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DILJA/1418: Guter Bulle, böser Bulle ... (SB)



Wenn in Washington Repräsentanten der demokratischen und der republikanischen Partei miteinander im Clinch liegen, ist Skepsis angebracht. Im parlamentarischen System der USA, aber auch vieler anderer westlichen Demokratien, hat sich die De-facto-Herrschaft zweier oder unter Umständen auch mehrerer Parteien über lange Zeit bewährt. So können den Wählerinnen und Wählern gegensätzliche Positionen präsentiert werden, um ihnen vermeintlich echte Alternativen in der Wahrnehmung ihrer politischen Gestaltungsrechte, die die des eigentlichen Souveräns sind, anzubieten. Dies erfüllt nicht zuletzt den Zweck, die Akzeptanz der insofern demokratisch legitimierten Machtausübung gegenüber allen Protesten und Widerständen, aber auch Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitskrisen immer wieder herzustellen bzw. zu erneuern. Kritiker sprechen nicht von ungefähr davon, daß zwischen die von Demokraten und Republikanern tatsächlich betriebene Politik kein Blatt Papier passe, was ungeachtet aller insbesondere in Wahlkampfzeiten medial aufgebauschten Kontroversen geltend gemacht wird.

Einmal angenommen, dies wäre im Grundsatz wie im Spezialfall zutreffend, könnten auch die aktuellen Ereignisse im Zusammenhang mit den vom scheidenden US-Präsidenten Barack Obama gegen Rußland verhängten Sanktionen unter diesem Aspekt auf ihre Plausibilität hin abgeklopft werden. In deutschen Leitmedien fanden die Vorwürfe durchaus in der journalistisch gebotenen Vorsicht ihren Widerhall. 'Die Zeit' beispielsweise schrieb: "Die Sanktionen der USA gegen Russland wegen der mutmaßlichen Hackerangriffe während des US-Wahlkampfes sind auf russischer Seite mit scharfer Rhetorik beantwortet worden." Gleichwohl war die Bereitschaft deutscher Medien, unterhalb der Schwelle als Fakten ausgewiesener Informationen Ängste gegenüber Rußland zu schüren, vorhanden. Noch einmal 'Die Zeit': [1]

Aus dem Weißen Haus hieß es, die Maßnahmen seien ein wichtiges Warnsignal für Russland. "Wir haben jeden Grund zur Annahme, dass sie sich auch weiterhin in demokratische Wahlen einmischen werden, darunter von einigen unserer europäischen Verbündeten", sagte ein Regierungsbeamter, der nicht namentlich genannt werden wollte. Auch in Deutschland gibt es Befürchtungen, dass es im Vorfeld der Bundestagswahl im kommenden Jahr zu Hackerangriffen kommen könnte."

'Der Spiegel' spricht sogar von einem Cyberkrieg: "Mit beispiellosen Sanktionen hat Obama Russland für die mutmaßlichen Hackerangriffe im US-Wahlkampf bestraft. Ein Cyberkrieg ist unvermeidlich - und Trump hat sein erstes großes Problem am Hals." [2] Der Vorwurf, die russische Regierung habe zugunsten Trumps den US-Wahlkampf manipuliert, stellt natürlich auch dessen demokratische Legitimation in Frage. Trump selbst erklärte zunächst, es sei Zeit, daß sich die USA größeren und besseren Dingen zuwende. Der designierte US-Präsident soll die Geheimdiensterkenntnisse in Frage gestellt und gesagt haben, im Computerzeitalter wisse niemand mehr so genau, was eigentlich vor sich gehe. Daß die Angriffe darauf abgezielt hätten, ihm zum Wahlerfolg zu verhelfen, sei lächerlich. [3]

Wer diese Wortwechsel verfolgt, könnte versucht sein zu vermuten, daß es zwischen Putin und Trump eine größere Übereinkunft oder Kooperation gäbe als zwischen dem scheidenden und neuen US-Präsidenten. Medienberichten zufolge wolle Trump die Angelegenheit rasch beilegen, wozu es jedoch auch innerhalb der republikanischen Partei gegensätzliche Auffassungen gäbe. Die einflußreichen republikanischen Senatoren John McCain und Lindsey Graham beispielsweise zeigten sich mit Obamas Präsidentenorder nicht nur einverstanden, sondern kündigten an, sich im Kongreß für weitere Strafmaßnahmen gegen Rußland einzusetzen. [4]

