Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


AFRIKA/2131: Burundi, Südafrika - Abschied vom Internationalen Strafgerichtshof (SB)


Nationales Recht und Weltrecht im Widerstreit

Südafrikas Absage an den ICC kommt zu einer Zeit, in der die Weltrechtsidee durch den globalen Terrorkrieg überholt wird


Klagen gegen den früheren US-Präsidenten George W. Bush und den britischen Ex-Premierminister Tony Blair wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat der Internationale Strafgerichtshof (ICC - International Criminal Court) gar nicht erst angenommen. Bush kommt schadlos davon, weil die USA das Rom-Statut, durch das der ICC im Jahr 2002 in Kraft gesetzt worden war, nicht unterzeichnet haben, und Blair wird verschont, weil sein Befehl zur Invasion britischer Truppen in den souveränen Staat Irak angeblich nicht in die Befugnis des ICC fällt. [1]

Wohl aber hatte das in Den Haag ansässige Gericht Klage gegen den noch amtierenden sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir und den amtierenden Präsidenten Kenias, Uhuru Kenyatta, erhoben. Mögen die Begründungen des Gerichts für seine jeweiligen Entscheidungen in noch so wohlfeile juristische Worte verkleidet sein, an diesem Gegensatz wird beispielhaft deutlich, daß das ICC mit seiner Interpretation des Weltrechts offensichtlich nicht gegen die Interessen westlicher Staaten verstoßen will.

Die USA waren dem ICC vor allem deshalb nicht beigetreten, weil sie gefordert hatten, daß ihre eigenen Soldaten niemals vor dem Gericht angeklagt werden, sondern immer nur die anderen. Diese Ausnahmeregelung konnte Washington zwar nicht durchsetzen, aber das Beispiel zeigt, daß der aus George Orwells Roman "Farm der Tiere" stammende Spruch: "Alle Tiere sind gleich. Aber einige sind gleicher als andere", durchaus einem Überlegenheitsgefühl vorherrschender Kräfte entspricht, das auch nach dem Ende der Kolonialzeit nicht obsolet ist.

Ebenfalls seit 2002 ist der amtierende US-Präsident ermächtigt, gegebenenfalls den Befehl zu erteilen, daß US-Staatsbürger, die sich vor dem ICC verantworten müssen, mit militärischer Gewalt befreit werden. Das ist natürlich nur Theorie. Die Niederlande werden keinen Anlaß bieten, daß US-Soldaten in Den Haag einmarschieren, um einen der ihren aus der Haft zu befreien.

Vor rund zwei Jahren, nach einer ständigen Kontroverse, schien der ICC allmählich zu merken, daß er den Bogen überspannt, wenn er zunächst nur afrikanische Staatsbürger anklagt (obgleich die Verfahren mehrheitlich von afrikanischen Staaten angestrengt worden waren), und zog vermutlich deshalb die Anklage gegen Uhuru Kenyatta zurück. Diese politische Sicht auf die Ereignisse wird vom ICC selbstverständlich nicht geteilt; juristisch war Mangel an Beweisen ausschlaggebend dafür, daß die Anklage fallengelassen wurde.

Seit dem 27. Januar 2016 hat sich der ICC mit der Anklage gegen Georgien als ersten nicht-afrikanischen Staat ein Feigenblatt verschafft (und Vorermittlungen laufen auch gegen andere Staaten). Aber das Feigenblatt ist eben auch als solches zu erkennen, weshalb es Burundi am Dienstag vergangener Woche nicht davon abgehalten hat, seinen Rückzug vom ICC anzukündigen. Parlament und Präsident in Bujumbura haben die Entscheidung bereits abgesegnet. Vorausgegangen waren Bestrebungen des ICC, Ermittlungen im Zusammenhang mit der Gewalt aufzunehmen, die im vergangenen Jahr nach der Ankündigung von Präsident Pierre Nkurunziza, für eine dritte Amtszeit kandidieren zu wollen, ausgebrochen war.

Am Freitag teilte Südafrika ebenfalls mit, es werde den ICC verlassen. [2] Es begründete seine Absicht damit, daß es zu einer friedlichen Beilegung von Konflikten durch Dialog dazugehöre, ausländische Staatsführer auf seinem Boden zu empfangen, auch wenn diese mit dem ICC über Kreuz lägen. Das in Den Haag ansässige Gericht verlangt von seinen Mitgliedern, per Haftbefehl gesuchte Personen festzunehmen und auszuliefern. In Südafrika (und nicht nur dort) genießen Regierungschefs diplomatische Immunität. Die südafrikanische Regierung hatte im Sommer vergangenen Jahr bei einem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union Sudans Präsidenten al-Baschir ausreisen lassen, obgleich ein Gericht seine Verhaftung angeordnet hatte. [3]

