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AFRIKA/1970: Ruanda - Herausgeber einer regierungskritischen Zeitung ermordet (SB)


Vor den Wahlen in Ruanda

Steht das Kagame-Regime mit dem Rücken zur Wand?

Massive Repressionen gegen kritische Presse


Seit dem Sieg seiner aus Uganda stammenden Milizen von der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) im Sommer 1994 über die ruandische Armee, ruandische Polizeitruppen und überwiegend mit Macheten ausgestatteten, jugendlichen Interahamwe-Kämpfern hat der Warlord Paul Kagame seine Machtposition in Ruanda laufend weiter ausgebaut. Dabei wurden systematisch oppositionelle Kräfte ebenso wie Konkurrenten aus den eigenen Reihen ausgeschaltet. Für die eingesetzten Mittel gab es kein Tabu. Selbst ins Ausland geflohene Personen, mit denen sich Kagame überworfen hatte, waren gegen Attentate nicht gefeit.

Bewiesen werden konnte dem heutigen Präsidenten Ruandas die Verantwortung für solche finsteren Machenschaften nicht. Das hätte allerdings auch ein entsprechendes Interesse innerhalb der ruandischen Gesellschaft erfordert. Die wird jedoch weitgehend von Kagame und seinen Getreuen, nicht zuletzt über die gleichgeschalteten Medien und eine Justiz, welche die Zensur verinnerlicht hat, kontrolliert. Auch die internationale Gemeinschaft macht keine Anstalten, Ruandas Regierung wegen der Repression zur Verantwortung zu ziehen.

Kagame und die RPF, die zu Beginn der 1990er Jahre die Speerspitze der angloamerikanischen Kräfte gegen den französischen Einfluß im Gebiet der Großen Seen Ostafrikas bildeten und im Anschluß an ihre blutige Machtergreifung das frankophone Ruanda in ein anglophones Land, das im vergangenen Jahr sogar vom traditionell englischsprachigen Commonwealth aufgenommen wurde, transformierten, erfahren dagegen breite Unterstützung nicht nur von den USA und Großbritannien, sondern in jüngster Zeit auch wieder von Frankreich unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys, der von seinen Landsleuten gern als "der Amerikaner" bezeichnet wird.

Im August werden in Ruanda Wahlen abgehalten, und obgleich Präsident Kagame siegesgewiß ist, zeigen er und seine Mitstreiter Nerven. Eigentlich sollte man meinen, daß sie fest im Sattel sitzen und die Zügel in der Hand haben, aber offensichtlich trügt der Schein. Denn wenn es so wäre, hätte es die Kagame-Administration gar nicht nötig, oppositionelle Zeitschriften zu verbieten, die Oppositionpolitikerin Victoire Ingabire unter fadenscheinigen Vorwänden der Genozid-Verharmlosung und -leugnung unter Hausarrest zu stellen und einen ihrer Anwälte, den US-amerikanischen Professor Peter Erlinder, nach demselben Gesetz zu bezichtigen, ins Gefängnis zu werfen und ein Gerichtsverfahren gegen ihn anzustrengen. Der aufgrund seines Gefängnisaufenthalts gesundheitlich schwer angeschlagene Erlinder wurde inzwischen auf Kaution freigelassen, das Verfahren gegen ihn jedoch nicht eingestellt.

Abgesehen von Ingabire wurde auch der Führer der oppositionellen Partei PS-Imberakuri, Bernard Ntaganda, festgenommen und zwei Tage in U-Haft vernommen. Ihm wird vorgeworfen, er habe Rebellengruppen aufgestellt, ethnische Trennung erzeugt und das Versammlungsverbot verletzt. Etliche Anhänger Ntagandas, die am 25. Juni vor der US-Botschaft in Kigali demonstrierten und die USA aufforderten, sich für die Freilassung des Politikers einzusetzen, wurden verhaftet. Später wurden einige entlassen. Zu denen, die weiterhin im Gefängnis sitzen, gehört der Generalsekretär der Partei, Théobald Mutarambirwa, berichtete die in Washington ansässigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch am Sonnabend. [1]

Ähnlich wie Mutarambirwas Anhängern erging es auch den Anhängern von Ingabires Partei FDU-Inkingi, als sie am Morgen des 24. Juni vor dem Justizministerium demonstrierten. Auch sie wurden verhaftet. Sie sollten aus der Partei austreten, wurde ihnen von der Polizei geraten. Viele der Verhafteten wurden am nächsten Tag freigelassen, aber mindestens bis zum 26. Juni mußten Generalsekretär Sylvain Sibomana, Schatzmeisterin Alice Muhirwa und der Repräsentant für Kigali Théoneste Sibomana weiterhin in Haft bleiben. Mit demokratischen Gepflogenheiten ist das Verhalten der Regierung unvereinbar.

