Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1955: Tana-Delta - Erst Vertreibung, dann Plantagen für Biosprit? (SB)


Kenias Regierung warnt Anwohner des Tana-Flusses vor Hochwasser

Hilfslieferungen für Überschwemmungsopfer im kenianischen Distrikt Tana River stark gekürzt


Das Tana-Delta in Kenia hätte ein Paradebeispiel für die Zerstörung einer ökologisch einzigartigen Fluß- und Sumpflandschaft in Ostafrika sein können. Hatte doch die Regierung weitläufige Gebiete für den Plantagenanbau von Zuckerrohr freigegeben, der zu Biosprit verarbeitet werden sollte. Auch sollte hier schon mal großflächig Reis angepflanzt oder eine Shrimps-Farm errichtet werden. All diese Vorhaben wurden aus verschiedenen Gründen auf Eis gelegt oder gestrichen.

Die Gefahr einer "Erschließung" und damit Zerstörung ist keineswegs gebannt. Das Emirat Katar hatte bei einem Besuch des kenianischen Präsidenten Mwai Kibaki im Jahr 2008 Interesse an der Pacht von 40.000 Hektar Land im Tana-Delta gezeigt. Dies sollte sozusagen ein kleines Geschäft nebenbei werden. Der Emir Sheikh Hamad bin Khalifa Al Thani hegt die Absicht, sich mit einem Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar am Bau eines zweiten Tiefseehafen in Kenia zu beteiligen, der im Lamu-Archipel angesiedelt wäre. Auch dieses Projekt ist keineswegs vom Tisch, sondern wird hinter verschlossenen Türen weiterverhandelt. Chinesische Unternehmen sind nach wie vor an dem gigantischen Vorhaben interessiert, dessen Kosten auf insgesamt 17 Milliarden Dollar veranschlagt werden und das unter anderem auch den Bau eines internationalen Flughafens, einer Raffinerie und einer Bahnverbindung zur südsudanesischen Hauptstadt Juba einschließt. [1]

In der von der kenianischen Regierung entworfenen "Vision 2030" wird diesem Projekt eine große Bedeutung zugemessen, könnte darüber doch der vernachlässigte Norden, der rund ein Drittel des Landes ausmacht, einen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren. Selbstredend wurde auch gegen dieses gigantische Projekt, demgegenüber wäre das Anlegen von Plantagen im Tana-Delta sozusagen ein kleiner Fisch, protestiert.

Sowohl der Tiefseehafen als auch die Plantagen, sollten sie gebaut werden, würden zur Vertreibung der angestammten Bevölkerung führen. Auch Nomaden und Halbnomaden würden fortan davon abgehalten, ihr traditionelles Weide- und Durchzugsgebiet zu nutzen. (Kein Bedauern dürfte die nordkenianische Bevölkerung hingegen darüber empfinden, wenn dann auch die Überfälle somalischer Banditen auf ihr Gebiet ausblieben.)

Da das politische Konfliktpotential der umstrittenen Nutzung des Tana-Deltas nicht zu übersehen ist, sticht eine Meldung der kenianischen Zeitung "The Nation" [2] ins Auge, derzufolge sich mehr als 5000 Einwohner aus dem Tana River District, die ihre Heimat wegen der Überschwemmung verlassen mußten, mit Hunger konfrontiert sehen, weil die Hilfslieferungen von diesem Monat an halbiert wurden. Die Dorfbewohner von Woldena, Wayu und Kalkacha hätten an das kenianische Rote Kreuz und das Welternährungsprogramm (WFP) appelliert, die Entscheidung zur Halbierung der Rationen zurückzunehmen, und den Abgeordneten der Region, Dado Godana, gebeten, sich für sie einzusetzen.

