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AFRIKA/2035: NATO-Krieg gegen Libyen - Krieg gegen den gesamten Kontinent (SB)


Libyen muß seine Auslandsinvestitionen und damit auch seine Entwicklungshilfe in Schwarzafrika zurückfahren

Umfangreiches Reisanbauprojekt in Liberia steht vor dem Aus


Die Zerstörungen, die von dem NATO-geführten Bündnis in Libyen angerichtet werden, wiegen schwer. Ähnlich wie beim Irak wird hier ein Land niedergemacht, in dem die Einwohner einen verglichen mit ihren Nachbarn sehr hohen Lebensstandard besaßen. Nun werden sie in die Steinzeit zurückgebombt. Das hat Folgen für den gesamten Kontinent. In der hiesigen, europazentrierten Berichterstattung wird gern vernachlässigt, daß die libysche Regierung einer der fünf Hauptfinanziers der Afrikanischen Union (AU) ist - zusammen mit Algerien, Ägypten, Nigeria und Südafrika kommt es für mehr als 75 Prozent der Mittel der AU auf [1] - und für Dutzende afrikanische Länder Entwicklungshilfe leistet bzw. hohe Summen in Schlüsselressorts investiert hat und damit entwicklungsfördernd wirkt [2]. Der Umsturzversuch der in Ostlibyen ansässigen Milizen und ihre inzwischen wochenlange direkte militärische Unterstützung durch den von der NATO angeführten Pakt wirken sich destruktiv auf all die vielen Projekte der libyschen Regierung in anderen afrikanischen Ländern aus. Auch die notorisch geldknappe Afrikanische Union, eine Hyperadministration vergleichbar mit der Europäischen Union, könnte in eine Krise geraten, sollte Libyen seine Unterstützung unterbrechen oder in Zukunft seinen hohen Anteil an der Finanzierung zurückfahren.

Die NATO-Staaten haben den Weg der Zerstörung gewählt und sich durch die Dämonisierung des libyschen Revolutionsführers Muammar Gaddafi der Möglichkeit beraubt, eine einvernehmliche Lösung des Konflikts herbeizuführen, eines Konflikts, der von einer Gemengelage an - durchaus nachvollziehbaren - Befreiungsbestrebungen der libyschen Bevölkerung, aber auch an gegenüber dem "Gaddafi-Clan" konkurrierenden Oligarchien sowie westlichen Hegemonialinteressen vorangetrieben wird. Im Kern sieht das UN-Mandat, auf den sich die NATO beruft, vor, daß die Zivilbevölkerung geschützt werden soll. Daraus hat der Angriffspakt den Auftrag abgeleitet, die Regierung zu stürzen und die ostlibyschen Milizen, als deren Sprachrohr der Nationale Übergangsrat gilt, an die Macht zu bringen. Das ist ein Unterfangen, das sich, so es je in Erfüllung geht, über viele Wochen oder Monate hinziehen kann. Das wird sich negativ auf sämtliche Investitionen Libyens in den Subsaharastaaten auswirken. Schon vor Wochen hat die Gaddafi-Regierung begonnen, Prioritäten zu setzen, und ihre Auslandsaktivitäten zurückgefahren. Ob und in welchem Ausmaß eine Nachfolgeregierung den alten Zustand wieder herstellt, ist zum jetzigen Zeitpunkt offen.

In der Entwicklungshilfe werden Lücken gerissen, die möglicherweise nicht gefüllt werden können. Die Schäden der Bombardierung beschränken sich folglich nicht allein auf das Land selbst, sondern gefährden auch die weitere Entwicklung des Kontinents, respektive die Kommunikationsinfrastruktur, den Tourismus, Rohstoffabbau, die Landwirtschaft und viele Branchen mehr, in die libysche Gelder geflossen sind. Immerhin war es Muammar Gaddafi, der 300 Millionen Dollar für den ersten afrikanischen Kommunikationssatelliten freistellte (50 Mio. Dollar gab die African Development Bank und 27 Mio. Dollar die West African Development Bank dazu). Der Satellit wurde am 27. Dezember 2007 in den Orbit gebracht. Mit den 300 Mio. Dollar habe sich "das Leben eines ganzen Kontinents verändert", unterstrich Jean-Paul Pougala auf der Website pambazuka.org [3] die herausragende Bedeutung von Gaddafis Investition. Der Autor deutet sie sogar als Maßnahme gegen die Plünderung des Kontinents durch den Westen, habe Afrika doch bis dahin jährlich 500 Mio. Dollar an Gebühren abtreten müssen.

