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AFRIKA/2088: Öko-Strom und Repression - Solarthermie für Besatzungsmacht Marokko (SB)


Millionenschwere Finanzhilfen der Bundesrepublik für marokkanisches Regime

Spatenstich zum weltweit größten Solarthermie-Projekt in Ouarzazate



Wer sich auf der Internetseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung über Marokko informiert [1], erfährt nichts darüber, daß das nordafrikanische Land seit Mitte der 1970er Jahre große Teile der Westsahara besetzt hat. Folgerichtig erfährt man ebenfalls nichts darüber, daß Marokko eben wegen seiner Besatzungspolitik als einziger Staat Afrikas nicht der Afrikanischen Union beigetreten ist. Selbst im 10. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik vom 24.10.2012 findet sich weder ein Hinweis auf die Besetzung der Westsahara noch auf die Einschränkung der Pressefreiheit. [2] Unerwähnt bleiben auch die zahlreichen, gut belegten Beweise für Folter und Verschleppungen der Bewohner der Westsahara, der Sahrauis, durch die marokkanischen Exekutivkräfte. Ungeachtet dessen arbeitet Deutschland wirtschaftlich eng mit Marokko zusammen und schießt Gelder in dreistelliger Millionenhöhe in den Sektor der sogenannten Erneuerbaren Energien.

Entgegen der landläufigen Vorstellung begann der sogenannte arabische Frühling nicht am 17. Dezember 2010 in Tunesien, sondern bereits im Oktober jenes Jahres in der Westsahara. Dort protestierten die Einwohner vom Volk der Sahrauis gegen ihre fortgesetzte Diskriminierung und bauten zehn Kilometer östlich von El Aaiún in der Wüste das "Lager der Würde" - Gdaim Izyk - auf. Das Zeltlager faßte rund 5.000 Demonstrierende, als es am 8. November von marokkanischen "Sicherheitskräften" niedergemacht und die Würde mit Füßen getreten wurde.

Die Büttel der Besatzungsmacht rissen die Behausungen unter Anwendung großer Härte gegenüber deren Bewohnerinnen und Bewohnern nieder. Bei der Aktion verloren mindestens elf Menschen ihr Leben, viele wurden verletzt. Es kam zur Massenverhaftung. Das "Vergehen" der Sahrauis bestand offensichtlich darin, friedlich zu demonstrieren und so gar nicht dem Bild der Terroristen zu entsprechen, das das marokkanische Regime allzu gerne von ihnen zeichnet. Also mußten sie von der Bildfläche verschwinden.

An diesem Beispiel wird eine eklatante Lücke in der Ausrichtung vieler hiesiger Umweltschutzbewegungen deutlich. Sie protestieren gegen ökologisch verheerende Staudammbauten und vergessen auch nicht, die Vertreibung der örtlichen Bevölkerung zu erwähnen; sie wenden sich gegen den Export von Edelhölzern und machen auf die Verletzung von Menschenrechten beim Abholzen der Regenwälder aufmerksam; sie kritisieren umfangreiche Landrodungen für die Produktion von Biosprit und stellen klar, daß die Gebiete zuvor von Hirten als Weidegrund genutzt wurden. Aber wenn Erneuerbare Energien ins Spiel kommen, erlahmt anscheinend die Bereitschaft, diese ebenfalls vor dem Hintergrund von Menschenrechtsverletzungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

So sind, mit wenigen Ausnahmen, bislang keine Proteste gegen die finanzielle Unterstützung des ersten marokkanischen Solarthermie-Kraftwerks am Rande der Stadt Ouarzazate durch die KfW-Bankengruppe zu vernehmen. Diese finanziert im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) das Projekt, zu dem am Freitag, den 10. Mai, der erste Spatenstich erfolgen sollte [3], in Höhe von zunächst rund 115 Mio. Euro. Davon sind 100 Mio. Euro als Kredit und 15 Mio. Euro als Zuschuß vorgesehen. [4] Und das ist nur ein kleiner Teil des Gesamtpakets. Laut dem BMZ leisten das Bundesumweltministerium und das Bundesentwicklungsministerium "mit insgesamt über 700 Millionen Euro einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung dieses Kraftwerks". [5]

Das Projekt ist nicht einmal "nur" wegen der verheerenden Menschenrechtslage in Marokko brisant, sondern auch wegen der Eingriffe in die Natur. Das Solarthermie-Kraftwerk, bei dem mittels langer, verspiegelter Rinnen ein Rohr mit einer Trägersubstanz erhitzt wird, benötigt zur Kühlung sehr viel Wasser. In einem Gutachten der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) über das Projekt in Ouarzazate wird ein Verbrauch von bis zu 1,5 bis 2 Millionen m³ Wasser pro Jahr genannt. [6] Ein Teil dieses Wassers verdampft, ein anderer Teil wird erwärmt und zurück in den Mansour ed-Dahbi-Stausee geleitet. Der leidet aber schon seit längerem so sehr unter Wassermangel, daß Bauern, die einst für den Bau des Stausee von ihrem Land vertrieben wurden, inzwischen auf den trocken gefallenen Ufern des Sees periodisch kleinere Flächen bewirtschaften. [7]

