 1970er und 1980er in Hinsicht auf die Interessenlagen der beteiligten Akteure und mehr noch ihrer Hintermänner und Drahtzieher bis aufs I-Tüpfelchen glich. Zu den repressivsten Gewaltmitteln in der Ära der Militärputsche, der Praxis staatlich autorisierter Morde, der Todesschwadronenpolitik paramilitärischer Organisationen, der Folter und der vollständigen Unterdrückung politischer und medialer Freiheitsrechte war aus einem triftigen Grund gegriffen worden und nicht etwa, weil - wie die vorherrschende Geschichtsschreibung vielleicht gern glauben gemacht hätte - die Lateinamerikaner ein schnell hochkochendes Temperament oder eine Neigung zur Gewalttätigkeit hätten. Der tatsächliche Sinn und Zweck lag einzig und allein darin, eine Linksentwicklung des gesamten Kontinents zu verhindern ganz unabhängig davon, ob die von der besonders harten Repression betroffenen Aktivisten, Organisationen und Regierungen sich nun als "kommunistisch", "sozialistisch" oder sonst irgendwie antikapitalistisch definiert hätten.

Die zurückliegenden Jahrzehnte, in denen es, nachdem auch die letzten Staaten Lateinamerikas zumindest offiziell in den Kreis der parlamentarischen Demokratien zurückgekehrt waren, keine Militärputsche oder Diktaturen mehr gegeben hatte, stellten so etwas wie eine Verschnaufpause dar. Diese formal betrachtet putschlose Zeit durfte und darf nicht mit einer tatsächlichen Weiterentwicklung und unumkehrbaren Demokratisierung verwechselt werden. Da eine echte Herausforderung etablierter Verhältnisse von links nirgends auszumachen war, durfte der Knüppel "Diktatur" zunächst ruhen. Er wurde erst wieder hervorgeholt, als die Notwendigkeit aus Sicht der um ihre Vorherrschaft bangenden westlichen Hegemonialkräfte dafür reif, um nicht zu sagen überreif war. Nachdem in Staaten wie Venezuela, Bolivien und Ecuador Linkskandidaten durch pure Wahlerfolge an die Regierung gekommen und der Politik des neoliberalen Diktats ihrer Vorgänger ein mehr oder minder abruptes Ende bereitet hatten, schrillten in Washington und den europäischen Hauptstädten die Alarmglocken.

Der Putschversuch gegen Präsident Chávez im April 2002 schlug bekanntlich ungeachtet seiner Unterstützung durch die USA fehl. Als dann der honduranische Präsident Zelaya, von dem seine vorherigen Förderer geglaubt haben müssen, daß er so etwas wie eine Marionette wäre, an deren Fäden sie ziehen könnten, vom vorgegebenen Pfad abwich, muß die Idee zu einem abermaligen Militärputsch, wie er denn auch am 28. Juni 2009 durchgeführt wurde, irgendwo geboren bzw. aus der Schublade gezogen worden sein. Die Folgen für das mit einer Bevölkerung von knapp acht Millionen Menschen recht kleine Land sind bis heute katastrophal geblieben, wurde es doch in eine De-facto- Diktatur übergeführt, deren Protagonisten und stille Förderer allergrößten Wert darauf legen, sie weiterhin vor der Weltöffentlichkeit als vermeintlich demokratisches Staatswesen darstellen zu können.

Dies verlangte zwar nach der Quadratur des Kreises; schließlich gab es nichts das Geringste daran zu rütteln, daß am Morgen dieses Tages mit Manuel Zelaya der gewählte Präsident von Honduras in seinem Amtssitz überfallen, vom Militär des eigenen Landes entführt und über einen US-Luftwaffenstützpunkt gegen seinen Willen außer Landes gebracht worden war. Die internationale Propagandaarbeit hatte jedoch mit dem Versuch, ihn zu diskreditieren, nicht nur eine gewisse Vorarbeit geleistet, sondern lief zur Hochform auf. Gleichwohl kamen fast alle Regierungen der Welt, inklusive der US-amerikanischen, zunächst nicht umhin, den Putsch zu verurteilen. Einzig die bundesdeutsche FDP, zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Partei des heutigen Bundesaußenministers, hatte die Stirn, in aller Offenheit den Putsch zu rechtfertigen, wurde deshalb jedoch weder von den übrigen Parteien des deutschen Bundestages, die Linkspartei einmal ausgenommen, noch auf internationalem Parkett gerügt.

Tatsächlich glich auch die Rolle Washingtons der eines Wolfes im Schafspelz, wie sich inzwischen anhand der Wikileaks-Dokumente belegen läßt. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang insbesondere ein ausführlicher Bericht, den der damalige US-Botschafter in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa, Hugo Llorens, am 24. Juli 2009 nach Washington depeschierte. Darin legte Llorens nicht nur dar, daß "die Amtsübernahme durch Roberto Micheletti illegitim war" und daß es keinen Zweifel daran gegeben habe, "dass das Militär, der Oberste Gerichtshof und der Kongress den Putsch gegen die Regierung geplant haben" [1]. Der US-Botschafter berichtete desweiteren zutreffenderweise, daß der Vorwurf, Zelaya habe das Gesetz gebrochen, eine "nicht belegte Annahme" sei und die Behauptung, er sei von seinem Amt zurückgetreten, eine "klare Fälschung" [1]. Nicht eines der gegen Zelaya vorgebrachten Argument hätte, so Llorens, laut Verfassung einen Putsch rechtfertigen können; wären die Anwürfe stichhaltig gewesen, wäre ein reguläres Amtsenthebungsverfahren das einzig verfassungsgemäße Mittel gewesen.