Wer am 19. Juni den Anschlag auf den ehemaligen ruandischen Botschafter in Indien und Ex-General, Faustin Kayumba Nyamwasa, verübt hat, ist zur Zeit noch unklar. Der Verdacht, daß Kagame einen Widersacher ausschalten lassen wollte, wird weithin gemutmaßt. Nyamwasa, ein langjähriger Weggefährte Kagames, der für ihn die brutalen Raubzüge in Ostkongo befehligt hat, war mitsamt seiner Familie nach Südafrika geflohen, da für ihn die Luft in Ruanda zu dünn geworden war. Nyamwasa liegt zur Zeit in einem südafrikanischen Krankenhaus und erholt sich von einem Bauchschuß.

Am 24. Juni wurde der Herausgeber der verbotenen Zeitung Umuvugizi, Jean-Leonard Rugambage, abends vor seinem Haus erschossen. Von dem Tätern, der in einem Auto floh, keine Spur. Rugambage hatte das Kagame-Regime beschuldigt, es habe versucht, Nyamwasa umzubringen. Spätestens jetzt müssen auch andere Journalisten damit rechnen, daß sie mundtot gemacht werden sollen. Beispielsweise Jean Bosco Gasasira, der gegenüber der internationalen Organisation Reporter ohne Grenzen (Reporters Without Borders - RWB) erklärte, es sei eindeutig, daß Rugambage umgebracht wurde, da dieser recherchiert habe, wer das Attentat auf Nyamwasa verübte. [2]

Reporter ohne Grenzen hat Ruanda in diesem Jahr als dasjenige Land bezeichnet, das die Pressefreiheit am schwerwiegendsten verletzt. Human Rights Watch kritisiert die wachsende Unsicherheit und politische Repression in Ruanda. Die Sicherheitslage verschlechtere sich rasend schnell, sagte Rona Peligal, Afrika-Direktorin der Organisation. Bei nur noch 45 Tagen bis zu den Wahlen, hole die Regierung zum Schlag aus, um Oppositionelle und Kritiker zum Schweigen zu bringen. [1]

Gasasira, früherer Herausgeber der in Kinyarwanda geschriebenen Zeitung Umuvigizi, war unmittelbar nach der Schließung (und zeitgleichen Schließung der Zeitung Umuseso) im April dieses Jahres von der Staatsanwaltschaft vorgeladen worden und wurde unter anderem wegen Verleumdung zur Zahlung einer hohen Summe verurteilt. Bald darauf floh er aus Ruanda. Offenbar besaß er das richtige Gespür, was allerdings nicht wundert, wäre er doch bereits im Februar 2007 beinahe von einer Gruppe Angreifer vor seinem Haus getötet worden. Kurz vor diesem Vorfall hatte sich Gasasira auf einer Pressekonferenz des Präsidenten "erdreistet", offen auszusprechen, daß Journalisten in Ruanda verfolgt werden. Wer den Herausgeber angegriffen und verletzt hat, wurde nie geklärt.

Im Februar dieses Jahres wurde der frühere Herausgeber der Zeitung Umuseso, Charles Kabonero, wegen Verleumdung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Auch der gegenwärtige Herausgeber dieser regierungskritischen Zeitung, Didas Gasana, und der Reporter Richard Kayigamba wurden zu je sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Beide Herausgeber flohen aus Ruanda, nachdem sie wiederholt Morddrohungen erhalten hatten. [1]

Gegenüber Voice of America sagte Gasasira, er sei sich hundertprozentig sicher, daß der ruandische Geheimdienst National Security Services Rugambage umgebracht hat. Auf der Website von Umuvigizi - die innerhalb Ruandas blockiert ist - sei (am Morgen des Attentats) berichtet worden, daß der Erschossene den Mordversuch an Nyamwasa recherchiert habe. [3] (Nyamwasa wiederum war in Ungnade gefallen, nachdem er Korruptionsfällen in der ruandischen Regierung nachgegangen war.)

Der Verdacht, daß das Kagame-Regime um seinen Machterhalt kämpft und dazu über Leichen geht, liegt nahe, ist jedoch nicht bewiesen. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, daß Mord und Mordversuch nichts miteinander zu tun haben. Auffällig ist allerdings, daß es sich in beiden Fällen um keine Raubüberfälle handelte, so daß diesem Erklärungsversuch eine geringe Wahrscheinlichkeit zugesprochen werden muß. Zumindest von Nyamwasa weiß man, daß er viele Feinde besitzt, nicht nur in der Kagame-Administration, in der er früher eine wichtige Funktion als Feldherr erfüllte. Der gescheiterte Mordversuch in Johannesburg und der gelungene Mord in Kigali weisen indessen das gleiche Muster auf. In beiden Fällen wurde den Opfern aufgelauert, als sie durch die Einfahrt zu ihrem Haus fuhren. Ist auch das Zufall oder deutet sich hier womöglich eine Parallele hinsichtlich der Täterschaft an?