Vergleichbar mit dem Staatsfonds Norwegens, mit dem die Einnahmen aus der Erdölförderung diversifiziert werden, hat auch Libyen Investitionen in ganz Afrika und darüber hinaus getätigt. Stellvertretend soll hier näher auf die Reisproduktion in Liberia eingegangen werden, die von Libyen mit 30 Millionen Dollar gefördert wurde und nun, da die weitere Unterstützung wegen des Kriegs ausbleibt, vor dem Aus steht. Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf sagte kürzlich laut einem Bericht der in Monrovia herausgegebenen Zeitung "New Democrat" [4], daß das Reisprojekt im Foya-Distrikt der Lofa-Region in Schwierigkeiten stecke und man andere Investoren als Ersatz für das von Libyen unterstützte ADA-Projekt (ADA - African Development Aid) finden müsse. Auch bei ihrem Besuch in Foya habe sich Johnson-Sirleaf zu dem Projekt geäußert. Angestellte berichteten, daß sie seit mehreren Monaten keine Gehälter mehr erhielten und die Jugend unruhig werde.

Die Entscheidung für das ADA/LAP-Projekt (LAP - Libya African Investment Portfolio) fiel vor drei Jahren. Bei dem Vorhaben sollten mehrere hundert Arbeitsplätze geschaffen werden, die einen maßgeblichen Beitrag zum Erlangen der Ernährungsouveränität des Landes leisten sollten sowie als Integrationsmaßnahme für ehemalige Bürgerkriegskämpfer aus der Diaspora im benachbarten Guinea gedacht waren, wie in der Selbstdarstellung des ADA/LAP-Projekts online nachzulesen ist [5].

Nach einigen Jahren der Vorbereitung, bei dem ADA, LAP und Liberias Regierung die Einzelheiten des Projekts aushandelten, erteilte ihm der liberianische Gesetzgeber am 11. Juni 2008 grünes Licht; am 8. Juli erhielt es auch von Liberias Präsidentin ihren Segen. ADA bekam Bewirtschaftungskonzessionen für 15.000 Hektar Land über einen Zeitraum von 20 Jahren und 3000 Hektar für Zuchtanlagen zugesprochen [6].

Unabhängig davon, daß Libyen den Geldhahn zugedreht hat, steckte das Projekt anscheinend bereits in Schwierigkeiten. Diesen Eindruck erweckt zumindest ein Bericht auf der Website liberiawebs.com [7]. Den Schilderungen zufolge, die sich unter anderem auf eine Vor-Ort-Recherche von Vertretern der Website FrontPageAfrica stützen, steht das Projekt still, und das nicht erst seit Beginn der Libyen-Krise. Die mehrere Millionen Euro teuren, hochmodernen landwirtschaftlichen Maschinen rosteten vor sich hin und würden nur noch von einem unbewaffneten Mann bewacht, hieß es. Ursprünglich sollten 908 landwirtschaftliche Arbeitsplätze geschaffen werden, aber daraus seien dann nur rund 500 geworden und die auch nur für ein paar Monate. Das Projekt sei nicht in die Gänge gekommen, resümiert die Website. Mehr noch, einige Bewohner sollen sogar behauptet haben, daß ADA, mit Befugnissen der Regierung ausgestattet, ihnen das Land weggenommen habe.

Dieser Einwand bedeutet jedoch nicht, daß ADA generell einen schlechten Ruf genießt. Im Gegenteil, es wurde von Seiten des UN-Entwicklungsprogramms UNDP für seine Beteiligung an der Entwaffnung und Wiedereingliederung ehemaliger Bürgerkriegskämpfer gelobt und Liberias Presse wählte ADA zur "NGO des Jahres 2004" und im Jahr darauf zur "NGO des Jahres 2005" [8].

Dennoch, den Medienberichten zufolge steht das Projekt schon länger still, was somit nicht allein damit zusammenhängt, daß Libyen die Finanzierung eingestellt hat. Aber daraus wiederum den Schluß zu ziehen, daß der augenscheinliche Verfall nichts mit dem Libyenkrieg zu tun hat, wäre voreilig. Schließlich verfallen weder die landwirtschaftlichen Geräte noch die modernen Fabrikationsanlagen in so kurzer Zeit, daß sie nicht mehr in Betrieb genommen werden könnten. Es wäre sehr gut vorstellbar, daß das Projekt bei Neuverhandlungen zwischen dem libyschen Geldgeber und örtlichen Vertretern der Region wieder angeschoben werden könnte. Die infrastrukturellen Voraussetzungen dazu sind, soweit erkennbar, vorhanden, der Maschinenpark steht. Aber Libyen sind die Hände gebunden.

Hieran zeigen sich die weitreichenden Folgen des von westlichen Geheimdiensten unterstützten Aufstands und des noch laufenden NATO-Luftangriffs. Durch die Zerstörungen werden nicht nur die Entwicklungschancen Libyens zunichte gemacht, sondern auch die vieler andere afrikanischer Ländern zumindest beeinträchtigt. Das wird am Beispiel des Reisanbaus in Liberia ungeachtet sonstiger Probleme, die möglicherweise mit Korruption und Mißwirtschaft zu tun haben, deutlich. Zu den zahlreichen Investitionen Libyens allein in Liberia gehört abgesehen von der ADA-Reisfarm auch das Ducor Hotel, die Investmentgesellschaft Libyan Holding und zahlreiche Bauprojekte. Auch sie sind von den kriegerischen Vorgängen im Mutterland betroffen.

Angesichts der zahlreichen entwicklungsfördernden Investitionen durch den Libyschen Investitionsfonds bzw. seinem Ableger LAP in den Subsaharastaaten muten Beschreibungen in der hiesigen Presse, wie sie beispielsweise von der Zeitung "Capital" verbreitet werden - "weltweit hat die Jagd nach den Blutgeldern des Diktators begonnen" und "Der Diktator lässt sein Zelt im Stadtpark um die Villa Doria Pamphili in Rom aufschlagen. Abgewetzt sieht es aus, schwere Planen hängen schlaff an den Seitenwänden herab. So ähnlich würde man auch einen Bierstand gegen Regenschauer absichern" [9] - wie Musterbeispiele kriegsvorbereitender Propaganda an.

30 Milliarden Dollar an libyschen Geldern hat die US-Regierung eingefroren, sechs Mrd. Dollar die Bundesrepublik Deutschland. Großbritannien, Frankreich, Italien und viele mehr sind ebenfalls an dem Raubzug beteiligt. Das dürfte schwerwiegende Folgen für zahlreiche Entwicklungsprojekte in Afrika nach sich ziehen. Mit Fug und Recht läßt sich der NATO-Angriff auf das Land als eine Attacke gegen den afrikanischen Kontinent bezeichnen. Ist es Zufall, daß dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich einige Länder Afrikas erstmals vom kolonialen Erbe befreien, stetige Wirtschaftswachstumszahlen verzeichnen und mit China im vergangenen Jahrzehnt eine schwergewichtige Alternative zum Westen das Spielbrett betreten hat? Die festgefahrene Doha-Runde der Welthandelsorganisation, die zähen bis stockenden Verhandlungen der Europäischen Union mit afrikanischen Ländern, um Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA - Economic Partnership Agreements) abzuschließen, die schwindende Bedeutung der letzten EU-Afrikagipfel sprechen eine deutliche Sprache: Die westliche Hegemonie in Afrika steht auf dem Spiel.

Wenn sich die afrikanischen Länder von der Vorherrschaft des Westens zu emanzipieren beginnen, bedeutet das nicht, daß sie sich damit vom Weltmarkt abkoppeln. Es tritt jedoch eine Verschiebung ein. Andere Akteure gewinnen global an Bedeutung, allen voran die BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika). Libyen zählt nicht dazu, aber es befindet sich sehr wohl auf dem Weg dahin.

Viele Jahre lang waren die Möglichkeiten Libyens, Auslandsinvestitionen zu tätigen, sehr beschränkt. Erst ab 2006, als die USA das Land von der Terrorliste strichen, änderte sich alles. Noch im selben Jahr gründete Libyen den zunächst mit 40 Milliarden Dollar bestückten Staatsfonds LIA (Libyan Investment Authority), der sofort seine Arbeit aufnahm und über diverse Fonds und Investmentorganisationen Gelder verteilte. Die Liste der Beteiligungen wirkt wie das Who is Who des westlichen Kapitalismus: Goldman Sachs, JP Morgan, Fortis, Export-Import Bank of the United States, Citigroup, Carlyle Group, Blackstone, Unicredit, FM Capital Partners, Boston Generating LLC, Eni, Rusal Finmeccanica, Pearson, etc.