All dies ist nicht erst seit den Wikileaks-Veröffentlichungen sattsam bekannt, sondern wurde von den demokratischen Kräften des Landes wie auch dem gestürzten Präsidenten selbst immer wieder geltend gemacht. Die tauben Ohren, auf die diese Argumente sowie die damit begründete Forderung nach einer Rückkehr Zelayas in Land und Amt bei westlichen Regierungen und internationalen Organisationen stießen, sprechen noch immer Bände in Hinsicht auf die Interessensallianz, die zwischen diesen Kräften und den derzeitigen Machthabern in Tegucigalpa (seit Januar 2010 "regiert" der derzeitige "Präsident" Porfirio Lobo) zu vermuten sind. Daß Honduras noch heute eine Quasi-Diktatur ist, in der politische Morde straffrei bleiben und damit ein Klima der Angst und Einschüchterung schaffen, weil alle Aktivisten der Nationalen Widerstandsfront, die ihr Vorhaben, ungeachtet der massiven Repression für die Rückkehr zur Demokratie zu kämpfen, nicht aufgegeben haben, sich in ernste Gefahr begeben.

Dies gilt insbesondere auch für kritische Journalisten, so sie sich nicht der nach dem Putsch erfolgten Mediengleichschaltung unterwerfen und mit den ihnen verbliebenen Möglichkeiten über die tatsächlichen Verhältnisse im Land zu berichten suchen. Unter ihnen ist die Mordrate extrem hoch. Im vergangenen Jahr (2010) wurden in Honduras zehn Journalisten umgebracht, wodurch das Land - nach Mexiko - zum gefährlichsten Land für Journalisten in Lateinamerika wurde [2]. Wie die honduranische Journalistenvereinigung CPH am 29. Dezember erklärte, wurde keiner dieser Fälle von den Behörden aufgeklärt, weshalb die Journalistenvereinigug den Staat aufforderte, "endlich aufzuhören, uns mit unabgeschlossenen Untersuchungen zu betrügen" [2].

Die Vorsitzende des Komitees der Familienangehörigen von Festgenommenen und Verschwundenen in Honduras (Cofadeh), Bertha Oliva, hatte bereits im August vergangenen Jahres darauf hingewiesen, daß die Menschenrechtsverletzungen in der Regierungszeit des seit dem 1. Januar 2010 amtierenden Präsidenten Lobo gegenüber der vorherigen Diktatur Michelettis sogar noch zugenommen hätten [3]. "Die Situation ist schwieriger als zu Beginn des Putsches, denn nun werden Personen bezahlt, um Menschenrechtsverletzungen durchzuführen", so Oliva [3].

Doch nicht nur Journalisten zählen zu den Opfern der heutigen Todesschwadrone. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden seit dem Putsch über 5000 Menschen verhaftet. Über einhundert sind politischen Morden zum Opfer gefallen. Flores Lanza, ehemalige Richterin in Honduras, die infolge ihrer kritischen Haltung ihres Amtes enthoben wurde, erhebt unterdessen schwere Vorwürfe auch an die deutsche Bundesregierung. Flores arbeitet mit Menschenrechtsorganisationen zusammen und ist in der 2006 von ihr gegründeten Vereinigung Demokratischer Richter aktiv. "In Honduras leben wir in einem ständigen Klima der Angst" [4], erklärte sie. Namentlich der deutschen Bundesregierung warf sie bereits im Oktober vor, durch ihre Finanzhilfen das Regime zu stützen: "Nach unseren Informationen hat die Bundesrepublik dem Regime von Porfirio Lobo mehr als 40 Millionen Euro zukommen lassen." [4]

Von dieser Unterstützung zog die Juristin eine direkte Linie zu den politischen Morden. Zu den Geldern aus Deutschland erklärte sie: "Die Gelder der deutschen Bundesregierung schüren unmittelbar die herrschende Gewalt, die Bedrohungen, die illegalen Festnahmen und in letzter Konsequenz auch die politischen Morde." [4] Bislang hat sich die deutsche Bundesregierung zu diesem Thema ausgeschwiegen, und sie wird ihre Gründe dafür haben. Dies gilt selbstverständlich auch für die mitregierende FDP, die auf ihrem Dreikönigstreffen die Gelegenheit, ihre Unterstützung für die Putschisten in Honduras (partei-) öffentlich zu machen und zur Dispositin zu stellen, aller Voraussicht nach ungenutzt verstreichen lassen wird.



Anmerkungen

[1] Hilfe für Honduras-Putsch politisch gewollt. Wikileaks-Dokumente: US-Botschafter bezeichnete Putsch gegen Präsident Zelaya als illegal. Einschätzung traf in Washington auf taube Ohren. Von Harald Neuber, amerika21.de, 29.11.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/11/17390/wikileaks-honduras

[2] Honduras: Zehn tote Journalisten 2010. junge Welt, 31.12.2010, S. 6

[3] Kritik an Zunahme von Gewalt in Honduras. Menschenrechtsorganisationen: Amtierende De-facto-Regierung nicht unterschätzen. Justiz wird manipuliert. Andauernde Konflikte an Universität. Von Kathrin Zeiske, amerika21.de, 17.08.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/08/9802/zunahme-gewalt-honduras

[4] "Deutsches Geld schürt Gewalt in Honduras". Juristin Flores Lanza erhebt schwere Vorwürfe gegen Bundesregierung. Richterin berichtet in Berlin von Repression unter De-facto-Führung. Von Harald Neuber, amerika21.de, 29.10.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/10/16373/tirza-lanza-gewalt-honduras

5. Januar 2011