Die Kagame-Regierung, die vom US-Außenministerium als aufstrebende Demokratie bezeichnet wird, verspielt binnen kurzer Zeit ihren (unberechtigt) guten Ruf. Die Ermordung eines unliebsamen Journalisten läßt vermuten, daß sie mit dem Rücken zur Wand steht und der innerruandische Widerstand gegen die repressive Regierung viel größer ist, als es den Anschein hat. Die Fehleinschätzung der Stabilität Ruandas würde die Erklärung des US-Anwalts Erlinder bestätigen. Der spricht von einer Art Eisernem Vorhang, in der Landessprache Musungu genannt, der das "wahre Ruanda" gegenüber weißen Beobachtern wie den früheren US-Präsidenten Bill Clinton, den früheren britischen Premierminister Tony Blair und den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy errichtet wurde. [4]

Sollte diese Einschätzung zutreffen, erhielte womöglich eine aktuelle Meldung aus Uganda eine besondere Brisanz. Von der ugandischen Grenzregion Kabale aus werden massive Truppenbewegungen auf ruandischer Seite beobachtet. Die ugandische Armee UPDF ist sichtlich bemüht, die Bevölkerung zu beruhigen und aufkommende Panik zu unterbinden. Am vergangenen Wochenende erklärte der Sprecher der 2. Division der UPDF, Captain Robert Kamara, die Grenze sei sicher, die UPDF mache sich keine Sorgen über die Verlegung und Bewegungen der ruandischen Armee. [5]

In dem Grenzgebiet waren Hunderte ruandische Soldaten aufmarschiert. Hatten sie zuvor ihre Patrouillen um 20.00 Uhr begonnen, so wurden diese nun auf 18.00 Uhr verlegt. "Die Leute hier sind in Sorge", berichtete der Vorsitzende des zu Butanda gehörenden Unterbezirks, Banett Champion. Über den Grund der überraschenden Truppenbewegungen Ruandas kann nur gemutmaßt werden. Vielleicht klärt sich das noch auf, aber es könnte auch sein, daß die Truppen Bestandteil eines Plans B der ruandischen Regierung sind. Sollte sich bei den Wahlen im August eine Niederlage Kagames abzeichnen, wonach eigentlich nicht zu rechnen ist, könnte beispielsweise die Auszählung der Stimmzettel durch einen schwerwiegenden Grenzvorfall vorübergehend aufgehoben werden. Dieser lieferte dem Präsidenten den Vorwand, einen Ausnahmezustand auszurufen. Gegen diese These wiederum spricht, daß ein solches Schaustück vermutlich viel einfacher an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo zu inszenieren wäre.

Die vielen Repressionen lassen sich vielleicht damit erklären, daß Kagame nicht zuletzt deshalb Präsident bleiben muß, weil ihm dies Immunität verschafft. Sowohl in Frankreich als auch in Spanien waren vor wenigen Jahren internationale Haftbefehle gegen hochrangige Mitglieder RPF ausgestellt worden. Der französische Untersuchungsrichter Bruguiére hatte klargestellt, daß er auch Kagame auf die Liste der zu Verhaftenden gesetzt hätte, wenn dieser nicht als Präsident Immunität genösse.

Bei einer Anklage Kagames würden wahrscheinlich die Machenschaften der RPF in Ruanda von ihrer Invasion 1990 an, insbesondere der Abschuß der Präsidenten zweier Länder am 6. April 1994, nach dem der sogenannte Genozid an den ruandischen Tutsi einsetzte, aufgerollt. Ebenso wie die Vorstöße der ruandischen Armee in die Demokratische Republik Kongo (vormals Zaire) ab 1996. Sollte es dazu kommen, sähe sich Kagame plötzlich in der Rolle des nützlichen Idioten, der den Interessen westlicher Regierungen in dieser Großregion Afrikas gedient hätte.


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Anmerkungen:

[1] "Rwanda: Stop Attacks On Journalists, Opponents - Government Actions Undermine Democracy As Presidential Election Draws Near", Human Rights Watch (Washington, DC), 26. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006270101.html

[2] "Rwanda: Opposition Leader Held, Journalist Shot", Radio France Internationale (Paris), 25. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006251073.html

[3] "Rwanda: Editor Shot Dead", The Independent (Kampala), 26. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006260220.html

[4] "Rwanda: Govt Wanted Me to Disappear, Says Freed Lawyer Erlinder", Radio France Internationale (Paris), 25. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006250758.html

[5] "Uganda: Rwanda Increases Troops At Border", The Monitor (Kampala), 28. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006280164.html

28. Juni 2010