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AFRIKA/1911: Habyarimana-Attentat - Kagame läßt sich Weste weiß waschen (SB)


Nichts Neues aus Kigali

Von Präsident Paul Kagame einberufene Kommission entlastet ihn vom Vorwurf, er habe den Völkermord 1994 in Ruanda ausgelöst


Am 6. April 1994 wurde ein historisch einmaliges Doppelattentat auf die Präsidenten zweier afrikanischer Staaten durchgeführt. Auf die Falcon 50, die sich mit dem ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana und seinem burundischen Amtskollegen Cyprien Ntaryamira an Bord im Landeanflug auf Kigali befand, wurden zwei Boden-Luft-Raketen abgefeuert. Die Maschine stürzte ab, alle Insassen kamen ums Leben. Nur wenige Stunden darauf brachen in der ruandischen Hauptstadt Unruhen aus, die in den nächsten Tagen zu einem chaotischen, teilweise aber auch systematisch begangenen und von einem Radiosender angefeuerten Abschlachten der Bevölkerung führten. Vornehmlich, wenngleich nicht ausschließlich wurden Mitglieder der Tutsi- und der Twa- Ethnien durch Mitglieder der Hutu-Ethnie getötet.

Erst nach etwa einhundert Tagen hatte der aus dem ugandischen Exil stammende Warlord Paul Kagame, Anführer der gut organisierten und von den USA und Großbritannien unterstützten RPF (Ruandische Patriotische Front), die seit 1990 Invasionsversuche in Ruanda unternommen und im Arusha- Abkommen von 1993 eine Zusage zur Beteiligung an der Macht erzielt hatte, die sogenannten Völkermörder vertrieben. Viele von ihnen flohen über die Grenze ins benachbarte Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), wobei sie sich offenbar eine Rettungsaktion des französischen Militärs (Operation Turquoise) zunutze machten und in dem von ihm beschützten Flüchtlingstreck untertauchten.

Die Verantwortlichen für das Flugzeugattentat wurden bis heute nicht vor Gericht gestellt. Mehr noch, es wurden nicht einmal nähere Ermittlungen zur Aufklärung dieses Fanals angestellt. Nicht, daß es dazu eines Mandats gefehlt hätte. Der UN-Sicherheitsrat hatte noch im November 1994 eine Untersuchung der Massaker angeordnet und die Einrichtung eines Ad-hoc-Tribunals beschlossen, das über Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die 1994 in Ruanda und den angrenzenden Staaten begangen wurden, aufklären und die Rädelsführer richten sollte.

Es wäre also zu erwarten gewesen, daß sich die UN-Ermittler auch um die Aufklärung jenes Doppelattentats bemühen. Und das taten sie anfänglich auch, sogar mit großem Erfolg. Ein Ermittlungsteam mit dem australischen Anwalt Michael Hourigan machte vier Zeugen ausfindig, die bereit waren, vor Gericht auszusagen. Von ihnen erklärten einige, daß sie Mitglieder einer Spezialeinheit der RPF waren, die das Attentat im Auftrag der RPF-Führung und damit Paul Kagame begangen hatten. Als Hourigan telefonisch seiner Vorgesetzten, der damaligen UN-Chefermittlerin Louise Arbour [1], von dieser heißen Spur berichtete, schien sie ebenfalls Feuer und Flamme und lobte ihn ob des Erfolgs.

Etwa eine Woche darauf flog Hourigan voller Zuversicht nach New York, um der Chefermittlerin die bisher erbrachten Belege zum Flugzeugattentat persönlich zu übergeben. Doch das war nicht mehr die Louise Arbour, mit der er zuvor am Telefon gesprochen und mit der das Team bislang gut zusammengearbeitet hatte. Sie war auf einmal kurz angebunden, verlangte von ihm sämtliche Dokumente über die Attentatsermittlungen, forderte ihn auf, seine persönlichen Aufzeichnungen in dieser Sache zu vernichten, und erklärte brüsk, daß er seine Kompetenzen überschritten habe und daß für die Suche nach den Verantwortlichen des Flugzeugattentats gar kein Mandat bestehe. Hourigan fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen und nahm seinen Hut. Er war nicht bereit, die Farce mitzumachen. Später berichtete er in einer eidesstattlichen Erklärung über jene überraschende Wendung der Ereignisse. [2]

Nach der bekannteren von zwei Versionen über das Attentat haben radikale Hutu ihren eigenen Präsidenten umgebracht, weil sie mit seinem Friedenskurs nicht einverstanden waren. Im 1993 beschlossenen Arusha-Abkommen war nämlich eine Teilung der Macht zwischen der Regierungspartei MRND und der RPF vorgesehen. Wohingegen die zweite Version, wonach der an der US-Militärakademie Fort Leavenworth ausgebildete und von seinen Ausbildern für seine strategischen Fähigkeiten gelobte Kagame den Befehl zum Attentat erteilt hat, bis heute nicht aus der Welt geschafft ist.