Den Auftrag für das jetzt in Angriff genommene Parabolrinnen-Kraftwerk hat die saudische ACWA Power als Führungsunternehmen eines internationalen Konsortiums ergattert. Weitere Kraftwerksprojekte, die allein an diesem Standort auf die Installation eines 500 MW großen Komplexes hinauslaufen sollen, sind bereits teilweise ausgeschrieben. [8]

Auf Kosten in Höhe von 700 Mio. Euro wird das erste von fünf geplanten, solarbetriebenen Kraftwerken veranschlagt, 160 MW elektrischen Strom sollen am Ende der Ausbaustufe I produziert werden. Angeblich genügt die Energie, um den Strombedarf von einer halben Million Menschen zu decken. Aber ob so viele Einwohner tatsächlich einen Nutzen davon haben werden? Die seit dem Staudammbau 1972 zu einer Stadt mit mehr als 50.000 Einwohnern ausgebaute Oase Ouarzazate ist ein beliebtes Touristenziel für Menschen aus dem In- und Ausland sowie Standort mehrerer Filmstudios. Außerdem unterhalten dort viele reiche Marokkaner ihre Zweitwohnung bzw. ihr Feriendomizil. Sicherlich wäre es übertrieben anzunehmen, daß das Kraftwerk nur zu deren Nutzen errichtet werden soll, denn dazu wäre es zu überdimensioniert ausgelegt. Aber daß die Wahl für das erste Solarkraftwerk Marokkos ausgerechnet auf den "Luxus"-Standort Ouarzazate gefallen ist, mag man nicht als Zufall abtun.

Der Maghrebstaat muß etwa 95 Prozent seines Energiebedarfs über Importe abdecken und gibt jährlich mehr als 2,3 Milliarden Euro für die Einfuhr von Treibstoffen und elektrischen Strom aus. Der Betrag dürfte noch steigen, rechnet doch die Regierung in Rabat mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von mehreren Prozent. Im Jahr 2020 soll 42 Prozent des Strombedarfs über Erneuerbare Energien abgedeckt werden, je zu einem Drittel durch Solar-, Wind- und Wasserkraft. [9]

Zwei der im Solarplan Marokkos ausgewiesenen Standorte für Solarkraftwerke liegen in der Westsahara: El Aaiún und Boujodour. Wie sich Deutschland zu diesen Plänen stellt, ist unklar. Angesichts der engen Kooperation mit Marokko drängt sich die Vermutung auf, daß die Bundesregierung nicht davor haltmacht, auch Projekte in den besetzten Gebieten zu unterstützen. Im Zweifelsfall könnte sie über Bande spielen und die Institutionen der Europäischen Union oder den Fonds für saubere Technologie der Weltbank (Clean Technology Fund, CTF) nutzen, um mit Marokko weiter im Geschäft zu bleiben.

Aber selbst wenn man sich in Berlin seiner eigenen Menschenrechtsansprüche erinnerte und keine Projekte in der Westsahara mitfinanzierte, wird die 2010 gegründete Solarenergieagentur MASEN (Moroccan Agency for Solar Energy) in erheblichem Ausmaß hinsichtlich ihrer zukünftigen Aktivitäten in den besetzten Gebieten davon profitieren, daß technologisch ähnliche Projekte, nur eben auf marokkanischem Territorium, von internationalen Partnern gefördert wurden.

Eingedenk des jahrzehntelangen Kampfs der Sahrauis um Selbstbestimmung und der weitgehenden Ignoranz der Staatengemeinschaft gegenüber ihrem Anliegen bei gleichzeitiger Kooperation mit Marokko bleibt zu konstatieren: In Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland steht geschrieben, "die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt". Vielleicht sollte man anfügen: "... sofern dieser Verpflichtung nicht wirtschaftliche und/oder hegemoniale Interessen im Wege stehen."


Fußnoten:

[1] http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/laender_regionen/naher_osten_nordafrika/marokko/zusammenarbeit.html

[2] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/112/1711250.pdf

[3] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/baubeginn-des-ersten-desertec-kraftwerks-gruener-strom-aus-der-sahara-1.1667828

[4] https://www.kfw-entwicklungsbank.de/Internationale-Finanzierung/KfW-Entwicklungsbank/L%C3%A4nder-und-Programme/Nordafrika-und-Naher-Osten/Marokko/F%C3%B6rderschwerpunkte/

[5] http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/themen/klimaschutz/minderung/erneuerbare_energien/MENA_Erneuerbare_Energien_Wirtschaftsbranche/index.html

[6] http://www.afdb.org/fileadmin/uploads/afdb/Documents/Project-and-Operations/Morocco%20-%20%20AR%20Ouarzazate%20Project%20I%20%282%29.pdf

[7] http://www.baufachinformation.de/dissertation/Stadtentwicklung-Wassermanagement-und-Ressourcenkonflikte-in-Ouarzazate/2008049011593

[8] http://www.exportinitiative.de/nachrichten/nachrichten0/back/78/article/marokko-ausschreibung-fuer-weitere-csp-kraftwerke-in-ouarzazate-veroeffentlicht/

[9] http://allafrica.com/stories/201302170123.html?viewall=1

10. Mai 2013