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AFRIKA/2127: Gelbfieber-Epidemie - WHO betreibt Impfstoff-Rationierung (SB)


Schwerer Ausbruch von Gelbfieber im südlichen Afrika

Riesige Impfstoffkampagne von WHO und Hilfsorganisationen hat Experimentcharakter


Im südlichen Afrika ist die größte Gelbfieber-Epidemie seit mehreren Jahrzehnten ausgebrochen. Es besteht die Gefahr, daß sie sich weiter in Nord- und Südamerika, Asien und Europa ausbreitet, warnt die US-Behörde Homeland Security. [1]

Von dem Ausbruch sind besonders die Länder Angola und Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) betroffen; auch in Kenia und der Volksrepublik China sind Gelbfieberfälle aufgetreten. Die globalen Lagerbestände an Impfstoff sind jedoch so gut wie aufgebraucht, es stehen zur Zeit nur noch sieben Millionen Impfdosen zur Verfügung. Das genüge nicht einmal, um die Einwohner der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa zu impfen, geschweige denn das gesamte Land, meldet das US-Heimatschutzministerium.

Es beruft sich bei seiner Meldung auf die Hilfsorganisation Save the Children, dessen elfköpfiges, internationales Notfallteam EHU (Emergency Health Unit) vergangene Woche Mittwoch gemeinsam mit dem kongolesischen Gesundheitsministerium eine Impfkampagne in Kinshasa gestartet hat. Diese Maßnahme sei Teil der letzten Verteidigungsfront zur Eindämmung des von Mücken übertragenen hämorrhagischen Fiebers in der mehr als zehn Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt. "Es ist kein Heilmittel für Gelbfieber bekannt, und es kann sich weltweit ausbreiten. Die Massenimpfaktion in Kinshasa muß jetzt erfolgen, damit wir darauf hoffen können, daß das Gelbfieber aufgehalten wird, bevor es auf dem Landweg oder durch Flugverkehr weitere Städte in Afrika oder in anderen Teilen der Welt erreicht", erklärte Heather Kerr, die für DR Kongo zuständige Direktorin von Save the Children.

Erste Gelbfieberfälle waren im Dezember 2015 in Angola aufgetreten. Von dort aus breitete sich die Epidemie weiter in die DR Kongo und andere Länder aus. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind bei diesem Ausbruch bislang fast 500 Menschen gestorben, die Dunkelziffer könnte jedoch zehn- bis fünfzigmal so hoch sein, heißt es. Laut den örtlichen Behörden in mehreren Ländern sind etwa 6.000 Menschen infiziert. In Angola wurden acht Millionen von 24 Millionen Einwohnern geimpft. Von dort wurden seit sechs Wochen keine neuen Infektionsfälle mehr gemeldet, teilte die WHO Anfang August mit. [2]

Normalerweise sterben 15 bis 50 Prozent der Infizierten an Gelbfieber. Die Überlebenschancen hängen nicht unwesentlich von äußeren Bedingungen wie beispielsweise der Versorgung mit fiebersenkenden Mitteln und der Ernährung sowie natürlich von den körperlichen Voraussetzungen ab, also davon, wie gut entwickelt die Abwehrkräfte der Betroffenen sind. Somit hat der Gelbfieber-Ausbruch auch mit der sozioökonomischen Situation der Menschen zu tun.

Ein Heilmittel gegen Gelbfieber ist nicht bekannt, eine Impfung gilt jedoch als hochwirksam und hält ein Leben lang. Bei der aktuellen, groß angelegten Impfkampagne von WHO und Hilfsorganisationen in Kinshasa erhalten die Menschen jedoch nur ein Fünftel der üblicherweise verabreichten Dosis von 0,5 Millilitern Impfstoff. Begründet wird dies damit, daß die Weltbestände für die Impfkampagne in Angola verbraucht sind und durch diese Aufteilung fünfmal mehr Menschen einen Impfschutz erhalten, der dann zwar nicht ein ganzes Leben, aber voraussichtlich ein Jahr lang halten wird.

Weil im September in Kinshasa die Regenzeit einsetzt und sich daraufhin die Überträgermücken rasant vermehren werden, hoffen die Gesundheitsexperten, mit der Teilung der Impfdosen einen ausreichenden Schutzwall gegen die weitere Ausbreitung der Epidemie legen zu können. Ein Gebiet gilt dann als ausreichend gesichert, wenn rund 80 Prozent der Bevölkerung geimpft worden sind. Ob diese Faustregel auch auf die dicht besiedelte kongolesische Hauptstadt angewendet werden kann, wird sich zeigen. "Wir müssen dringend so viele Kinder und Familien wie möglich mit den verbliebenen Impfmengen erreichen, und das ist der einzige Weg, den wir jetzt einschlagen können", sagte Kerr. "Wir können nur hoffen, daß das reicht, um die weitere Ausbreitung der Epidemie aufzuhalten."