Bis heute? Am Montag hat Kagames Regierung einen "Abschlußbericht" vorgelegt, wonach nicht Kagame, sondern die radikalen Hutu die Falcon 50 abgeschossen haben. [3]

Wie kommt es, daß Kagame, der sich jahrelang gegen solche Ermittlungen gesträubt hat, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt einen Kommissionsbericht veröffentlichen läßt, der an Dingen rührt, durch die die Aufmerksamkeit auf ihn, Kagame, gelenkt werden könnte? Daß die Kommission zu einem der ruandischen Regierung gegenüber genehmen Resultat kommt, überrascht nicht, denn von "unabhängig" kann von vornherein nicht die Rede sein. Da wäre eine UN-Kommission geeigneter gewesen. Aber der Zeitpunkt, an dem Kagames Weste endgültig weiß gewaschen werden soll, ist interessant. Denn im vergangenen Jahr wurde Ruanda in den Commonwealth aufgenommen. Damit hat die Transformation von einem seit der Kolonialzeit frankophonen Staat in einen anglophonen einen kräftigen Schub erhalten. Im Vorwege hatte die Menschenrechtskommission des Commonwealth noch gewarnt, daß Ruanda keinesfalls die Menschenrechtsstandards dieser Staatengemeinschaft erfülle, aber die Kräfte, die Ruanda der angloamerikanischen Einflußsphäre einordnen wollen, haben sich durchgesetzt. [4]

In einer parallelen Entwicklung versucht sich das Sarkozy-Frankreich im Verhältnis zu Ruanda neu zu definieren. Präsident Nicolas Sarkozy, der von den Franzosen auch "der Amerikaner" genannt wird, hatte nach seiner Amtsübernahme den Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière in sein Beraterteam aufgenommen, woraufhin dieser sein Amt als Richter wegen des Interessenkonflikts aufgrund seiner neuen Aufgabe niederlegte. Bruguière hatte jedoch 2006 gegen neun hochrangige RPF-Mitglieder - unter anderem Kagames Protokollchefin Rose Kabuye - einen internationalen Haftbefehl beantragt und erklärt, daß er auch Kagame auf seine Liste gesetzt hätte, wenn dieser nicht als Präsident Immunität genösse. Die beiden Stellvertreter Bruguières, die seine Ermittlungsarbeit in dieser Sache übernahmen, lassen sie allem Anschein nach still und leise versanden. Das könnte einer der Gründe sein, warum Ruanda und Frankreich vor kurzem erstmals seit 1994 wieder diplomatische Beziehungen pflegen wollen. Vor wenigen Tagen hat der französische Außenminister Bernard Kouchner Ruanda besucht, noch in diesem Monat wird Sarkozy in Kigali erwartet. Pikantes Detail am Rande des Kouchner-Besuchs: Er wurde bei seiner Ankunft am Flughafen ausgerechnet von Rose Kabuye, gegen die in Frankreich noch ein Verfahren wegen "Verschwörung zum Mord in Verbindung mit Terrorismus" anhängig ist, per Handschlag begrüßt.

Die Commonwealth-Mitgliedschaft Ruandas wie auch die deutlich verbesserten Beziehungen zu Frankreich haben Kagame zu der erforderlichen Sicherheit verholfen, daß er es sich nun leisten kann, die sogenannten Ermittlungen zum Flugzeugattentat veröffentlichen zu lassen. Wenn er ihm gelingt, die jetzt einsetzende Diskussion, auch über die Widersprüche in Verbindung mit seiner Person, schadlos zu überstehen, dann kann er beruhigt einer Zeit entgegensehen, in der er womöglich keine Immunität als Staatsführer mehr genießt.

Der sogenannte Mutsinzi-Report (benannte nach dem Juristen Jean Mutsinzi) zum Attentat von 1994 liefert keineswegs stichhaltige Beweise, daß radikale Hutu aus dem innersten Kreis des ermordeten Präsidenten, namentlich Théoneste Bagosora, Anatole Nsengiyumva, Mathieu Ngirumpatse und Joseph Nzirorera, die Verantwortung für das Attentat tragen. Eher handelt es sich um einen Versuch, mit schierer Masse die mangelnde Klasse der Beweise vergessen zu lassen und eine allgemeine Motivlage der radikalen Hutu zu präsentieren.

Es trifft zu, daß einige radikale Hutu nicht mit den radikalen Tutsi von der RPF eine Regierung der Versöhnung bilden wollten. Aber das gleiche gilt auch für Paul Kagame. Er hatte 1990 nicht die Invasion Ruandas befehligt, um sich die Macht mit der MRND zu teilen, sondern um allein auf dem Thron zu sitzen.