Bei der Frage, auf welchen Anhaltspunkten, Indizien oder Beweisen die den verhängten Sanktionen zugrundeliegende Bezichtigung eigentlich beruht, kam die 'Süddeutsche Zeitung' zu folgendem Ergebnis: [5]

Die USA erklären den Kreml zum Täter. Die Gruppe APT28, Hacker im russischen Staatsauftrag, soll während des US-Wahlkampfs verschiedene Ziele in den USA attackiert haben, darunter das Demokratische Wahlkampfkomitee. Solche Behauptungen erfordern hieb- und stichfeste Beweise. Bereits am 14. Dezember hatte die Regierung angekündigt, dass ausführliche Belege vorgelegt würden. Die Details, die FBI und Heimatschutz am Donnerstag veröffentlichten, genügen diesem Anspruch nicht.

In dem SZ-Beitrag wird darauf hingewiesen, daß die Rekonstruktion digitaler Angriffe eine komplizierte Spurensuche und möglicherweise gar nicht in der Lage sei, den Täter zu identifizieren. Nur Geheimdienste und hochspezialisierte Unternehmen verfügten über die dafür erforderlichen technischen Mittel, wobei erstere eine politische Agenda und letztere kommerzielle Interessen hätten. Erschwerend käme hinzu, daß alle Analysedetails einer solchen IT-Forensik ihrerseits digital und damit veränderbar seien. Auch hätten Experten angemerkt, daß auch Angriffe unter falscher Flagge denkbar wären. Hacker könnten von einem Drittland aus einen Server in Rußland oder China übernehmen, von dort aus Angriffe starten und die eigenen Spuren verwischen. Andererseits könnten Regierungen natürlich auch durch eine solche "glaubwürdige Abstreitbarkeit" ihre Geheimdienstoperationen verschleiern.

In dem von FBI und Heimatschutzministerium veröffentlichten Bericht werde den russischen Geheimdiensten die Schuld zugewiesen, doch beschrieben werde lediglich das Vorgehen der Hackergruppen, nicht jedoch, worin ihre Verbindungen zur russischen Regierung bestehen sollen. Einen ehemaligen US-Luftwaffenoffizier, inzwischen Chef einer Sicherheitsfirma, zitierte die Süddeutsche Zeitung mit den Worten, das sei "auf keinen Fall ein Beweis", die veröffentlichten technischen Details seien "nur sehr schwache Indizien". Ein namentlich nicht genannter deutscher Behördenexperte soll gesagt haben, die Indikatoren seien "von der Qualität ganz, ganz schlecht" und eine Beweisführung "absolut nicht abgedeckt." [5] Nach Lage der Dinge wäre die präziseste Aussage wohl die, daß sich in keine Richtung eine klare Schuldzuweisung herleiten läßt.

Das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen den führenden westlichen Staaten und Rußland wird jedoch nicht nur durch diese Vorwürfe und die damit scheinbegründeten US-Sanktionen, die in gleicher Münze den USA heimzuzahlen der russische Präsident Putin abgelehnt hat, belastet. In diesen Tagen findet in Norddeutschland "die größte Truppenverlegungsoperation der US Army nach Deutschland seit 1990" statt, wie die Kieler Nachrichten am 14. Dezember ankündigten. [6] Der Bundeswehr, ohne deren tatkräftige Unterstützung die Verlegung einer vollständigen Division der US-Streitkräfte in das rußlandnahe Gebiet der östlichen NATO-Partnerstaaten nicht möglich wäre, hat darüber umfassend informiert. Einer vom Presse- und Informationszentrum der Streitkräftebasis der Bundeswehr am 30. Dezember veröffentlichten Pressemitteilung sind nähere Einzelheiten zu entnehmen: [7]