Manche Einwohner sind bereits so geschwächt, daß sie nicht die Kraft haben werden, um sich lange zur bevorstehenden Abstimmung über ein Referendum anstellen zu können, erklärte Sheikh Dakane, Sprecher des örtlichen Ältestenrats. Die Ältesten monieren, daß die Regierung die Hirten aus den ländlichen Gemeinden vernachlässigt hat. Wegen der schlechten Straßenverhältnisse könnten sie nicht in die großen Städte reisen, um sich Lebensmittel zu kaufen. [2]

Nach Angaben von Kenya Red Cross sind durch die Überschwemmungen im ganzen Land 70.000 Einwohner betroffen. [3] Der für die Region Tana River zuständige Koordinator des Roten Kreuzes, Maurice Anyango, bestätigte gegenüber "The Nation" [2], daß die Rationen gekürzt wurden, aber er leugnete, daß seine Organisation die einzige sei, die das getan hätte. Vielmehr sei die Entscheidung von der National Food Security Group in der Hauptstadt sowie der örtlichen Dürrebekämpfungsgruppe empfohlen worden. Die Kenya Red Cross Society beobachte die Situation. Niemand müsse verhungern.

Die vorliegende Faktenlage liefert keinen konkreten Verdacht, daß die Überschwemmungsopfer deshalb schlechter versorgt werden, weil die Regierung den Widerstand gegen Erschließungsprojekte im Tana-Delta schwächen will. So etwas hätte sie auch gar nicht nötig, denn in anderen Regionen Kenias wurden Menschen auf Geheiß der Regierung ohne Umstände vertrieben, sei es, daß eine Bahntrasse im riesigen Kibera-Slum Nairobis erweitert werden sollte und Wellblechhütten im Weg standen, sei es, daß aus anderen Regionen Kenias Einwohner, die teils vor langer Zeit, teils erst wenige Jahre zurückliegend vertrieben wurden, im Mau Forest siedelten und aufgrund von Wasser- und Naturschutzmaßnahmen verdrängt wurden.

Die Regierung Kenias setzt im Zweifelsfall durchaus Gewalt ein, um Infrastrukturprojekte gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen, und begründet das damit, daß eine Vertreibung einem höheren Ziel diene. Deshalb muß man annehmen, daß sie auch vor einer gewaltsamen Erschließung des Tana-Deltas nicht zurückschreckte. Aber aus exakt dem gleichen Grund kann nicht vollkommen ausgeschlossen werden, daß sie mitunter auch zum Mittel der Vernachlässigung greift, um Bedürftige, die auf Nahrungshilfe angewiesen sind, zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Aber, wohlgemerkt, hierfür liegen keine konkreten Belege vor.

Im übrigen erweist sich das Hungerproblem als sehr viel größer als das der 5000 Überschwemmungsopfer. Nicht nur im Tana River District wurde Nahrungsmittelhilfe gekürzt, auch in anderen Regionen des Landes leiden Menschen Hunger oder sind mangelernährt. Kenia wiederum steht in dieser Hinsicht in einer Reihe mit weiteren afrikanischen Staaten, in denen Menschen Hunger leiden und nicht versorgt werden oder deren täglichen Rationen von den Hilfsorganisationen mangels Spendenbereitschaft der Geberländer gekürzt werden mußten.

Das hebt allerdings nicht im mindesten den Mangel der Überschwemmungsopfer im Tana River District auf. Ob die Regierung hier versteckte Umsiedlungspolitik betreibt, wird weiter zu beobachten sein.


*


Anmerkungen:

[1] "Kenya´s Second Port Spells Double Devastation", zuletzt abgerufen am 14. Mai 2010
http://www.africanconservation.org/content/view/1745/409/

[2] "Kenya: Flood Victims Go Hungry as Donors Slash Food Aid", The Nation (Nairobi), 10. Mai 2010
http://allafrica.com/stories/201005101901.html

[3] "Kenya: Floods 2010", Kenya Red Cross, zuletzt abgerufen am 14. Mai 2010
http://212.22.182.205/redcross/index.php?mact=News,cntnt01,detail,0&cntnt01articleid=3&cntnt01origid=15&cntnt01returnid=326

14. Mai 2010