Im Mutsinzi-Report werden nicht zu leugnende innere Widersprüche des Kreises um Juvénal Habyarimana zu einer Verschwörung gegen den Präsidenten aufgebläht, und um dem etwas mehr Gehalt zu verleihen, werden Oberst Bagosora nicht nachprüfbare Aussagen in den Mund gelegt. So soll er laut einem Major General Laurent Munyakazi am 4. April 1994 an der Rezeption des Hotels Kigali Meridian erklärt haben, daß das Flugzeug, mit dem Habyarimana nach Tansania fliege, abgeschossen wird.

Hier fehlt jedoch der Kontext, in dem es zu dieser mutmaßlichen Aussage gekommen sein soll, ebenso wie aus der Erklärung nicht einmal eindeutig hervorgeht, daß Bagosora es war, der das Flugzeug abschießen lassen wollte. Vielleicht hatte er lediglich davon gehört und wollte das den Generalmajor wissen lassen. Mit diesen Spekulationen soll weder ausgeschlossen werden, daß Bagosora chauvinistischem Gedankengut anhängt, noch soll behauptet werden, daß er es tut. Der Oberst wurde 2008 vom ICTR (International Criminal Tribunal on Rwanda) wegen Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt.

Nicht nur auf dem internationalen Parkett erzielt die ruandische Regierung Fortschritte in Hinsicht der Verschleierung ihrer vielen Leichen im Keller, die irgendwann irgendwer ausgraben könnte, falls sich das Rad der Weltgeschichte zu Ungunsten Kagames und seiner Mitstreiter weiterdreht. Auch die "innere Sicherheit" wird laufend ausgebaut, beispielsweise durch das geplante, noch schärfere Gesetz gegen "Genozidleugner" als das bestehende. [5]

Mit dem Gesetz können Oppositionelle und Personen, die eine andere Meinung als die staatlich verordnete haben, mundtot gemacht und für viele Jahre hinter Gitter gebracht werden. Das geplante Gesetz soll aber nicht nur innerhalb Ruandas gelten, sondern auch auf Personen anwendbar sein, die außerhalb des Landes schreiben und Bücher veröffentlichen, "die den Genozid" negieren, weil das unmittelbaren Einfluß auf die Bevölkerung Ruandas habe, erklärte Dr. Diogene Bideri, Mitglied der Nationalen Kommission für den Kampf gegen Genozid (CNLG) Ruandas. Mit dieser Maßnahme soll Druck auf jene Autoren und Exilanten ausgeübt werden, die nicht müde werden, aus ihrer Sicht zu berichten, was wirklich in Ruanda geschah. Mit der offiziellen Version, wie sie jetzt im Mutsinzi-Report verbreitet wird, dürfte sie wenig bis nichts zu tun haben.

Unterdessen überschlägt sich die staatstreue ruandische Presse mit Berichten über den Report. So sei abschließend die Erklärung des ruandischen Verteidigungs- und Militärsprechers Major Jill Rutaremara gegenüber der Zeitung "The New Times" [6] zitiert, da sie auf unbeabsichtigte Weise recht treffend die innere Logik des den eigenen Standpunkt bestätigenden Reports wiedergibt: "Da sind zwei Dinge - zum einen ist es gut, daß die Wahrheit endlich heraus ist, und zweitens: Alle, die falsche Anschuldigungen gemacht haben, sind nun widerlegt."


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Anmerkungen:

[1] Nähere Einzelheiten zu Louise Arbour unter: AFRIKA/1852: Dunkle Vergangenheit der neuen ICG-Präsidentin Louise Arbour (SB)

[2] Zugang zum Dokument "Hourigan Affidavit" liefert unter anderem die australische Zeitung "The Age" unter:
http://www.theage.com.au/news/world/un-shut-down-rwanda- probe/2007/02/09/1170524298428.html

[3] REPUBLIC OF RWANDA, Committee of Experts Investigation of the April 6, 1994 Crash of President Habyarimana´s Dassault Falcon-50 Aircraft, Media Guide, Januar 2010
http://www.gov.rw/IMG/pdf/Mutsinzi_Report__MEDIA_GUIDE.pdf

[4] Näheres unter: AFRIKA/1895: Ruanda - Hintergründe des Commonwealth-Beitrittsantrags (SB)
AFRIKA/1896: Ruanda wird Commonwealth-Mitglied (SB)

[5] "Rwanda: Law On Genocide Denial in Pipeline", The New Times (Kigali) 14. Januar 2010
http://allafrica.com/stories/201001140014.html

[6] "Rwanda: RDF Welcomes Mutsinzi Report", The New Times (Kigali), 13. Januar 2010
http://allafrica.com/stories/201001130032.html

14. Januar 2010