Man hat es bei dieser Impfaktion, die zu den größten zählt, die jemals von der WHO durchgeführt wurden, und bei der alles in allem 14 Millionen Menschen erreicht werden sollen, offenbar mit einem großmaßstäblichen Experiment zu tun. Dabei werden Tausende Ärzte und medizinische Hilfskräfte eingesetzt, die nicht zuletzt eine Kühlkettenlogistik für den Impfstoff aufrechterhalten müssen, wie die Organisation Ärzte ohne Grenzen berichtete. [3]

Hier reagiert die globale Gesundheitsadministration, bestehend aus der WHO, zahlreichen NGOs sowie örtlichen Gesundheitseinrichtungen, auf Bedingungen wie den Mangel an Impfstoff, indem sie diesen unter den Bedürftigen aufteilt. Es wurden zwar in Studien in Brasilien und den Niederlanden erfolgreiche Versuche mit kleineren Impfmengen durchgeführt, aber sehr sicher ist man noch nicht, ob und wie lange eine solche Impfung wirkt. So sagte der Kinderarzt Jon Abramson von der Wake Forest School of Medicine in den USA, der eine WHO-Expertengruppe leitet, laut der Süddeutschen Zeitung: "Wir glauben, dass der Vorteil, so viele Menschen wie möglich zu impfen, viel größer ist, als das Risiko, das manche nicht so gut auf den Impfstoff reagieren, wie sie auf eine volle Dosis reagieren würden." [4]

Der Experimentcharakter der groß angelegten Initiative geht auch aus den Worten des Virusforschers und Gelbfieberexperten Tom Monath hervor. Er arbeitet bei der Biotechfirma New Link Genetics und sagte mit Blick auf die Ungewißheit, wie lange die Immunisierung anhält: "Wir müssen unbedingt darauf achten, dass dies verfolgt wird und diese Menschen dann in Zukunft noch einmal geimpft werden."

Durch die kleinere Impfstoffmenge könnten auch die Nebenwirkungen zunehmen, wird befürchtet. Denn möglicherweise verbleibt der Impfstamm länger im Körper, weil die Immunabwehr das Virus später erkennt. Zwar empfehlen auch die Gesundheitswissenschaftler Daniel Lucey und Lawrence Gostin O'Neill vom Institute for National and Global Health Law am Georgetown University Law Center in Washington eine Verkleinerung der Impfdosen, weil sie befürchten, daß ansonsten Gelbfieber neben Ebola und Zika zur nächsten globalen Gesundheitskatastrophe auswächst. Aber selbst sie räumen im Fachblatt JAMA ein, daß mit der Aufteilung gewisse Risiken verbunden sind. [5]

Die WHO führt den schweren Gelbfieberausbruch auf das El-Niño-Phänomen zurück. Bei dessen Auftreten alle drei bis fünf Jahre geraten weltweit die gewohnten Klimaverhältnisse durcheinander, so daß es im Extremfall in Dürregebieten zu massiven Regenfällen und regenreichen Gebieten zu Trockenheit kommt. In diesem Jahr haben sich die Mücken, die das Virus von Affe auf Mensch oder Mensch zu Mensch übertragen, in Angola und der DR Kongo rasant vermehrt. Seit Januar seien 19 Millionen Impfdosen gegen Gelbfieber produziert worden, das sei die dreifache Menge dessen, mit der normalerweise für einen zwölfmonatigen Zeitraum gerechnet werde, teilt die WHO mit. [6]

Da es nicht nur an Impfstoff mangelt, sondern auch an kleineren Nadeln, die nur ein Fünftel der üblichen Dosis enthalten und deren Erwerb sich auf dem freien Markt anscheinend nicht kurzfristig realisieren läßt, greift die WHO auf acht Millionen Nadeln, die für die Polioschutzimpfung vorgesehen waren, zurück.

Wenn Hilfsorganisationen den aktuellen Gelbfieberausbruch mit 500 Toten als besonders schwerwiegend bezeichnen, dann wird so eine Warnung selbstverständlich allein schon durch den Umstand gerechtfertigt, daß daraufhin vermutlich größere Anstrengungen zum Schutz der Bevölkerung unternommen werden. Um so mehr stellt sich jedoch die Frage, ob nicht mit dem aktuellen Feldzug regional Aktivitäten entfaltet werden, während die globale Situation chronisch dramatisch bleibt. 2013 traten laut der WHO 84.000 bis 170.000 schwere Gelbfieberfälle auf, 29.000 bis 60.000 Menschen starben an der Infektionskrankheit.

