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AFRIKA/1862: Trotz Armut - UN reduzieren Spendenaufruf für Madagaskar (SB)


UN-Organisation schraubt Spendenaufruf zurück, obgleich die Lage auf Madagaskar prekär ist


Innerhalb von zwei Wochen werden von UN-Hilfsorganisationen widersprüchliche Angaben zur Versorgungslage in Madagaskar gemacht. Am 25. Juli teilte OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs), das die Arbeit der verschiedenen UN-Hilfsorganisationen koordiniert, mit, daß es den Bedarf an Hilfsgeldern für den Inselstaat zurückgestuft hat. [1] Im April sei man von einer Summe in Höhe von 35,7 Millionen US-Dollar an humanitärer Hilfe für Madagaskar ausgegangen, nun strebe man nur noch 22,3 Millionen Dollar als "Blitzaufruf" an. Eingegangen seien bisher 11,7 Millionen Dollar.

Gewinnt man angesichts dieser Meldung den Eindruck, daß die Not in Madagaskar innerhalb weniger Monate erheblich abgenommen haben muß, so wird dieses Bild durch eine UN-Meldung vom 7. August wieder umgeworfen. [2] Die Nahrungsverfügbarkeit der madagassischen Bevölkerung sei nach wie vor aufgrund politischer Spannungen und der Folgen von Naturkatastrophen, welche die Insel regelmäßig heimsuchten, unzuverlässig, heißt es dort.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO (Food and Agricultural Organization) und das Welternährungsprogramm WFP (World Food Programme) haben Ende vergangener Woche eine Bestandsaufnahme des landwirtschaftlichen Anbaus und der Nahrungssicherheit in Madagaskar erstellt. Demnach leidet die Landwirtschaft noch immer unter der Serie an Zyklonen, die in der letzten Saison (2008/2009) die Ostküste der Insel heimgesucht hat, sowie an einer mehrjährigen Dürre im Süden des Landes. Darüber hinaus hat der Sturz des Präsidenten Marc Ravalomanana Anfang März durch den Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, Andry Rajoelina, sowie die globale Wirtschaftskrise zu instabilen Verhältnissen geführt, was sich in Ertragseinbußen und einer Zunahme an prekären Arbeitsverhältnissen sowie einer höheren Arbeitslosigkeit niederschlug.

Laut dem FAO-WFP-Bericht wurde der Norden, Westen und das Zentrum Madagaskars in der Saison 2008/2009 mit üppigen Niederschlagsmengen bedacht, so daß die Produktion von Reis um acht Prozent auf über vier Millionen Tonnen gesteigert werden konnte. Aber in dem verarmten Süden brach die Ernte von Mais, Süßkartoffeln und Kassawa dürrebedingt ein. Davon betroffen ist dann wiederum das ganze Land. So hat die südliche Provinz Taliara bislang 30 Prozent des in Madagaskar verbrauchten Maises geliefert - in dem Bericht wird angenommen, daß in der nächsten Saison nur noch 50 Prozent der Erntemenge zustandekommen. Die Süßkartoffel, mit der 20 Prozent des Landesbedarfs abgedeckt wird, verzeichnet einen Rückgang von 20 Prozent, Kassawa um 15 Prozent.

Demnach wird Madagaskar bis zur nächsten Saison 206.000 Tonnen Getreide sowie Kassawa und Süßkartoffeln importieren müssen. Die Regierung verläßt sich nicht darauf, daß der Markt, also die Privatwirtschaft, den Bedarf regelt, und hat angekündigt, daß sie 150.000 Tonnen Reis kaufen und zu moderaten Preisen verkaufen will.

Innerhalb kapitalistischer Produktionsverhältnisse können sich staatliche Eingriffe kontraproduktiv erweisen. In dem UN-Bericht [2] wird mit Hinweis auf die Hungerkrise 2004/2005 behauptet, es bestehe nach der Ankündigung der Regierung die Gefahr, daß die madagassischen Geschäftsleute ihre Ware zurückhalten und abwarten, wie sich die Marktpreise entwickeln werden. Ausgerechnet in der erntefreien Zeit, die im September-Oktober einsetzt, könnten die Preise für Nahrungsmittel explodieren. Tatsächlich sind die Getreidepreise im Süden des Landes bereits jetzt um 400 Prozent gestiegen.

