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AFRIKA/2021: Stammt die PCB-Wolke vor Westafrika von Wohlstandsmüll? (SB)


Forschungsschiffe registrieren über Jahre hinweg hohe PCB-Werte vor der mauretanischen Küste


Seit der Verabschiedung der Stockholmer Konvention am 22. Mai 2001 sind PCBs (Polychlorierte Biphenyle) weltweit verboten. Das Umweltgift zählt zu den "dreckigen Dutzend". Darunter gefaßte Substanzen zeichnen sich durch ihre besondere Langlebigkeit aus, was bedeutet, daß sie sich im Organismus akkumulieren können. PCBs sind unter anderem in Kondensatoren, Weichmachern, Hydraulikflüssigkeiten und Kunststoffen enthalten. Zu einer akuten Vergiftung durch diese chlorhaltigen Verbindungen kommt es in der Regel nicht, aber sie werden kaum abgebaut und stehen im Verdacht, Krebs auszulösen, das Immunsystem und die Leber zu schädigen; auch beeinflussen PCBs das Wachstum von Embryonen.

Nun berichtet das Wissenschaftsmagazin "Nature" [1] von einer ungewöhnlichen PCB-Wolke 400 Kilometer vor der Küste des westafrikanischen Staats Mauretanien. Die Chemikalien wurden sowohl bei Forschungsmissionen in den Jahren 2001 und 2005 als auch bei Messungen mit dem deutschen Forschungsschiffs "Polarstern" im Jahr 2007 nachgewiesen.

Bislang konnten sie noch keiner Quelle eindeutig zugeordnet werden. Afrika zählt eigentlich nicht zu den Stellen, wo besonders viele PCBs produziert oder verkauft werden, sagte die Expertin für Luftverschmutzungen Rosalinda Gioia von der englischen Universität Lancaster und Hauptautorin eines Fachberichts im Magazin "Environmental Science & Technology" [2], auf den "Nature" Bezug nimmt.

Bisher weisen die Vermutungen über die Herkunft der Luftverschmutzung in zwei Richtungen. Zum einen existiert an der flachen mauretanischen Küste, südlich von Nouadhibou, ein riesiger Schiffsfriedhof mit Hunderten von Schiffen. Es könnte gut sein, daß einige dieser Wracks PCBs geladen haben und den Afrikanern das Umweltgift aufgedrückt wurde, da die sichere Verbringung oder Vernichtung solcher Chemikalien rund zweitausend Euro pro Tonne kosten kann.

Es ist hinlänglich bekannt, daß die internationale Müllmafia auf der anderen Seite des Kontinents, vor der Küste Somalias, Schiffe mit Giftmüll, teilweise sogar mit radioaktivem Abfall, versenkt hat. Erst eine aufwendige Untersuchung aller Schiffe vor Mauretanien würde ans Licht bringen, ob auch die westafrikanische Küste verseucht wurde. Einige tausend Kilometer weiter südlich, im Hafengebiet der ivoirischen Wirtschaftsmetropole Abidjan, wurden im September 2006 mit dem Frachter Probo Koala an verschiedenen Stellen Fässer mit insgesamt 500 Tonnen Giftmüll abgeladen. Bis zu hunderttausend Einwohner erkrankten, 17 Personen starben. Die Vermutung liegt nahe, daß das Unwohlsein, die schweren Erkrankungen und auch die Todesfälle durch diese toxischen Substanzen verursacht worden waren. Das in London registrierte Unternehmen Trafigura, das die Schuld von sich weist, wurde verklagt. Diese Beispiele zeigen eine gewisse Plausibilität dafür, daß die PCB-Wolke vor der Küste Mauretaniens von illegalen Verklappungen stammt.

PCBs entstehen auch beim Verbrennen von Biomasse. Allerdings spricht die Zusammensetzung der Giftwolke, wie sie von der Polarstern analysiert wurde, gegen diese mögliche Ursache. Zwar wurden sieben der wichtigsten PCBs entdeckt, und besonders hohe Werte wurden immer dann registriert, wenn der Wind aus dem Osten, also vom afrikanischen Kontinent her, wehte. Aber wenn Biomasse die Giftquelle wäre, hätten die Experten auch den Nachweis entsprechender Mengen PAHs (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) erwartet. Deren Konzentration fiel jedoch ausgerechnet dann am niedrigsten aus, wenn die PCBs den stärksten Ausschlag gaben.

Gioia spekuliert nun, daß das umfangreiche Lagern, Ausschlachten und Verbrennen PCB-haltiger Produkte die mögliche PCB-Quelle ist. Westafrikanische Staaten nehmen große Mengen Elektroschrott aus den USA, Deutschland und anderen reichen Ländern auf. Es wäre nicht der erste und einzige Vorfall dieser Art, sollten die Wohlstandsregionen dieser Erde ihren Müll auf dem Ressourcenkontinent Afrika abladen, so daß dort die verwertbarten Anteile herausgetrennt werden. Wobei ein verbreitetes Verfahren darin besteht, Isolierungen abzubrennen, um die Kupferkabel freizulegen. Daran sind häufig Kinder beteiligt. Wenn mehrere hundert Kilometer vor der Küste bereits hohe PCB-Werte gemessen werden, wie gesundheitsgefährlich müssen erst die Stellen sein, von denen die Chemikalien emittiert werden?


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Quellen:
[1] "West Africa's toxic problem. Ships' graveyard may be behind high
levels of banned chemicals", Nature online, 20. Januar 2011,
doi:10.1038/news.2011.35

http://www.nature.com/news/2011/110120/full/news.2011.35.html?WT.ec_id=NEWS-20110125

[2] Gioia, R. et al. Environ. Sci. Technol. doi:10.1021/es10525239 (2011)

26. Januar 2011