In der ersten Januarwoche werden im Rahmen der NATO Operation "Atlantic Resolve" drei Transportschiffe der US-Streitkräfte in Bremerhaven erwartet. Schon Anfang November hatten Soldaten der 3. Brigade der 4. US-Infanteriedivision in den USA damit begonnen, die Schiffe mit Fahrzeugen und Containern zu beladen. Insgesamt werden mehr als 2.500 sogenannte Ladungsstücke (LKW, Gefechtsfahrzeuge, Anhänger, Container) zunächst nach Deutschland verschifft und anschließend über Polen in weitere Länder Mittel- und Osteuropas transportiert. Das Material soll im Zeitraum vom 6. bis 8. Januar per Seetransport in Bremerhaven eintreffen und wird anschließend im Bahntransport und mit Militärkonvois bis voraussichtlich zum 20. Januar nach Polen befördert.

Zum Sinn und Zweck dieser NATO-Operation heißt es in besagter Mitteilung:

Die NATO-Operation "Atlantic Resolve" zielt darauf ab, dauerhaft Frieden und Stabilität an der Ostflanke der NATO zu sichern. Unter Führung der US-Landstreitkräfte in Europa werden seit April 2014 kontinuierlich multinationale Maßnahmen zur Ausbildung und Sicherheitskooperation mit Verbündeten und Partnerstaaten in Osteuropa wie unter anderem Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn durchgeführt.

"Drei Jahre, nachdem die letzten amerikanischen Panzer den Kontinent verlassen haben, müssen wir sie zurückholen", so die Behauptung von Generalleutnant Frederick 'Ben' Hodges, dem Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, bei seinem Besuch der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt. Diese Maßnahmen - nach Angaben der US-Armee in Europa sollen zusätzliche 4000 Soldaten und 2000 Panzer ein "Zeichen der Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit" setzen - seien laut Hodge eine "Antwort auf die russische Invasion der Ukraine und die illegale Annexion der Krim". [8] Schon im Juli vergangenen Jahres waren diese Planungen auf die volle Unterstützung der Bundesregierung gestoßen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen zufolge sei "die Stationierung von Soldaten eine angemessene Maßnahme angesichts eines völlig unvorhersehbaren und aggressiven Russlands". [9]

Die Bundeswehr ist keineswegs nur in logistisch-unterstützender Weise involviert. Am Rande des Verteidigungsministertreffens im Oktober in Brüssel wurde die deutsche Beteiligung am "größten Nato-Aufrüstungsprogramms seit dem Kalten Krieg", so 'die Welt', publik. Demnach sollen 2017 "multinationale Kampftruppen in den Mitgliedstaaten Polen, Litauen, Lettland und Estland" stationiert werden. Deutschland habe zugesagt, in Litauen die Rolle der Führungsnation zu übernehmen, in Polen täten dies die USA, in Lettland die Kanadier und in Estland die Briten. [10]

Etliche Friedensinitiativen und linke Organisationen haben sich inzwischen dem Bremerhavener Appell "Nein zum Säbelrasseln - Truppenverlegung stoppen!" des Bremer Friedensforums [11] angeschlossen und mobilisieren für eine Protestdemonstration in Bremerhaven am 7. Januar. In ihrem Aufruf machen die beteiligten Gruppen ihren Standpunkt deutlich: "Wir lehnen diesen militaristischen Aufmarsch gegen Russland entschieden ab. Die Konsequenzen dieser Manöver sind kaum absehbar. Die weltpolitische Lage ist angespannt. Das Säbelrasseln der NATO vor der russischen Haustür erhöht die Kriegsgefahr.

Aus russischer Sicht stellt dieses Säbelrasseln einen wenn auch indirekten Vertragsbruch dar. Um die NATO-Rußland-Grundakte von 1997 nicht zu verletzen, in der eine permanente Präsenz ausgeschlossen wurde, hat die NATO beschlossen, ihre rund 4.000 in der Nähe der russischen Grenze stationierten Soldaten immer wieder auszutauschen. In Rußland wird dies kritisch gesehen. So heißt es bei dem vom russischen Staat unterhaltenen Auslandsfernsehsender RT Deutsch: [12]

Der Wunsch der NATO nach "Rotation" wiederum, wird erst im Licht der NATO-Russland-Akte aus dem Jahr 1997, nachvollziehbar, da diese eine dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen in den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts untersagt. Dies macht also die "permanente Truppenrotation" von alliierten NATO-Einheiten notwendig, um einen offenen Vertragsbruch zu umgehen.