90 Prozent davon in Afrika. Rechnerisch macht das 54.000 Todesfälle bzw. jährlich mehr als zehn Epidemien von der Schwere, wie sie jetzt als große Herausforderung für Hilfsorganisationen ausgewiesen wird. Hier hat man es offensichtlich mit einem viel umfänglicheren Problem zu tun! Das heißt, die Mangellage ist viel größer, als sie auch von der WHO dargestellt wird, wenn sie berichtet, daß in diesem Jahr als Reaktion auf den Ausbruch sehr viel mehr Impfstoff hergestellt worden sei als in früheren Jahren. Anscheinend verschleiert sie damit die Not. Die WHO-Meldung ist von ihrer Ausrichtung her auch nicht mit einer Stellungnahme der Hilfsorganisation Unicef vom März 2015 unter einen Hut zu bringen. Sie berichtete, daß sich zwar voraussichtlich die Versorgungssituation leicht verbessern werde, aber daß der Bedarf an Gelbfieberimpfstoff zur Zeit noch immer 42 Prozent über dem läge, was weltweit benötigt werde. [7]

Deutschland, in dem zur Zeit kein Impfstoff gegen Gelbfieber verfügbar ist, wie die Ärzte-Zeitung berichtete [8], zählt nicht zu den gefährdeten Ländern. Aber China. Flugreisende haben das Virus aus Angola eingeschleppt. Für eine Impfkampagne in seinen gefährdeten Gebieten würde China rund 300 Millionen Impfdosen benötigen. Die sind jedoch nicht verfügbar. Die Ausbreitung des Gelbfiebers birgt somit eine potentiell enorme Gefahr. Sollte es sich in ganz Asien ausbreiten, sind zwei Milliarden Menschen in 18 Ländern betroffen - Hunderttausende könnten sterben, bevor ausreichend Impfstoff hergestellt und verteilt werden kann, zeichnet John P. Woodall, Gründungsmitglied und Assoziierter Herausgeber der Webseite ProMED-mail der International Society for Infectious Diseases das düstere Bild einer pandemischen Entwicklung als Folge des Impfstoffmangels. [9]

Zwischen 1933 und 1961 konnte dank einer hohen Impfabdeckung Gelbfieber in West- und Zentralafrika erfolgreich ausgemerzt werden. Dann ließen die Impfbemühungen nach, und das Virus breitete sich weiter aus. Nun scheint eine Impfkampagne der WHO zumindest in Westafrika Erfolge zu zeitigen. Dort wurden mehr als 105 Millionen Menschen geimpft, und seit letztem Jahr werden von dort keine neuen Infektionsfälle mehr gemeldet. [10]

Doch warum dauert es so lange, bis Gelbfieber weltweit drastisch eingedämmt wird? Es entsteht der Eindruck, als würden erstens WHO, Hilfsorganisationen und nationale Gesundheitseinrichtungen zusammen - ungeachtet der vor zehn Jahren gestarteten Gelbfieber-Initiative - nie genügend finanziell bemittelt, daß sie Gelbfieber nahezu vollständig ausmerzen können, und zweitens nicht genügend Produktionskapazitäten aufrechterhalten, um die Menge an Impfstoff herzustellen, die erforderlich wäre, um das Gelbfieberproblem weitgehend zu beheben.

Die Not wird gewissermaßen verschleppt, der Mangel aufrechterhalten. Erweist sich damit nicht das bestehende System der medizinischen Versorgung als unzureichend? Müßte es nicht als gescheitert angesehen werden, wenn so viele Menschen sterben, obgleich es dazu Alternativen gibt? Böte eine zentrale Behörde, die ausreichend finanziell bemittelt wäre, um Gelbfieber und viele andere Infektionskrankheiten erfolgreich bekämpfen zu können, eine geeignetere Form, um das Überlebensinteresse der Menschen zu erfüllen, als das gegenwärtige Zusammenspiel von medizinischer Globaladministration und Marktkräften?

Es käme sicherlich auf die Umsetzung an, was wiederum vom politischen und ökonomischen Umfeld abhinge. Aber bei aller Ungewißheit ist doch eines gewiß: Als Folge der gegenwärtigen Praxis sterben mehrere zehntausend Menschen allein an Gelbfieber - von anderen vermeidbaren Krankheiten ganz zu schweigen.


Fußnoten:

[1] http://www.homelandsecuritynewswire.com/dr20160817-yellow-fever-outbreak-on-verge-of-going-global-with-vaccine-supply-running-short

[2] http://www.who.int/mediacentre/news/statements/2016/yellow-fever-response/en/

[3] https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/gelbfieber-impfungen-kongo

[4] http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/seuchenschutz-who-startet-gewaltige-impfkampagne-gegen-gelbfieber-1.3126296

[5] http://jama.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=2522030

[6] http://www.who.int/mediacentre/news/statements/2016/yellow-fever-response/en/

[7] http://www.unicef.org/supply/files/Yellow_Fever_Vaccine_Current_Outlook_March_2015.pdf

[8] http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/impfen/article/916990/gelbfieber-impfstoff-derzeit-nicht-verfuegbar.html

[9] http://www.promedmail.org/post/4123983

[10] http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs100/en/

23. August 2016


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