OCHA hat in der Meldung vom 25. Juli nicht geleugnet, daß Madagaskar nach wie vor aufgrund politischer Spannungen, Dürre und den Folgen von Wirbelstürmen gefährdet ist und das Land weitgehend unvorbereitet der nächsten Wirbelsturmsaison, die jeweils in den ersten Monaten des Jahres stattfindet, entgegensieht. Aber dennoch wird der Eindruck erweckt, als gehe es der Bevölkerung irgendwie schon besser. Die politische Krise, die zum Rücktritt Ravalomananas führte, hätte sich weniger stark auf die grundlegenden sozialen Dienste und Entwicklungsprojekte ausgewirkt als angenommen, hieß es. [1] Dem widerspricht ein Leserkommentar, der unter den bei africa.com veröffentlichten UN-Beitrag geschaltet wurde. Der Leser widerspricht, daß die sozialen Auswirkungen des Putsches vom Januar und Februar dieses Jahres gering gewesen sind, und macht darauf aufmerksam, daß die Versorgung mit Pillen gegen HIV komplett eingestellt wurde. Selbst kurze Unterbrechungen der Therapie wären jedoch gefährlich, da dies zu unumkehrbaren Resistenzen gegen die im ganzen Land einzig verfügbare antiretroviralen Medikamente führen könnte. [3]

Auch andere Entwicklungen können nicht als ermutigend bezeichnet werden. FIAN und Misereor warnten kürzlich, daß der unsägliche Deal mit dem südkoreanischen Konzern Daewoo über die Verpachtung von 1,3 Millionen Hektar bestes Ackerland für 99 Jahre nicht vom Tisch ist. [4] Das Unternehmen wolle anscheinend via der neugegründeten Tochtergesellschaft Madagascar Tsaku SARLU weiterhin große Flächen Ackerland erwerben, und Rajoelina hätte das Geschäft noch nicht endgültig rückgängig gemacht.

Bei den Verhandlungen zwischen ihm und seinem Vorgänger Ravalomanana unter Vermittlung des früheren mosambikanischen Präsidenten Joaquim Chissano konnte zwar in den letzten Tagen eine Einigung darüber erzielt werden, daß im nächsten Jahr Wahlen abgehalten werden sollen und bis dahin eine Übergangsregierung gebildet wird, aber über die entscheidende Frage, wer bis dahin welche Posten erhält, herrschte Uneinigkeit. [5] Die nächsten 15 Monate dürften - wenn es gut läuft und es nicht erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt - von Postengeschachere, Positionsgerangel und hochtrabenden Versprechungen für die Wähler beherrscht sein, nicht aber davon, daß Hunger und Armut beendet werden.

Die Ausrichtung Ravalomananas und offenbar auch Rajoelinas darauf, ausländische Investoren anzulocken, die dann den Madagassen die Lebensgrundlage entziehen, indem sie Ackerland zum Anbau von sogenannten Energiepflanzen und Getreide auf 50 oder 99 Jahre pachten, entspricht auf ganzer Linie der neoliberalen Doktrin, wie sie IWF, Weltbank, Afrikanische Entwicklungsbank und andere Kreditgeber unermüdlich als Programm zur wirtschaftlichen Entwicklung empfehlen, wohlwissend, daß dies schon immer zur Bildung einer kleinen reichen Oberschicht geführt hat. Wenn dann in dem einen oder anderen Staat ein paar Krümel mehr als üblich für die Armen abgefallen sind, dann hängt das damit zusammen, daß sich in diesen Ländern nicht ganz so strikt an die Empfehlungen der Kreditgeber gehalten wurde oder die "guten" Ratschläge sogar in den Wind geschlagen wurden. [6]


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Anmerkungen:

[1] "Madagascar: UN Revises Humanitarian Appeal", UN News Service (New York), 25. Juli 2009
http://allafrica.com/stories/200907270373.html

[2] "Madagascar: Volatile Climate, Politics Leave Access to Food Precarious - UN", UN News Service (New York), 7. August 2009
http://allafrica.com/stories/200908070010.html

[3] http://allafrica.com/comments/list/aans/post/post/id/200907270373.html#c|main|main|id|09SoKXQDdkiP5fBl

[4] "In Madagaskar droht massiver Ausverkauf von Ackerland. FIAN und Misereor fordern Schutz heimischer Bauern", Pressemitteilung, 27. Juli 2009
http://www.fian.de/

[5] "Madagascar: Four Parties Reach Deal on New Elections", La Tribune (Algiers), 10. August 2009
http://allafrica.com/stories/200908100955.html

[6] Als Beispiel hierfür ist Malawi zu nennen, daß ein umfangreiches staatliches Förderprogramm für die Landwirtschaft aufgelegt und dadurch die Erntemenge erheblich hinaufgeschraubt hat. Näheres hier im Fachpool POLITIK/REDAKTION unter dem Index AFRIKA/1650: Malawi - Erfolgreiche Subventionierung des Düngers (SB)

10. August 2009