Es mag Zufall sein, daß der just begonnene US-Truppentransport durch Norddeutschland nach Polen am 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung Donald Trumps, abgeschlossen sein soll. Sollen vielleicht "Fakten" geschaffen werden, noch bevor der neue, angeblich pro-russische US-Präsident der Operation die Unterstützung verweigern und den Truppenaufmarsch womöglich rückgängig machen wollen könnte?

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte unlängst auf die Frage, ob er wirklich denke, daß ein "russlandfreundlicher US-Präsident und ein russlandfreundlicher Außenminister die aktuelle Nato-Politik mit der Aufrüstung in Osteuropa mittragen werden", daß er vor ein paar Wochen mit Trump telefoniert und dieser ihm gesagt habe, daß er sich der NATO und dem transatlantischen Bund verpflichtet fühle. Er, Stoltenberg, sei deshalb zuversichtlich, daß die USA zu ihren Verpflichtungen stehen werden. Auch habe der NATO-Generalsekretär deutlich gemacht, daß die NATO Rußland nicht mehr als unmittelbare Gefahr sehe. Dazu wurde in den Deutschen Wirtschafts Nachrichten, die das Interview veröffentlichten, angemerkt: [13]

Tatsächlich muss sich die verbale Mäßigung der Nato, die sich schon unmittelbar nach dem Sieg von Trump abgezeichnet hatte, nicht auf die reale Politik des Bündnisses auswirken: Die in Wales beschlossene Militär-Doktrin sieht Russland als Feind an. Auch Deutschland hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Solange diese Doktrin gilt, kann die Nato im Ton freundlich, in der Sache jedoch hart agieren.

Sollten die Töne Trumps tatsächlich freundlicher als die Obamas wahrgenommen werden können, wäre dem am besten gar keine Bedeutung beizumessen. Da Trügen und Täuschen in der Politik insbesondere dann, wenn es um hochprekäre Fragen wie Krieg und Frieden geht, seit eh und je zum Geschäft gehören, werden die "martialischen Szenen", die es laut n-tv [14] auf Deutschlands Straßen zu sehen gibt, wenn rund 4000 US-Soldaten mit ihren Fahrzeugen, darunter eine ganze Panzerbrigade, den Norden durchqueren, kaum ihr Wirkung verfehlen können.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-12/sanktionen-russland-usa-hackerangriffe-reaktionen

[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/barack-obama-vergiftetes-abschiedsgeschenk-an-donald-trump-a-1127981.html

[3] https://www.welt.de/politik/ausland/article160709936/Trump-sagt-Amerika-muesse-sich-besseren-Dingen-widmen.html

[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/us-sanktionen-wegen-hackerangriffen-russland-spricht-vom-prinzip-gleicher-gegenmassnahmen-1.3314911

[5] http://www.sueddeutsche.de/digital/hacking-vorwuerfe-gegen-russland-viele-indizien-gegen-russland-aber-kaum-beweise-1.3316005

[6] http://www.kn-online.de/News/Aktuelle-Wirtschaftsnachrichten/Nachrichten-Wirtschaft/Transporte-aber-Januar-ueber-Kiel-US-Panzer-auf-dem-Weg-ins-Baltikum

[7] http://www.presseportal.de/pm/114358/3523291

[8] http://www.wsws.org/de/articles/2016/12/31/mili-d31.html

[9] http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-07/nato-russland-stationierung-abschreckung

[10] https://www.welt.de/politik/ausland/article159078296/Deutsche-Leopard-Panzer-werden-an-russische-Grenze-verlegt.html

[11] http://www.bremerfriedensforum.de/

[12] https://deutsch.rt.com/international/43164-nato-300000-soldaten-baltikum-russland/

[13] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2017/01/01/nato-vor-kehrtwende-russland-ist-keine-unmittelbare-gefahr/#cxrecs_s

[14] http://www.n-tv.de/politik/Konvoi-der-US-Armee-rollt-durch-Deutschland-article19319221.html

5. Januar 2017


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