Da der ICC von rund 70 Ländern, darunter die USA, Rußland und China, nicht anerkannt wird, handelt es sich zunächst einmal um ein juristisches Zucht- bzw. Gewaltmittel gegen alle anderen Staaten. Für die Angehörigen der Opfer der angeklagten mutmaßlichen Täter ist es vermutlich oft, aber gewiß nicht in jedem Fall eine Genugtuung, wenn dieser vom ICC bestraft werden soll. Beispielsweise kamen vor zehn Jahren in Uganda vor allem deshalb keine Friedensgespräche zwischen der Regierung und der Rebellenorganisation LRA (Lord's Resistance Army) zum Abschluß, weil deren Anführer Joseph Kony befürchten mußte, verhaftet und an den ICC ausgeliefert zu werden. [4]

Dessen damaliger Chefankläger, der Argentinier Luis Moreno Ocampo, bestand im Jahr 2005 darauf, daß Internationale Haftbefehle gegen Kony und drei seiner Stellvertreter ausgestellt werden. Auch die ugandische Regierung trat nicht von ihrer Forderung nach Strafverfolgung Konys zurück, wohingegen die eigentlich von dem nordugandischen Dauerkonflikt mit Abstand am stärksten betroffene Volksgruppe der Acholi vor allem eines wollte, Frieden. Der war aber mit dem ICC nicht zu haben. Die Welle der Gewalt setzte sich fort.

Seit der Anklage gegen Kenyatta, dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen wurden - bei Unruhen nach den Wahlen im Jahr 2007 waren mehr als 1000 Menschen ums Leben gekommen -, war eine Debatte über die Legitimität des ICC aufgekommen. Schließlich forderte die Afrikanische Union das Den Haager Gericht auf, keine amtierenden Staatsführer anzuklagen, und teilte ihm mit, es werde seine Mitgliedstaaten auch nicht zur Auslieferung von angeklagten Staatsführern nötigen. Kenia erwägt ebenfalls, sich vom Statut von Rom zu verabschieden.

Wenn Banden- und Rebellenführer, ehemalige und amtierende Regierungschefs Blut an den Fingern haben, dann können die, die darunter gelitten haben oder noch leiden, es mit aller Berechtigung als befriedigend empfinden, wenn der oder die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Umgekehrt dürfte es bei vielen Menschen Gefühle von Enttäuschung bis Zorn auslösen, sollten nach Burundi und Südafrika noch weitere Staaten ihre Zusammenarbeit mit dem ICC aufkündigen und das Weltrecht, für das sich internationale Menschenrechtsorganisationen so sehr eingesetzt haben, immer mehr an Bedeutung verlieren.

Der ICC war aus einem Weltrechtsverständnis heraus geschaffen worden, das in den neunziger Jahren, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, seine Hochzeit erlebte. In Folge der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania nehmen die USA und ihre Verbündeten das Weltrecht allerdings in die eigenen Hände, nachdem es unter anderem bereits 1999 durch den nicht vom UN-Sicherheitsrat mandatierten Angriff der NATO-Staaten auf die Bundesrepublik Jugoslawien unterhöhlt worden war. Der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, damals deutscher Bundeskanzler in einer Koalition mit den Grünen, sagte 2014 bei einer Zeit-Matinee hinsichtlich des umstrittenen Anschlusses der Krim an die Russische Förderation:

"Natürlich ist das, was auf der Krim geschieht, etwas, was auch Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Aber wissen Sie, warum ich ein bisschen vorsichtiger bin mit dem erhobenen Zeigefinger? Das will ich Ihnen gerade sagen. Weil ich es nämlich selbst gemacht habe, gegen das Völkerrecht verstoßen." [5]

Heute exekutieren die USA willkürlich per Drohnenangriff Bürgerinnen und Bürger souveräner Staaten - ohne Haftbefehl, ohne Richterbeschluß, ohne Verteidigung. Der ICC wurde längst von der Macht des Faktischen überholt, was nicht bedeutet, daß er deswegen abgeschafft würde. Im Arsenal der Mittel, mit denen die vorherrschenden Interessen auch unterhalb von Drohnentod, der militärisch exekutierten "humanitären Intervention" und klandestin entfachten "bunten Revolutionen" ihre globalhegemonialen Absichten durchsetzen, kann so eine Institution wie der ICC noch gute Dienste leisten.

Was den Wunsch der Armen, Ausgebeuteten und Ausgegrenzten an einer gerechten Welt angeht, so müssen die Motive, den ICC zu verlassen, keineswegs lauter sein. Doch die Motive, ihn zu gründen und einzusetzen, ebensowenig.


Fußnoten:

[1] http://www.independent.co.uk/news/uk/politics/tony-blair-chilcot-iraq-war-soldiers-international-criminal-court-human-rights-saddam-hussein-a7116696.html

[2] https://www.theguardian.com/world/2016/oct/21/south-africa-to-quit-international-criminal-court-document-shows

[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-06/omar-al-baschir-suedafrika-ausreise-flugzeug

[4] http://allafrica.com/stories/200801100539.html

[5] zitiert nach: https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/gerhard-schroeders-selbstanzeige

24. Oktober 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang