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AFRIKA/2066: "Brandstiftung" in Sudan - ein Jahr nach der Spaltung droht weiterer Staatszerfall (SB)


Unruhen an den Rändern Sudans und in der Hauptstadt



In einer Welt knapper werdender Rohstoffe, in der zudem die Lebensverhältnisse vieler Menschen durch Naturkatastrophen gefährdet oder zerstört werden, bauen die westlichen Verbündeten rundum den Komplex USA/Nato-Staaten ihre Vormachtstellung aus, streben Konkurrenten nach einer vorteilhafteren Position.

Die Einwohner Sudans, als flächengrößter Staat Afrikas ein koloniales Konstrukt mit von Anbeginn an diktatorischen Zügen, werden seit Jahrzehnten von wechselnden Phasen des Bürgerkriegs heimgesucht. Nicht selten werden die inneren Konflikte von außen für eigene Zwecke instrumentalisiert, genauso wie umgekehrt sudanesische Interessen äußere Gewalten ins Spiel bringen, weil sie sich Vorteile davon erhoffen. Eine derart vielschichtige Gemengelage wie in Sudan sollte es eigentlich verbieten, Bezichtigungen gegen eine Seite der beteiligten Konfliktparteien auszusprechen, und doch scheinen die hiesigen Politiker und Medien ihr Feindbild in der Regierung Sudans, respektive in Präsident Omar al-Bashir gefunden zu haben. Der wird seit drei Jahren vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag steckbrieflich gesucht - erstmals, daß ein internationaler Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt ausgestellt wurde.

Al-Bashir, der 1989 an der Seite seines heutigen Feindes Hassan al-Turabi in Sudan die Macht ergriff, wird seit längerem zu einem Schurken aufgebaut wie einst Saddam Hussein in Irak und Muamar al-Gaddafi in Libyen. So wie beide Diktatoren nach dem Ende des Ost-West-Konflikts bestens mit der einzig verbliebenen Weltmacht, den USA, und deren Verbündeten zusammengearbeitet haben, war auch al-Bashir beispielsweise bereit, den in seinem Land lebenden "Topterroristen" Osama bin Laden auszuweisen, damit ihm der Prozeß gemacht werden konnte - allein, die USA lehnten dies ab. Und nach den historischen Anschlägen am 9.11.2001 in New York und Washington übergab der sudanesische Geheimdienst den US-Behörden umfangreiches Informationsmaterial unter anderem über Osama bin Laden und die Organisation al-Qaida.

Aber die Freundschaft des Westens konnte sich Sudan mit solchen Maßnahmen nicht erkaufen. Das Land steht im Weg oder, um es anders zu formulieren, es steht im Kampf der Kulturen auf der anderen Seite. Einen wohlhabenden Sudan, der seine Öleinnahmen zum allgemeinen Nutzen der Bevölkerung einsetzte und eine gemäßigte Form des Islam betriebe, besäße Vorbildfunktion in der gesamten muslimischen Welt und darüber hinaus. Denn rund zur Hälfte ist Sudan - beziehungsweise war es bis zur Abspaltung Südsudans vor genau einem Jahr und damit des Verlustes von rund 75 Prozent der Öleinnahmen - auch ein fest in Schwarzafrika verankerter Staat.

Die starke Hinwendung nach China, das einen Großteil des sudanesischen Erdöls erhält, trägt zusätzlich dazu bei, daß die Regierung Sudans keine Unterstützung des Westens erhält, sondern im Gegenteil von ihm unter Druck gesetzt wird. Schließlich gilt China und Rußland, die beiden größten Atommächte außerhalb der NATO-Staaten, die Hauptstoßrichtung des Westens.

Der Konflikt in Sudan läuft mal mehr, mal weniger unterschwellig ab. Gab es noch vor einigen Jahren gute Gründe anzunehmen, die "internationale Gemeinschaft" würde militärisch in den Konflikt um die westsudanesische Provinz Darfur eingreifen, wo sich angeblich ein Völkermord ereignete, so scheinen sich die Interventionisten inzwischen vorwiegend anderer Mittel bedienen zu wollen, um ihre Interessen durchzusetzen. Mit vorgeschützter "Sorge" wird in den westlichen Metropolen beobachtet, daß die Sicherheitskräfte des Landes Demonstrationen unterdrücken, Websites sperren, Protestierende verhaften und die Medien zensieren.

Ohne die Verantwortung der Regierung Sudans für zahlreiche und massive Repressionen leugnen zu wollen, sollte nicht verschwiegen werden, daß das Land zwar von inneren Widersprüchen und Kämpfen beherrscht wird, aber daß diese nicht in einem ansonsten leeren politischen Raum stattfinden. Wie nicht anders zu erwarten, versuchen die Oppositionsparteien und -gruppierungen mit ähnlichen Mitteln wie die in Syrien und Libyen Unterstützung der "internationalen Gemeinschaft" für ihr Ziele zu gewinnen.

Ähnlich wie in Tunesien und Ägypten jungen Menschen, unter ihnen viele Studierende, gegen ihre jeweiligen Regierungen demonstrierten, gingen am vergangenen Freitag auch in Sudan erneute Proteste von Studierenden aus. In den zurückliegenden drei Wochen sollen die Sicherheitskräfte um den Geheimdienst NISS (National Intelligence and Security Services) herum 2000 Personen inhaftiert haben. Das behauptet zumindest die Opposition, nachprüfen läßt sich das nicht. Zudem ist von "Nervengas" die Rede, das auf die Demonstranten gefeuert worden sei.

Auslöser der jüngsten Protestwelle in Sudan, die am 16. Juni begann, war die Entscheidung der Regierung zu Austeritätsmaßnahmen, also ausgerechnet zu einer Politik, wie sie vor allen Dingen Deutschland den anderen EU-Staaten, hier insbesondere Griechenland, aufzudrücken versucht. In Sudan bedeutete das unter anderem, daß die Subventionen auf Treibstoffe gestrichen wurden. Aber anstatt daß die Regierung al-Bashirs für diese Maßnahme, die ja auch dem Klima zugute kommt, da die Menschen anfangen werden, Treibstoff zu sparen, gelobt wird, erhält sie dafür und für alles andere vorwiegend Schelten.

Besonders schwer wiegt der Verlust der Einnahmen aus der Erdölförderung und -durchleitung. Der Südsudan hat seine Ölproduktion eingestellt, weil er nicht bereit ist, die angeblich viel zu hohen Durchleitungsgebühren zum sudanesischen Hafen Port Sudan am Roten Meer zu bezahlen. Das Haushaltsdefizit Sudans beträgt somit zwei Milliarden Dollar. Für das nächste Jahr rechnen Experten schon mit einem doppelt so hohen Betrag. Der fest in die Weltwirtschaft involvierte Staat muß sparen, und das schürt den Unmut in der Bevölkerung. Das Benzin wird teurer, die Preise für Grundnahrungsmittel schnellen inflationär empor, gleichzeitig manifestiert sich der Reichtum weniger in einer regen Bautätigkeit in der Hauptstadt, wovon aber nur die meisten Einwohner genau nicht partizipieren.

Zur Zeit befindet sich Sudan nicht unmittelbar in der Schußlinie des Westens. Der hat sich zunächst Syrien als Ziel ausgesucht, um nach einem Regimewechsel oder nachdem das Land in einen verzehrenden Bürgerkrieg geführt wurde, so daß nach außen hin wenig Gefahr von ihm ausgeht, sich in Ruhe den Iran vorknöpfen zu können. Was in den 1980er Jahren durch die massive Unterstützung und Instrumentalisierung Saddam Husseins, der das Nachbarland angegriffen hat, nicht gelang, soll nun fortgesetzt und zu Ende gebracht werden.

Innerhalb dieser übergreifenden geopolitischen Verwerfungen spielt Sudan sicherlich nicht die Hauptrolle, aber ohne den globalen Überbau lassen sich die Dauerkonflikte in Sudan ebenfalls nicht ausreichend erklären. Es hat den Anschein, als genügte es aus Sicht der Globalstrategen in Washington, London, Paris und Berlin, daß das Land durch innere Widersprüche in Schach gehalten wird. Der Sudan befindet sich weiter auf dem Weg des Zerfalls. 2005 wurde die Abspaltung des ölreichen Südens auf den Weg gebracht, am 9. Juli 2011 wurde sie besiegelt. In der westsudanesischen Provinz Darfur finden seit vielen Jahren Kämpfe mit unterschiedlicher Intensität statt, in den Provinzen Süd-Kordofan und Blue Nile wachsen die Spannungen, Rebellengruppen - angefeuert von der Regierung Südsudans - kämpfen um einen Stück vom Öl-Kuchen, und auch im Osten Sudans rumort es.

Nun also auch die Hauptstadt. Die junge, städtische Bevölkerung begehrt gegen das alte Regime auf - ein Szenario, das typisch für die sogenannte Arabellion, die arabische Rebellion, ist. Bis jetzt sieht es nicht so aus, als ob militärische Fraktionen, wie sie in Libyen von Anfang an das Aufbegehren in dem Land gegen das Regime für sich genutzt haben, aufs Trittbrett aufspringen und womöglich das Steuer an sich reißen. Gänzlich auszuschließen ist das jedoch nicht, denn in Sudan kocht und brodelt es an allen Ecken und Enden. Das erfüllt hinsichtlich der globalhegemonialen Ambitionen des Westens eine wichtige Aufgabe: Solange Sudan vor allem mit sich beschäftigt ist und andauernd wieder entfachte Feuer austreten muß, ohne sie endgültig zum Verlöschen bringen zu können, wird das Land niemals irgendeine Vorbildfunktion für die arabische, afrikanische oder muslimische Welt erfüllen.

9. Juli 2012