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AFRIKA/2030: Frankreich schafft in Elfenbeinküste mit Waffengewalt "Realität" (SB)


NATO-Staat Frankreich in zwei afrikanischen Ländern gleichzeitig militärisch aktiv


Entgegen seiner Ankündigung, kein Präsident eines Landes sein zu wollen, das auf Asche gebaut wurde, hat der mutmaßliche Sieger der Präsidentenwahl vom 28. November 2010 in der Elfenbeinküste, Alassane Ouattara, seinen Kontrahenten Laurent Gbagbo militärisch angreifen lassen. Der hat sich offenbar in einen Bunker in dem nördlichen Vorort Cocody der Wirtschaftsmetropole Abidjan zurückgezogen und will nicht aufgeben. Das Hauptkontingent seines Militärs ist bereits übergelaufen, nur wenige loyale Kämpfer verteidigen den früheren Präsidenten dieses Landes. Alle Welt hat ihn zur Aufgabe und zum Rücktritt aufgefordert, doch Gbagbo bleibt stur. Unterstützt vom Verfassungsrat beansprucht er einen knappen Sieg über Ouattara, wohingegen dieser von der Wahlkommission der Sieg über Gbagbo zugesprochen wurde, wie wir diese Woche berichteten. [1]

Bis Redaktionsschluß war noch offen, wie es in der Elfenbeinküste weitergeht. Ouattaras Kämpfer haben den Präsidentenpalast, der in der Wirtschaftsmetropole Abidjan steht, umzingelt und stehen zum Sturmangriff bereit. Es muß mit einem weiteren Blutbad gerechnet werden. Da kommen Erinnerungen an den Nachbarstaat Liberia auf, wo dessen früherer Präsident Samuel K. Doe am 9. September 1990 vor laufender Kamera von Kämpfern des Putschisten Prince Y. Johnson gefoltert und geköpft wurde. Daß Gbagbo ein ähnliches Schicksal drohen könnte, läßt sich durchaus mit dem brutalen Vorgehen der Ouattara-Kämpfer in den letzten Tagen begründen. Sie haben viele hundert, vielleicht sogar an die tausend Einwohner mit Macheten und Kleinwaffen niedergemetzelt.

Warum sind die UN-Soldaten nicht eingeschritten? Sollte nicht die Ende März vom Sicherheitsrat eilig beschlossene Resolution 1975 die Zivilbevölkerung schützen? Die Resolution war unter anderem von Frankreich eingebracht worden, und die Grande Nation wollte "ihrem" Mann, Ouattara, keine Steine in den Weg legen. Also wurde der Text der Resolution so aufgesetzt, daß die Blauhelmsoldaten der Mission UNOCI (United Nations Operation in Côte d'Ivoire) zwar generell die Zivilbevölkerung schützen sollten, aber an einer Stelle wird ergänzt, daß der Schutz auch vor Angriffen "durch schwere Waffen" erfolgen sollte. Ouattaras Männer haben jedoch bei ihrem Vormarsch durchs Land mit leichten Waffen gekämpft, während bekannt war, daß Gbagbos Restarmee noch über schwere Waffen verfügte. Offensichtlich wurde die Resolution von den UN-Soldaten recht einseitig ausgelegt, nämlich in einem Frankreich genehmen Sinn. So sollen neben zwei UN-Kampfhubschraubern auch französische Kampfhubschrauber am Sturmangriff auf den Präsidentenpalast beteiligt gewesen sein.

Frankreichs Außenminister Alain Juppé kündigte unterdessen weitere Militärschläge gegen den - angeblich - abgewählten Präsidenten an. Es gehe darum, daß "Gbagbo die Realität akzeptiert", sagte Juppé laut Spiegel Online [2] gegenüber dem Radiosender France Info.

Die "Realität", das bedeutet in diesem Fall nichts anderes, als daß Gbagbo die militärische Überlegenheit seines Kontrahenten und dessen Wahlsieg anerkennen soll. Die Stichwahl vom November 2010 gibt jedoch keineswegs eindeutig her, daß Ouattara gewonnen hat! Eine Neuauszählung der Stimmen, insbesondere in drei von seinen Anhängern dominierten Wahlbezirken, in denen er bis über 90 Prozent der Stimmen auf sich vereinte, hätte die Wahlen - so sie denn tatsächlich mit 54 Prozent der Stimmen für Ouattara ausgingen - glaubwürdiger gemacht.

Wie im nordafrikanischen Libyen schafft Frankreich in Westafrika seine blau, weiß und rot eingefärbte "Realität". Gbagbo war lange Zeit kein schlechter Verbündeter Frankreichs, aber er hat ausgedient und mußte gehen, nachdem sich der Westen auf den früheren IWF-Funktionär Ouattara festgelegt hatte. Wie in Libyen wird der Schutz der Zivilbevölkerung als Begründung für ein militärisches Einmischen in eine Bürgerkriegssituation herangezogen. Zwei Jahrzehnte nach dem empfindlichen Verlust des ideologischen Gegners und Dauervorwands, um permanent hochzurüsten, und ein Jahrzehnt nach der Ausrufung des Bündnisfalls nach Artikel 5 hat die NATO "ihre" Aufgabe gefunden: Rasche Interventionen, um Konflikte zum eigenen Vorteil militärisch zu entscheiden. Für die Elfenbeinküste genügte die Armee Frankreichs, in Libyen bedarf es einer größeren Koalition.


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Anmerkungen:

[1] Näheres dazu unter POLITIK -> KOMMENTAR:
HEGEMONIE/1704: Blutbad in Elfenbeinküste - Sachwalter des Westens auf Bürgerkriegskurs (SB)

[2] "Französische Soldaten attackieren Gbagbos Bunker", Spiegel Online, 6. April 2011
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,755403,00.html

6. April 2011