Hinter der diffamierend das "Gaddafi-System" bezeichneten Diversifizierung der Finanzmittel steckt nicht nur der Versuch Libyens, seine Exporteinnahmen krisenfest anzulegen, sondern auch der Plan, die heimische Wirtschaft zu diversifizieren, um die extreme Ausrichtung auf Erdöl zu lockern. Diese auch von anderen Staatsfonds wie dem norwegischen bevorzugte Praxis als "Gelder verstecken" zu bezeichnen, wie es verschiedentlich in den hiesigen Medien getan wird, zeigt den diffamierenden Charakter der Berichterstattung. Wobei hier weder geleugnet noch beschönigt werden soll, daß Muammar Gaddafi, seine Familie und auch ihm treue Verbündete in Politik und Wirtschaft Gelder privat auf die Seite geschafft haben könnten. Aber ob das jene Staatsfonds sind, die nun gesperrt werden, ist unklar, und wer den Stab über Gaddafi bricht, gleichzeitig jedoch den materiellen Reichtum und die Medienmacht beispielsweise eines Silvio Berlusconi ignoriert, muß sich den Vorwurf der Doppelzüngigkeit gefallen lassen.

97 Milliarden Dollar soll Libyen bereits in afrikanische Länder investiert haben [1]. In Anlehnung an den Marshall-Plan, mit dem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg Westeuropa als Maßnahme der psychologischen Kriegführung an sich gebunden haben, konnte man in den letzten Jahren von einem Gaddafi-Plan für Afrika sprechen, hat doch der libysche Revolutionsführer die wirtschaftliche Entwicklung der afrikanischen Staaten nicht zuletzt deshalb unterstützt, um sie von der Einflußnahme außerafrikanischer hegemonial getriebener Interessen zu befreien. Libyen zu bombardieren ist folglich von viel weitreichenderer Bedeutung für die Subsaharastaaten, als wenn beispielsweise ähnlich flächengroße Staaten wie Sudan oder Algerien attackiert worden wären.


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Anmerkungen:

[1] "Libyen-Krise mit Auswirkungen in Subsahara-Afrika", Inge Hackenbroch, Germany Trade and Invest, 15. April 2011
http://www.gtai.de/fdb-SE,MKT201104148015,Google.html

Germany Trade and Invest wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und vom Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

[2] Libyens Finanzmittel werden hauptsächlich über vier Investmentgesellschaften gestreut: Laico (Libya Arab Africa Investment Co), Lafico (Libyan Foreign Investment Co), Libya Oil Holdings und LAP (Libya African Investment Portfolio). Inge Hackenbroch [siehe 1], die sich unter anderem auf die ostafrikanische Wirtschaftszeitung "The East African" beruft, benennt zahlreiche Länder, Branchen, Unternehmen und Projekte Afrikas, in die libysche Gelder fließen. Auch Wikipedia (Stichwort "Libyan Investment Authority") und die Websites http://taighde.com/w/Libyan_Investment_Authority und http://www.swfinstitute.org/ liefern Einblicke in das Engagement Libyens auf dem afrikanischen Kontinent.

[3] "The lies behind the West's war on Libya", Jean-Paul Pougala, pambazuka.org, 14. April 2011
http://pambazuka.org/en/category/features/72575

[4] "Liberia: Gaddafi's U.S.30 Million Lofa Project Collapses", New Democrat (Monrovia), 4. Mai 2011
http://allafrica.com/stories/201105051089.html

[5] http://www.adalap.com/index.html

[6] Kasten zu dem auf farmland.org gespiegelten New Democrat-Bericht [siehe 3]
http://farmlandgrab.org/post/view/18561

[7] "Libyan funded agriculture project vanished" Monday, übernommen von Frontpageafricaonline, 25. April 2011
http://www.liberiawebs.com/index.php?option=com_content&view=article&id=1303:libyan-funded-agriculture-project-vanished-&catid=27:special-report&Itemid=580

[8] African Development Aid, History of ADA, abgerufen am 11. Mai 2011
http://www.winne.com/ssa/liberia/reports/2008/cp/aid/index.php

[9] "Die Welt in der Hand - Wie der Gaddafi-Clan märchenhaft reich wurde", Capital, 28. Februar 2011
http://www.capital.de/politik/:Die-Welt-in-der-Hand--Wie-der-Gaddafi-Clan-maerchenhaft-reich-wurde/100036528.html?mode=print

11. Mai 2011